Der grüne Fron­tal­an­griff auf das Landleben

Das Vor­urteil, die Grünen von heute seien im Grunde nichts anderes mehr als eine wohl­ständige urbane Elite mit Hang zur Bes­ser­wis­serei und Volks­er­ziehung und würde sich vor­wiegend aus Ver­waltung und Campus rekru­tieren (also aus staats­ab­hän­giger Beschäf­tigung und einer aka­de­mi­schen Elite, die auf dem regu­lären Arbeits­markt nie tätig war), hat mitt­ler­weile einige Mühe, nur als Vor­urteil zu gelten. Der Versuch der grünen Spit­zen­kraft Baerbock, sich mit frag­wür­digen aka­de­mi­schen Meriten bei poten­zi­ellen Wählern als „eine von uns“ dar­zu­stellen, spricht Bände. Die Grünen sind eben in Gänze nicht „Schweine, Hühner, Kühe melken“, sondern defi­nieren sich heute eher „vom Völ­ker­recht her“, weshalb fast allen grünen Poli­tik­felder im Zusam­men­wirken nichts anderes als ein Fron­tal­an­griff auf den soge­nannten „länd­lichen Raum“ sind.

Der Pro­gramm­entwurf der Grünen ist noch im Ent­wurfs­stadium und dies darf noch als Ausrede dafür gelten, dass medial nur wenig Reibung daran statt­findet. Dass der Par­teitag vom 11.–13.6. aber die großen Linien ändern wird, darf als aus­ge­schlossen gelten.

Hier bestellen!

Annalena Baerbock stolpert unter­dessen durch die deut­schen Medien und hin­ter­lässt dort nicht nur Spott und pein­liche Zitate, sondern zeigt auch immer wieder die Peitsche, mit der die Grünen nach gewon­nener Wahl zur Züch­tigung des CO2 emit­tie­renden Landes schreiten wollen – natürlich nur zu unser aller Wohl und auf unseren aus­drück­lichen Wunsch! Schließlich heißt es schon im ersten Satz des mit „Eine Ein­ladung“ über­schrie­benen Programmentwurfs:

„…durch Wahlen ent­scheidet eine Gesell­schaft, wer sie sein will.“

Da würde ich doch vor der Wahl gern noch das „Safeword“ erfahren. Aber kon­zen­trieren wir uns auf die Pläne, die die Grünen für den „länd­lichen Raum“ haben, die in meinen Augen in der Kon­se­quenz die geballte Ver­achtung für alles zeigen, was an Lebens­ent­würfen und Rea­li­täten jen­seits der Städte exis­tiert. Dabei klafft eine große Lücke zwi­schen Gesagtem und Gemeintem, denn nähme man das schriftlich dar­ge­legte für bare Münze, müssten vom öko­be­wegten Lang­zeit­stu­denten auf Gender-Lehramt bis zum die­sel­fah­renden und Fleisch aus Mas­sen­tier­haltung essenden Arbeiter im Braun­koh­le­ta­gebau alle zu den Gewinnern grüner Politik zählen – was defi­nitiv nicht der Fall ist. Wer Par­tei­pro­gramme lesen kann, der kennt natürlich die Neigung, allen alles zu ver­sprechen – den einen glän­zenden Geschäfte und Sub­ven­tionen und dem anderen eben „learn to code“.

Viel­leicht funk­tio­niert diese grüne Ver­spre­chen­sorgie in der Stadt, ich weiß es nicht. Auf dem Land reicht der Blick aber viel­leicht etwas weiter und wenn bei­spiels­weise dem Schwei­ne­züchter die Erwei­terung seiner Ställe und der idyl­li­schen Orts­randlage bessere Luft ver­sprochen würde, wider­spräche sich das eben sehr offen­sichtlich und man ver­scherzt es sich am Ende mit beiden Wählergruppen.

Angriff an drei Fronten

Min­destens drei The­men­felder sind es, die eng mit­ein­ander ver­zahnt sind und im grünen Krieg gegen die Rea­lität des „länd­lichen Raums“ eine wichtige Rolle spielen: Land­wirt­schaft, Wohnen und Mobi­lität. Den durch­schnitt­lichen Landwirt nehmen die Grünen ohnehin fast nur noch als Fein­staub­schleuder, Nitrat­quelle, Gift­mi­scher und Zer­störer der Bio­di­ver­sität wahr. Beklagt werden seine Mono­kul­turen, ver­sprochen werden ihm im Pro­gramm­entwurf „viel­fältige Frucht­folgen und die Nutzung robuster Arten“, ganz so, als hätten die Grünen gerade die Drei­fel­der­wirt­schaft erfunden. Man tut so, als wäre all dies nicht schon seit Jahr­hun­derten Praxis und die Land­wirt­schaft irgendwann bei der Erfindung des Pflugs in ihrer Krume stecken geblieben. Ein erheb­licher Teil der Mono­kultur auf unseren Feldern besteht übrigens aus der Ener­gie­pflanze Mais, welche aus­ge­rechnet jene Bio­gas­an­lagen benö­tigen, mit denen unsere künftige Kanz­lerin Baerbock die Grundlast im Netz abdecken möchte, wie sie erst neulich bei Maisch­berger erklärte. Beim Pokern würde ich jetzt meinen Einsatz ver­doppeln und sagen „ich will sehen“.

