Grie­chen­lands Migran­ten­krise: “Ein Pul­verfass, das zur Explosion bereit ist”

Ein Plan der grie­chi­schen Regierung, neue Migran­ten­lager auf fünf Inseln der Ägäis zu errichten, hat hef­tigen Wider­stand der Ein­hei­mi­schen aus­gelöst, die befürchten, dass die Ein­rich­tungen noch mehr Mas­sen­mi­gration aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten fördern werden.

(von Soeren Kern)

Die Regierung sagt, dass die neuen Lager, die bis Juli 2020 in Betrieb genommen werden sollen, not­wendig sind, um die Über­be­legung an anderen Orten, die im Mit­tel­punkt der inter­na­tio­nalen Kritik standen, zu ver­ringern. Ein­hei­mische kontern, dass die Migranten auf das grie­chische Festland verlegt werden sollten.

Hier bestellen!

Am 25. Februar hin­derten mehr als 500 Ein­hei­mische die Bau­ar­beiter am Zugang zum Gelände eines geplanten neuen Migran­ten­lagers in Karava Man­t­a­madou auf Lesbos. Die Bereit­schafts­po­lizei setzte Trä­nengas und Betäu­bungs­gra­naten ein, um die Men­schen­massen zu zerstreuen.

Ähn­liche Zusam­men­stöße gab es auf Chios, einer großen grie­chi­schen Insel, die weniger als 20 Kilo­meter von der Türkei ent­fernt liegt und woher jedes Jahr Zehn­tau­sende von Migranten in der Hoffnung auf Zugang zum euro­päi­schen Festland ablegen.

Der neue Standort auf Lesbos wird ein so genanntes geschlos­senes Lager sein, das den Zugang streng kon­trol­liert und das der­zeitige offen zugäng­liche Lager in Moria ersetzen wird. Die geschlos­senen Lager werden es den Migranten zwar erlauben, tagsüber aus­zu­gehen, aber sie müssen sich nachts ein­schliessen lassen. Das Ziel ist es, ihre Bewe­gungen zu kon­trol­lieren und sie an der Flucht aufs Festland zu hindern.

Zusätzlich zu Lesbos planen die grie­chi­schen Behörden den Bau geschlos­sener Ein­rich­tungen auf den Inseln Chios, Kos, Leros und Samos. Die Inseln liegen alle in der Nähe der Türkei.

Das Lager in Moria — eine weit­läufige Ein­richtung, die für nicht mehr als 3.000 Migranten gebaut wurde, aber inzwi­schen min­destens 20.000 Men­schen beher­bergt, von denen etwa ein Drittel unter 18 Jahre alt ist — hat wegen seiner erbärm­lichen Lebens­be­din­gungen breite inter­na­tionale Kritik auf sich gezogen.

Eine Spre­cherin von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Fron­tières, MSF), Sophie McCann, erklärte:

“Sie leben unter erbärm­lichen, mit­tel­al­ter­lichen Bedin­gungen … mit kaum Zugang zu grund­le­genden Dienst­leis­tungen, ein­schließlich sau­berem und heißem Wasser, Elek­tri­zität, sani­tären Ein­rich­tungen und Gesund­heits­ver­sorgung. Täglich behandeln unsere medi­zi­ni­schen Teams die daraus resul­tie­rende Ver­schlech­terung ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens.”

Im Jahr 2016 führten die grie­chi­schen Behörden mit Unter­stützung der EU eine so genannte Ein­däm­mungs­po­litik ein, um Migranten von der Über­fahrt aus der Türkei nach Grie­chenland abzu­halten. Diese Politik ver­langt, dass die Migranten auf den Inseln bleiben — ohne Hoffnung, das grie­chische Festland zu erreichen — bis ihre Asyl­an­träge bear­beitet sind. Mit einem Rück­stand von Zehn­tau­senden von Bewerbern ist das Asyl­system zum Still­stand gekommen. Ungefähr 40.000 Migranten sind auf den Inseln gefangen.

Die Ein­däm­mungs­po­litik hat die Ein­hei­mi­schen ver­ärgert, die sich darüber beschweren, dass die Migranten für einen Anstieg der Kri­mi­na­lität ver­ant­wortlich sind. “Die Men­schen haben mit­erlebt, wie ihr Eigentum zer­stört, ihre Schafe und Ziegen geschlachtet und in ihre Häuser ein­ge­brochen worden ist”, sagte Nikos Tra­kellis, ein Gemein­de­vor­steher in Moria. “Vor ein paar Jahren, als es 5.000 Migranten auf der Insel gab, schien es schlimm genug zu sein. Jetzt hat man das Gefühl, dass die Situation wirklich aus dem Ruder gelaufen ist.”

