Titelbild: Friedrich Schiller,gemeinfrei, Christian Drosten, Youtube Screenshot, Bildbearbeitung: Niki Vogt

Drosten mit tief-phi­lo­so­phi­scher Schiller-Rede zur Freiheit

Der Mann, der immer aus­sieht, als sei er gerade, eh schon erschöpft und über­nächtigt, für einen Not­einsatz aus dem Bett gescheucht worden, redet auch so. Wie hoch ange­siedelt Herrn Drostens Fähig­keiten als Virologe sind, kann ich mit Sicherheit nicht beur­teilen. Aber eine Rede schon. „Drosten hält Schil­lerrede – Von den Grenzen der Freiheit“ titelt die FAZ, ich bin beein­druckt und meine Neugier ist geweckt. Hui, da hat sich der Herr Prof. Drosten aber was zuge­traut. Phi­lo­sophie auf hohem Niveau … nicht gerade Kant und Hegel, aber immerhin. Nun, also, ähem … also, diese Rede … da sehe ich noch durchaus Raum nach oben.

Das Titelfoto gibt eigentlich auch den Ein­druck der Rede recht gut wieder. Unsi­cherheit im Blick, unge­kämmt wirkend, den Hemd­kragen ver­wurschtelt, ohne sich der Mühe zu unter­ziehen, eine Fliege um den Hals zu binden (was dem Anlass ange­messen gewesen wäre), nicht einmal eine Kra­watte, schlecht rasiert, und die Hände in einer Geste der Hilf­lo­sigkeit erhoben.

Friedrich Schiller, Dichter, Dra­ma­tiker und Denker wird auch der Dichter der Freiheit genannt. Daher war ich absolut gespannt, was ein Aka­de­miker und intel­li­genter Mensch gerade jetzt in dem schon his­to­risch zu nen­nenden Span­nungsfeld zwi­schen Abschaffung und mas­siver Ein­schränkung der Grund­frei­heiten der Men­schen, ja, der Menschheit weltweit — und der Bewäl­tigung der Gefahren einer sehr umstrit­tenen Pan­demie namens Covid-19 zu sagen hat.

Was hätte man erwarten dürfen?
Eine tief­gründige Aus­ein­an­der­setzung mit der Idee der Freiheit, die immer auch Risiko beinhaltet und Selbst­ver­ant­wortung. Den gott­ge­wollten, unge­bro­chenen, freien Men­schen, der für seine und die Rechte anderer ein­steht und diese schützt. Gedanken zur Ver­ant­wortung eines Regie­renden, dessen Pflicht zwi­schen dem für­sorglich guten Lan­des­vater (oder ‑mutter) und dem ver­meintlich wohl­wol­lenden Tyrannen oszil­liert. Grund­sätz­liche, rechts­phi­lo­so­phische Über­le­gungen zum Recht des Bürgers, des Volkes — das laut Grund­gesetz der Sou­verän ist — die demo­kra­tische Ordnung wieder her­zu­stellen gegen den Willen einer Regierung, die seit einem Drei­vier­teljahr mit will­kür­lichen Son­der­ver­ord­nungen Grund­rechte igno­riert und abschafft — bereits bekundend, das auch wei­terhin auf unab­sehbare Zeit tun zu wollen. Und das, ohne sich einer offenen Dis­kussion mit Kri­tikern, hoch­ran­gigen Medi­zinern und seinen Bürgern zu stellen. Eine Betrachtung der Frage, was denn die „Bür­ger­lichkeit“ des Bürgers eigentlich aus­macht. Was den freien Bürger von einer Ver­fü­gungs­masse von Men­schen in der Hand der Macht unterscheidet.

Nichts der­gleichen kam.

Friedrich Schiller war kein gehor­samer Untertan. Er war ein begeis­terter Anhänger der Ideen der fran­zö­si­schen Revo­lution. Dass die Mar­ti­nisten und Jako­biner die hehren Ideale in Terror und ein gigan­ti­sches Mas­saker ver­wan­delten, erschreckte ihn zutiefst. Seinen Abscheu vor dem Mei­nungs­terror und die brutale Ver­nichtung jedes Anders­den­kenden bringt Friedrich Schiller in seinem „Lied von der Glocke“ zum Ausdruck.

