Bahn frei für den Spitzel-Staat

Selbst Behörden, die tra­di­tionell nicht mit der Geheim­dienst­ge­meinde ver­bunden waren, sind nun Teil des wach­senden Regie­rungs­netz­werks aus Spitzeln und Spionen.

(von Jonas E. Alexis, Über­setzung©: Andreas Ungerer) 

August 2021, Veterans Today

Ein­führung von Jonas E. Alexis, Redakteur bei Veterans Today. 

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Jonas E. Alexis:
Was, wenn Sie in einer Welt lebten, in der Rede­freiheit oder auch nur Mei­nungs­freiheit auf­grund einer Infor­ma­ti­onsflut einfach ver­boten ist? Was, wenn Sie von der Gedan­ken­po­lizei bedroht würden, die Ihnen ständig erklärt, dass Sie bestimmte Themen nicht ansprechen dürfen? Wäre das nicht ein klas­si­sches Bei­spiel für die Welt, die George Orwell in 1984 beschreibt?

Sollten Sie George Orwells 1984 bisher noch nicht gelesen haben, ist es noch nicht zu spät dafür, sich eine Ausgabe davon zu besorgen und noch vor dem Ende des Sommers die Haus­aufgabe zu machen.

„Sie sind der Meinung,“ fragt O’Brien seinen Prot­ago­nisten, „dass die Ver­gan­genheit tat­sächlich exis­tiert?“ O’Brien, der Haupt­wi­der­sacher in 1984, ver­achtet Winston dafür, kein „Meta­phy­siker“ zu sein, weil Winston zu lange benötigt, um eine ernst­hafte Frage zu beant­worten. „O’Brien lächelte leise. „Sie sind kein Meta­phy­siker, Winston“, sagte er. „Bis jetzt hatten Sie nie in Betracht gezogen, was mit Existenz gemeint ist.“

Offen­sichtlich stellt O’Brien, der sich als Teil von „Big Brother“ ent­puppt, hier ein immer­wäh­rendes Problem dar, eines, das in weiten Teilen unserer heu­tigen Zeit mit­schwingt. Mit anderen Worten: Wenn ein Mensch die Ver­gan­genheit nicht ver­steht, wird sein Leben phi­lo­so­phisch, intel­lek­tuell und poli­tisch steril sein. Wie der bekannte Schrift­steller George San­tayana zu Beginn des zwan­zigsten Jahr­hun­derts sagte: „Wer sich nicht an die Ver­gan­genheit erinnern kann, ist dazu ver­dammt, sie zu wie­der­holen.“1

„Ich will es deut­licher aus­drücken.“, fährt Brien fort, „Exis­tiert die Ver­gan­genheit konkret – im Raum? Gibt es irgendwo einen Ort, eine Welt greif­barer Dinge, wo die Ver­gan­genheit noch in Erscheinung tritt?“ Winston ant­wortet spontan: „Nein.“

O’Brien fährt fort, seinem Opfer mit dieser belas­tenden Frage eine Falle zu stellen: „Wo exis­tiert die Ver­gan­genheit, wenn über­haupt?“ Win­stons Antwort lautet, dass die Ver­gan­genheit „in Auf­zeich­nungen exis­tiert. Sie ist nie­der­ge­schrieben.“ O’Brien ant­wortet schließlich: „Wir, die Partei, kon­trol­lieren alle Auf­zeich­nungen, und wir kon­trol­lieren alle Erin­ne­rungen. Demnach also kon­trol­lieren wir die Ver­gan­genheit, oder nicht?“2

O’Briens Logik lautet: Wenn die Rea­lität nicht unab­hängig vom mensch­lichen Geist ist, und wenn die Partei den mensch­lichen Geist kon­trol­liert, dann folgt daraus zwangs­läufig, dass die Partei die Rea­lität kon­trol­liert. Das ist ein logisch gül­tiges Argument, das aber nur wahr sein kann, wenn die Aussage wahr ist, dass die Rea­lität nicht unab­hängig vom mensch­lichen Geist exis­tiert. Die grund­le­gende Frage lautet also: Ist die Prä­misse wahr? Gibt es eine objektive Rea­lität der Ver­gan­genheit? Kann die Ver­gan­genheit rigoros und gründlich erforscht werden? Gibt es so etwas wie eine „Gedan­ken­po­lizei“, d.h. Gruppen oder Orga­ni­sa­tionen, die daran inter­es­siert sind, Men­schen dafür zu bestrafen, dass sie meta­phy­sische Fragen bezüglich his­to­ri­schen Ereig­nissen stellen? In jüngster Zeit haben wir gesehen, wie ein bestimmtes Nar­rativ Men­schen in den Wahnsinn treiben kann. Die­selbe Frage müssen wir uns auch bei jedem anderen Nar­rativ stellen: Wie lauten die vor­ge­legten Beweise? Werden die Beweise ver­zerrt, um bestimmte Vor­gaben zu erfüllen? Können Men­schen, die außerhalb des Para­digmas stehen, ihre Ansichten frei äußern, ohne bedroht zu werden?

