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Chi­ne­si­sches Umer­zie­hungs­lager — sys­te­ma­tisch ent­mensch­licht, gede­mütigt und einer Gehirn­wäsche unter­zogen (+Video)

Das Uno-Men­schen­rechts­gremium geht davon aus, dass in China mehr als eine Million Uiguren in Haft sind. Und obwohl der UNO das bekannt ist, wurde China trotz des grau­samstem Völ­ker­mords der Welt, incl. Zwangs­ab­treibung, Ste­ri­li­sation und Kon­zen­tra­ti­ons­lager, in den UN-Men­schen­rechtsrat gewählt. Und es betrifft nicht nur die Uiguren, denn in China findet eine Säu­be­rungs­welle gegen Reli­gi­ons­ge­mein­schaften statt. 

Nachdem ein unab­hän­giges Tri­bunal fest­stellte, dass die Tötung von Häft­lingen in China wegen Organ­trans­plan­ta­tionen anhält, und dass zu den Opfern inhaf­tierte Anhänger der ver­folgten Falun-Gong-Bewegung gehören, wurde jetzt auch die voll­komme Über­wa­chung der Tujia- und Miao-Stämme auf­ge­deckt. Ähnlich wie die Uiguren und Tibeter werden die Tujia- und Miao-Stämme als eth­nische Min­der­hei­ten­gruppen bezeichnet. Kürzlich ist Chinas Geheim­nisse der Gesichts­er­ken­nungs- und Über­wa­chung in großem Umfang durch­ge­si­ckert. Die chi­ne­sische Regierung ver­folgt die Iden­tität jedes Bürgers – auch der Kinder – bei der Ankunft und beim Ver­lassen ihrer Häuser. Sie ver­wandeln die Häuser der Men­schen in Gefäng­nisse. ‚Unsere Seelen sind tot, wie ich ein chi­ne­si­sches Umer­zie­hungs­lager für Uiguren über­lebte,“ ist die Geschichte einer Frau, die man aus Frank­reich lockte und in China wegsperrte.

Unsere Seelen sind tot‘: Wie ich ein chi­ne­si­sches Umer­zie­hungs­lager für Uiguren überlebte

 

Nicht nur Chi­nesen ver­schwinden plötzlich spurlos, sondern auch aus­län­dische Staats­an­ge­hörige. Ist ein Mensch in China plötzlich ver­schwunden, ist es durchaus möglich, dass dieser sich in einem der vielen chi­ne­si­schen „Umer­zie­hungs­lager“ befindet. Schreck­liche Bilder zeigen, wie Uiguren gefesselt und mit ver­bun­denen Augen auf dem Boden vor Eisen­bahn­waggons sitzen.  Eine Flucht ist nicht möglich, denn sie werden von Sol­daten bewacht, die sie dann wie Straf­ge­fangene in diese Waggons ver­laden, mit unbe­kanntem Ziel. Es sind dra­ma­tische Berichte, die uns aus China erreichen. Eine sys­te­ma­tische Ste­ri­li­sation von uigu­ri­schen Frauen findet statt. 13 Tonnen Pro­dukte aus mensch­lichem Haar wurden an der Grenze zu China vom Zoll beschlag­nahmt. Es sind Gräu­el­taten, die schlimmer nicht sein können. Es ist die größte Inhaf­tierung eth­ni­scher Gruppen und Reli­gi­ons­ge­mein­schaften, im Grunde seit dem Holo­caust, so die Erklärung des Men­schen­rechts­rates, die von Aus­tralien, Neu­seeland und wei­teren 26 Ländern unter­zeichnet wurde, die eine drin­gende Unter­su­chung der Men­schen­rechts­si­tuation in China, ins­be­sondere für Min­der­heiten, fordern. Siehe: In China findet der grau­samste Völ­kermord der Welt statt! Zwangs­ab­treibung, Ste­ri­li­sation, Kon­zen­tra­ti­ons­lager – und die Welt schaut zu! – China imposes forced abortion, ste­ri­li­sation on Uyghurs

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Nachdem ich 10 Jahre in Frank­reich gelebt hatte, kehrte ich nach China zurück, um einige Papiere zu unter­schreiben, und wurde ein­ge­sperrt. In den nächsten zwei Jahren wurde ich sys­te­ma­tisch ent­mensch­licht, gede­mütigt und einer Gehirn­wäsche unterzogen.

Gul­bahar Haitiwaji

Diese Geschichte Gul­bahar Hai­tiwaji wurde in The Guardian ver­öf­fent­licht, die wir für Sie über­setzt haben.

Der Mann am Telefon sagte, er arbeite für die Ölge­sell­schaft, „in der Buch­haltung, eigentlich“. Seine Stimme war mir nicht bekannt. Zuerst konnte ich mir keinen Reim darauf machen, wes­wegen er anrief. Es war November 2016, und ich war von der Firma unbe­zahlt beur­laubt worden, seit ich China ver­lassen hatte und zehn Jahre zuvor nach Frank­reich gezogen war. In der Leitung herrschte Rau­schen, ich konnte ihn kaum verstehen.