Im Oktober 2019 kün­digte die grie­chische Regierung einen Plan an, 20.000 Migranten von den Inseln auf das Festland zu ver­legen. Ein nach­fol­gender Anstieg der Neu­an­kömm­linge aus der Türkei hat jedoch dazu geführt, dass die Migran­ten­lager auf den Inseln so über­füllt sind wie eh und je.

Die grie­chi­schen Behörden sagen, dass sie ihr Bestes tun, um Ein­hei­mische, Migranten und Men­schen­rechts­gruppen zufrie­den­zu­stellen. “Die Regierung bemüht sich, etwas zu ändern, einen Plan umzu­setzen”, sagte ein Regie­rungs­sprecher gegenüber der Nach­rich­ten­agentur Reuters. “Wenn wir keine neuen Ein­rich­tungen bauen, werden sich die Lebens­be­din­gungen nicht verbessern.”

Der Gou­verneur der Region Nord­ägäis, Kostas Moutz­ouris, der sich gegen den Plan der Regierung zur Errichtung per­ma­nenter Migran­ten­lager auf den Inseln aus­spricht, beschrieb die Situation auf Lesbos als “ein Pul­verfass, das zur Explosion bereit ist”. Er fügte hinzu: “Es ist ent­scheidend, dass der Aus­nah­me­zu­stand aus­ge­rufen wird.” Er warnte auch:

“Ich fürchte um die Sicherheit unserer Leute, der Bewohner von Lesbos. Damit sich die Situation ändert, müssen viele Flücht­linge auf das Festland gebracht und Neu­an­künfte aus der Türkei gestoppt werden. Wenn nicht, sind wir verloren.”

Regie­rungs­sprecher Stelios Petsas, der die bestehenden Ein­rich­tungen als “Bomben für die öffent­liche Gesundheit” beschrieb, sagte:

“Wir bitten die ört­lichen Gemeinden um Ver­ständnis dafür, dass diese geschlos­senen Ein­rich­tungen dem Land und ihren Gemeinden zugute kommen werden. Im Moment gibt es ein Ver­trau­ens­de­fizit, das in den ver­gan­genen Jahren kul­ti­viert wurde, und das muss wie­der­her­ge­stellt werden. Wir werden diese geschlos­senen Zentren bauen, aber auch die bestehenden offenen Zentren schließen. Das ist das Ver­sprechen der Regierung.”

“Mit den neuen Lagern wird es viel ein­facher sein, das Asyl­ver­fahren zu beschleu­nigen, so dass die­je­nigen, die Anspruch auf Asyl haben, in den Westen über­führt und die­je­nigen, die keinen haben, in die Türkei zurück­ge­schickt werden können.”

Grie­chen­lands Mitte-Rechts-Regierung unter Führung des grie­chi­schen Pre­mier­mi­nisters Kyriakos Mit­so­takis, der nach den Par­la­ments­wahlen im Juli 2019 sein Amt antrat, hat einen hart­nä­cki­geren Ansatz in Bezug auf die Migration ver­folgt, als die vor­herige linke Regierung unter Führung von Alexis Tsipras:

  • Juli 2019. Die neue Regierung widerrief den Zugang zur öffent­lichen Gesund­heits­ver­sorgung für in Grie­chenland ankom­mende Asyl­su­chende und Migranten ohne Papiere.
  • Sep­tember 2019. Die Regierung erhöhte die Kri­terien für die Bean­tragung und Geneh­migung von Anträgen auf Asyl­status. Sie gelobte auch, die Grenz­si­cherheit zu stärken und 10.000 illegale Migranten bis Ende 2020 in die Türkei zurückzuschicken.
  • Oktober 2019. Das grie­chische Par­lament ver­ab­schiedete ein neues Asyl­gesetz, mit dem das nationale Asyl­system grund­legend geändert wurde, u.a. durch die Ein­schränkung der Beru­fungs­mög­lich­keiten und die Erleich­terung der Abschiebung von abge­lehnten Asylbewerbern.
  • November 2019. Die Regierung erklärt, dass sie die Kon­trollen an den Grenzen Grie­chen­lands ver­schärfen und Eng­pässe bei den Asyl­prü­fungs­ver­fahren besei­tigen werde.
  • Januar 2020. Die Regierung kündigt den Bau eines schwim­menden Zauns an, um Migranten, die auf dem Seeweg ankommen, abzu­schrecken. Die 2,7 Kilo­meter lange Bar­riere wird vor der Küste von Lesbos errichtet. Sie wird sich 50 Zen­ti­meter über den Mee­res­spiegel erheben und über Lichter ver­fügen, die sie nachts sichtbar machen. Wenn die Bar­riere die Migration wirksam redu­ziert, könnte sie auf 15 Kilo­meter oder mehr aus­ge­weitet werden.
  • Februar 2020. Das grie­chische Par­lament ver­ab­schiedete ein Gesetz zur Regu­lierung aller Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen (NGOs), die sich mit Migra­ti­ons­fragen befassen. Damit soll sicher­ge­stellt werden, dass die NGOs nicht “in fal­scher und para­si­tärer Weise” von der Mas­sen­mi­gration profitieren.
Hier bestellen!