Eine weitere ihrer Mono­kul­turen möchten die Grünen sogar noch aus­weiten, „Pho­to­voltaik in die Fläche bringen“ heißt es da. Also nicht nur auf jedes Dach (und die meinen wirklich jedes Dach, lesen Sie das Pro­gramm), sondern auch „…neben Auto­bahnen und Schienen auf ver­sie­gelten Flächen, etwa über Park­plätzen und Brachen und auf Kon­ver­sions oder Berg­bau­flächen […] nicht auf wert­vollem Ackerland.“

Ver­gessen wir mal die Park­plätze, sonst muss ich sofort lachen. Aber neben Auto­bahnen und Schienen, auf Brachen und ehe­ma­ligen Berg­bau­flächen befinden sich meist natur­be­lassene oder sogar rena­tu­rierte Flächen. Wenn man denen mit einem Solardach das Regen­wasser abgräbt, ist das viel­leicht keine so gute Idee für Arten­vielfalt und besonders die Insekten, deren Rettung uns die Grünen doch stets ans Herz legen. Bislang gehörte Ackerland auch nicht gerade zu den „wert­volle Flächen“ für Grüne, sondern eben diese Brachen, auf denen die Natur nach Gusto walten kann. Mit einem Dach darüber, das Licht und Wasser abhält, wird das nichts werden. Wie „wertvoll“ Ackerland für die Grünen tat­sächlich ist, zeigt sich an den Plänen zum Ausbau der Windenergie.

„Beim Wind­ausbau gilt es den Kon­flikt mit Natur- und Arten­schutz zu mini­mieren, Anwohner*innen zu schützen und die Ver­fahren zur Geneh­migung zu beschleu­nigen. […] exzessive Min­dest­ab­stände zu Sied­lungen, müssen der Ver­gan­genheit angehören.“ 

Man kann den Kon­flikt mit Natur- und Arten­schutz aber nur mini­mieren, wenn man die Anzahl der Wind­kraft­an­lagen ver­ringert, statt sie zu erhöhen. Fle­der­mäuse, Vögel und Insekten werden sich schlicht nicht an die Anlagen „gewöhnen“, sondern von den Anlagen in Stücke gerissen. Mehr Anlagen, mehr Stücke, weniger Arten­schutz. Solange, bis nichts mehr in Stücke gerissen werden kann. Von der Boden­ver­sie­gelung der tau­sende Tonnen wie­genden Fun­da­mente reden wir hier erst gar nicht.

Auch der Schutz der Anwohner und die Beschleu­nigung der Geneh­mi­gungs­ver­fahren sind unver­einbare Gegen­sätze, weil die Anlagen eben gerade nicht im Interesse der Anwohner errichtet werden. Die Benutzung des Adjektivs „exzessiv“ ist in Zeiten von „Abstand halten“ geradezu eine Unver­schämtheit. Zumal die Anlagen nicht den Städten, sondern stets den Dörfern immer dichter auf die Pelle rücken. So ver­wandelt man immer mehr Acker­fläche in Indus­trie­ge­biete, in denen der Strom pro­du­ziert werden soll (sei es nun mit Mais, Pho­to­voltaik oder durch Wind), der in den Städten gebraucht wird.

Was Wohnen und Mobi­lität angeht, muss man die geplanten grünen Grau­sam­keiten im Zusam­men­spiel betrachten. Es ist ja kein Geheimnis, dass das Eigenheim nicht gerade ein grünes Lieb­lings­projekt ist. Der Flä­chen­ver­brauch sei zu hoch sagen aus­ge­rechnet jene, die zur Errichtung von Wind­parks große Wald­flächen ver­brauchen. Dass das Ein­fa­mi­li­enhaus sich dennoch immer noch großer Beliebtheit erfreut, liegt sicher nicht an den nicht ganz bol­zen­festen Eigen­tums­rechten, den Bau­kosten und den Bau­vor­schriften hier­zu­lande. Es muss also etwas mit der Lebens­qua­lität und dem Wunsch zu tun haben, sein Leben ganz generell selbst­be­stimmter, freier und in gewissem Abstand zu anderen Men­schen (zum eigenen und zu dessen Nutzen) zu gestalten. Dass der Staat dabei so wenig mit­zu­reden hat wie bei keiner anderen Wohnform, ist den Grünen ein Dorn im Auge. Doch man ist ja nicht dumm, man baut dem Wähler Gedan­ken­brücken, die nur leider nicht sehr trag­fähig sind:

„Das Auto ist für viele Men­schen im länd­lichen Raum unver­zichtbar und gerade für viele Familien im länd­lichen Raum kaum weg­zu­denken. Dort setzen wir deshalb an erster Stelle auf die Chancen der Antriebs­wende. Das E‑Auto ist ins­be­sondere im Paket mit Solar­an­lagen auf dem Dach, einem Strom­speicher im Keller und einer Wallbox in der Garage eine zukunfts­fähige Lösung, die wir gerade im länd­lichen Raum aus­bauen wollen.“

Klingt gut, oder? Das Auto ist gerettet! Natürlich nicht in der Stadt, denn da ist es ja ver­zichtbar. Für alle meine Leser, die nicht auf dem Dorf, sondern in der Stadt leben, haben die Grünen anderes im Sinn: „Auto­nomes Fahren, ver­netzte Mobi­li­täts­an­gebote, nutzen statt besitzen.“

Aber auch auf dem Land gibt es bald nur noch das E‑Auto. Immerhin: Solar auf dem Dach, Speicher im Keller…der Rea­lismus hält Einzug in grüne Politik. Man weiß sehr wohl, dass das Netz nicht der Speicher ist und dass die beschworene „Antriebs­wende“ zum E‑Auto nicht in der Masse funk­tio­niert. Man möchte für die Ener­gie­ver­sorgung der Elek­tro­autos auf dem Land auf halb­au­tonome Lösungen setzen, weil man ganz genau weiß, dass die Netze – egal in welcher Aus­bau­stufe – es nicht ver­kraften würden, wenn zwi­schen 18 Uhr und 6 Uhr Mil­lionen Elek­tro­autos ihre Bat­terien auf­laden. Diese Insel­lö­sungen sind nicht beliebig ska­lierbar, die Lade­leistung schwankt mit dem Wetter, die Kosten sind hoch und da ist ja noch ein anderer Kampf­be­griff (um nicht zu sagen Kem­fert­be­griff) der Grünen Welt­retter: die Sek­tor­kopplung. Für der Kopplung von Strom­ver­sorgung und Verkehr bedeutet dies zum Bei­spiel, dass der geladene Akku im Auto im Bedarfsfall auch Energie ins Netz speisen muss. Pech hat, wer dann gerade los­fahren will. Auto, Smart­meter und Alexa sagen dann viel­leicht „es gibt wich­ti­geres, übe Ener­gie­soli­da­rität, bleib im Homeoffice!“.

Besser wäre es also, und das ist das eigent­liche Ziel der Grünen, wenn man auf indi­vi­duelle Mobi­lität gleich ganz ver­zichtet und auf den ÖPNV umsteigt. Das Par­tei­pro­gramm ist voll von dies­be­züg­lichen Ankün­di­gungen neuer Seg­nungen, gerade für den länd­lichen Raum. Glaubhaft ist davon wenig, weil viel zu teuer. Zum Bei­spiel, wenn die Reak­ti­vierung still­ge­legter (und teil­weise seit Jahr­zehnten abge­ris­sener) Bahn­strecken ver­sprochen wird. Allein die Planung würde Jahr­zehnte dauern und käme zur ange­peilten Welt­rettung bis 2040 sicher zu spät.

„Wir wollen den Wechsel zu Fahrrad, Bus und Bahn für alle möglich machen und auch finan­ziell fördern. Deshalb wollen wir mit dem Mobilpass auch attraktive Tarife und Sozi­al­tarife fördern. Ein Haushalt, der sein Auto dau­erhaft abmeldet, soll zudem für ein Jahr eine Mobi­li­täts­prämie für die Nutzung umwelt­freund­licher Ver­kehrs­mittel bekommen.“

Die aus­ge­lobte Mobi­li­täts­prämie ist nichts anderes als die För­derung der Land­flucht jener, die sich die teure neue Elek­tro­mo­bi­lität und den Sanie­rungs­zwang für Immo­bilien nicht mehr leisten können. In der Stadt nähme sie die Abschaffung indi­vi­du­eller Autos per Zwang vorweg. Denn nur in der Stadt macht es über­haupt Sinn, ganz auf das Auto zu ver­zichten und wer im fünften Stock in einer sub­ven­tio­nierten Sozi­al­wohnung lebt, für den sind Lade­infra­struktur, Wallbox und Strom­speicher im Keller ohnehin Kokolores.

