Freiheit oder Staatsschulden

Vor dem Hin­ter­grund der restrik­tiven Anti-Corona-Mass­nahmen werden die Rufe nach einer Aus­weitung staat­licher Hilfs­gelder immer ­lauter. Die gespro­chenen Mittel haben ­Dimen­sionen ange­nommen, die es unaus­weichlich machen, die staat­liche Ver­schuldung zu erhöhen. Oft wird darauf hin­ge­wiesen, dass die Schweiz in dieser Hin­sicht dank der Schul­den­bremse noch einen relativ grossen Hand­lungs­spielraum habe. Das mag richtig sein. Doch sollte sie ihn tat­sächlich auch nutzen?

(von Olivier Kessler)

Die belieb­teste Argu­men­tation für die Aus­weitung der Staats­schulden lautet fol­gen­der­massen: Der Staat müsse Schulden auf­nehmen, um damit die Wirt­schaft anzu­kurbeln. Wenn der Wirt­schafts­motor wieder brummt, könne der Staat dann seine Schulden aus dem erhöhten Steu­er­ein­kommen zurück­zahlen. Doch wenn man sich in der Praxis nach Bei­spielen umschaut, wo dieses angeb­liche Patent­rezept auf­ge­gangen ist, wird man kaum irgendwo fündig: Die wenigsten poli­ti­schen Herr­scher sind gewillt, in wirt­schaftlich rosigen Zeiten ihre Schulden abzu­stottern, weil sie sich so stärker zurück­nehmen und weniger Wahl­ge­schenke ver­teilen könnten.

Gefähr­liche Schulden

Bereits Adam Smith warnte sei­nerzeit schon vor einer Auf­blähung der staat­lichen Ver­schuldung: «Haben Staats­schulden eine über­mässige Höhe erreicht, so ist […] kaum ein ein­ziges Bei­spiel vor­handen, dass sie ehrlich und voll bezahlt worden wären». In der Tat ist die Geschichte — auch die neuere — voll von Anschau­ungs­ma­terial, das zeigt, dass Volks­wirt­schaften immer wieder an zu hohen Schulden zugrunde gehen. Allein seit 1980 kam es weltweit zu 90 Insol­venzen von 73 ver­schie­denen Staaten.

Solche Staats­bank­rotte haben meist fatale Folgen: Bei den vom Inter­na­tio­nalen Wäh­rungs­fonds (IWF) unter­suchten Staats­pleiten zwi­schen 1998 und 2005 mussten die Gläu­biger oftmals einen hohen Teil ihrer For­de­rungen abschreiben — 2001 in Argen­tinien bei­spiels­weise 73% und 1998 in Russland 82%. Da es sich bei den Gläu­bigern zum grossen Teil um Banken und insti­tu­tio­nelle Anleger handelt, gerät auf­grund dieser Kre­dit­aus­fälle die ganze Volks­wirt­schaft ins Wanken: Ban­ken­krise, Finanz­krise, Wirt­schafts­krise, Arbeits­lo­sigkeit, tau­melnde Alters­vor­sorge- und Ver­si­che­rungs­in­stitute, Kürzung oder Strei­chung staatlich ver­spro­chener Sozi­al­leis­tungen — das ganze Pro­gramm eben.

Am Ende dieser Kaskade steht dann eine «Wäh­rungs­reform», die im Grunde genommen gar keine Reform ist, wie der Ökonom Roland Baader treffend bemerkte:

Nichts wird refor­miert, weder der Aus­ga­benwahn des Staates noch die Kum­panei der Notenbank mit den Poli­tikern, weder die ver­ant­wor­tungslose pole­mische Raserei der Gewerk­schaften und Inter­es­sen­ver­bände noch die unbe­grenzte Neid- und Bestechungs­men­ta­lität der Bürger. Es wird nur etwas defor­miert, nämlich das Ver­mögen der Bürger.

Dieser Vorgang läuft — wenn auch in unter­schied­lichem Tempo — immer wieder ähnlich ab: Zunächst wird die Bevöl­kerung auf dem Weg der Besteuerung mehr und mehr aus­ge­presst, bis der Punkt erreicht ist, wo weitere Steuer- und Abga­ben­er­hö­hungen zu einer Ver­rin­gerung der Steu­er­ein­nahmen führen oder auf zu grossen Wider­stand der fis­ka­lisch Aus­ge­beu­teten stossen.