„Sie müssen zurück nach Karamay kommen, um die Doku­mente für Ihren bevor­ste­henden Ruhe­stand zu unter­schreiben, Madame Hai­tiwaji“, sagte er. Karamay war die Stadt in der west­chi­ne­si­schen Provinz Xin­jiang, in der ich mehr als 20 Jahre lang für die Ölge­sell­schaft gear­beitet hatte.

„In diesem Fall würde ich gerne eine Voll­macht erteilen“, sagte ich. „Ein Freund von mir in Karamay kümmert sich um meine Geschäfte. Warum sollte ich für ein bisschen Papierkram zurück­kommen? Warum den ganzen Weg für so eine Lap­palie gehen? Warum jetzt?“

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Der Mann hatte keine Ant­worten für mich. Er sagte einfach, er würde mich in zwei Tagen zurück­rufen, nachdem er die Mög­lichkeit geprüft hatte, meinen Freund in meinem Namen handeln zu lassen.

Mein Mann, Kerim, hatte Xin­jiang 2002 ver­lassen, um Arbeit zu suchen. Er ver­suchte es zuerst in Kasachstan, kam aber nach einem Jahr des­il­lu­sio­niert zurück. Dann in Nor­wegen. Dann in Frank­reich, wo er einen Asyl­antrag gestellt hatte. Sobald er sich dort nie­der­ge­lassen hätte, würden unsere beiden Mädchen und ich zu ihm ziehen.

Kerim hatte schon immer gewusst, dass er Xin­jiang ver­lassen würde. Der Gedanke hatte sich schon fest­ge­setzt, bevor wir bei der Ölfirma ange­stellt wurden. Wir hatten uns als Stu­denten in Urumqi, der größten Stadt der Provinz Xin­jiang, ken­nen­ge­lernt und als frisch­ge­ba­ckene Hoch­schul­ab­sol­venten mit der Arbeits­suche begonnen. Das war im Jahr 1988. In den Stel­len­an­zeigen in den Zei­tungen stand oft ein kleiner Satz im Klein­ge­druckten: Keine Uiguren. Das ließ ihn nie los. Während ich ver­suchte, die Beweise der Dis­kri­mi­nierung, die uns überall hin ver­folgten, zu über­sehen, wurde es bei Kerim zu einer Obsession.

Nach dem Studium wurden uns Jobs als Inge­nieure bei der Ölge­sell­schaft in Karamay ange­boten. Wir hatten Glück. Aber dann gab es die Episode mit den roten Umschlägen. Zu Mond­neujahr, als der Chef die jähr­lichen Prämien ver­teilte, ent­hielten die roten Umschläge, die den uigu­ri­schen Arbeitern gegeben wurden, weniger als die unserer Kol­legen, die der domi­nie­renden eth­ni­schen Gruppe Chinas, den Han, ange­hörten. Bald darauf wurden alle Uiguren aus dem zen­tralen Büro ver­setzt und an den Stadtrand verlegt. Eine kleine Gruppe erhob Ein­spruch, aber ich habe mich nicht getraut.

Als ein paar Monate später eine lei­tende Position frei wurde, bewarb sich Kerim. Er hatte die rich­tigen Qua­li­fi­ka­tionen und das nötige Dienst­alter. Es gab keinen Grund, warum er die Stelle nicht bekommen sollte. Aber die Stelle ging an einen Ange­stellten, der zu einem Han-Arbeiter gehörte, der nicht einmal einen Inge­nieur­ab­schluss hatte. Eines Abends im Jahr 2000 kam Kerim nach Hause und ver­kündete, dass er gekündigt habe. „Ich habe genug“, sagte er.

Was mein Mann erlebte, war nur allzu bekannt. Seit 1955, als das kom­mu­nis­tische China Xin­jiang als „autonome Region“ annek­tierte, werden wir Uiguren als Dorn im Auge des Reichs der Mitte gesehen. Xin­jiang ist ein stra­te­gi­scher Kor­ridor und viel zu wertvoll für Chinas regie­rende kom­mu­nis­tische Partei, um zu ris­kieren, die Kon­trolle darüber zu ver­lieren. Die Partei hat zu viel in die „neue Sei­den­straße“ inves­tiert, das Infra­struk­tur­projekt, das China über Zen­tral­asien mit Europa ver­binden soll, wovon unsere Region eine wichtige Achse ist. Xin­jiang ist wesentlich für den großen Plan von Prä­sident Xi Jinping – das heißt, ein fried­liches Xin­jiang, offen für Geschäfte, gereinigt von seinen sepa­ra­tis­ti­schen Ten­denzen und seinen eth­ni­schen Span­nungen. Kurz gesagt, ein Xin­jiang ohne Uiguren.

