Überlebende Deutsch-Türkin will aber nichts von der Erdogan-Türkei — sie klagte eine Opferentschädigung beim Landesozialgericht B‑W ein
(von Albrecht Künstle)
Das Jahr 2016 endete im Istanbuler Nachtclub Reina für 39 Feiernde tödlich https://de.wikipedia.org/wiki/Terroranschlag_in_Istanbul_am_1._Januar_2017, mindestes 67 wurden z.T. schwer verletzt. Der IS verübte einen Anschlag auf eine Silvesterfeier.
„Silvesterfeiern wurden von Mustafa Kemal Atatürk 1932 eingeführt. 1935 wurde der 1. Januar zum Feiertag. Seit den 1990er Jahren wurden mit dem Erstarken des politischen Islam Silvesterfeiern, die auch Elemente des christlichen Weihnachtsfestes aufgenommen haben, mehr und mehr als „unislamischer“ Brauch zurückgedrängt.
Die türkische Religionsbehörde hatte für den Freitag vor Silvester den von ihr kontrollierten Moscheen eine Predigt vorgegeben, in der Silvesterfeiern als unislamische Sünde dargestellt wurden. Die Zeitung Millî Gazete hatte beispielsweise getitelt:
„Dieser Tag ist der letzte Tag. Diese Warnung ist die letzte Warnung! Feiert nicht!“. Regierungskritiker beschuldigten die Religionsbehörde und diese Zeitungen, zu dem Attentat angestachelt zu haben. Verschiedene türkische Organisationen erstatteten Strafanzeige gegen Mehmet Görmez, den Leiter der staatlichen Religionsbehörde.“ (Wikipedia)
Was ich damals an unsere Tageszeitung schrieb:
Der IS hat nicht alle Tassen im Schrank – zumindest nicht an der Stelle, wo sie hingehören. Der Anschlag auf den Nachtclub Reina in Istanbul galt der Türkei „als Beschützerin des Kreuzes“, womit die Christen gemeint sind. Aber die Christen hat die Türkei bereits so vergrault, dass es nur noch im Südosten wenige hinter Klostermauern gibt und in Istanbul als Freiläufer.
Auf diese Wenigen hat es der IS abgesehen. „Die Soldaten des Kalifats sollen im Reina zuschlagen, wo die Nazarener (Christen) ihr polytheistisches Fest feiern“ – als ob dieser Tag für Christen ein religiöses Fest wäre. Papst Silvester starb zwar an diesem Tag anno 335; was blieb, ist nur ein Namenstag. Was stören eigentlich strenggläubige Muslime ein christlicher Heiliger, der schon gestorben war, bevor Muhammad sein Unwesen trieb? Deren Zeitalter scheint doch erst mit ihrem Propheten zu beginnen.
Doch der Attentäter hatte Pech. Christen sehen halt aus wie normale Menschen und die wenigsten tragen ein Kreuz um den Hals. Opfer waren fast nur Muslime! Vielleicht haben wir Christen doch die besseren Schutzengel als IS und Co.? Und noch etwas: Weil der Attentäter keinen Märtyrertod starb, gibt es für ihn im Paradies vielleicht nur 36 Jungfrauen statt 72. Und weil unter den getöteten fast nur Muslime waren, noch einmal die Hälfte Jungfrauen weniger?
Was aber besonders pikant ist: Der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist nicht nur eine Silvesterfeier, sondern alles ein Dorn im Auge, was nicht islamisch ist. Deshalb riet sie in der Musterpredigt ihren Moscheen (auch in Deutschlands DiTiB-Moscheen) den ‚unislamischen, unmoralischen‘ Veranstaltungen fern zu bleiben. Vielleicht stecken die Türkei Erdogans und der IS doch unter einer Decke…“ (Zitat von damals Ende). Tatsächlich finanzierte die Türkei indirekt den IS, indem sie dem Islamischen Staat über die grüne Grenze u.a. erbeutetes Erdöl abnahm. Grüne Grenze hat in diesem Fall eine doppelte Bedeutung, weil auf beiden Seiten der grüne Islam vorherrscht.
Allah oder Gott sei Dank, hat eine Deutsch-Türkin überlebt (eine andere nicht), weil sie sich aus Angst oder geistesgegenwärtig nach den ersten Schüssen zu Boden warf und sich totstellte. Sie erhielt von Deutschland 5 000 EUR Entschädigung als Opfer terroristischer Straftaten. Obwohl der Terroranschlag nicht in Deutschland und nicht von einem Deutschen verübt wurde. Lediglich der Tatort Reina-Nachtclub befand sich im europäischen Zipfelchen der Türkei.
Die (Un)Glückliche wollte aber mehr Euro nach dem Opferentschädigungsgesetz. Ihre Klage landete schließlich vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg. Dieses verwehrte der Klägerin mit Urteil vom 18.02.2021 Leistungen nach diesem Gesetz, weil sie sich über die Warnungen des Auswärtigen Amtes Deutschland hinweggesetzt hatte. Denn im Jahr 2016 gab es eine Reihe Anschläge – 28 an der Zahl, darunter der (getürkte?) Putschversuch gegen Erdogan. Das Gericht wies die Klägerin darauf hin, dass es in der Türkei ebenfalls eine gesetzliche Opferentschädigung gibt.
Türkische Opferentschädigung wären aber türkische Lira, keine Euro. Die Deutsch-Türkin befand sich auf Heimaturlaub in dem Land, das Erdogan als ihre echte Heimat ansieht. Deshalb dürfte sie auch von der Türkei erwarten, dass sie doppelt geschützt und entschädigt wird – als Urlauberin und mit türkischer Herkunft. Aber würde sie vor einem türkischen Gericht Erfolg haben, wären die zugesprochenen Lira bis sie schließlich ausgezahlt werden, nicht mehr viel wert.
Mein Rat auch an potenzielle Urlauber: Machen Sie einen großen Bogen um die Türkei, auch wenn’s schwerfällt. Denn Kleinasien bietet viele nette Menschen sowie kulturell und landschaftlich Einiges. Aber „viel Gegend“ gibt es auch woanders, Kultur noch mehr. Und wenn Sie sich Moscheen anschauen wollen, gibt es auch bei uns in Deutschland mehr als genug. Sparen Sie sich Türkeireisen auf, bis die Türken*innen ihr Land wieder Erdogan-frei gemacht haben.
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