In den USA geht es in erster Linie immer um die Wirtschaft. Und die hat unter Corona gelitten. Ein Stimulus- und Rettungsplan von 1,9 Billionen Dollar – das sind 10 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung der USA — ist unterzeichnet. Joe Biden als neuer Präsident lässt es krachen. Er selbst nennt es ein „historisches Gesetz“, dass der Mittelschicht und den Familien und der arbeitenden Bevölkerung wieder auf die Beine helfe. In den USA macht sich Hoffnung breit. Top-Ökonomen wie Olivier Blanchard warnen aber vor dem Gespenst einer kräftigen Inflation.
Am 11. März unterzeichnete der neue Präsident der USA den vom Kongress verabschiedeten American Rescue Plan, der die Dellen und Einschläge durch die Corona-Eindämmungsmaßnahmen und Lockdowns wieder ausbügeln soll: Es winken Direktzahlungen von 1400 $ an praktisch jeden. Familien mit Kindern dürfen sich auf noch weitere Direktzahlungen freuen, und ihnen werden zusätzlich noch Steuererleichterungen gewährt. Dazu kommen noch Extra-Direktzahlungen für Arbeitslose. Überdies wird die Arbeitslosenhilfe bis zum September auch noch um 300 Dollar pro Woche erhöht. Das Füllhorn wird weit aufgemacht.
Diese Zuwendungen sind der größte Posten im Gesamtpaket mit 450 Milliarden $. Die Aufstockung des Arbeitslosengeldes schlägt mit 300 Milliarden $ zu Buche.
Dann gibt es noch Corona-Tests kostenlos für jeden, für die sichere Öffnung von Schulen und Kindergärten werden den Kommunen Gelder bereitgestellt (350 Milliarden $ für die Bundesstaaten und Kommunen) – und natürlich für’s Impfen. Die Corona-Impfkampagne wird mit 180 Milliarden $ finanziert, 15 Milliarden Dollar bleiben für Bildung und Verkehr.
Und ganz anders als in Deutschland, wo ja alles soooo unbürokratisch laufen sollte und noch immer nicht die Novemberhilfe ausbezahlt ist, dafür aber mit vollkommen unüberlegten Brutal-Lockdowns mal eben so ein Milliardenschaden verursacht wird, treffen die US-Direkthilfen bereits auf den Konten der Bürger ein — und das ohne Prüfung der Bedürftigkeit oder Einschränkungen. Bis Mitte April sollen die Auszahlungen abgewickelt sein.
Eigentlich sollte, wie von Präsident Biden versprochen, der Mindestlohn von 15 $ pro Stunde auch mit im Paket enthalten sein. Doch dann hätte das Gesamtpaket des neuen Haushaltsgesetzes eine ganze Weile später erst verabschiedet werden können, denn dieser Mindestlohn ist ein heftiger Zankapfel zwischen Republikanern und Demokraten. Dennoch ist dieser Mindestlohn noch nicht vom Tisch.
Die noch aus dem letzten Jahr stammenden Konjunkturhilfen von sechs Billionen Dollar für 2020 und 2021 sind ja schon teilweise ausgezahlt, die neue Finanzspritze von 1,9 Billionen Dollar kommt ja noch dazu. BlackRock hat sich darangemacht, diesen Elefanten im Porzellanladen der Weltfinanzen zu untersuchen und zu bewerten. Denn das Gleichgewicht zwischen immens hohen Schulden, immens niedrigen Zinsen und Stimulus für die Wirtschaft ist nicht so einfach Pi-mal-Daumen zu beurteilen.
Das sind unglaubliche Summen. Und so gibt es auch sehr unterschiedliche Bewertungen der Ökonomen zu den Folgen eines derart mächtigen Corona-Hilfs- und Stimuluspakets. Die neue Finanzministerin und alte FED-Chefin Janet Yellen ist eine der treibenden Kräfte hinter diesen beispiellosen Summen. „Go big!“ feuert sie das Duo Biden und Harris an. Jetzt dürfe man nicht mit halbherzigen „Klein-klein-Lösungen“ kommen. Jetzt heiße es „All in“.
Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie, sieht das Ganze als Hilfspaket. Die US-Bürger haben kaum solche Einrichtungen, wie wir sie in Europa mit Kurzarbeitergeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Ausgleichszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Zum einen, sagt Dullien, wäre das Geld nicht zum „einfach ausgeben“, sondern werde von den Haushalten dringend benötigt, um Einkommensverluste auszugleichen. Zum anderen gebe es noch durchaus genügend Kapazitäten auf dem US-Arbeitsmarkt:
Der Ökonom Olivier Blanchard ist ein geachteter Experte. Er ist Senior Fellow am Peterson Institute for International Economics in Washington und emeritierter Professor für Volkswirtschaft am renommierten Massachusetts Institute of Technology, das so genannte „MIT“, wo er lange Jahre lehrte. Er war Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF). Er sieht das Giga-Hilfspaket Präsident Joe Bidens mit gemischten Gefühlen. Und er ist dabei nicht allein.
Sogar eingefleischten linksliberalen Keynesianern ist eine solche Summe unheimlich.
