Günther_Oettinger, Bild: Wikimedia Commons, Sven Mandel, Bildlizenz: CC-BY-SA-4.0 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:G%C3%BCnther_Oettinger_-_2019102200254_2019-04-12_Radio_Regenbogen_Award_2019_-_Sven_-_1D_X_MK_II_-_1183_-_AK8I0353.jpg

Günther Oet­tinger – EU-Kom­missar der Kon­zerne, ZACK! Jetzt Lob­byist für Konzerne

Nicht, dass es irgendwen erstaunt hätte, dass der EU-Kom­missar Oet­tinger vom Prüfer der Kon­zerne zum Berater der­selben wechseln würde. Aber dass es so blitz­artig geht, dass er nicht einmal die vor­ge­schrie­benen zwei Jahre Anstands­frist wahrt, das erstaunt auch Insider. Herr Oet­tinger ist berühmt für sein überaus gutes Ver­hältnis zu den Groß­un­ter­nehmen. Dort wird man in alter Freund­schaft ja wohl mit einem guten Job aus­helfen müssen, damit Günther nicht am Hun­ger­tuche nagt. Das Über­gangsgeld in Höhe des halben Gehaltes für drei Jahre zusätzlich zur Min­dest­rente reicht ja nur zum Nötigsten.

Seit Januar 2017 ist Herr Oet­tinger EU-Kom­missar für Haushalt und Per­sonal in Europa. Davor war er EU-Kom­missar für Digi­tal­wirt­schaft, wo er sich schon als explizit wirt­schafts­freundlich erwies. Er war es, der die Upload­filter im Netz unbe­dingt durch­setzen wollte und das Leis­tungs­schutz­recht gegen das freie Netz ver­schärfte. Befür­worter des freien Netzes kri­ti­sierte er für ihr „Taliban-artiges Denken“. „Taliban“ war eigentlich jeder, der ihm mit seinen kon­zern­freund­lichen Zielen im Weg war, so z.B. auch freie Jour­na­listen von Futurezone, die ihm kri­tische Fragen zum Geo­blo­cking stellten.

Günther Oet­tingers Bestellung zum EU-Kom­missar war schon von Anfang an umstritten. Die Seite „Lob­by­control“ schrieb bereits zu seiner Ernennung:

„Viele EU-Kom­missare gelten als aus­ge­sprochen kon­zern­freundlich. Der künftige Haus­halts­kom­missar Günther Oet­tinger setzt noch einen oben­drauf. 90 Prozent seiner Treffen fanden 2016 mit Fir­men­ver­tretern statt. Eine Firma mit Interesse an der Nabucco-Pipeline spon­serte während seiner Zeit als Ener­gie­kom­missar das von ihm orga­ni­sierte Mini-Davos. Und mit dem Lob­by­isten und Putin-Bekannten Klaus Mangold feierte er Geburtstag.“

Lob­by­Control und andere Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen, wie zum Bei­spiel Trans­pa­rency Inter­na­tional, Cor­porate Europe Obser­vatory, European‘s Women Lobby, Oxfam Inter­na­tional, for­derten die Abge­ord­neten auf, Oet­tingers Ernennung nicht zuzu­stimmen. Sie mel­deten starke Bedenken an, Herrn Oet­tinger dieses Ressort zu unter­stellen, wo er für die Ein­haltung der Ethik­regeln der EU-Mit­ar­beiter ver­ant­wortlich ist. Dass er diese wirklich streng und unnach­giebig umsetzen würde erschien den Orga­ni­sa­tionen sehr unwahr­scheinlich. Seine Bezie­hungen und Ver­flech­tungen mit den Groß­kon­zernen und der Industrie, deren Auf­seher er ja sein sollte, waren zu bekannt und offen­sichtlich. Lob­by­control for­mu­lierte es damals salopp „Und wenn es darum geht, mit seinen „Buddies“ aus der Wirt­schaft zu netz­werken, nimmt er es mit seinen eigenen Ethik­regeln schon mal nicht so genau.“

EU-Kom­missare müssen seit 2014 ihre Lob­by­treffen doku­mentier en. Wie eine Aus­wertung von Trans­pa­rency International‘s Inte­grity Watch ergibt, hat kein anderer EU-Kom­missar eine so hohe Fre­quenz von Treffen mit Wirt­schafts­lob­by­isten wie Herr Oettinger.

Im Herbst 2019 lief die Amtszeit Herrn Oet­tingers als EU-Kom­missar ab. Wie erwähnt, wäre dann eine zwei­jährige „Abkühlzeit“ vor­ge­schrieben, eben weil man doch noch ein Fei­gen­blatt vor die viel­zi­tierte „Drehtür“ hängen möchte. Es kommt halt beim Wahlvolk nicht so gut an, mit­an­sehen zu müssen, wie die von seinem Geld bezahlten Poli­tiker in die Drehtür zum poli­ti­schen Amt ein­treten, dort ihre Runden drehen und hoch­be­zahlt in der Wirt­schaft wieder her­aus­kommen. Man muss kein Rake­ten­wis­sen­schaftler sein, um sich aus­malen zu können, dass die Wirt­schaft sich nicht gerade um solche Poli­tiker reißt, die besonders pin­gelig und unnach­giebig waren – und sicher muss die Politik auch die Wirt­schaft berück­sich­tigen. Es kommt jedoch ein „Gschmäckle“ auf, wenn Leute, die die Belange und Inter­essen der Bevöl­kerung in einem bestimmten Ressort ver­treten und schützen sollten, dann mit ihrer Erfahrung, ihren Ver­bin­dungen in die Politik und ihrem Insi­der­wissen direkt im Anschluss an ihr Amt all dies den Kon­zernen zur Ver­fügung stellen. Also ihnen quasi helfen, ihren jewei­ligen Nach­folger nach Strich und Faden aus­zu­ma­nö­vrieren, falls der nicht eh schon mitspielt.

