Koh­le­aus­stiegs­gesetz: Ahnungslose Abschalter

Der täg­liche Über­le­bens­kampf gegen den tod­brin­genden Kli­ma­wandel erfordert ent­schlossene, kon­se­quente, ehr­geizige Maß­nahmen zur Senkung der CO2-Emis­sionen. Die über­zeu­gende und kluge Politik der Bun­des­re­gierung stellt mit dem Koh­le­aus­stiegs­gesetz die Weichen (For­mu­lierung kann Spuren von Ironie enthalten).

(von Frank Hennig)

Nun geht es auf zum Abschalten und viel­leicht schaltet man die modernsten Anlagen zuerst ab. Genau dies regt das Gesetz an.

 Wahnsinn mit Methode

Am 1. Sep­tember startete ent­spre­chend der Fest­le­gungen des Koh­le­aus­stiegs­ge­setzes die erste Aus­schrei­bungs­runde zur Still­legung von Stein­koh­le­kraft­werken. Für 4.000 Megawatt vor­fris­tiger Abschaltung in 2021 winken Ent­schä­di­gungen. Das Prinzip soll Unter­nehmen ani­mieren, Stein­koh­le­kraft­werke mög­lichst früh­zeitig still­zu­legen. Die Ent­schä­di­gungshöhe liegt in dieser ersten Runde bei stolzen 165.000 Euro pro Megawatt (§ 19).

Für einige Schlag­zeilen, vor allem im Norden, sorgte die Ankün­digung Vat­ten­falls, sich mit dem nur fünf Jahre alten und ent­spre­chend modernen Kraftwerk Hamburg-Moorburg an der Aus­schreibung zu betei­ligen. Bei 1.640 Megawatt instal­lierter Leistung gäbe es einen statt­lichen Betrag, um die 270 Mil­lionen Euro. Was treibt Vattenfall?

Das Kraftwerk Moorburg wird schon seit seiner Pro­jekt­phase als „umstritten“ bezeichnet. Das ist die mediale Sprach­re­gelung, um etwas negativ zu stigmatisieren.

Ursprünglich wollte Vat­tenfall 2004 einen 700-Megawatt-Block an den Standort eines alten Ölkraft­werks setzen. Die CDU-Allein­re­gierung der Han­se­stadt ermu­tigte Vat­tenfall, einen Dop­pel­block zu bauen, was der Nord­deut­schen Affi­nerie erspare, in ein eigenes Kraftwerk zu inves­tieren. Das Projekt wurde auf ein Kraftwerk mit 1.640 Megawatt Leistung erweitert. Nach den Wahlen 2008 ging eine CDU-Grünen-Regierung ans Werk. Der Erste Bür­ger­meister Ole von Beust musste sich nun als „Kohle-Ole“ bezeichnen lassen, da er an dem Projekt fest­hielt und die Grünen mussten zäh­ne­knir­schend zustimmen, zu weit war das Geneh­mi­gungs­ver­fahren schon vor­an­ge­schritten. Dafür taten sie dann alles, den Bau zu behindern. Zunächst ver­suchten die üblichen mili­tanten Fuß­truppen die Bau­stelle zu stürmen, während die grüne Umwelt­se­na­torin Hajduk an wei­teren Auf­lagen bas­telte. Die Koh­le­kreis­lager mussten teuer von außen ver­klinkert werden, angeblich als Anpassung an das Ortsbild des hinterm Berg befind­lichen Stadt­teils Moorburg.

Vat­tenfall baute als Aus­gleichs­maß­nahme unter anderem eine –zig Mil­lionen teure Fisch­auf­stiegs­treppe in Geest­hacht, weitab vom Kraftwerk Moorburg. Es gab mehrere Gerichts­ver­fahren gegen die Ein­schrän­kungen, die Vat­tenfall zum Teil gewann, zum Teil verlor. Ein neues Urteil erwirkte der BUND unlängst, wonach Vat­tenfall kein Wasser aus der Elbe zur Kühlung ent­nehmen darf. Deshalb muss der im Ursprungs­projekt nicht vor­ge­sehene Hybrid-Kühlturm dau­erhaft betrieben werden. Dieser ver­schlingt für den Betrieb seiner Ven­ti­la­toren über 50 Megawatt des selbst erzeugten Stroms und drückt die Wirt­schaft­lichkeit in den Keller.