Sie sehen, dass die bisherigen Corona-Finanzhilfen, die unter Präsident Trump geflossen sind, kaum ausgegeben worden sind. Die Amerikaner haben diese Zahlungen meistens gespart nach dem Motto „wer weiß, was noch kommt“. Die persönliche Sparquote, die langfristig im Durchschnitt in den USA bei unter zehn Prozent liegt, stieg zeitweise auf 33 Prozent. Wenn jetzt noch einmal größere Summen ausgeschüttet werden und gleichzeitig die Gefühlslage der Amerikaner in Richtung, „wir haben das Schlimmste hinter uns, jetzt geht’s aufwärts“ dreht, dann könnte es durchaus zu größerem Geldausgeben kommen und die Konjunktur überhitzen. Das Geld würde viel zu schnell und zu viel in den Markt gedrückt.
Das Produktionspotenzial der US-Wirtschaft ist nicht weit unterfordert. Laut Berechnungen des IWF soll es eine Produktionslücke von nur 1,5% geben. Wenn der Historiker Niall Ferguson der Stanforder Universität recht hat, würde das bedeuten, dass eine riesige Menge aufgesparten und von Staat zugeschossenes Geld in die Wirtschaft fließt. „Es wird eine Einkaufstour gigantischen Ausmaßes geben“, prophezeit der Wirtschaftshistoriker. Aber das Angebot wäre schnell vergriffen, weil nicht genügend Produkte da sind. Das bedeutet eine Preissteigerung, die sogar noch den Nachbrenner einschalten könnte, wenn die Konsumenten dann das Hamstern beginnen – oder bestimmte Produkte, die sich besonders schnell verteuern, zu „lohnenden Investitionen“ werden.
Auch Mark Zandi, der Chefökonom der Ratingagentur Moody’s fürchtet, dass Präsident Biden sich verhoben hat:
„Der ‚Output Gap‘, also die Lücke zwischen der tatsächlichen und der potenziell möglichen Wirtschaftsleistung, liegt in den USA im Moment zwischen vier und fünf Prozent. Bidens Vorschlag hat ein Volumen, das doppelt so groß ist. Die Gefahr ist, dass der amerikanische Konjunkturmotor überhitzt und es zu steigenden Zinsen und Inflationsraten kommt.“
Oliver Blanchard hat dieselben Sorgen:
„Die Schlüsselfrage ist: Wie groß ist die Nachfragelücke, die sich durch die Krise aufgetan hat, weil die Haushalte weniger Geld ausgegeben und die Unternehmen weniger investiert haben? (…) Die Leute werden das Geld ausgeben, vor allem diejenigen, denen es schlecht geht. Hinzu kommt, dass die Haushalte im vergangenen Jahr deutlich mehr Geld angespart haben als normalerweise üblich. (…) Wenn sich die wirtschaftliche Lage bessert, die Einschränkungen aufgehoben und der Optimismus zunimmt – und Anzeichen dafür sehen wir bereits jetzt in den USA –, dann wird auch dieses Geld zumindest teilweise ausgegeben werden. Diesen Betrag muss man dann zu den 3.000 Milliarden hinzuaddieren.“
Auch er sieht, dass die Amerikaner sehr bald wieder zu ihrer traditionellen Konsumfreude zurückkehren, sobald die Krise als überwunden gilt. Was dann passiert, beschreibt er so:
„Meine Befürchtung ist, dass die Wirtschaft zu heiß läuft: Die Arbeitslosigkeit geht so stark zurück, dass es nicht mehr genug Arbeitskräfte gibt, die bereit sind, eine Stelle anzunehmen. Dann steigen die Löhne, die Unternehmen müssen die Preise ihrer Waren anheben, um die höheren Lohnkosten aufzufangen, und im Ergebnis zieht die Inflation an. Dann muss die Notenbank Federal Reserve mit höheren Zinsen reagieren.“
Das aber würde wiederum das Wachstum einbremsen, insbesondere das schon lange schwärende, private Überschuldungsproblem in den Staaten virulent werden lassen.
Niall Fergusson formuliert es drastischer:
„Die schnelle Entwicklung der Impfstoffe wird dafür sorgen, dass die Pandemie Ende nächsten Jahres in den meisten Orten der Welt Geschichte ist“, sagte Ferguson, der in Stanford lehrt, im Interview mit dem Handelsblatt. ‚Und dann setzt die kollektive Amnesie ein, durch die wir auch frühere Pandemien schnell vergessen haben.‘“
Auch diesseits des großen Teiches reiben sich Unternehmen schon die Hände. Ein Teil dieses riesigen Konjunkturprogramms wird wahrscheinlich in Deutschland landen. Die USA sind das wichtigste Exportland zum Beispiel für Maschinen, denn die USA haben fast keine eigene Maschinenbauindustrie. Und genau das war immer eine der deutschen Stärken und Qualifikationen.
Ulrich Ackermann, der beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau für die Beobachtung der Außenwirtschaft zuständig ist sieht wieder bessere Zeiten für deutsche Zulieferer kommen: „Als wichtige Zulieferer werden deutsche Unternehmen indirekt von dem Corona-Hilfspaket profitieren.“
Deutsche Firmen sehen in der mit Macht in den USA vorangetriebenen Impfkampagne eine Chance: Spezialmaschinen zur Herstellung und Abfüllung von Impfstoffen dürften ein deutscher Exportschlager werden. Auch solche deutschen Unternehmen, die in den USA Produktionstandorte haben, werden auf diese Weise profitieren. So hat die deutsche Siemens in den USA 40.000 Mitarbeiter.
Nach Berechnungen von Jens Ulbrich, dem Chefvolkswirt der Bundesbank, wird das Wirtschaftswachstum in Deutschland durch das Biden-Programm in diesem Jahr um 0,3 Prozentpunkte wachsen.
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