Eine pro-uigu­rische Kund­gebung in Hongkong im Jahr 2019. Foto: Jérôme Favre/EPA

Meine Töchter und ich flohen im Mai 2006 nach Frank­reich zu meinem Mann, kurz bevor in Xin­jiang eine noch nie dage­wesene Periode der Unter­drü­ckung begann. Meine Töchter, damals 13 und 8 Jahre alt, erhielten den Flücht­lings­status, ebenso wie ihr Vater. Indem er Asyl bean­tragte, hatte mein Mann einen klaren Bruch mit der Ver­gan­genheit voll­zogen. Durch den Erhalt eines fran­zö­si­schen Passes verlor er seine chi­ne­sische Staats­an­ge­hö­rigkeit. Für mich hatte die Aus­sicht, meinen Pass abzu­geben, eine schreck­liche Kon­se­quenz: Ich würde nie wieder nach Xin­jiang zurück­kehren können. Wie könnte ich mich jemals von meinen Wurzeln ver­ab­schieden, von den geliebten Men­schen, die ich zurück­ge­lassen hatte – meinen Eltern, meinen Brüdern und Schwestern, ihren Kindern? Ich stellte mir meine Mutter vor, die in die Jahre gekommen war und allein in ihrem Dorf in den nörd­lichen Bergen starb. Meine chi­ne­sische Staats­bür­ger­schaft auf­zu­geben, bedeutete auch, [meine Mutter] auf­zu­geben. Ich konnte mich nicht dazu durch­ringen, das zu tun. Also bean­tragte ich statt­dessen eine Auf­ent­halts­ge­neh­migung, die alle zehn Jahre ver­längert werden konnte.

Nach dem Tele­fonat schwirrte mein Kopf voller Fragen, während ich mich im ruhigen Wohn­zimmer unserer Wohnung in Bou­logne umsah. Warum wollte dieser Mann, dass ich nach Karamay zurück­kehre? War es ein Trick, damit die Polizei mich ver­hören konnte? Keinem der anderen Uiguren, die ich in Frank­reich kannte, war so etwas passiert.

Der Mann rief zwei Tage später zurück. „Die Erteilung einer Voll­macht ist nicht möglich, Madame Hai­tiwaji. Sie müssen per­sönlich nach Karamay kommen.“ Ich gab nach. Immerhin ging es nur um ein paar Dokumente.

„Gut. Ich werde so schnell wie möglich kommen“, sagte ich.

Als ich auf­legte, lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich fürchtete mich davor, zurück nach Xin­jiang zu gehen. Kerim hatte seit zwei Tagen sein Bestes getan, um mich zu beru­higen, aber ich hatte ein schlechtes Gefühl dabei. Zu dieser Jah­reszeit herrschte in der Stadt Karamay ein bru­taler Winter. Eisige Windböen heulten durch die Alleen, zwi­schen den Geschäften, Häusern und Wohn­häusern hindurch.

Ein paar dick ein­ge­packte Gestalten trotzten den Ele­menten und schmiegten sich an die Mauern, aber im Großen und Ganzen war keine Men­schen­seele zu sehen. Was ich aber am meisten fürchtete, waren die immer stren­geren Maß­nahmen, die Xin­jiang regu­lierten. Jeder, der einen Fuß außerhalb seines Hauses setzte, konnte ohne jeg­lichen Grund ver­haftet werden.

Das war nicht neu, aber die Willkür war seit den Unruhen in Urumqi im Jahr 2009, einer Explosion der Gewalt zwi­schen der uigu­ri­schen und der Han-Bevöl­kerung der Stadt, bei der 197 Men­schen starben, noch aus­ge­prägter geworden. Das Ereignis mar­kierte einen Wen­de­punkt in der jün­geren Geschichte der Region. Später machte die Kom­mu­nis­tische Partei Chinas die gesamte eth­nische Gruppe für diese schreck­lichen Taten ver­ant­wortlich und recht­fer­tigte ihre repressive Politik mit der Behauptung, die uigu­ri­schen Haus­halte seien eine Brut­stätte des radi­kalen Islam und des Separatismus.

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Im Sommer 2016 trat ein bedeu­tender neuer Akteur in den langen Kampf zwi­schen unserer eth­ni­schen Gruppe und der Kom­mu­nis­ti­schen Partei ein. Chen Quanguo, der sich mit dra­ko­ni­schen Über­wa­chungs­maß­nahmen in Tibet einen Namen gemacht hatte, wurde zum Leiter der Provinz Xin­jiang ernannt. Mit seiner Ankunft eska­lierte die Unter­drü­ckung der Uiguren dra­ma­tisch. Tau­sende wurden in „Schulen“ geschickt, die fast über Nacht am Rande von Wüs­ten­sied­lungen errichtet wurden. Diese waren als Lager mit der Bezeichnung „Trans­for­mation durch Bildung“ bekannt. Die Gefan­genen wurden dorthin geschickt, um einer Gehirn­wäsche unter­zogen zu werden – und Schlimmeres.

Ich wollte nicht zurück, aber trotzdem beschloss ich, dass Kerim Recht hatte: Es gab keinen Grund, mir Sorgen zu machen. Die Reise würde nur ein paar Wochen dauern. „Sie werden dich auf jeden Fall zum Verhör mit­nehmen, aber keine Panik. Das ist völlig normal“, beru­higte er mich.

Ein paar Tage nach meiner Landung in China, am Morgen des 30. November 2016, ging ich zum Büro der Ölge­sell­schaft in Karamay, um die besagten Doku­mente zu unter­schreiben, die mit meiner bevor­ste­henden Pen­sio­nierung zusam­men­hängen. In dem Büro mit seinen abblät­ternden Wänden saßen der Buch­halter, ein säu­er­licher Han, und seine Sekre­tärin, zusam­men­ge­kauert hinter einem Bildschirm.