Der Ein­spei­se­vorrang der „Erneu­er­baren“ führte zu gerin­geren Pro­duk­ti­ons­mengen, die CO2-Zer­ti­fi­kate­preise stiegen deutlich, vor allem aber die im Projekt vor­ge­sehene und danach ver­hin­derte Wär­me­aus­kopplung ermög­licht keinen wirt­schaft­lichen Betrieb. Grün-rote Ideo­logie ver­hin­derte durch die Ein­teilung in gute und böse Fern­wärme den Bau einer Trasse. Bür­ger­initia­tiven argu­men­tierten mit der nötigen Fällung von 500 Bäumen. Die haut man heut­zutage locker für eine einzige Wind­kraft­anlage im Wald weg. Das sehen die Ham­burger natürlich nicht, sie haben keinen Wald, aber Gesinnung. Nun geht ein Teil der Abwärme über den Kühlturm in die Umgebung, anstelle sie für die Wär­me­ver­sorgung zu nutzen.

Lukrative Ein­nahmen verlor Vat­tenfall zudem nach einem Volks­ent­scheid zum Rückkauf des Strom-Ver­teil­netzes durch die Stadt Hamburg im Jahr 2013 („Unser Hamburg – unser Netz“). Der Ent­scheid ergab 50,9 zu 49,1 Prozent, ein denkbar knapper Ausgang, den Vat­tenfall klaglos akzeptierte.

Seit Jahren tätigt Vat­tenfall erheb­liche Abschrei­bungen auf das Kraftwerk Moorburg, was neben den Ver­lusten mit dem Kern­kraftwerk Krümmel zu schlechten Ergeb­nissen im Gesamt­konzern führt. Schweden mag ein Sozi­al­staat sein, aber rote Zahlen bei einem staats­ei­genen Konzern duldet er nicht. Auch im eigenen Land ist die Lage pro­blem­be­haftet. Schweden musste sich im Juni die  vor­zeitige Inbe­trieb­nahmeeines Kern­kraft­werks von Vat­tenfall erkaufen, um die Netz­sta­bi­lität zu erhalten. Vat­tenfall der größte Ener­gie­ver­sorger Schwedens, Mangel fällt auch auf ihn als Staats­konzern zurück.

Vat­tenfall-CEO Magnus Hall, ein ehe­ma­liger Manager aus der Papier­in­dustrie, wird den Konzern Anfang nächsten Jahres ver­lassen („aus per­sön­lichen Gründen“). Das schlechte Kon­zern­er­gebnis dürfte eine Rolle bei der Ent­scheidung gespielt haben.

Die Wär­me­ver­sorgung Ham­burgs indes bleibt im Unge­wissen. Das betagte Heiz­kraftwerk in Wedel in Schleswig-Hol­stein, ein so genanntes „Ade­nauer-Kraftwerk“ aus den Sech­zigern, bekommt ein Problem mit der Ein­haltung der Emis­si­ons­vor­gaben. Es ver­sorgt den Westen Ham­burgs und bleibt vorerst unab­schaltbar. Ein Konzept für die Wär­me­ver­sorgung der Metro­pol­region gibt es bislang nicht. Die „Erneu­er­baren“ sollen es richten. Daran arbeiten sub­ven­tio­nierte Netz­werk­pro­jekte wie „Nord­deutsche Ener­gie­wende – NEW 4.0“ und künftig auch ein „Nord­deut­sches Real­labor“. Ziel ist, Groß­tech­no­logien wie Was­ser­stoff-Elek­tro­ly­se­an­lagen, Ener­gie­speicher und auf­wendige Steue­rungs­systeme für die Ener­gie­ver­sorgung zusam­men­wirken zu lassen. Abwärme aus der Industrie, Wär­me­pumpen und Wärme aus Müll sollen die Lücken füllen, aber ohne ein neues Gas­kraftwerk in Wedel oder Stel­lingen wird es wohl nicht gehen.

Nicht nur der Ersatz der Wär­me­er­zeugung, auch der Ersatz der Strom­pro­duktion ist weit­gehend offen. 2021 wird das Kern­kraftwerk Brokdorf an der Unterelbe, mit 1.480 Megawatt etwa in der gleichen Grö­ßen­ordnung wie Moorburg, vom Netz gehen. Die Groß­region Hamburg stellt eine große Last­senke dar mit bedeu­tenden Unter­nehmen wie dem Hafen, den Metall­stand­orten Aurubis, Arcelor Mittal und Trimet sowie Airbus, alles Kunden mit einem besonders hohen Strom­bedarf. Ins­gesamt ist es das größte zusam­men­hän­gende Indus­trie­gebiet unseres Landes.

