In diesem Gerichtssaal gelten nicht die Regeln von Wiki­pedia, sondern deut­sches Recht

Der Prozess gegen die Fil­me­macher Markus Fiedler und Dirk Pohlmann wegen der De-Anony­mi­sierung des Wiki­pedia-Denun­zi­anten Feliks-Egerer-Grü­newald ist beendet

(von Helmut Roewer)

Bereits vor einiger Zeit hatte ich darauf auf­merksam gemacht, dass einer der übelsten Denun­zi­anten der deut­schen Wiki­pedia mit dem Deck­namen Feliks vom Fil­me­ma­cherduo Markus Fiedler und Dirk Pohlmann („Neues aus Wiki­hausen“) ent­tarnt worden ist. Sein Klarname ist Jörg Mat­thias Claudius Grü­newald, vormals Jörg Egerer. Der Mann zog vor Gericht. Er machte geltend, dass er jetzt schrecklich bedroht sei, weil nun jedermann wisse, wer Feliks ist.

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Das zur Ent­scheidung ange­rufene Land­ge­richt Hamburg schwankte zunächst hin und her. Es erließ eine einst­weilige Anordnung gegen die Film­au­toren, die es nach münd­licher Ver­handlung jedoch weit­gehend wieder aufhob. Da nun Feliks-Egerer-Grü­newald auf einer Ent­scheidung im sog. Haupt­sa­che­ver­fahren bestand, kam die Sache wieder zum Aufruf. Es erging nach münd­licher Ver­handlung ein Urteil, das den geltend gemachten Anspruch des Denun­zi­anten auf Anony­mität erneut weit­gehend ver­neinte. Das war dem armen Feliks noch immer nicht Nie­derlage genug. So ging er in die Berufung vor dem Han­sea­ti­schen Ober­lan­des­ge­richt (OLG).

Vor dem OLG wurde die Sache jetzt ans Ende gebracht. Die münd­liche Ver­handlung fand am 18. Februar 2020 statt. Hier fiel der bereits in der Über­schrift zitierte Satz: In diesem Gerichtssaal gelten nicht die Regeln von Wiki­pedia, sondern deut­sches Recht. In dieser Weise über die Erfolgs­aus­sichten auf­ge­klärt, nahm der Anwalt von Feliks-Egerer-Grü­newald im Wege des Pro­zess­ver­gleichs seine Berufung weit­gehend zurück.

Nimmt man’s kri­tisch, so bedeutete das abrupte Pro­zessende das Ziehen der Not­bremse durch den Feliks-Anwalt im Sinne von Wiki­pedia. Es wurde nämlich auf diese Weise das Grund­satz­urteil eines Ober­ge­richts über die Nicht­geltung von Wiki­pedia-Regeln zulasten Dritter, so wie es der erken­nende Senat über­deutlich ange­kündigt hatte, erst einmal aktuell ver­mieden. Was bleibt: (1) Wie darf man Feliks jetzt öffentlich nennen? (2) Was bedeutet der Prozess für Wiki­pedia-Denun­zi­anten im All­ge­meinen? (3) Was kostet so etwas, und wer bezahlt das?

(1) Der Wiki­pedia-Autor Feliks ist Jörg Egerer, iden­tisch mit Jörg Grü­newald. Die Öffent­lichkeit hat ein Recht darauf, das zu wissen. Das ist das Wich­tigste in diesem Streit. Die Win­kelzüge des Denun­zi­anten, sich gegen Ent­tarnung zu sichern, geben ihm kein Recht, das durch andere zu beachten wäre. Gut zu wissen.

Strittig blieb, was nach meiner Meinung ohne sub­stan­zielle Bedeutung ist: (a) Hat Egerer-Grü­newald sich wie der Ange­hörige eines Geheim­dienstes ver­halten? Das Land­ge­richt Hamburg befand, dass man das so nicht sagen dürfe, das OLG fand das Gegenteil. (b) Exis­tiert ein Foto, dass Feliks-Egerer-Grü­newald in israe­li­scher Fall­schirm­jäger-Montur nebst Maschi­nen­pistole Uzi zeigt, oder gibt es ein solches Foto nicht? Auch hier wichen die beiden Gerichte in ihren Auf­fas­sungen von­ein­ander ab. Der Sach­stand ist also, dass man die Existenz dieses Fotos nicht unge­straft behaupten kann. Man wird abwarten können, ob sich eines Tages das Gegenteil zeigt, nämlich das Foto. Mir per­sönlich ist das egal, doch wundern würde mich die Existenz eines solchen Fotos von diesem Militär- und Fall­schirm­narren nicht, zumal es beim Prozess in dieser Frage ein­ander wider­spre­chende Aus­sagen gab. Wie gesagt: Man muss es abwarten, denn gäbe es ein solches Bild, hätte der arme Feliks sicher ein zivil- und ein straf­recht­liches Problem.