Der nächste Abschnitt fand in der Poli­zei­station von Kumlun statt, eine 10-minütige Fahrt vom Fir­mensitz ent­fernt. Auf dem Weg dorthin bereitete ich meine Ant­worten auf die Fragen vor, die mir wahr­scheinlich gestellt werden würden. Ich ver­suchte, mich zu stärken. Nachdem ich meine Hab­se­lig­keiten an der Rezeption abge­geben hatte, wurde ich in einen engen, see­len­losen Raum geführt: den Ver­hörraum. Ich war noch nie in einem gewesen. Ein Tisch trennte die beiden Stühle der Poli­zisten von meinem eigenen. Das leise Brummen der Heizung, die schlecht geputzte Tafel, die fahle Beleuchtung: das alles gab den Ton an. Wir sprachen über die Gründe, warum ich nach Frank­reich gegangen war, über meine Jobs in einer Bäckerei und einer Cafe­teria im Geschäfts­viertel von Paris, La Défense.

Dann schob mir einer der Beamten ein Foto unter die Nase. Es brachte mein Blut in Wallung. Es war ein Gesicht, das ich so gut kannte wie mein eigenes – diese vollen Wangen, die schmale Nase. Es war meine Tochter Gul­humar. Sie posierte vor dem Place du Tro­cadéro in Paris, ein­ge­mummelt in ihren schwarzen Mantel, den ich ihr geschenkt hatte. Auf dem Foto lächelte sie, in der Hand eine Miniatur-Ost­tur­kestan-Flagge, eine Flagge, die die chi­ne­sische Regierung ver­boten hatte. Für die Uiguren sym­bo­li­siert diese Flagge die Unab­hän­gig­keits­be­wegung der Region. Der Anlass war eine der Demons­tra­tionen, die vom fran­zö­si­schen Zweig des World Uighur Con­gress orga­ni­siert wurden, der die Uiguren im Exil ver­tritt und sich gegen die chi­ne­sische Unter­drü­ckung in Xin­jiang ausspricht.

Mit­glieder der uigu­ri­schen Gemein­schaft und Unter­stützer demons­trieren im Jahr 2020 in der Nähe des Eif­fel­turms in Paris. Foto: Mohammed Badra/EPA

Ob man nun poli­ti­siert ist oder nicht, solche Ver­samm­lungen in Frank­reich sind vor allem eine Chance für die Gemein­schaft, zusam­men­zu­kommen, ähnlich wie Geburtstage, das Zuckerfest und das Früh­lingsfest Nowruz. Man kann hin­gehen, um gegen die Unter­drü­ckung in Xin­jiang zu pro­tes­tieren, aber auch, wie Gul­humar es tat, um Freunde zu sehen und die Gemein­schaft der Exi­lanten zu treffen. Zu dieser Zeit war Kerim ein häu­figer Besucher. Die Mädchen gingen ein- oder zweimal. Ich war nie da. Politik ist nicht mein Ding. Seit ich Xin­jiang ver­lassen hatte, inter­es­sierte ich mich immer weniger dafür.

Plötzlich schlug der Beamte mit der Faust auf den Tisch.

„Sie kennen sie, nicht wahr?“

„Ja. Sie ist meine Tochter.“

„Ihre Tochter ist eine Terroristin!“

„Nein. Ich weiß nicht, warum sie auf dieser Demons­tration war.“

Ich wie­der­holte immer wieder: „Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was sie dort gemacht hat, sie hat nichts Fal­sches getan, ich schwöre! Meine Tochter ist keine Ter­ro­ristin! Und mein Mann auch nicht!“

An den Rest des Verhörs kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich erinnere mich nur an das Foto, ihre aggres­siven Fragen und meine ver­geb­lichen Ant­worten. Ich weiß nicht, wie lange es andauerte. Ich weiß noch, dass ich, als es vorbei war, gereizt sagte: „Kann ich jetzt gehen? Sind wir hier fertig?“ Da sagte einer von ihnen: „Nein, Gul­bahar Hai­tiwaji, wir sind noch nicht fertig.“

‚Rechts! Links! Rührt euch!“ Es waren 40 von uns im Raum, alles Frauen, die blaue Pyjamas trugen. Es war ein unschein­bares, recht­eckiges Klas­sen­zimmer. Eine große Metall­ja­lousie mit win­zigen Löchern, die das Licht her­ein­ließen, verbarg die Außenwelt vor uns. Elf Stunden am Tag war die Welt auf diesen Raum redu­ziert. Unsere Pan­toffeln quietschten auf dem Lin­oleum. Zwei Han-Sol­daten hielten uner­bittlich den Takt, während wir im Raum auf und ab mar­schierten. Das nannte man „Sport­un­ter­richt“. In Wirk­lichkeit war es gleich­be­deutend mit mili­tä­ri­scher Ausbildung.