Umwelt­se­nator Kerstan von den Grünen freut sich über die mög­liche Still­legung als großen „Kli­ma­schutz-Schritt“. Es ähnelt der Freude von Schul­kindern über Unter­richts­ausfall, auch sie können noch nicht rea­li­sieren, dass er schadet. Das Kraftwerk sei „nicht mehr sys­tem­re­levant“ und es gäbe bessere Alter­na­tiven. Welche das sein sollen, sagt er nicht. Der Standort wäre ideal für die Pro­duktion grünen Was­ser­stoffs. Ein Standort, der bisher viel Strom erzeugte, soll zu einem Standort werden, der viel Öko­strom ver­braucht, der wie­derum eben jenen ent­fal­lenden Koh­lestrom auch ersetzen soll. Kaum anzu­nehmen, dass Herr Kerstan einen Taschen­rechner bemühte, um die Netz­si­tuation in Nord­deutschland durch­zu­rechnen. Für wen die Welt aus­schließlich aus Kli­ma­schutz besteht, der igno­riert alles andere.

Aber Kli­ma­schutz kann man nicht essen, diese Erkenntnis muss noch wachsen. Den Schweden kann die Ver­sor­gung­si­cherheit des deut­schen Strom­netzes egal sein. Das ist der deut­schen Knä­ckebrot, an dem sie sich die grünen Zähne aus­beißen werden.

Die Bun­des­netz­agentur wird der Still­legung des Kraft­werks Moorburg kaum den Zuschlag erteilen. Es dürfte im nord­deut­schen Netz zu wichtig sein. Kann man dann einen aus­län­di­schen Betreiber zwingen, die defi­zitäre Anlage weiter zu betreiben? Irgendwann wird Vat­tenfall bei anhal­tenden Ver­lusten das Kraftwerk auch ohne Ent­schä­digung still­legen. Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende. Selbst wenn es die Bun­des­netz­agentur als sys­tem­re­levant erklärt, wäre dieser Ein­griff in das Eigen­tums­recht pro­ble­ma­tisch. Vor Gerichten bis hin zum inter­na­tio­nalen Schieds­ge­richt ICISD würden die Schweden wohl Recht bekommen. Die Ent­scheidung zur Zwangs­still­legung vom Kern­kraftwerk Krümmel steht dort noch aus und Deutschland wird nicht gratis aus der Nummer herauskommen.

Die letzte Option wäre der sub­ven­tio­nierte Wei­ter­be­trieb mit Aus­gleich der betriebs­wirt­schaft­lichen Ver­luste. Auch hier würde sich bestä­tigen, dass die deutsche Ener­gie­wende die kos­ten­ma­xi­mierte Variante des Umbaus eines Ener­gie­systems ist.

Es wird viel Geld kosten, abzu­schalten. Noch mehr wird es kosten, anderes einzuschalten.

Das Koh­le­aus­stiegs­gesetz reizt an, mög­lichst neue Anlagen still­zu­legen, da sie auf lange Sicht nicht mehr ren­tabel betreibbar sind. Altanlagen hin­gegen sind bereits abge­schrieben und stehen ohnehin vor dem Ende ihrer tech­ni­schen Laufzeit. Deren Wei­ter­be­trieb kann man ohne allzu große Ver­luste noch ein paar Jahre durch die Rippen schwitzen. Viel­leicht steigt der Börsen-Strom­preis auch wieder, viel­leicht werden sie als sys­tem­re­levant erklärt und sub­ven­tio­niert. Der unter­neh­me­rische Schaden einer ent­schä­di­gungs­losen Abschaltung hielte sich in Grenzen, während der Wei­ter­be­trieb moderner und großer Anlagen auch über mehrere Jahre keinen Gewinn mehr bringen wird. Nach Koh­le­aus­stiegs­gesetz erfolgen die Aus­schrei­bungen im Jah­res­zyklus mit degressiv gestal­teten Entschädigungszahlungen.

Umwelt­se­nator Kerstan könnte sich von Spe­zia­listen beraten lassen. Im teuren Hafen­viertel sitzt die Zen­trale von Green­peace, der reichen und ein­fluss­reichen Orga­ni­sation, die nie­mandem ver­ant­wortlich ist, aber immer ein paar Rat­schläge übrig hat. Ich bin dafür, mutig, ent­schlossen und ehr­geizig abzu­schalten – in Hamburg.


Quelle: eike-klima-energie.eu