Dann kommt immer mehr die Geheim­waffe der Politik zum Zug: Die Aus­weitung der Staats­ver­schuldung und die unein­ge­schränkte Aus­dehnung der Geld­menge, um die Zinsen und damit die Kosten der Ver­schuldung künstlich tief zu halten. Diese heim­liche Ent­eignung wird dann so lange prak­ti­ziert, bis es schliesslich der hin­terste und letzte auf schmerz­volle Weise gemerkt hat, welches Spiel gespielt wird. Es folgt die Ent­eignung der Gläu­biger zur rest­losen Tilgung der Staats­schulden, die dann als «Wäh­rungs­reform» ver­kauft wird. Anschliessend beginnt dieses grausame Spiel auf dem Buckel der Bevöl­kerung von neuem.

Staats­schulden bringen jedoch nicht nur wirt­schaft­liche Pro­bleme mit sich, sondern führen auch zu einer Aus­höhlung der Freiheit und der Soli­da­rität. Der Staat braucht jeweils nur dann Schulden auf­zu­nehmen, wenn er sich selbst über­nimmt und seine Akti­vi­täten nicht durch die regu­lären Steu­er­ein­nahmen decken kann. Eine grössere Staats­ver­schuldung ist gleich­be­deutend mit einem vom Steu­er­zahler unge­wollten Staats­wachstum und einer Aus­weitung der poli­ti­schen Akti­vi­täten auf Kosten pri­vater, markt­wirt­schaft­licher und zivil­ge­sell­schaft­licher Lösungen.

Während der staat­liche Leviathan bedenk­liche Macht akku­mu­liert und sich in immer mehr Lebens­be­reiche mit immer neuen Ver­boten und Regu­lie­rungen ein­mischt, redu­ziert sich gleich­zeitig der Spielraum der indi­vi­du­ellen Freiheit. Alle pro­duk­tiven Akti­vi­täten werden zunehmend von der Büro­kratie erdrückt, und die Abhän­gigkeit der Bürger vom Staat steigt.

Aus­serdem kommt es durch den schul­den­ge­trie­benen Ausbau des Etats ver­mehrt zu einem Gerangel von Son­der­in­ter­essen um die immer üppi­geren Sub­ven­ti­ons­töpfe. Die Grup­pen­ego­ismen haben dann Hoch­kon­junktur: Jede Gruppe hofft ins­geheim, sich unter dem Strich mehr Vor­teile auf Kosten anderer Gruppen zu ergattern, als dass man selbst an Steuern, Abgaben und infla­ti­ons­ge­trie­bener Wert­min­derung schultern muss. Dabei ver­kümmert die soziale Wärme zunehmend, weil die Leute bei der ständig stei­genden Steu­erlast der Meinung sind, bereits genug für das Wohl anderer getan zu haben, obwohl ein Grossteil dieser Gelder irgendwo in den Sümpfen der Büro­kratie versickert.

Zulasten unserer Kinder

Auch die Soli­da­rität zwi­schen den Gene­ra­tionen wird mit der Auf­nahme von Staats­schulden mit Füssen getreten. Denn eine höhere Staats­ver­schuldung bedeutet, dass wir noch mehr Geld aus­geben, das wir noch gar nicht erwirt­schaftet haben. Rück­sichtslos schieben wir damit die Last auf unsere Kinder und Enkel­kinder, die sich dann damit her­um­schlagen sollen, dass wir über unseren Ver­hält­nissen gelebt haben. Auch aus ethi­scher Sicht sind Staats­schulden daher abzulehnen.

Es stellt sich nun die Frage, ob die Ent­schei­dungs­träger die Grösse und die Ver­nunft besitzen, sich von der brand­ge­fähr­lichen und kurz­sich­tigen Politik der schul­den­ba­sierten Staats­auf­blähung los­zu­sagen, oder ob sie ignorant oder sogar wis­sentlich Frieden, Freiheit und Wohl­stand aufs Spiel setzen. Obwohl die Schul­den­bremse viele Vor­teile hat, ist sie nicht aus­rei­chend, um unsere Errun­gen­schaften nach­haltig zu sichern. Wir sollten uns schnellst­möglich über zusätz­liche Mecha­nismen Gedanken machen, die uns erlauben, die poli­ti­schen Ver­ant­wor­tungs­träger enger in die Pflicht zu nehmen.

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Olivier Kessler ist Direktor des Libe­ralen Instituts in Zürich und Mit­her­aus­geber des Buchs «Explosive Geld­po­litik. Wie Zen­tral­banken wie­der­keh­rende Krisen verursachen».


Quelle: misesde.org