Unsere erschöpften Körper bewegten sich im Gleich­schritt durch den Raum, hin und her, von Seite zu Seite, von Ecke zu Ecke. Als der Soldat auf Man­darin „Rührt euch! (Steht bequem)“ brüllte, erstarrte unser Regiment von Gefan­genen. Er befahl uns, still­zu­stehen. Das konnte eine halbe Stunde dauern, genauso oft aber auch eine ganze Stunde oder noch länger. Wenn das der Fall war, begannen unsere Beine überall wie Nadeln zu kribbeln. Unsere Körper, immer noch warm und unruhig, kämpften darum, nicht in der feuchten Hitze zu schwanken. Wir konnten unseren eigenen fau­ligen Atem riechen. Wir hechelten wie Vieh. Manchmal wurde die eine oder andere von uns ohn­mächtig. Wenn sie nicht wieder zu sich kam, zerrte eine Wache sie auf die Füße und schlug sie wach. Wenn sie wieder zusam­men­brach, zerrte er sie aus dem Raum und wir sahen sie nie wieder. Nie wieder. Zuerst scho­ckierte mich das, aber jetzt war ich es gewohnt. Man kann sich an alles gewöhnen, sogar an Horror.

Es war jetzt Juni 2017, und ich war seit drei Tagen hier. Nach fast fünf Monaten in den Zellen der Karamay-Polizei, zwi­schen Ver­hören und will­kür­lichen Grau­sam­keiten – einmal wurde ich zur Strafe 20 Tage lang an mein Bett gekettet, obwohl ich nie wusste, wofür – wurde mir gesagt, dass ich zur „Schule“ gehen würde. Ich hatte noch nie von diesen mys­te­riösen Schulen gehört oder von den Kursen, die dort ange­boten wurden. Die Regierung hat sie gebaut, um Uiguren zu „ver­bessern“, wurde mir gesagt. Die Frau, die meine Zelle teilte, sagte, es wäre wie eine normale Schule, mit Han-Lehrern. Sie sagte, sobald wir bestanden hätten, könnten die Schüler nach Hause gehen.

Diese „Schule“ befand sich in Bai­ji­antan, einem Bezirk am Rande von Karamay. Nachdem ich die Poli­zei­zellen ver­lassen hatte, war das alles, was ich an Infor­ma­tionen aus einem Schild her­aus­lesen konnte, das in einem aus­ge­trock­neten Graben hing, in dem ein paar leere Plas­tik­tüten her­um­trieben. Offenbar sollte die Aus­bildung vierzehn Tage dauern. Danach würde der Theo­rie­un­ter­richt beginnen. Ich wusste nicht, wie ich das durch­halten sollte. Wie hatte ich nicht schon längst zusam­men­brechen können? Bai­ji­antan war ein Nie­mandsland, aus dem sich drei Gebäude erhoben, jedes so groß wie ein kleiner Flug­hafen. Hinter dem Sta­chel­drahtzaun gab es nichts als Wüste, so weit das Auge reichte.

Gefes­selte Häft­linge mit ver­bun­denen Augen, wahr­scheinlich Uiguren, werden 2018 auf einem Bahnhof in Xin­jiang verlegt. Foto: War on Fear

An meinem ersten Tag führten mich weib­liche Wachen in einen Schlafsaal voller Betten, bloße Bretter aus num­me­riertem Holz. Eine andere Frau war bereits dort: Nadira, Koje Nr. 8. Mir wurde die Koje Nr. 9 zugewiesen.

Nadira zeigte mir den Schlafsaal, der nach fri­scher Farbe roch: den Eimer, in dem man sein Geschäft ver­richten konnte und den sie zornig umstieß; das Fenster, dessen Metall­laden immer geschlossen war; die beiden Kameras, die in hohen Ecken des Raumes hin und her schwenkten. Das war’s. Keine Matratze. Keine Möbel. Kein Toi­let­ten­papier. Keine Laken. Kein Wasch­becken. Nur zwei von uns in der Dun­kelheit und das Knallen der schweren Zel­len­türen, die zuschlagen.

Dies war keine Schule. Es war ein Umer­zie­hungs­lager, mit mili­tä­ri­schen Regeln und dem klaren Wunsch, uns zu brechen. Schweigen wurde erzwungen, aber da wir kör­perlich bis an die Grenze belastet waren, hatten wir sowieso keine Lust mehr zu reden. Mit der Zeit wurden unsere Unter­hal­tungen weniger. Unsere Tage wurden durch das Krei­schen von Pfiffen beim Auf­wachen, bei den Mahl­zeiten und beim Schla­fen­gehen unter­brochen. Die Wachen hatten immer ein Auge auf uns; Es gab keine Mög­lichkeit, ihrer Wach­samkeit zu ent­kommen, keine Mög­lichkeit zu flüstern, sich den Mund abzu­wi­schen oder zu gähnen, aus Angst, des Betens beschuldigt zu werden. Es war gegen die Regeln, Essen abzu­lehnen, aus Angst, als „isla­mis­ti­scher Ter­rorist“ bezeichnet zu werden. Die Wärter behaup­teten, unser Essen sei halal (= nach isla­mi­schem Recht erlaubt).

Nachts kol­la­bierte ich wie betäubt auf meiner Koje. Ich hatte jeg­liches Zeit­gefühl ver­loren. Es gab keine Uhr. Ich schätzte die Tageszeit danach, wie kalt oder heiß es sich anfühlte. Die Wachen machten mir Angst. Seit unserer Ankunft hatten wir kein Tages­licht mehr gesehen – alle Fenster waren durch diese ver­dammten Metall­fens­ter­läden ver­sperrt. Einer der Poli­zisten hatte mir zwar ver­sprochen, dass ich ein Telefon bekommen würde, aber das bekam ich nicht. Wer wusste, dass ich hier fest­ge­halten wurde? Hatte man meine Schwester benach­richtigt, oder Kerim und Gul­humar? Es war ein realer Alb­traum. Unter den teil­nahms­losen Blicken der Über­wa­chungs­ka­meras konnte ich mich nicht einmal meinen Mit­ge­fan­genen gegenüber öffnen. Ich war müde, so müde. Ich konnte nicht einmal mehr denken.