Man aner­kennt also die Not­wen­digkeit des Autos auf dem Land, möchte dessen Nutzung per­spek­ti­visch aber so teuer und exklusiv wie nur möglich machen, damit es die Men­schen zurück in die Städte zieht, wo es ÖPNV gibt. Der grüne All­tagsheld fährt dort selbst­ver­ständlich ohnehin nur Fahrrad. Das mag auch jeder machen, der dies will. Aber er sollte es schon frei­willig wollen sollen.

Die an den Schrauben drehen

Das Wort Markt­wirt­schaft kommt im grünen Pro­gramm­entwurf auf 137 Seiten ganze sechsmal vor. Geht man mal mit dem Taschen­rechner durch den Text, fragt man sich natürlich, wo all das Geld her­kommen soll, das unsere künftige grüne Kanz­lerin in ihrer Phan­tasie schon mit vollen Händen aus­ge­geben hat. Besteuern, umver­teilen, fördern, dann noch mehr umver­teilen und besteuern, um mehr fördern zu können. Bestes Bei­spiel ist die gerade in Vor­schlag gebrachte Erhöhung der Ben­zin­preise um 16 Cent, mit der Baerbock durch die Medien tingelte.

Warum gerade 16 Cent? Viel­leicht hat irgendein Kobold das alles aus­ge­rechnet? Viel­leicht klingen in ihren Ohren Liter­preise von 1,80 Euro nach Happy Hour? Viel­leicht ist ihr auch einfach egal, wie die Kran­ken­schwester, der Paketbote oder die Bus­fah­rerin zur Arbeit kommt. Doch auch für das ener­giearme Pre­kariat dafür haben die Grünen eine pas­sende Umver­tei­lungs­antwort: das Ener­giegeld! 75 Euro pro Kopf und Jahr sollen es sein, die „betroffene Familien“ als Segnung aus der Grünen Umver­tei­lungs­ma­schine erhalten sollen. Ein schlechter Witz ange­sichts der bevor­ste­henden Mehr­kosten. Ich bezweifle auch, dass erst eine Bahn­strecke bis hinter jede Fichte gebaut wird, bevor Frau Baerbock die Ben­zin­preise anheben lassen würde, um dem Umstieg auf ÖPNV Nach­druck zu ver­leihen. Der Preis­druck hat keine steu­ernde Wirkung, wenn die Alter­na­tiven zum Auto schlicht fehlen. Zudem darf man annehmen, dass für die Prüfung der „Betrof­fenheit“ eine umfang­reiche Ver­wal­tungs­ma­schine aufs Gleis gesetzt werden wird, die ihrer­seits wieder Energie (und vor allem viel Geld) verbraucht.

Und so soll mit der indi­vi­du­ellen Mobi­li­täts­ent­scheidung der nächste Lebens­be­reich staat­licher Kon­trolle über­stellt werden – zumindest für jene, die von explo­die­renden Preisen und der Ver­kom­pli­zierung ihres Lebens betroffen sind, weil sie nicht über ein gut dotiertes poli­ti­sches Mandat ver­fügen und über die Höhe von Weih­nachtsgeld und Boni selbst bestimmen können und ohne zu über­legen für all die gefor­derten Aus­gleichs­zah­lungen, Ablass­zettel, Schwei­ge­gelder und Zer­ti­fikate blechen zu können. So wie Annalena Baerbock selbst, die zwar gern grillt, aber dann natürlich nur „Grill­kohle mit Zer­ti­fikat“ ver­wendet (hier ab Minute 21:05).

Unter dem Strich würde sich grüne Politik für länd­liche Gegenden als besonders ver­heerend und ein­schneidend erweisen, weil man dort weder auf die Seg­nungen des ÖPNV auf dem Niveau einer Stadt noch an ein auto­freies Paradies oder dessen elek­trische Ableitung hoffen kann. Auch weil man dort in Ein­fa­mi­li­en­häusern wohnt, weil man es eben so will und für diese Freiheit auch längere Wege zur Arbeit in Kauf nimmt, die sich am Ende oft nicht als zeit­auf­wän­diger erweisen als eine Bus-und-Bahn-Odyssee durch Han­nover oder Berlin. Niemand braucht hier auf dem Land die Grünen, schon weil man hier bereits seit Jahr­hun­derten die Äcker mit wech­selnden Frucht­folgen bestellt, ohne dass dies je in einem grünen Par­tei­pro­gramm als der ganz neue heiße Scheiß ver­kündet werden musste.


Quelle: unbesorgt.de