Der untere Erd­mantel hat riesige Anomalien

Gigan­tische Stö­rungen: Am unteren Rand des Erd­mantels haben For­scher riesige Anomalien ent­deckt – Gebiete, in denen das Material unge­wöhnlich heiß und dicht ist. Eine dieser Zonen liegt unter Hawaii, die andere unter den Mar­quesas-Inseln, wie die Analyse seis­mi­scher Daten aus dem Pazi­fikraum ergab. Diese Anomalien könnten die Wurzeln von Man­tel­plumes dar­stellen, ihre Menge und Aus­dehnung sei aber über­ra­schend, so die For­scher im Fach­ma­gazin „Science“.

Der tiefe Erd­mantel und die Kern-Mantel-Grenze sind eine Schlüs­sel­region unseres Pla­neten. Denn hier liegen die Wurzeln der Man­tel­plumes, die vul­ka­nische Hot­spots mit Magma versorgen.

Gleich­zeitig ist diese Zone ein Motor der Strö­mungen im Erd­in­neren und damit auch der Plat­ten­tek­tonik. Im Jahr 2019 stellten For­scher zudem fest, dass der flüssige äußere Erdkern Material an den Mantel ver­liert – er „leckt„. Warum, ist unklar, weil über die Kern-Mantel-Grenze bislang nur wenig bekannt ist.

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Erd­be­ben­wellen als Tomograf

Jetzt liefert eine seis­mische Studie ganz neue Ein­blicke in die Unter­grenze des Erd­mantels – und ent­hüllt Über­ra­schendes. Für ihre Studie haben For­scher um Doyeon Kim von der Uni­versity of Maryland die seis­mi­schen Daten von hun­derten Erd­beben der Magnitude 6 und höher ana­ly­siert, die sich zwi­schen 1990 bis 2018 im Pazi­fikraum ereigneten.

Weil Erd­be­ben­wellen das Erd­innere durch­dringen, kann ihre Lauf­zeit­ver­zö­gerung und Dämpfung ver­raten, wie das Gestein in der Tiefe beschaffen ist – ähnlich wie eine Tomografie.

Kim und sein Team wählten dabei aber einen neuen Ansatz: Sie nutzten einen lern­fä­higen Algo­rithmus, um die Echos der seis­mi­schen Wellen aus­zu­werten. „Indem wir damit tau­sende von Echos der Kern-Mantel-Grenze auf einmal anschauen konnten, haben wir eine ganz neue Per­spektive gewonnen“, sagt Kim.

Zudem kann der „Sequenzer“ getaufte Algo­rithmus Anomalien im Wel­len­muster iden­ti­fi­zieren, ohne dabei auf Vor­an­nahmen zum Erd­in­neren zurück­greifen zu müssen.

Mehr Stör­zonen als erwartet

Das über­ra­schende Ergebnis: „In fast der Hälfte aller Wel­lenzüge detek­tierten wir Wellen, die von drei­di­men­sio­nalen Struk­turen an der Kern-Mantel-Grenze gestreut worden waren“, berichten Kim und sein Team.

„Das war über­ra­schend, denn wir haben erwartet, das solche Anomalien weit sel­tener sind.“ In diesen Stör­zonen werden die Wellen stark abge­bremst und ver­zögert – Geo­for­scher bezeichnen solche Bereiche als Ultralow Velocity Zones (ULVZ).

Was diese Anomalien ver­ur­sacht und wie das Man­tel­ma­terial dort beschaffen ist, lässt sich bislang nur ver­muten. Die Wis­sen­schaftler gehen davon aus, dass das Gestein dort besonders heiß und dicht ist. „Solche Mega-ULVZs müssen ent­weder eine exo­tische Zusam­men­setzung auf­weisen oder aber sie gehen auf die Präsenz teil­weise geschmol­zenen Gesteins zurück“, erklären Kim und seine Kollegen.

Mega-Anomalie unter Hawaii

Neben einigen klei­neren, schwä­cheren Anomalien unter Alaska und Kamt­schatka ent­hüllten die Daten zwei uner­wartet große und auf­fällige Zonen – eine davon nord­westlich von Hawaii: „Wir haben steil negative Abfälle in der Umgebung von Hawaii gefunden. Diese Region ist sub­stan­ziell größer als alles andere im Pazi­fik­becken“, so die For­scher. „Im Pazifik ist sie ein­zig­artig.“ Diese Zone über­treffe auch alles von Modellen Vor­her­ge­sagte bei weitem.

Ergän­zenden Berech­nungen zufolge könnte die Hawaii-Anomalie auf eine rund 600 Kilo­meter dicke Störzone am unteren Man­telrand zurück­gehen. Die Wis­sen­schaftler ver­muten, dass es sich dabei um die Wurzeln des Man­tel­plumes unter dieser Insel­gruppe handelt. Frühere Studien hatten bereits nahe­gelegt, dass dieser vul­ka­nische Hotspot bis auf ein großes Reservoir an der Kern-Mantel-Grenze hinunterreicht.

(Anomalien an der Kern-Mantel-Grenze unter Hawaii und den Marquesas)

Neue Anomalie in der Südsee

Noch über­ra­schender war die zweite große Anomalie. Sie liegt unter den Mar­quesas-Inseln, einem Archipel im Süd­pa­zifik. Die Größe und Inten­sität dieser Störzone ent­spricht dem, was Modelle zuvor nur für Hawaii vor­her­gesagt hatten.

„Das spricht für die Präsenz einer Mega-ULVZ unter den Mar­quesas“, so die For­scher. „Wir waren über­rascht, dass eine so große Struktur unter den Mar­quesas nicht schon vorher ent­deckt worden ist.“

Ins­gesamt sehen Kim und sein Team in ihren Resul­taten ein Indiz dafür, dass die Kern-Mantel-Grenze hete­ro­gener sein könnte als bislang ange­nommen. Was jedoch diese Unter­schiede und „Hot Zones“ ver­ur­sacht und warum der Unterrand des Erd­mantels an manchen Stellen heißer und weicher ist als anderswo, bleibt vorerst rätselhaft.

In jedem Fall sind solche anomalen Struk­turen an der Kern-Mantel-Grenze offenbar ver­brei­teter als man zuvor gedacht hat“, sagt Lekic.


Quelle: scinexx.de