Das Lager war ein Laby­rinth, in dem uns Wachen in Gruppen nach Schlaf­sälen her­um­führten. Um zu den Duschen, dem Bade­zimmer, dem Klas­sen­zimmer oder der Kantine zu gelangen, wurden wir durch eine Reihe end­loser, fluo­res­zierend beleuch­teter Gänge geführt. Nicht einmal ein Moment der Pri­vat­sphäre war unmöglich. An beiden Enden der Gänge schlossen auto­ma­tische Sicher­heits­türen das Laby­rinth wie Schleusen ab. Eines war sicher: Alles hier war neu. Der Geruch von Farbe an den makel­losen Wänden erin­nerte ständig daran. Es schien das Gelände einer Fabrik zu sein (später sollte ich her­aus­finden, dass es ein umge­bautes Poli­zei­ge­lände war), aber ich hatte noch keine Vor­stellung davon, wie groß es war.

Die schiere Anzahl von Wachen und anderen weib­lichen Gefan­genen, an denen wir vor­bei­kamen, als wir her­um­ge­führt wurden, ließ mich glauben, dass dieses Lager riesig war. Jeden Tag sah ich neue Gesichter, zom­bie­artig, mit Trä­nen­säcken unter den Augen. Am Ende des ersten Tages waren wir sieben in unserer Zelle, nach drei Tagen waren es zwölf. Ein bisschen schnelle Mathe­matik: Ich habe 16 Zel­len­gruppen gezählt, ein­schließlich meiner, jede mit 12 Kojen, voll belegt … das macht fast 200 Gefangene in Bai­ji­antan. 200 Frauen, die aus ihren Familien gerissen wurden. 200 Leben, ein­ge­sperrt bis auf Wei­teres. Und das Lager füllte sich weiter.

Man konnte die Neu­an­kömm­linge an ihren ver­störten Gesichtern erkennen. Im Flur ver­suchten sie noch, Ihren Blicken zu begegnen. Die­je­nigen, die schon länger da waren, schauten auf ihre Füße hin­unter. Sie schlurften in engen Reihen herum, wie Roboter. Sie schnappten ohne mit der Wimper zu zucken nach vorn, als ein Pfiff es ihnen befahl. Guter Gott, was hatte man getan, um sie so zu machen?

Ich hatte gedacht, dass die Theo­rie­stunden uns ein wenig Erleich­terung von der kör­per­lichen Aus­bildung bringen würden, aber sie waren noch schlimmer. Die Leh­rerin beob­achtete uns ständig und ohr­feigte uns bei jeder Gele­genheit. Eines Tages schloss eine meiner Klas­sen­ka­me­ra­dinnen, eine Frau in den 60ern, ihre Augen, sicher aus Erschöpfung oder Angst. Die Leh­rerin gab ihr eine brutale Ohr­feige. „Glaubst du, ich sehe nicht, dass du betest? Du wirst bestraft werden!“ Die Wärter schleppten sie gewaltsam aus dem Raum. Eine Stunde später kam sie mit etwas zurück, das sie geschrieben hatte: ihre Selbst­kritik. Die Leh­rerin zwang sie, es uns laut vor­zu­lesen. Sie gehorchte, mit asch­fahler Miene, und setzte sich wieder. Alles, was sie getan hatte, war, die Augen zu schließen.

Nach ein paar Tagen ver­stand ich, was die Men­schen mit „Gehirn­wäsche“ meinten. Jeden Morgen kam eine uigu­rische Leh­rerin in unser stilles Klas­sen­zimmer. Eine Frau unserer eigenen Ethnie, die uns bei­brachte, wie man Chinese ist. Sie behan­delte uns wie abtrünnige Bürger, die die Partei umer­ziehen musste. Ich fragte mich, was sie von all dem dachte. Ob sie über­haupt etwas dachte? Woher kam sie? Wie war sie hierher gekommen? War sie selbst umer­zogen worden, bevor sie diese Arbeit machte?

Auf ihr Signal hin standen wir alle gemeinsam auf. „Lao shi hao!“ Mit diesem Gruß an die Leh­rerin begann der elf­stündige täg­liche Unter­richt. Wir sagten eine Art Treue­schwur auf China auf: „Danke an unser großes Land. Danke an unsere Partei. Danke an unseren lieben Prä­si­denten Xi Jinping.“ Am Abend beendete eine ähn­liche Version den Unter­richt: „Ich wünsche mir, dass sich mein großes Land ent­wi­ckelt und eine glän­zende Zukunft hat. Ich wünsche mir, dass alle Ethnien eine einzige große Nation bilden. Ich wünsche dem Prä­si­denten Xi Jinping gute Gesundheit. Lang lebe Prä­sident Xi Jinping.“

