Dop­pel­be­steuerung bei Renten – handeln Finanz­ämter „arg­listig“?

Der Vorwurf der Dop­pel­be­steuerung bei den Renten dreht sich darum, dass die Steuern, die auf 40% der Ren­ten­ein­zah­lungen im Laufe des Erwerbs­lebens gezahlt werden müssen, nicht nochmals bei der Aus­zahlung auf die bereits früher ver­steu­erten 40% erhoben werden dürfen. Oder anders gesagt: Rentner müssen zumindest so viel Rente steu­erfrei aus­ge­zahlt bekommen, wie sie als steu­er­pflichtige Beträge ein­ge­zahlt haben. Wenn bei der Aus­zahlung wieder besteuert wird, ist das eine unzu­lässige Doppelbesteuerung.

Ren­ten­ex­perten und Steu­er­be­rater kennen das Problem. In dieser Sache ist schon länger ein Mus­ter­ver­fahren beim Bun­des­fi­nanzhof anhängig, es sollte bereits 2020 ent­schieden worden sein, wird aber – wegen der Corona-Pan­demie — angeblich im ersten Quartal 2021 ent­schieden. Besonders ärgerlich ist, dass die Finanz­ämter offenbar sys­te­ma­tisch ver­suchen, die sich weh­renden Rentner aus ihren Ein­spruchs­ver­fahren hinauszudrängen.

Experten, wie bei­spiels­weise der Mann­heimer Steu­er­be­rater Heinrich Braun, spe­zia­li­sieren sich mitt­ler­weile auf dieses Thema und gehen juris­tisch dagegen vor. Das ist sowohl nötig als auch ein zäher Kampf. Denn obwohl die Finanz­ämter bei einem Ein­spruchs­ver­fahren ver­pflichtet sind, eine soge­nannte „Ver­fah­rensruhe“ ein­zu­halten, um die Rechte der Beschwer­de­führer nicht zu beein­träch­tigen, bis die Sache ent­schieden ist (also die mut­maßlich zu Unrecht erho­benen Steuern bis zur end­gül­tigen, gericht­lichen Ent­scheidung nicht zu bezahlen sind), ver­suchen die Finanz­ämter, die Rentner aus­zu­tricksen und unter Druck zu setzen. Sie ver­schicken derzeit „mas­senhaft“ Ver­zichts­schreiben, die die Rentner ein­schüchtern und zum Ver­zicht auf den Ein­spruch drängen sollen. Und/oder sie ver­langen von den Rentnern, sie sollen genau aus­rechnen, inwiefern es eine Dop­pel­be­steuerung gibt und wie hoch diese ist. Das ist aber schon für die Finanz­ämter eine zu harte Rechen-Nuss. Wie sollen Rentner so etwas leisten? Zumal die Finanz­ämter von den Rentnern dazu Steu­er­un­ter­lagen von vor 40 Jahren ver­langen, die sie selbst nicht mehr in ihren Archiven haben.

Überdies, so die Juristen, muss das gar nicht im Ein­zelnen bewiesen werden, ob und wenn ja, wie hoch im Ein­zelfall doppelt besteuert wurde. Es reicht voll­kommen, sich dem Mus­ter­ver­fahren anzu­schließen, sagt Heinrich Braun. Aus­rechnen müssten das dann nach einem gewon­nenen Prozess die Finanz­ämter – die ver­ständ­li­cher­weise wenig Lust dazu haben. Steu­er­be­rater Braun sieht in der ganzen Hand­habung des Themas eine arg­listige Täu­schung und moniert, dass man ganz absichtlich alles in die Länge zieht und die Rentner hinhält, wohl in der Hoffnung, dass viele von ihnen zwi­schen­zeitlich versterben.

Etwa eine halbe Million Rentner haben Ein­spruch gegen ihre Bescheide ein­gelegt. Das bedeutet, dass da eine enorme Geld­summe fällig wird, wenn den Ein­sprüchen statt­ge­geben wird. Je nach der indi­vi­du­ellen Rente und dem Ein­zah­lungs­zeitraum können sich für Rentner Ver­luste bis zu meh­reren Tausend Euro pro Jahr aus den zu Unrecht erho­benen Steuern ergeben. Betroffen sind alle Rentner, die seit 2005 Steuern für ihre Ren­ten­ein­zah­lungen bezahlten und 2020 in den Ruhe­stand gegangen sind, sagt der Finanz­ma­the­ma­tiker Klaus Schindler. Bis zu 22 Prozent der gesamten Renten werden seinen Erhe­bungen nach doppelt besteuert.