Aber Herr Oet­tinger nimmt nicht einmal die zwei Jahre „Abkühlzeit“ in Kauf, sondern bricht auch hier alle Rekorde. Sofort nach seinem EU-Kom­mis­sarsamt hat er schon 13 neue, hoch­do­tierte Jobs in der Wirt­schaft bei denen, die er vorher so streng beauf­sichtigt hat. Selbst die ARD schreibt:

„Das sorgt in Brüssel für eine neue Kon­tro­verse über den umstrit­tenen Dreh­tür­effekt, den flie­genden Wechsel von der Politik in die Wirt­schaft, mitsamt der Spe­zi­al­kennt­nisse und vor allem auch mit wert­vollen Kontakten.“

Daniel Freund, EU-Grünen-Abge­ord­neter kri­ti­siert diesen ‚flie­genden Wechsel‘ des deut­schen Kom­missars: „Allein sieben der 13 neuen Arbeit­geber von Oet­tinger stehen im Lob­by­re­gister. Da liegt es also nahe, dass sich hier Lob­by­firmen einen exklu­siven Zugang oder Insider-Wissen sichern wollen.“ Er sieht es auch so, dass die Unter­nehmen, die Oet­tinger ver­pflichten, schon wüssten, warum. Tat­sächlich sind die Auf­lagen, die die EU den aus­schei­denden Poli­tikern auf­erlegt, nicht so einfach auf Ein­haltung zu kon­trol­lieren. De jure darf Herr Oet­tinger seinen neuen Arbeit­gebern keine Tipps geben, bei welchem seiner guten Kon­takte denn das Unter­nehmen mal eben anrufen könnte und ein wich­tiges Anliegen unter der Hand regeln. Aber wie will man das über­prüfen? Oder ob Herr Oet­tinger selber einen alten Freund aus der Brüs­seler Politik anruft, über alte Zeiten redet und – apropos – da mal nebenbei eine Sache erwähnt, wo der alte Freund viel­leicht einen Rat wüsste, wie das Unter­nehmen XYZ mit seinem Problem in Brüssel wei­ter­kommt. Das sei aber genau der Grund, meint Daniel Freund, warum so viele Unter­nehmen an Herr Oet­tinger inter­es­siert seien.

Tat­sächlich gibt es schon auch Aus­nah­me­ge­neh­mi­gungen, dass ehe­malige EU-Beamte auch direkt nach Ablauf ihrer Amtszeit einen neuen Job annehmen können. Aber gleich 13 Aus­nahmen? Der WDR schreibt in seinem Kommentar:

„Oet­tinger hat sie gleich 13 Mal bekommen. Unter anderem für die Tätigkeit als Auf­sichtsrat in der Tun­nel­bohr­firma Her­ren­knecht, die als Welt­markt­führer der Branche gilt. Dazu kommen Tätig­keiten für die Unter­neh­mens­be­ratung Deloitte, für eine Fonds­ge­sell­schaft und für eine Kom­mu­ni­ka­ti­ons­be­ratung.“ 

Freund hat eine Liste der Nebenjobs erstellt, die heute Mit­glieder der eins­tigen EU-Kom­mission von Jean-Claude Juncker inne­haben. Diese sind in den ersten zwei Jahren nach dem Aus­scheiden aus der EU-Kom­mission geneh­mi­gungs­pflichtig. Das Ergebnis: Manche Kom­missare haben sich nur eine Tätigkeit geneh­migen lassen. Beim ehe­ma­ligen Behör­denchef Jean-Claude Juncker sind es fünf, doch Oet­tinger führt mit Abstand.“

Nun regt sich auch im EU-Par­lament Ärger über eine so offen­sicht­liche Bevor­zugung und den Bruch der Vor­schriften. Es gibt Vor­schläge, auch wei­terhin nach dem poli­ti­schen Amt in die Wirt­schaft wechseln zu können. Dies müsse aber dann von einer unab­hän­gigen Instanz geprüft werden und auch die Geneh­migung einer Aus­nahme – die aber nicht innerhalb der Kom­mis­sa­riate selbst gewährt werden soll. Es müsse die volle Trans­parenz gewahrt und Inter­es­sens­kon­flikte aus­ge­schlossen werden.

Das ist eine gute Absicht. In der Praxis wird es ein Leichtes sein, auch das aus­zu­hebeln. Der Betref­fende durch­läuft das vor­ge­schriebene Pro­cedere, bekommt die Geneh­migung für eine Tätigkeit bei einem Unter­nehmen, das keinen Inter­es­sens­kon­flikt birgt, arbeitet dort ein halbes Jahr und wechselt dann in ein Unter­nehmen, was ihm nicht genehmigt worden wäre. Da kann dann niemand viel gegen machen. Es ist sogar gut vor­stellbar, dass die Unter­nehmen so etwas unter­ein­ander auskaspern.