Wie Sie sehen, leben wir in einer Welt, in der der Unsinn herrscht, und es ist höchste Zeit, dass die Men­schen ihre geis­tigen Res­sourcen nutzen, um den Unsinn auf­zu­decken. Wie aber kann man Unsinn ent­larven, wenn man aus­spio­niert wird? 

John W. Whitehead

Wir werden von einer ein­hei­mi­schen Armee aus Regie­rungs­spitzeln, Spionen und Tech­no­lo­gie­kriegern aus­spio­niert. Diese aus Spannern bestehende Regierung beob­achtet alles, was wir tun, liest alles, was wir schreiben, belauscht alles, was wir sagen und zeichnet all unserer Zah­lungen auf. Achten Sie darauf, was Sie sagen, was Sie lesen, was Sie schreiben, wohin Sie gehen und mit wem Sie kom­mu­ni­zieren, denn all das wird auf­ge­zeichnet, gespei­chert und kata­lo­gi­siert und kann irgendwann gegen Sie ver­wendet werden, und zwar zu einem Zeit­punkt und an einem Ort, den die Regierung bestimmt. Diese weit­rei­chende Über­wa­chung hat den Weg für einen omni­prä­senten, mili­ta­ri­sierten Regie­rungs­zweig geebnet – den Über­wa­chungs­staat –, der ohne jeden Wäh­ler­auftrag oder Ver­fas­sungs­re­fe­rendum ent­standen ist.

Tat­sächlich haben, lange bevor die National Security Agency (NSA) zu der Behörde wurde, die wir so lei­den­schaftlich hassen, das Jus­tiz­mi­nis­terium, das FBI und die Dro­gen­be­kämp­fungs­be­hörde ihre eigene geheime Mas­sen­über­wa­chung an einer ahnungs­losen Bevöl­kerung durch­ge­führt.

Selbst Behörden, die tra­di­tionell nicht mit der Geheim­dienst­ge­meinde ver­bunden waren, sind nun Teil des wach­senden Regie­rungs­netz­werks aus Spitzeln und Spionen.

Nahezu jeder Zweig der Regierung – vom Post­dienst bis zum Finanz­mi­nis­terium und jeder Behörde dazwi­schen – hat jetzt seinen eigenen Über­wa­chungs­sektor, der befugt ist, das ame­ri­ka­nische Volk aus­zu­spio­nieren. Der U.S. Postal Service zum Bei­spiel, der seit 20 Jahren jedes Stück Papierpost von außen foto­gra­fiert, spio­niert auch die Texte, E‑Mails und Social-Media-Posts der Ame­ri­kaner aus. Das Internet Covert Ope­ra­tions Program (iCOP), das von der Straf­ver­fol­gungs­ab­teilung des Post­dienstes geleitet wird, setzt Berichten zufolge Gesichts­er­ken­nungs­tech­no­logie in Kom­bi­nation mit gefälschten Online-Iden­ti­täten ein, um poten­tielle Unru­he­stifter mit „auf­rüh­re­ri­schen“ Bei­trägen auf­zu­spüren. Die Behörde behauptet, dass die Online-Über­wa­chung, die nicht in den kon­ven­tio­nellen Auf­ga­ben­be­reich der Bear­beitung und Zustellung von Papierpost fällt, not­wendig ist, um Post­an­ge­stellten zu helfen, „poten­ziell bri­sante Situa­tionen“ zu vermeiden.

Dann gibt es noch die Zen­tral­stellen- und Ter­ro­ris­mus­be­kämp­fungs­zentren, die alle Daten der klei­neren Regie­rungs­spione – Polizei, Gesund­heits­be­hörden, Ver­kehrs­wesen usw. – sammeln und sie für alle Macht­haber zugänglich machen. Und damit sind wir noch nicht einmal bei der Kom­pli­zen­schaft des Unter­neh­mens­sektors, der uns von der Wiege bis zur Bahre kauft und ver­kauft, bis wir keine Daten mehr haben, nach denen sich zu suchen lohnte.

