Die Berliner Republik scheint doch endlich zur Kenntnis zu nehmen, dass sie sich im Wahlvolke nicht allzu überbordender Beliebtheit erfreut. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble beobachtet scharfsinnig eine „wachsende Distanz zwischen Wählern und Gewählten“. Nun hat man sich etwas einfallen lassen: Bürgerräte sollen es richten. Die sollen die Bevölkerung wieder stärker in die Politik einbinden. Die Presse ist ganz verliebt in die Idee.
Dr. Wolfgang Schäuble drückt es sehr vorsichtig aus. Der Süddeutschen Zeitung sagt er:
„‘Die Bindung zwischen Wählern und Gewählten ist schwächer geworden — und die Kraft der Parteien, die für eine stabile repräsentative Demokratie wichtig sind, ist auch kleiner geworden‘, sagt Schäuble im Gespräch mit der SZ. Die Grünen seien zwar ‚eine gewisse Innovation, aber SPD, CDU, CSU haben seit einiger Zeit Probleme‘. Und eine derartige Entwicklung gebe es nicht nur in Deutschland.“
„Schwächer geworden …kleiner geworden …“ Sehr hübsch formuliert. Aber er tröstet sich auch:
„‘Überall, wo in Europa und in Nordamerika unsere westliche Demokratie existiert, erleben wir eine abnehmende Bindekraft dieses Modells‘”, sagt Schäuble. Deshalb müsse man jetzt ‚neue Dinge erproben, um unser Modell zu stärken‘ — denn es gelte auch hier: ‚ecclesia semper reformanda‘“. (Die Kirche muss sich stets erneuern.)
Der Bürgerrat soll es richten. Per Stichprobe und Zufall sollten ca. 160 Bürger aus den verschiedensten Altersstufen und Schichten bestimmt werden. 5.000 Einladungen wurden versandt, die 160 Bürger wurden mittlerweile zusammengestellt, und die per Videokonferenz verbundenen Bürger durften und sollten zu einer Frage gemeinsam eine Antwort finden: „Welche Rolle soll Deutschland in der Welt spielen?“
Super. Man muss ja immerhin mal klein anfangen.
Dumm ist das aber nicht. Denn wenn die Politiker-Riege etwas nicht brauchen kann, dann dass Bürger über das diskutieren, was ihnen wirklich ganz nahe ist und was ihnen echte Sorgen und Probleme macht – und worüber sie auch Bescheid wissen. Aber „Deutschland und die Welt“, so schön unkonkret und eine Spielwiese für moralisch-idealistische Weltsichten, da kommt man auch als Politiker gut bei weg. Schöne Sonntagsreden halten können sie alle. Man kann jetzt schon sagen, dass die Beschlüsse des Bürgerrates hochgelobt und „sehr ernst“ genommen werden, Wortgeklingel wird mit Wortgeklingel beantwortet, die Bürger fühlen sich ernst genommen und kein Politiker bekommt den Rost abgemacht.
So ist es fein. Der Bundestag mit seinen Fraktionen und der Bundestagspräsident Schäuble bestimmen über die Themen, worüber der Bürgerrat diskutieren darf. Bei „Deutschlands Rolle in der Welt“ fällt der Vorsitz an die Grüne Marianne Birthler. Da wird man dann vielleicht wirklich auf Augenhöhe sprechen, denn Insider-Kenntnisse in der Weltpolitik sind bei den Grünen nicht sehr ausgeprägt, außer bei Kobolden, die in Afrika ausgegraben werden (Baerbock). Für den Themenbereich Menschenrechte wird Jan Korte von den Linken den Vorsitz bekommen. Auch das ist eine gelungene Wahl, denn in kommunistischen und sozialistischen Systemen waren die Menschenrechte bekanntermaßen schon immer der verpflichtende Leitfaden und höchster Impetus.
Die „taz” veröffentlicht einen langen Bericht, in dem es menschelt und die Welt so ist, wie sich die Zeit das wünscht. Alle sind nett zueinander und man diskutiert höflich, ob Deutschland nicht ein Vorbild für die ganze Welt sein sollte. Typisch deutsch: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“. Am Ende habe man das auch etwas differenzierter gesehen. Es sei halt doch nicht alles so einfach, wie man sich das vorgestellt hat mit dem Rest der Welt.
Aber die „taz“ ist glücklich. Unter den ca. 160 Teilnehmern sei kein Extremist und kein Querdenker gewesen. Warum wohl? Die Erklärungen reichen von „die würden keinen Widerspruch dulden“ oder, „die würden bei so einem Format gar nicht erst mitmachen“ bis „Radikale sind beim Bürgerrat nicht dabei, weil sie keinen Bock auf Auseinandersetzung haben“.
Es könnte aber auch sein, dass die meisten „Querdenker:Innen“ einfach, wie das schon festgestellt wurde, gar nicht die intoleranten, rechten Radikalen sind, sondern ziemlich genau die politische Parteienlandschaft abbilden. Diese Leute sind nämlich gar nicht radikal, und wenn sie sich nicht als „Querdenker:Innen“ outen, würde man überhaupt nichts merken. Vielleicht sind einige dabei, beim Bürgerrat, und sie sind ganz normal und vernünftig, ohne Schaum vor dem Mund und „kruden Verschwörungstheorien“?
Zurzeit sind wir also am Start der Phase 3 im Bürgerrat. Jetzt soll das in der „Zeit“ recht ausführlich beschriebene Bürgergutachten an den Bundestag übergeben werden.
Die Experten, die das betreute Bürger-diskutieren-Experiment begleiten, stammen natürlich alle aus staatlichen Organisationen oder solchen, die von staatlichen Geldern leben und somit mit geprüfter Haltung zertifiziert sind. Da die Bundesregierung sich an der Finanzierung dieses Bürgerrates und der technischen und personellen Umsetzung genauso wenig beteiligt wie der Bundestag, muss der Verein „Mehr Demokratie“ das Finanzielle tragen, das dieser allerdings auch nur mittels Spenden bewerkstelligen kann. Einer der Hauptspender ist die Mercator-Stiftung, die nicht dafür bekannt ist, ihre eigenen Interessen hintenan zu stellen.
Es werden also kaum aufsehenerregende Dinge geschehen, wenn der Bürgerrat sein Gutachten an den Bundestag und seinen Präsidenten überreicht. Eine hübsche Aufführung für die Medien, gefälliges Loben der engagierten Bürger und köpfchentätschelnde Danksagungen.
Dabei wäre dieser Bürgerrat wirklich eine Chance, weil die Mitwirkenden keine Apparatschiks sind, die auf ihren Posten nach der nächsten Bundestagswahl schielen. Sie weisen immerhin völlig verschiedene Lebenswelten, Alters- und Gesellschaftsstrukturen auf und mussten sich nicht in den Seilschaften der Politik hochdienern. Da könnte ja so etwas wie frischer Wind aufkommen.
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