Eine Glocke ver­kündet von jeher Freiheit, Sieg und Freude. Nicht ohne Grund ver­ehren die Ame­ri­kaner ihre „Freedom Bell“. Das Symbol der Glocke steht hier für die neuen Ideen, die gelebt und in die Welt getragen und ver­kündet werden wollen. Doch leider bleibt es bei dem Versuch, diese Glocke der Freiheit zu gießen und zum Ver­künden zu bringen. Alles endet in einer blu­tigen Katastrophe:

“… Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Ent­setzen Scherz,
Noch zuckend, mit des Pan­thers Zähnen,
Zer­reißen sie des Feindes Herz.
Nichts Hei­liges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu,
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei …”

Friedrich Schiller brachte seine maßlose Ent­täu­schung darüber, dass die Ideen der „Freiheit, Gleichheit, Brü­der­lichkeit“ in Macht­kämpfe, Unter­drü­ckung, Denun­zi­an­tentum, mas­sen­haften Ver­haf­tungen und Hin­rich­tungen per Guil­lotine endeten, mit fol­gender Xenie zum Ausdruck:

„Eine große Epoche hat das Jahr­hundert geboren,
aber der große Moment findet ein kleines Geschlecht.“

Das findet er heute in Ansätzen wieder. Aus­ge­rechnet Schiller als Zeugen für Gehorsam und Unfreiheit anzu­führen ist schwer nach­voll­ziehbar. Aber nicht neu. Schon 1955 warnte Carlo Schmid in seiner in Stutt­garter Festrede „Vom Reich der Freiheit“ (bezug­nehmend auf die zeit­gleich statt­fin­denden DDR-Gedenk­feiern), Schiller, den Dichter der Freiheit, als Anwalt der Unfreiheit zu miss­brauchen. Schiller selbst lebte kom­pro­misslos die Freiheit. So verließ er einfach seinen Mäzen, Herzog Karl Eugen, der ihm bestimmte Themen auf­zwingen und andere ver­bieten wollte. Friedrich Schiller wollte nichts mehr, als ohne Zen­surzwang schreiben zu können. Dass er dabei oft am Hun­gertuch nagte, nahm er in Kauf.

Aus­ge­rechnet jetzt, wo auf allen Kanälen zen­siert wird, die Hof­be­richt­erstattung der GEZ-Sender selbst die renom­mier­testen Kri­tiker dif­fa­miert, Twitter‑, Facebook- und Youtube-Konten täglich mas­senhaft gesperrt und gelöscht werden, wenn sie es wagen, „Corona-kri­tische“ Bei­träge zu ver­öf­fent­lichen, aus­ge­rechnet jetzt wird Friedrich Schiller auch noch als Apo­loget der Zensur und des Unter­ta­nen­geistes herbeigezerrt?

Wenn Herr Prof. Drosten selber sagt: „Aus rein pro­fes­sio­neller Sicht ist mein Ver­hältnis zum Lite­raten Friedrich Schiller daher zunächst einmal distan­ziert“, ist das sicher nicht über­trieben. Er habe aller­dings Schillers Sturm und Drang näher erkundet, setzt Prof. Drosten hinzu, bewundere ihn für sein Leit­motiv der Freiheit und die For­derung nach Ver­ant­wortung, die mit eben­dieser einhergehe.

Aha, flott mal über­ge­leitet. Hat Herr Prof. Drosten Schillers gran­dioses Stück „die Räuber“ gesehen oder gelesen?