Jedoch wird nicht nur zurück­ver­folgt, was wir sagen, wohin wir gehen und was wir kaufen. Wir werden bis auf unsere Gene hin über­wacht, dank der potenten Kom­bi­nation aus Hardware, Software und Daten­samm­lungen die unsere Bio­metrie scannt – unsere Gesichter, Iris, Stimmen, Genetik und sogar unseren Gang – und sie durch Com­pu­ter­pro­gramme jagt, welche die Daten in ein­zig­artige „Iden­ti­fi­zie­rungs­merkmale“ her­un­ter­brechen und sie dann der Regierung und ihren Ver­bün­deten aus den Unter­nehmen für deren jewei­ligen Bedürf­nisse anbieten. Auf diese Weise, sind wir nun ahnungslose Zeugen eines unter­ein­ander ver­bun­denen, fest ver­wo­benen, sich tech­no­lo­gisch ent­fal­tendem Netzes von Echtzeit Tür-zu-Tür-Über­wa­chung geworden, welche die durch den Patriot Act der Ver­ei­nigten Staaten her­vor­ge­brachten Spio­na­ge­pro­gramme aus­sehen lassen wie Kin­der­spielzeug. Fusion Center. Wenn Du etwas siehst, sag etwas. Die Waf­fen­kon­troll­ge­setze. Ver­hal­tens­ab­hängige Beur­teilung von Bedro­hungen. Gesichts­er­kennung. Hin­wei­s­te­lefone für Spitzel. Bio­me­trische Scanner. Prä­ventive Ver­bre­chens­be­kämpfung. DNA-Archive. Daten­samm­lungen. Prä­ko­gnitive Tech­no­logie. Kontaktverfolgungs-Apps.

All dies sind wesent­liche Bestand­teile des sich aus­deh­nenden Über­wa­chungs­netzes, das die Regierung zur Aus­weitung ihrer Reich­weite und ihrer Macht nutzt und miss­braucht. Die COVID-19-Pan­demie hat dazu geführt, uns noch mehr daran zu gewöhnen, über­wacht, ver­folgt und wegen soge­nannter abwei­chender oder uner­wünschter Ver­hal­tens­weisen ange­zeigt zu werden.

Folglich leben wir heute in einer Gesell­schaft, in der eine Person einer belie­bigen Anzahl von Ver­brechen beschuldigt werden kann, ohne zu wissen, was genau sie getan hat. Man könnte mitten in der Nacht von einer umher­zie­henden Gruppe von Mit­gliedern eines Son­der­ein­satz­kom­mandos fest­ge­nommen werden. Man könnte sich auf einer Flug­ver­bots­liste wie­der­finden und aus unbe­kannten Gründen nicht reisen dürfen. Es könnte sein, dass unsere Telefone oder unser Internet auf der Grundlage eines geheimen Beschlusses eines geheimen Gerichts abgehört werden, ohne erfahren zu können, warum wir ins Visier genommen wurden.

Dieser kaf­kaeske Alp­traum ist zu Ame­rikas Rea­lität geworden.

Trotz der Tat­sache, dass ihre Daten­schnüf­felei nach­weislich nicht dazu geeignet ist, tat­säch­liche Ter­ror­an­schläge auf­zu­decken, geschweige denn zu ver­hindern, setzt die Regierung ihre inlän­di­schen Spio­na­ge­pro­gramme weit­gehend im Geheimen fort und über­wacht ohne Durch­su­chungs­befehl Hun­derte Mil­lionen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­halte von bspw. Tele­fon­ge­sprächen, E‑Mails und Text­nach­richten der ame­ri­ka­ni­schen Bevölkerung.

Doch der Über­wa­chungs­sektor ist nur ein kleiner Teil einer aus nicht gewählten Büro­kraten bestehenden schat­ten­haften Dau­er­re­gierung, die im Gleich­schritt mit pro­fit­ori­en­tierten Unter­nehmen mar­schieren, welche Washington D.C., in Wahrheit regieren und daran arbeiten, uns unter genauer Beob­achtung und damit unter Kon­trolle zu halten. Google arbeitet bei­spiels­weise offen mit der NSA zusammen, Amazon hat eine riesige, 600 Mil­lionen Dollar teure Geheim­dienst­da­tenbank für die CIA auf­gebaut, und die Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­branche macht einen satten Gewinn, indem sie uns für die Regierung aus­spio­niert.

