Seit Jahrzehnten schwären die Missbrauchsskandale an Kindern und Jugendlichen und die dunklen Finanzpraktiken; seit Jahrzehnten wird vertuscht, gemauert, gelogen und gemordet in der katholischen Kirche. Nachdem nun das Vertuschen nicht mehr hilft, die Kirchenaustritte immer weiter zunehmen und die Opfer in den Medien eine gewaltige Stimme erhalten haben, wird das kircheninterne Strafrecht verschärft.
Seit Jahrhunderten ist die Geschichte der katholischen Kirche mit Gewalt, Blut, Folter, Intrigen, Geldgier und Missbräuchen behaftet. Von den Gewalttaten der Kreuzzüge, der Verfolgung und Verbrennung der „Ketzer“, die Folter der Inquisiton und Hexenverbrennung, das grausame Wüten unter den christlichen, europäischen Besatzern an den Ureinwohnern in Nord- Mittel- und Südamerika, die tödlichen Intrigen innerhalb der Kirche um Macht, Geld und Einfluss bis zu den Winkelzügen der Finanzmacht „Vatikan“ – die katholische Kirche hat das alles über mehr als tausend Jahre bis vor wenigen Jahrzehnten fast unbeschadet überstanden.
Einer der ersten, aufsehenerregenden und öffentlich gewordenen Finanzskandale war die Geschichte um Erzbischof Paul Casimir Marcinkus und die Vatikanbank in den 1980er Jahren. Da baumelte ein Bankpräsident Calvi am Henkersseil mit Ziegelsteinen in der Tasche plötzlich unter der Blackfriars Bridge in London. Seine Sekretärin stürzte am selben Tag in Mailand aus dem Fenster, ein mit Marcinkus befreundeter Rechtsanwalt starb im Gefängnis an Zyankalivergiftung, 200 Geisterbanken waren gegründet worden und eine echte Bank, von Erzbischof Marcinkus und Calvi gegründet und verwaltet, war in Geldwäschegeschäfte verstrickt, die aus lateinamerikanischen Kokaingeschäften stammten. Sowas fällt kaum einem Kriminalromanschreiber ein. Es wurde sogar verfilmt („Gottes Banker“).
Dass das jetzt mit der internen Strafrechtsreform alles anders werden soll … nun ja, die Kirche hat viel mit „Glauben“ zu tun.
Die angekündigte Reform des Buches VI des „Codex Iuris Canonici“ (CIC) tritt am 8. Dezember 2021 in Kraft. Den Reformen zufolge sollen dann Delikte wie Missbrauch, Verletzung der Aufsichtspflicht und finanzielle Straftaten exakt definiert und schärfer bestraft werden. Papst Franziskus hat diese Verfügung, eine „Apostolische Konstitution“, bereits unterschrieben. Wie immer begleiten salbungsvolle Worte solche Vorgänge, und so steht über dem wohlgesetzten Text, der den Gottesmännern nahebringen soll, dass auch sie nicht einfach machen dürfen, wonach ihnen der Sinn und andere Körperteile stehen. Unter der Überschrift „Pascite Gregem Dei – Weidet die Herde Gottes!“ steht also zu lesen:
„All das vorausgesetzt, promulgieren wir mit dieser Apostolischen Konstitution den erneuerten Text des Buches VI des Codex des kanonischen Rechtes, so wie er geordnet und überarbeitet wurde, in der Hoffnung, dass er zu einem Instrument für das Heil der Seelen wird und dass seine Vorschriften, wenn es erforderlich ist, von den Hirten in Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in die Praxis umgesetzt werden, im Bewusstsein, dass es zu ihrem Dienst gehört, als Pflicht der Gerechtigkeit – einer herausragenden Kardinaltugend – Strafen dann zu verhängen, wenn es das Wohl der Gläubigen erforderlich macht.“
Im kirchlichen Strafrecht selbst wird jetzt exakter und strenger geurteilt. Bisher, so in der Apostolischen Konstitution erläutert, habe es ein „falsches Verständnis“ von Barmherzigkeit gegeben. Das habe – so der Erzbischof Filippo Iannone, der Leiter des Rates für Gesetzestexte im Vatikan bei der Vorstellung des neuen Testes – ein „Klima übermäßiger Laxheit genährt“.
Anders als zuvor, können die Kirchenfürsten in Zukunft nicht mehr frei entscheiden, ob sie Vergehen, so sie nachgewiesen sind, bestrafen, weitermelden oder „Barmherzigkeit walten lassen“. Und der staunende Laie erfährt jetzt so nebenbei, dass sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche bisher nur „ein Verstoß gegen die Zölibatspflicht“ war. Damit spielte, rechtsphilosophisch gedacht, der missbrauchte Mensch gar keine Rolle, es war eben nicht mehr als das Mittel zum Verstoß gegen eine interne, religiöse Regel. Da hatte halt der „gute Hirte“ der „Herde Gottes“ mal eines der Herdentiere nicht sachgerecht benutzt.
Ab jetzt hat das Opfer selbst eine Identität und einen Menschenwert und der Missbrauch wird jetzt erst eine Straftat gegen „Leben, Würde und Freiheit des Menschen“. Mit dieser neuen Einordnung wolle man der Schwere der Vergehen besser gerecht werden, so Erzbischof Iannone.
Aber immer noch betrachtet man offenbar im Vatikan die Missbräuche irgendwie als menschlich verständliches Versagen. So schreibt Papst Franziskus in der Apostolischen Konstitution im ersten Absatz: Der Bischof und Hirte sei auch dazu berufen, aus Liebe und Barmherzigkeit und als Vater einzuschreiten, aber auch „durch Rat, Zuspruch, Beispiel, aber auch in Autorität und heiliger Vollmacht (Lumen gentium, Nr. 27), da es die Liebe und die Barmherzigkeit erforderlich machen, dass ein Vater sich auch bemüht, das wieder geradezubiegen, was manchmal krumm wird.“
Ab Dezember ist auch der Besitz und die Verbreitung von pornografischen Darstellungen Minderjähriger und der Missbrauch von Amtsautorität bei sexuellen Vergehen gegen volljährige Untergebene strafbar. Auch Priester, die Urteile oder Strafdekrete einfach nicht umsetzen oder Anzeigen nicht weitergeben innerhalb der kirchlichen Zuständigkeiten, sondern in der Schublade verschwinden lassen, werden zukünftig bestraft – zumindest den Texten nach. Allerdings gibt es jetzt im kirchlichen Strafrecht die Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld (can. 1321 §1) . Dieser Rechtsgrundsatz ist im „weltlichen“ Strafrecht einer der wichtigsten Grundsätze, schon seit Römerzeiten. Erstaunlicherweise nicht in der katholischen Kirche. Nun halten also auch Grundsätze des römischen Rechts nach zweitausend Jahren Einzug in den Codex Iuris Canonici.
Haftstrafen gibt es im kanonischen Recht aber nicht. Kirchliche Gerichte können Amtsträger ihres Amtes entheben, ihnen bestimmte Aufgaben entziehen und als Höchststrafe den Täter aus dem Klerikerstand entfernen.
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