Bildmontage: Niki Vogt, Hintergrundbild: Wikimedia commons, Raimond Spekking, Bildlizenz: CC BY-SA 4.0, Bild Corpus Iuris Canonici, wikimedia Commons via Flickr.com, Bildlizenz: CC VON 2.0

Späte Reaktion: Katho­lische Kirche ver­schärft ihr Straf­recht bei Sexual- und Finanzdelikten

Seit Jahr­zehnten schwären die Miss­brauchs­skandale an Kindern und Jugend­lichen und die dunklen Finanz­prak­tiken; seit Jahr­zehnten wird ver­tuscht, gemauert, gelogen und gemordet in der katho­li­schen Kirche. Nachdem nun das Ver­tu­schen nicht mehr hilft, die Kir­chen­aus­tritte immer weiter zunehmen und die Opfer in den Medien eine gewaltige Stimme erhalten haben, wird das kir­chen­in­terne Straf­recht verschärft.

Seit Jahr­hun­derten ist die Geschichte der katho­li­schen Kirche mit Gewalt, Blut, Folter, Intrigen, Geldgier und Miss­bräuchen behaftet. Von den Gewalt­taten der Kreuzzüge, der Ver­folgung und Ver­brennung der „Ketzer“, die Folter der Inqui­siton und Hexen­ver­brennung, das grausame Wüten unter den christ­lichen, euro­päi­schen Besatzern an den Urein­wohnern in Nord- Mittel- und Süd­amerika, die töd­lichen Intrigen innerhalb der Kirche um Macht, Geld und Ein­fluss bis zu den Win­kel­zügen der Finanz­macht „Vatikan“ – die katho­lische Kirche hat das alles über mehr als tausend Jahre bis vor wenigen Jahr­zehnten fast unbe­schadet überstanden.

Einer der ersten, auf­se­hen­er­re­genden und öffentlich gewor­denen Finanz­skandale war die Geschichte um Erz­bi­schof Paul Casimir Mar­cinkus und die Vatik­anbank in den 1980er Jahren. Da bau­melte ein Bank­prä­sident Calvi am Hen­kersseil mit Zie­gel­steinen in der Tasche plötzlich unter der Black­friars Bridge in London. Seine Sekre­tärin stürzte am selben Tag in Mailand aus dem Fenster, ein mit Mar­cinkus befreun­deter Rechts­anwalt starb im Gefängnis an Zyan­ka­li­ver­giftung, 200 Geis­ter­banken waren gegründet worden und eine echte Bank, von Erz­bi­schof Mar­cinkus und Calvi gegründet und ver­waltet, war in Geld­wä­sche­ge­schäfte ver­strickt, die aus latein­ame­ri­ka­ni­schen Koka­in­ge­schäften stammten. Sowas fällt kaum einem Kri­mi­nal­ro­man­schreiber ein. Es wurde sogar ver­filmt („Gottes Banker“).

Dass das jetzt mit der internen Straf­rechts­reform alles anders werden soll … nun ja, die Kirche hat viel mit „Glauben“ zu tun.

Die ange­kün­digte Reform des Buches VI des „Codex Iuris Canonici“ (CIC) tritt am 8. Dezember 2021 in Kraft. Den Reformen zufolge sollen dann Delikte wie Miss­brauch, Ver­letzung der Auf­sichts­pflicht und finan­zielle Straf­taten exakt defi­niert und schärfer bestraft werden. Papst Fran­ziskus hat diese Ver­fügung, eine „Apos­to­lische Kon­sti­tution“, bereits unter­schrieben. Wie immer begleiten sal­bungs­volle Worte solche Vor­gänge, und so steht über dem wohl­ge­setzten Text, der den Got­tes­männern nahe­bringen soll, dass auch sie nicht einfach machen dürfen, wonach ihnen der Sinn und andere Kör­per­teile stehen. Unter der Über­schrift „Pascite Gregem Dei – Weidet die Herde Gottes!“ steht also zu lesen:

„All das vor­aus­ge­setzt, pro­mul­gieren wir mit dieser Apos­to­li­schen Kon­sti­tution den erneu­erten Text des Buches VI des Codex des kano­ni­schen Rechtes, so wie er geordnet und über­ar­beitet wurde, in der Hoffnung, dass er zu einem Instrument für das Heil der Seelen wird und dass seine Vor­schriften, wenn es erfor­derlich ist, von den Hirten in Gerech­tigkeit und Barm­her­zigkeit in die Praxis umge­setzt werden, im Bewusstsein, dass es zu ihrem Dienst gehört, als Pflicht der Gerech­tigkeit – einer her­aus­ra­genden Kar­di­nal­tugend – Strafen dann zu ver­hängen, wenn es das Wohl der Gläu­bigen erfor­derlich macht.“

Im kirch­lichen Straf­recht selbst wird jetzt exakter und strenger geur­teilt. Bisher, so in der Apos­to­li­schen Kon­sti­tution erläutert, habe es ein „fal­sches Ver­ständnis“ von Barm­her­zigkeit gegeben. Das habe – so der Erz­bi­schof Filippo Iannone, der Leiter des Rates für Geset­zes­texte im Vatikan bei der Vor­stellung des neuen Testes – ein „Klima über­mä­ßiger Laxheit genährt“.

Anders als zuvor, können die Kir­chen­fürsten in Zukunft nicht mehr frei ent­scheiden, ob sie Ver­gehen, so sie nach­ge­wiesen sind, bestrafen, wei­ter­melden oder „Barm­her­zigkeit walten lassen“. Und der stau­nende Laie erfährt jetzt so nebenbei, dass sexu­eller Miss­brauch in der katho­li­schen Kirche bisher nur „ein Verstoß gegen die Zöli­bats­pflicht“ war. Damit spielte, rechts­phi­lo­so­phisch gedacht, der miss­brauchte Mensch gar keine Rolle, es war eben nicht mehr als das Mittel zum Verstoß gegen eine interne, reli­giöse Regel. Da hatte halt der „gute Hirte“ der „Herde Gottes“ mal eines der Her­den­tiere nicht sach­ge­recht benutzt.

Ab jetzt hat das Opfer selbst eine Iden­tität und einen Men­schenwert und der Miss­brauch wird jetzt erst eine Straftat gegen „Leben, Würde und Freiheit des Men­schen“. Mit dieser neuen Ein­ordnung wolle man der Schwere der Ver­gehen besser gerecht werden, so Erz­bi­schof Iannone.

Aber immer noch betrachtet man offenbar im Vatikan die Miss­bräuche irgendwie als menschlich ver­ständ­liches Ver­sagen. So schreibt Papst Fran­ziskus in der Apos­to­li­schen Kon­sti­tution im ersten Absatz: Der Bischof und Hirte sei auch dazu berufen, aus Liebe und Barm­her­zigkeit und als Vater ein­zu­schreiten, aber auch „durch Rat, Zuspruch, Bei­spiel, aber auch in Auto­rität und hei­liger Voll­macht (Lumen gentium, Nr. 27), da es die Liebe und die Barm­her­zigkeit erfor­derlich machen, dass ein Vater sich auch bemüht, das wieder gera­de­zu­biegen, was manchmal krumm wird.“

Ab Dezember ist auch der Besitz und die Ver­breitung von por­no­gra­fi­schen Dar­stel­lungen Min­der­jäh­riger und der Miss­brauch von Amts­au­torität bei sexu­ellen Ver­gehen gegen voll­jährige Unter­gebene strafbar. Auch Priester, die Urteile oder Straf­de­krete einfach nicht umsetzen oder Anzeigen nicht wei­ter­geben innerhalb der kirch­lichen Zustän­dig­keiten, sondern in der Schublade ver­schwinden lassen, werden zukünftig bestraft – zumindest den Texten nach. Aller­dings gibt es jetzt im kirch­lichen Straf­recht die Unschulds­ver­mutung bis zum Beweis der Schuld (can. 1321 §1) . Dieser Rechts­grundsatz ist im „welt­lichen“ Straf­recht einer der wich­tigsten Grund­sätze, schon seit Römer­zeiten.  Erstaun­li­cher­weise nicht in der katho­li­schen Kirche. Nun halten also auch Grund­sätze des römi­schen Rechts nach zwei­tausend Jahren Einzug in den Codex Iuris Canonici.

Haft­strafen gibt es im kano­ni­schen Recht aber nicht. Kirch­liche Gerichte können Amts­träger ihres Amtes ent­heben, ihnen bestimmte Auf­gaben ent­ziehen und als Höchst­strafe den Täter aus dem Kle­ri­ker­stand entfernen.