Jüngst erst hat die Biden-Admi­nis­tration ange­kündigt, even­tuell mit Pri­vat­un­ter­nehmen zusam­men­zu­ar­beiten, um Staats­bürger ohne Gerichts­be­schluss online zu über­wachen. Das wäre jedoch nichts Neues. Große Mengen der digi­talen Über­wa­chung der Regierung sind bereits in Pri­vat­un­ter­nehmen aus­ge­lagert, die deutlich weniger zurück­haltend im Sammeln und Teilen unserer per­sön­lichen Daten sind.

Auf diese Weise macht Cor­porate America durch die Unter­stützung und Hilfe bei den Bemü­hungen der Regierung um eine mili­ta­ri­sierte Inlands­über­wa­chung einen rie­sigen Profit. Die Spitzel-Kultur hat den Über­wa­chungs­staat weiter gestärkt.

Ezra Marcus schreibt für die New York Times schreibt:

„Im ver­gan­genen Jahr reagierte die ame­ri­ka­nische Gesell­schaft auf poli­tische Umwäl­zungen und bio­lo­gische Risiken, indem sie auf eine uralte Taktik zurück­griff, um Regel­brecher in Schach zu halten: das Petzen.“

Diese neue Ära der Über­wa­chung durch Spitzel ist seit 9/11, gemeinsam mit der Selbst­ge­rech­tigkeit eines poli­tisch kor­rekten, tech­no­lo­gisch-ver­drah­teten Zeit­alters, das Lieb­lingskind der Pro­gramme unter dem Motto: „Wenn Sie etwas sehen, sagen Sie es.“

Marcus fährt fort:

„Die Tech­no­logie und unsere anhal­tende Vor­liebe für sie sind ent­scheidend für unsere der­zeitige soziale Über­wa­chung. Das Ver­pfeifen ist nicht nur ein Neben­produkt von Neugier oder Angst, es ist ein tech­no­lo­gi­sches Merkmal, das in die digitale Archi­tektur des Zeit­alters der Pan­demie ein­gebaut ist. .… Die mäch­tigsten Tech­no­lo­gie­un­ter­nehmen der Welt, deren Pro­dukte Sie wahr­scheinlich benutzen, um diesen Beitrag zu lesen, nutzen bereits ein Geschäfts­modell der Mas­sen­über­wa­chung, indem sie Nut­zer­in­for­ma­tionen in einem unvor­stell­baren Ausmaß sammeln und an Wer­be­firmen ver­kaufen. Unsere Mobil­te­lefone ver­folgen uns überall hin, und unsere Auf­ent­haltsorte werden von Daten­maklern mit unglaub­lichen, intimen Details gekauft und ver­kauft. Gesichts­er­ken­nungs­software, die von Straf­ver­fol­gungs­be­hörden ein­ge­setzt wird, durch­forstet Instagram-Selfies. Facebook sammelt die bio­me­tri­schen Daten seiner Nutzer. Das gesamte Wirt­schafts­system basiert mehr oder weniger auf Datenverrat.“

Wie ich in meinem Buch Batt­le­field America: The War on the Ame­rican People darlege, haben wir es heut­zutage nicht nur mit einem Monster zu tun, das seine Ketten gesprengt hat, sondern mit einem Monster, das sich nicht zurück­halten lässt.

Der Ver­fas­sungs­rechtler und Autor, John W. Whit­ehead, ist Gründer und Vor­sit­zender des Rutherford Instituts. Seine Bücher, Batt­le­field America: The War on the Ame­rican People und A Government of Wolves: The Emerging Ame­rican Police State, sind bei www.amazon.com erhältlich. Er ist unter johnw [at] rutherford.com erreichbar. Nisha Whit­ehead ist die Geschäfts­füh­rerin des Rutherford Instituts. Infor­ma­tionen über The Rutherford Institute sind unter www.rutherford.org erhältlich.

[1] George San­tayana, The Life of Reason: The Phases of Human Pro­gress, Vol. 1 (London: Archibald Constable, 1906), 284.

[2] George Orwell, 1984 (New York: Penguin, 1949), 248–249.

Quelle: https://www.veteranstoday.com/2021/08/05/make-way-for-the-snitch-state/

Quelle der Über­setzung: https://giftamhimmel.de/bahn-frei-fuer-den-spitzel-staat/

Bild­quelle: Veterans Today

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