Das Stück wird 1782 in Mannheim urauf­ge­führt. Schiller will bei dieser Erst­auf­führung unbe­dingt dabei sein, darf aber nicht. Er hat Verbot vom Herzog von Würt­temberg. Schiller reißt von der Mili­tär­aka­demie aus und wird in Mannheim begeistert gefeiert. Der Herzog ver­hängt bei Schillers Rückkehr 14 Tage Arrest und das Verbot, jemals wieder Thea­ter­stücke zu schreiben. Woran sich Friedrich Schiller bekann­ter­maßen auch nicht hielt, sondern für immer Reißaus nahm. Und diesen Mann möchte Herr Drosten als Befür­worter von Rei­se­ver­boten und „Social Distancing“ anführen?

Und dann kommt Herrn Prof. Drostens Inter­pre­tation des Schil­ler­schen Freiheitsgedankens:

„Für ihn war klar, dass per­sön­liche Freiheit nicht los­gelöst von der Gesell­schaft gelingen kann. Schiller war bereit, auch seinen Mit­men­schen Freiheit zuzu­ge­stehen. Damit die Freiheit aller geschaffen und erhalten werden kann, ist es wie­derum not­wendig, dass die Men­schen für­ein­ander ein­stehen und Ver­ant­wortung für­ein­ander über­nehmen. Umso besser das klappt, umso weniger bedarf es auch Ein­griffen ‘von oben’.“ 

Eben WEIL Schiller allen Men­schen die Freiheit zuge­steht, ergibt sich daraus aus dem Respekt aller Men­schen vor der Freiheit des anderen, das FREI­WILLIGE Gewäh­ren­lassen des anderen, dessen FREI­WIL­LIGES Rück­sicht­nehmen ebenso Vor­aus­setzung ist. Dafür gibt es den aus den fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­ons­ideen und Staats­phi­lo­so­phien gebo­renen, staats­stif­tenden und staats­tra­genden „Volonté Générale“, den „all­ge­meinen Willen“ freier Men­schen einer Nation oder Gesell­schaft. Daraus erwachsen die Gesetze, denen sich alle frei­willig ver­pflichten. Und deshalb ist eine Regierung auch an diese Gesetze gebunden, ins­be­sondere an eine Ver­fassung oder ein Grund­gesetz, das unver­han­delbar die unver­brüch­lichen Rechte der freien Bürger fest­schreibt und beschützt. Keine demo­kra­tische Regierung darf diese Gesetze einfach igno­rieren. Oder die von den Bürgern gewählte Regierung wird zum dik­ta­to­ri­schen Regime und das gewählte Staats­ober­haupt zum Machthaber.

Wenn es aber eine echte Not­si­tuation erfordert, für einen klar begrenzten Zeitraum bestimmte Rechte zu beschneiden oder aus­zu­setzen, dann muss die Regierung dies in absolut gewis­sen­hafter Weise abwägen. Sie darf berufene und fach­kundige Kri­tiker nicht einfach igno­rieren. Sie muss ständig wech­selnde, nicht nach­voll­ziehbare Zwangs­maß­nahmen ver­meiden. Sie darf nicht Willkür walten lassen. Sie darf nicht wis­sentlich Panik ver­breiten. Sie darf keine sinn­losen Strafen für sinnlose Ver­ord­nungen ver­hängen. Sie muss die Zumu­tungen, die sie den gedul­digen Bürgern auf­erlegt immer neu recht­fer­tigen und über­prüfen. Sie darf Kritik nicht zen­sieren. Sie muss wahr­haftig sein und die Bürger sachlich zutreffend infor­mieren und sie in die Wil­lens­bildung und die Maß­nahmen mit ein­be­ziehen, sobald die akute Notlage das erlaubt. Oder sie pro­vo­ziert Mas­sen­pro­teste oder im schlimmsten Fall einen Aufstand.

Prof. Drosten meint zur Folg­samkeit der Bürger: „Umso besser das klappt, umso weniger bedarf es auch Ein­griffen ‘von oben’.“ Aha. So lange ihr lieb und gehorsam seid, dürft ihr Freiheit spielen, wenn ihr auf­muckt, greift die Regierung von oben ein. Nein, Herr Drosten, so eben nicht.