Unsere Debat­ten­kultur ver­elendet – Recht hat der Lauteste

Zuviel Emo­tionen und Betrof­fenheit, zu wenig Fakten

(von Peter Helmes)

Viele kennen das: Die Dis­kus­sionen vor allem im poli­ti­schen Bereich werden immer schwie­riger, uner­sprießlich und machen ver­drießlich. Allzu oft wird nicht mehr mit Worten gefochten, sondern mit Laut­stärke. Uns ist, wie es scheint, eine besondere Kultur abhan­den­ge­kommen, die Kultur des Aus­tauschs „gepflegter Meinungen“.

Mein Gott, klingt das alt­mo­disch! Aber ist es das wirklich? Wer einmal die Dialoge und die Streit­ge­spräche der sog. „Großen Lite­ratur“ ken­nen­ge­lernt hat, weiß, wovon ich rede. Madame de Staël, Goethe, Vol­taire, Mon­tes­quieu und viele andere – allesamt Meister der geschlif­fenen Sprache – dienen heute nicht mehr als Vorbild für eine freie Dis­kussion, von Vor­bildern der Antike ganz zu schweigen.

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Es scheint, als ob es kein Einer­seits-Ande­rer­seits, kein „Audi­tatur et altera pars“ (latei­nisch für „gehört werde auch der andere Teil“ bzw. „man höre auch die andere Seite“ – ein Grundsatz des römi­schen Rechts, der auch für einen fairen poli­ti­schen Diskurs gelten sollte) mehr gibt. Dem Anderen recht zu geben, wird eher als Schwäche ver­standen denn als Stärke.

Es wird immer mehr los­schwa­dro­niert – unge­hobelt, vorlaut und ohne Rück­sicht auf das Recht des Anderen, gehört zu werden. Der Diskurs ent­artet zur „Ver­kün­digung mit Allein­ver­tre­tungs­an­spruch“. Ein Konsens wird häufig gar nicht erst gesucht, während sich an den radi­kalen Rändern die Stimmung immer weiter auf­heizt. „Leise Töne“ dringen nicht mehr durch.

Das kann man auch non­verbal in den Inter­net­foren beob­achten. Wenn bei Dis­kus­sionen im Netz die Mei­nungen auf­ein­an­der­prallen, wird es oft unge­mütlich: Wer anders denkt, wird verbal in den Boden gestampft. Selbst im „libe­ralen Lager“ findet man dog­ma­tische Ten­denzen und Into­leranz. Die „gemä­ßigte Mitte“ scheint den Einsatz für eine aus­ge­wogene Debat­ten­kultur auf­ge­geben zu haben. Der Dis­kussion mangelt es vielfach an Toleranz und Offenheit. Kritik wird nicht zuge­lassen bzw. überhört, abwei­chende Mei­nungen werden ver­schmäht oder klein­ge­macht, zuweilen gar niederkartätscht.

Ver­nünftige Dis­kus­sionen scheinen im Netz nicht mehr möglich zu sein. Es wird gepöbelt, ver­spottet, gedroht. Viele „User“ haben offen­sichtlich nie gelernt, bei anderen Meinung und Person von­ein­ander zu trennen. For­de­rungen werden häufig weit weg von Fakten erhoben und durch Emo­tionen und Betrof­fen­heiten ersetzt. Das gelingt auch bei intel­lek­tuell anspruchs­vol­leren Men­schen mittels Dis­kurs­ver­engung, also der Her­ab­zonung eines Themas auf einen ein­zigen „Reiz­be­griff“.

So werden gewollt oder unge­wollt Brücken ein­ge­rissen, die eigentlich Gespräche bei Mei­nungs­ver­schie­den­heiten „über­brücken“ sollten. Und oft beweist sich, dass der Lautere recht hat bzw. bekommt. Die so ent­ste­hende Pola­ri­sierung erscheint dann letztlich als unüber­wind­bares Hin­dernis eines freien Mei­nungs­aus­tauschs. Nötig wären aber weniger Uner­bitt­lichkeit und mehr Toleranz.