Mit­so­takis sagte kürzlich, dass Grie­chenland, anders als unter der vor­he­rigen Regierung, nicht mehr für jeden, der kommen will, offen ist:

“In Grie­chenland will­kommen sind nur die­je­nigen, die wir aus­wählen. Die­je­nigen, die nicht will­kommen sind, werden zurück­ge­schickt. Wir werden die Tür für illegale Men­schen­händler, für die­je­nigen, die ein­reisen wollen, obwohl sie kein Recht auf Asyl haben, dau­erhaft verschließen.

Seit 2015 sind mehr als eine Million Migranten aus Afrika, Asien und dem Nahen Osten über Grie­chenland in die Euro­päische Union eingewandert.

Ein Abkommen zwi­schen der EU und der Türkei vom März 2016 ver­rin­gerte den Zustrom, aber die Zahl der Ankünfte stieg 2019 wieder an, nachdem der tür­kische Prä­sident Recep Tayyip Erdoğan und andere Mit­glieder seiner Regierung Europa mit mus­li­mi­schen Migranten zu über­schwemmen drohten.

Grie­chische Beamte haben gesagt, dass Erdoğan die Migra­ti­ons­ströme nach Grie­chenland per­sönlich kon­trol­liert und sie ein- und aus­schaltet, um mehr Geld und andere poli­tische Zuge­ständ­nisse von der Euro­päi­schen Union zu erhalten.

Der grie­chische Ein­wan­de­rungs­mi­nister Giorgos Kou­mout­sakos bemerkte, dass, wenn die Türkei “immer wieder wie­derholt, dass wir die Schleusen öffnen werden, die Migranten sich näher an die Schleusen her­an­tasten und darauf warten, dass sie sich öffnen”. Er fügte hinzu:

“Europa kann nicht unter Dro­hungen oder Erpressung handeln. Da die Europäer die Situation, in der sich die Türken befinden, ver­stehen sollten, sollte Ankara sei­ner­seits erkennen, dass dies nicht der richtige Weg ist, mit Europa umzugehen.”

Im Jahr 2019 erreichten laut UNHCR, dem UNO-Flücht­lings­hilfswerk, etwa 60.000 Migranten — durch­schnittlich 164 pro Tag — Grie­chenland. Fast 80% kamen auf Chios, Lesbos und Samos an.

Der Trend setzt sich fort: Mehr als 6.000 Migranten — durch­schnittlich 133 pro Tag — erreichten Grie­chenland in den ersten sechs Wochen des Jahres 2020, so das UNHCR. Die wich­tigsten Her­kunfts­länder: Afgha­nistan (50%); Syrien (21%); Kongo (6%) und Irak (3,5%).

Die jüngsten Kämpfe in Idlib, einer vom Krieg zer­ris­senen Provinz im Nord­westen Syriens, haben fast eine Million Men­schen — die meisten davon Frauen und Kinder — ent­wurzelt, die nahe der tür­ki­schen Grenze Zuflucht gesucht haben.

Die Türkei, die derzeit fast vier Mil­lionen syrische Flücht­linge beher­bergt, hat erklärt, dass sie einen neuen Zustrom nicht ver­kraften kann. Sie hat wie­derholt damit gedroht, die Schleusen der Mas­sen­mi­gration nach Europa wieder zu öffnen.

—————–

Soeren Kern ist ein Senior Fellow am New Yorker Gatestone Institute.


Quelle: gatestoneinstitute.org