An unsere Stühle geklebt, wie­der­holten wir unsere Lek­tionen wie Papa­geien. Sie lehrten uns die glor­reiche Geschichte Chinas – eine gesäu­berte Version, bereinigt von Miss­ständen. Auf dem Umschlag des Hand­buchs, das wir erhielten, stand „Umer­zie­hungs­pro­gramm“. Es ent­hielt nichts als Geschichten über die mäch­tigen Dynastien und ihre glor­reichen Erobe­rungen und die großen Errun­gen­schaften der Kom­mu­nis­ti­schen Partei. Es war sogar noch poli­ti­sierter und vor­ein­ge­nom­mener als der Unter­richt an den chi­ne­si­schen Uni­ver­si­täten. In den ersten Tagen brachte mich das zum Lachen. Dachten sie wirklich, sie würden uns mit ein paar Seiten Pro­pa­ganda brechen?

Siehe auch dazu: Under­cover in einem chi­ne­si­schen „Umer­zie­hungs­lager“- Unco­vered Details of a Xin­jiang Camp in China

Aber als die Tage ver­gingen, setzte die Müdigkeit ein wie ein alter Feind. Ich war erschöpft, und mein fester Ent­schluss, Wider­stand zu leisten, war auf Dauer nicht zu halten. Ich ver­suchte, nicht nach­zu­geben, aber die Schule ging mit Voll­dampf weiter. Sie rollte direkt über unsere schmer­zenden Körper hinweg. Das war also Gehirn­wäsche – ganze Tage damit zu ver­bringen, die gleichen idio­ti­schen Phrasen zu wie­der­holen. Als ob das noch nicht genug wäre, mussten wir abends nach dem Essen noch eine Stunde extra lernen, bevor wir ins Bett gingen. Wir würden unsere endlos wie­der­holten Lek­tionen ein letztes Mal durchgehen.

Jeden Freitag hatten wir einen münd­lichen und schrift­lichen Test. Abwech­selnd trugen wir unter den wach­samen Augen der Lager­leiter den kom­mu­nis­ti­schen „Eintopf“ vor, den man uns „auf­ge­tischt“ hatte.

Auf diese Weise wurde unser Kurz­zeit­ge­dächtnis sowohl unser größter Ver­bün­deter als auch unser schlimmster Feind. Es ermög­lichte uns, Bände von Geschichte und Erklä­rungen über loyale Staats­bür­ger­schaft auf­zu­saugen und wie­der­zu­käuen, sodass wir die öffent­liche Demü­tigung durch den Lehrer ver­meiden konnten. Aber gleich­zeitig schwächte es unsere kri­ti­schen Fähig­keiten. Es nahm die Erin­ne­rungen und Gedanken weg, die uns an das Leben binden. Nach einer Weile konnte ich mir die Gesichter von Kerim und meinen Töchtern nicht mehr klar vor­stellen. Wir wurden bear­beitet, bis wir nicht mehr als stumme Tiere waren. Niemand sagte uns, wie lange das noch wei­ter­gehen würde.

Wie soll ich die Geschichte dessen, was ich in Xin­jiang durch­ge­macht habe, über­haupt beginnen? Wie soll ich meinen Lieben sagen, dass ich der Gewalt der Polizei aus­ge­liefert war, von Uiguren wie mir, die auf Grund des Status, den ihnen ihre Uni­formen ver­liehen, mit uns, unseren Körpern und Seelen, machen konnten, was sie wollten? Von Männern und Frauen, deren Gehirne gründlich gewa­schen worden waren – Roboter, der Mensch­lichkeit beraubt, eifrig Befehle durch­setzend, klein­liche Büro­kraten, die unter einem System arbeiten, in dem die­je­nigen, die andere nicht denun­zieren, selbst denun­ziert werden, und die­je­nigen, die andere nicht bestrafen, selbst bestraft werden. Über­zeugt, dass wir Feinde seien, die man nie­der­schlagen müsse – Ver­räter und Ter­ro­risten – nahmen sie uns die Freiheit. Sie sperrten uns wie Tiere irgendwo weg vom Rest der Welt, aus der Zeit heraus: in Lager.

In den „Transformation-durch-Erziehung“-Lagern bedeuten Leben und Tod nicht das­selbe wie anderswo. Hun­dertmal dachte ich, wenn die Schritte der Wachen uns in der Nacht weckten, dass unsere Zeit gekommen war, hin­ge­richtet zu werden. Als eine Hand bös­artig eine Schere über meinen Schädel drückte und andere Hände die Haar­bü­schel, die mir auf die Schultern fielen, weg­rissen, schloss ich meine Augen, die von Tränen getrübt waren, und dachte, dass mein Ende nahe war, dass ich für das Schafott, den elek­tri­schen Stuhl, das Ertrinken vor­be­reitet wurde. Der Tod lauerte in jeder Ecke. Als die Kran­ken­schwestern mich am Arm packten, um mich zu „impfen“, dachte ich, sie würden mich ver­giften. In Wirk­lichkeit haben sie uns ste­ri­li­siert. Da ver­stand ich die Methode der Lager, die Stra­tegie, die ver­folgt wurde: uns nicht kalt­blütig zu töten, sondern uns langsam ver­schwinden zu lassen. So langsam, dass es niemand bemerken würde.