(2) Über den Tag hinaus reichen die Ent­schei­dungs­gründe des Land­ge­richts Hamburg (Urteil vom 20.2.2019, Az. 324 O 468/18, das mir in einer Kopie vor­liegt). Hierin ist dar­gelegt, wie das Gericht eine Abwägung der geschützten Rechte des Ein­zelnen mit dem Recht der Öffent­lichkeit auf de-anony­mi­sie­rende Bericht­erstattung vor­nimmt. Es hebt hervor, dass der anonym bleiben wol­lende Wiki­pedia-Autor sich nicht auf seine Rechte auf Pri­vatheit berufen könne, wenn er selbst in mei­nungs­bil­dender Weise in der Wiki­pedia tätig wird – zumal wenn diese Meinung frag­würdig ist, bzw. den Inter­essen des von der Mei­nungs­bildung Betrof­fenen dia­metral wider­spricht. Wer so handele, begebe sich bewusst in die Öffentlichkeit.

Unstreitig hat der Antrag­steller als „Feliks“ Frau McLean [= eine der von ihm bear­bei­teten Per­sonen] wissen lassen: „Wenn man in der Öffent­lichkeit etwas tut, muss man die Kon­se­quenzen aus­halten.“ Dies gilt glei­cher­maßen indes auch für den Antragsteller.

Die Ent­schei­dungs­gründe sind sicher in der einen oder anderen Weise dis­kus­si­ons­würdig, aber sie sind bemer­kenswert, weil sie die Mei­nungs­bildung durch die Wiki­pedia betreffen. Über­trägt man diese Auf­fassung auf Sach­ver­halte, wo es nicht nur um Mei­nungen, sondern um falsche Tat­sa­chen­be­haup­tungen geht, so wird man sagen können: Hier gilt ein erst-recht. Denn wer aus ideo­lo­gi­scher Ver­blendung lügt, will erst recht im Sinne einer ihm genehmen Meinung beein­flussen. Die Öffent­lichkeit, und nicht nur der Geschä­digte, hat also ein Recht zu wissen, welche Person dahin­ter­steckt. Die gegen­teilige Ver­ab­redung zwi­schen Wiki­pedia und ihren Autoren, sind Ver­träge zulasten Dritter, die das deutsche Recht nicht aner­kennt. Der bei­sit­zende Richter des OLG brachte das in salopper Form, aber für jedermann ver­ständlich, auf den Punkt (siehe Überschrift).

(3) Pro­zesse dieser Art sind extrem teuer. Das Land­ge­richt hatte den Streitwert – das ist der Betrag, aus dem sich später die Gerichts- und Anwalts­ge­bühren berechnen – im einst­wei­ligen Rechts­schutz­ver­fahren auf mär­chen­hafte 218.000,00 €, im Haupt­sa­che­ver­fahren dann immer noch auf 108.000,00 € fest­ge­setzt. Da zücken die Anwälte ihre Taschen­rechner und lächeln. Wir sprechen hier über Pro­zess­kosten im satten fünf­stel­ligen Bereich. Die beiden Fil­me­macher sind wegen der albernen israe­li­schen Maschi­nen­pistole Uzi auf einem Neuntel der Kosten hängen geblieben, das ist ein vier­stel­liger Betrag und zugleich ein Hinweis an die Zuschauer, welche die Neues aus Wiki­hausen-Sen­dungen schätzen und wei­terhin sehen wollen. Und der arme Feliks? Ich habe keine Ahnung, ob die Liebe zwi­schen ihm und Wiki­pedia so intensiv ist, dass die Daten­krake ihren Spen­densack öffnet. Ich will das nicht unter­stellen, denn das würde nach meinem Geschmack kaum mit den Zielen der dor­tigen Spen­den­kam­pagnen zusammenpassen.

©Helmut Roewer, März 2020
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Dr. Helmut Roewer wurde nach dem Abitur Pan­zer­of­fizier, zuletzt Ober­leutnant. Sodann Studium der Rechts­wis­sen­schaften, Volks­wirt­schaft und Geschichte. Nach dem zweiten juris­ti­schen Staats­examen Rechts­anwalt und Pro­motion zum Dr.iur. über ein rechts­ge­schicht­liches Thema. Später Beamter im Sicher­heits­be­reich des Bun­des­in­nen­mi­nis­te­riums in Bonn und Berlin, zuletzt Minis­te­ri­alrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Prä­sident einer Ver­fas­sungs­schutz­be­hörde. Nach der Ver­setzung in den einst­wei­ligen Ruhe­stand frei­be­ruf­licher Schrift­steller und Autor bei con­servo. Er lebt und arbeitet in Weimar und Italien.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com