Klaus Schindler lie­ferte mit seinen Berech­nungen die Grundlage für die Klage eines saar­län­di­schen Rentners vor dem saar­län­di­schen Finanz­ge­richt. Er zahlte fast 40 Jahre in die gesetz­liche Ren­ten­ver­si­cherung ein, dabei wurden 43% der Ein­zah­lungen aus bereits ver­steu­ertem Ein­kommen bezahlt. Nun sind aber nur 24% seiner Rente steu­erfrei, die rest­lichen 76% seiner Ren­ten­bezüge muss er wieder ver­steuern. Der zu ver­steu­ernde Anteil seiner Rente müsste aber bei etwa 50% liegen und nicht bei über 70%. Er ver­liert durch die Dop­pel­be­steuerung jährlich zwi­schen zwei- bis drei­tausend Euro.

Auch Gert Zim­mermann aus Wetzlar reichte 2014 Klage beim Hes­si­schen Finanz­ge­richt Kassel ein.  Auch er sieht sich von seinem Wetz­larer Finanzamt doppelt besteuert. Ihm wurde gesagt, auf­grund seiner „wirt­schaft­lichen Leis­tungs­fä­higkeit“ seien doch die 500 €, die er pro Jahr dadurch ver­liere, eine Baga­telle. Das bringt Herrn Zim­mermann besonders in Rage: „Das ärgert einen schon, denn ich sage mal so: Dop­pel­be­steuerung ist unab­hängig vom Betrag. Dop­pel­be­steuerung ist ein Verstoß gegen die Ver­fassung. Und da kommt es nicht auf einen Cent oder auf 100 Euro an. Es ist einfach schlichtweg nicht zulässig. Und das ärgert mich!“

Das Finanz­mi­nis­terium und die Finanz­ämter haben Grund dazu, sich gegen die Sache zu sperren. Denn wenn die jetzige Form der Ren­ten­be­steuerung rechts­widrig ist, müssen die Finanz­ämter die Steu­er­be­scheide von wahr­scheinlich Hun­dert­tau­senden Rentnern kor­ri­gieren und jeden indi­vi­duell aus­rechnen. Es müssten wohl Mil­li­arden an rechts­widrig erho­benen Steuern zurück­ge­zahlt werden und darüber hinaus würden auch noch Mil­li­arden an Steu­er­ein­nahmen zukünftig entfallen.

Die Chancen für die Kläger stehen nicht schlecht. Der für die Ent­scheidung zuständige Richter am Bun­des­fi­nanzhof, Dr. Egmont Kulosa hatte sich bereits in der Ver­gan­genheit zur Dop­pel­be­steuerung geäußert:
„‘Es bedarf keiner kom­pli­zierten mathe­ma­ti­schen Übungen, um bei Ange­hö­rigen der heute mitt­leren Gene­ration, die um das Jahr 2040 in den Ren­ten­bezug ein­treten werden, eine Zwei­fach­be­steuerung nach­zu­weisen. Denn diese Per­sonen werden ihre Ren­ten­bezüge in vollem Umfang ver­steuern müssen, können ihre Bei­träge aber nur 15 Jahre lang – von 2025 bis 2039, und auch dann nur bis zum Höchst­betrag des Absatz 3 – ohne pro­zen­tuale Beschränkung abziehen‘, erläutert Kulosa in einem Beitrag für einen juris­ti­schen Fachdienst.“

Das Finanz­mi­nis­terium pfeift aber gerade laut im dunklen Keller. Dort ist man sich sicher, dass alles ver­fas­sungs­konform ist und die Klage nicht durch­kommen wird. Daher stelle man auch keine Vor­aus­be­rech­nungen an, wie viele Rentner es betreffen könnte, wenn deren Klage obsiegt und man mache auch keine Rück­stel­lungen für den Fall, dass man vor Gericht ver­liere, sagte der Staats­se­kretär im Finanz­mi­nis­terium, Rolf Bösinger dem Deutschlandfunk.

Der FDP-Abge­ordnete Frank Schäffler, ein echter Ver­treter der Bürger, sieht das etwas anders: „Ich vermute mal, dass die Bun­des­re­gierung das Problem jetzt schon sieht, aber das Thema erst mal weg­schiebt. Finanz­mi­nister kommen und gehen. Und der jetzige wird sicherlich nicht im Jahre 2040 Finanz­mi­nister sein. Deshalb schiebt man das Thema vor sich her. Die Bun­des­re­gierung ver­lässt sich letzt­endlich auf die Recht­spre­chung, auf die aktuelle. Und hofft, dass die Bürger nicht dagegen klagen. Und wenn sie dagegen klagen, dass das eben lange dauert.“

Mit anderen Worten: Man hofft, die Kläger am langen Arm ver­hungern lassen zu können. Wieder ein Nagel in den Sarg des Bür­ger­ver­trauens in die Regierung.