Uns wurde befohlen zu ver­leugnen, wer wir waren. Auf unsere eigenen Tra­di­tionen und unseren Glauben zu spucken. Unsere Sprache zu kri­ti­sieren. Unser eigenes Volk zu belei­digen. Frauen wie ich, die aus den Lagern kamen, sind nicht mehr die, die wir einmal waren. Wir sind Schatten; Unsere Seelen sind tot. Mir wurde weis­ge­macht, dass meine Liebsten, mein Mann und meine Tochter, Ter­ro­risten waren. Ich war so weit weg, so allein, so erschöpft und ent­fremdet, dass ich fast damit endete, es zu glauben. Mein Mann Kerim, meine Töchter Gul­humar und Gul­nigar – ich pran­gerte deine „Ver­brechen“ an. Ich bat die kom­mu­nis­tische Partei um Ver­gebung für Gräu­el­taten, die weder sie noch ich begingen. Ich bereue alles, was ich gesagt habe, was Sie entehrt hat. Heute lebe ich, und ich möchte die Wahrheit ver­künden. Ich weiß nicht, ob ihr mich akzep­tieren werdet, ich weiß nicht, ob ihr mir ver­zeihen werdet.

Wie kann ich anfangen zu erzählen, was hier pas­siert ist?

Ich wurde zwei Jahre lang in Bai­ji­antan fest­ge­halten. Während dieser Zeit ver­suchten alle um mich herum – die Poli­zei­be­amten, die kamen, um die Gefan­genen zu ver­hören, plus die Wachen, Lehrer und Tutoren – mir die massive Lüge ein­zu­reden, ohne die China sein Umer­zie­hungs­projekt nicht hätte recht­fer­tigen können: dass Uiguren Ter­ro­risten seien und dass ich, Gul­bahar, als Uigurin, die seit 10 Jahren in Frank­reich im Exil lebt, eine Ter­ro­ristin sei. Eine Pro­pa­gan­da­welle nach der anderen pras­selte auf mich ein, und als die Monate ver­gingen, begann ich, einen Teil meines Ver­standes zu ver­lieren. Teile meiner Seele zer­brachen und brachen ab. Ich werde sie nie wieder erlangen.

Bei hef­tigen Ver­hören durch die Polizei machte ich unter den Schlägen einen Kotau – so sehr, dass ich sogar falsche Geständ­nisse ablegte. Sie schafften es, mich davon zu über­zeugen, dass ich, je eher ich meine Ver­brechen ein­ge­stehe, desto eher aus­reisen kann. Erschöpft gab ich schließlich nach. Ich hatte keine andere Wahl. Niemand kann für immer gegen sich selbst kämpfen. Egal, wie uner­müdlich man gegen die Gehirn­wäsche ankämpft, sie tut ihr heim­tü­cki­sches Werk. Alle Lust und Lei­den­schaft ver­lassen dich. Welche Optionen bleiben dir? Ein lang­samer, schmerz­hafter Abstieg in den Tod, oder Unter­werfung. Wenn man Unter­werfung spielt, wenn man so tut, als würde man den psy­cho­lo­gi­schen Macht­kampf gegen die Polizei ver­lieren, dann hält man sich trotz allem an den Splitter der Klarheit, der einen daran erinnert, wer man ist.

Ich glaubte kein Wort von dem, was ich ihnen sagte. Ich tat einfach mein Bestes, um eine gute Schau­spie­lerin zu sein.

Am 2. August 2019 sprach mich ein Richter aus Karamay nach einer kurzen Ver­handlung vor wenigen Zuhörern für unschuldig. Ich hörte seine Worte kaum. Ich hörte mir das Urteil an, als ob es nichts mit mir zu tun hätte. Ich dachte an all die Male, in denen ich meine Unschuld beteuert hatte, an all die Nächte, in denen ich mich auf meiner Pritsche hin und her gewälzt hatte, wütend darüber, dass mir niemand glauben würde. Und ich dachte an all die anderen Male, als ich die Dinge zuge­geben hatte, derer sie mich beschul­digten, all die fal­schen Geständ­nisse, die ich gemacht hatte, all die Lügen.

Sie hatten mich zu sieben Jahren Umer­ziehung ver­ur­teilt. Sie hatten meinen Körper gequält und meinen Geist an den Rand des Wahn­sinns gebracht. Und jetzt, nach der Über­prüfung meines Falles, hatte ein Richter ent­schieden, dass ich in Wirk­lichkeit unschuldig war. Ich war frei und konnte gehen.

– Einige Namen wurden geändert. Über­setzt von Edward Gauvin. Dies ist ein bear­bei­teter Auszug aus Res­capée du Goulag Chinois (Über­le­bende des chi­ne­si­schen Gulag) von Gul­bahar Hai­tiwaji, zusammen mit Rozenn Morgat ver­fasst und von Edi­tions des Equa­teurs veröffentlicht.

– Dieser Artikel wurde am 14. Januar geändert, um die Lage der Lager zu klären, die in den letzten Jahren in Xin­jiang errichtet wurden, sowie das Lager in Bai­ji­antan, in dem Gul­bahar Hai­tiwaji zuerst fest­ge­halten wurde.

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Netzfrau Ursula Rissmann-Telle


Quelle: netzfrauen.org