Josef Kraus, 1987 bis Juni 2017 Prä­sident des Deut­schen Leh­rer­ver­bandes, stellte schon im Jahre 2009 fest:

„Unser heu­tiges Bil­dungs­wesen steht näher an der Apo­ka­lypse als an der Kata­strophe…. Und weil das Abreißen immer leichter ist als das Auf­bauen, dis­ku­tieren Politik, Jour­naille und ´moderne Päd­agogik´ munter darauf los. Vor allem hat man es dabei gerne einfach. Man wünscht – mit Rück­sicht auf das ver­meintlich dumme Volk – Ver­rin­gerung von Kom­ple­xität auf Mono­kau­sa­lität und Ein­di­men­sio­na­lität…. Mit­reden kann hier schließlich jeder, denn jeder hat einmal die Schule besucht oder kennt zumindest einen, die einen kennt, der in der Schule war. Andere aber, die in solchen Runden auf Rea­lismus oder auch nur auf Dif­fe­ren­zierung achten, stehen auf ver­lo­renen Posten…“

Es ist alar­mierend, wie schnell und wie viele Men­schen sich ihrer jewei­ligen Sache absolut sicher sind, ohne dem Debat­ten­teil­nehmer zuzu­hören. Und allzu oft wird ver­sucht, alles aus einer vor­ge­fassten Meinung zu „erklären“, sie zu „unter­mauern“ und damit als eine Art „wahre Erkenntnis“ wirken zu lassen.

„Die jeweils eigene fixe Idee wird gene­ra­li­siert und absolut gesetzt. Auf­grund ihres jewei­ligen Abso­lut­heits­an­spruches werden aus so ent­wi­ckelten Mei­nungen häufig feste Ideo­logien geformt und andere Ideo­logien wech­sel­seitig aus­ge­schlossen; sie sind nicht über­hö­hungs­fähig und unter­ein­ander frie­dens­un­fähig. Sie sind alle gleich wahr und richtig, nämlich falsch und wider­sinnig, da über­trieben und ein­seitig“ (Dr. Wolfgang Caspart, con­servo 15.7.20).

Dik­tatur der poli­tisch Korrekten

Es ist alar­mierend, dass es keine „Tole­ranz­schwelle“ mehr zu geben scheint, sondern allzu schnell eine Freund-Feind-Grenze gezogen wird. Noch alar­mie­render ist die „Dik­tatur der poli­tisch Kor­rekten“, die nicht nur aus­schließlich ihre (ver­meintlich „kor­rekte“) Meinung gelten lassen, sondern die (angeblich) Unkor­rekten bis zur Exis­tenz­ge­fährdung bekämpfen.

So ent­steht für Men­schen, die von sehr pro­gres­siven Stimmen domi­niert werden – sei es privat oder, schlimmer, am Arbeits­platz – eine regel­rechte Kultur der Angst, ins­be­sondere, wenn sie durch eine harmlos gemeinte Äußerung unbe­gründet unter Ras­sis­mus­ver­dacht geraten.

Auf diese Weise befördert die tat­sächlich ver­dachts­freie Frage nach der Her­kunft eines Far­bigen in manchen Hirnen schon die „Gift­blase Ras­sismus“ – und der arme Zeit­ge­nosse kann froh sein, seinen Job behalten zu dürfen. Zu Ende gedacht, werden wir uns bald wohl auch erklären müssen, warum wir noch immer Christen und keine Moslems sein wollen. Doch Obacht, das Fallbeil des allzu schnell her­bei­ge­ru­fenen Ras­sis­mus­ver­dachts könnte bald auch mal auf die zurück­fallen, die sich in Selbst­ge­rech­tigkeit suhlen.

Es müsste sich etwas Wesent­liches ändern, um zu einer kon­struk­tiven Debat­ten­kultur in Foren und in den sozialen Medien zu finden: Ver­stehen, was der andere sagt und schreibt, Ver­ständnis für die Situation des Dis­kus­si­ons­partners auf­bringen. Das bedeutet gewiss nicht, vor­be­haltlos für alle mög­lichen Mei­nungen Ver­ständnis zu haben, sondern sich vielmehr sachlich damit aus­ein­an­der­zu­setzen. Wobei ich gerne zugebe, dass es, besonders, wenn man eine fun­dierte eigene Meinung hat, nicht leicht fällt, sachlich zu bleiben und dar­zu­legen, warum ich etwas für falsch halte – ver­bunden mit der Bereit­schaft, offen für eine andere Meinung zu sein, ja, sie gege­be­nen­falls sogar zu übernehmen.

In den zehn Jahren, die ich con­servo als liberal-kon­ser­va­tives Mei­nungs­forum betreibe, habe ich immer wieder ver­sucht, diesen Kurs zu halten. Das wird häufig miss­ver­standen. Aber „wahr­hafter Diskurs“ heißt auch, offen zu sein und die eigene Meinung nicht unbe­dingt als die einzig richtige zu akzeptieren.


Dieser lesens­werte Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Peter Helmes – www.conservo.wordpress.com