Mario N. auf der Überwachungskamera der Tankstelle. Bild: Polizei Wiesbaden

Gedanken zum Tank­stel­lenmord in Idar Ober­stein – Pau­scha­li­sieren und Hetze plötzlich doch gut?

Die „Unge­impften“ sind ein sehr kom­plexer und unter­schied­licher Teil der Gesell­schaft. Sie sind grün, sie sind links, sie sind kon­ser­vativ, sie sind rechts. Sie sind Unpo­li­tische, Alter­native, Deutsche, Nicht­deutsche, Junge, Alte. Manche bestreiten, dass es über­haupt Viren gibt, manche bestreiten, dass es „Corona“ gibt, manche halten Corona für eine Bio­waffe, andere glauben, es war ein Labor­unfall, wieder andere denken, es ist die umbe­nannte Grippe. Viele sehen in die Länder wie Dänemark und Schweden und halten auf­grund deren glimpf­lichen Ver­laufs der Pan­demie die ganzen Maß­nahmen für Unsinn, andere Nicht-Impfer finden die Ein­däm­mungs­maß­nahmen gut. Viele sind der Meinung, Abstand und Vor­sicht ist gut, aber der Staat habe kein Recht, mit Zwang und Strafen zu drang­sa­lieren. Die meisten sind sehr gut infor­miert und kennen die ein­schlä­gigen Studien, manche wollen davon gar nichts wissen, sondern einfach in Ruhe gelassen werden und diese Impfung einfach nur nicht nehmen. Es gibt auch solche, die haben sich impfen lassen, treten aber lei­den­schaftlich gegen die Zwangs­impfung ein.

Aber das, was wir alle, aus allen Lagern der Unge­impften gemeinsam fürch­teten und ganz und gar nicht wollten, was immer wieder bei Gesprächen über die Sache durchkam, war die Sorge, dass es um Gottes Willen nicht so einen bescheu­erten Irren gibt, der aus Wut über die Ein­däm­mungs­maß­nahmen und den indi­rekten Impf­zwang jemanden umbringt. 

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Wie wir leider erfahren mussten, ist genau das geschehen. Ein junger Mann, der sich etwas Geld in einer Tank­stelle ver­diente, machte einen Kunden auf die Mas­ken­pflicht auf­merksam, der wollte nicht, es gab einen hit­zigen Disput. Der Mas­ken­ver­wei­gerer soll mit einer dro­henden Geste gegangen, aber dann wie­der­ge­kehrt sein und mit einer ille­galen Waffe den armen Jungen einfach erschossen haben. Grau­enhaft. Zum Kotzen.

Und sofort, wie auf Knopf­druck, springt jeder, der sich pro­fi­lieren will, allen voran Poli­tiker und Ver­bände aller Art vor Mikrofon und Kamera und röhrt los, dass man ja hätte wissen müssen, welches Gewalt- und Ter­ror­po­tenzial all diese „Covidioten“ dar­stellen. Der Bun­des­ge­sund­heits­mi­nister Jens Spahn überholt verbal noch den „Berufs­hys­te­riker“ Karl Lau­terbach auf der rechten Spur und glänzt mit der kaum noch zu über­tref­fenden, bodenlos dif­fa­mie­renden Pau­scha­li­sierung vom „Pan­de­mie­ex­tre­mismus“, mit dem er mal eben locker ein gutes Drittel der Bevöl­kerung Deutsch­lands zu irren Mördern stempelt.

Genau das war schon vorher klar. Auf so etwas wartete man ja nur. Jetzt haben sie endlich den Anlass, alle Unge­impften in einen Topf zu werfen. Jeder Unge­impfte hat mit­ge­mordet. Jetzt kann man andere Saiten auf­ziehen, jetzt wird gegen das dre­ckige Unge­impf­tenpack knallhart durch­ge­griffen: Zen­sieren, drang­sa­lieren, finan­ziell bestrafen, aus­schließen, weg­sperren, abstrafen, drauf­hauen. Der Bun­des­ge­sund­heits­mi­nister ruft sogar alle Bürger*Innen auf, gegen die „Pan­de­mie­esx­tre­misten“ einzutreten.

Ja, Herr Minister Spahn, es wäre wirklich gut, wenn wir alle, wie sie sagen, auf­passen, „wie wir Worte wägen“. Bitte, gehen Sie mit gutem Bei­spiel voran und ver­wenden sie nicht solche Bezeichnungen.

Man stelle sich vor, das hätte jemand gesagt, nachdem der eine oder andere zuge­wan­derte Vor-den-Zug-Schubser ahnungslose Deutsche umge­bracht hat. Oder nachdem gerade erst in Leipzig-Con­newitz Antifa-Leute einen jungen Mann halb tot geschlagen haben, weil er die falsche Mütze auf­hatte und sie ihn für einen „Nazi“ hielten. Wo war der Auf­schrei da? Wurden da alle Mit­glieder der Linken als Mit­täter gebrand­markt? Distan­zierte sich irgendwer von den Linken oder der SPD? Wurden alle Aus­länder als Mit­mörder diffamiert?

Im Gegenteil. Kaum hat irgendein zuge­wan­derter Neu­bürger jemanden getötet oder schwer ver­letzt, erhebt sich der laute Mahnruf, nur ja nicht zu pau­scha­lieren. Das ist richtig, gilt aber allgemein.

Dabei tun alle so, als sei der Täter Mario N. deshalb Täter geworden, weil er ein „Corona-Leugner“ sei. Mal abge­sehen davon, dass das Wort Corona-Leugner logi­scher­weise nur jemanden bezeichnen kann, der in Abrede stellt, dass es das neue, die Covid-Pan­demie ver­ur­sa­chende Coro­na­virus gibt (und das sind die aller­we­nigsten Unge­impften) … ist voll­kommen unklar, ob Mario N. die Existenz dieses Coro­na­virus in Frage stellt.

Es ist bisher nämlich über­haupt nicht so wirklich klar, was da in der Tank­stelle geschehen ist und warum Mario N. so durch­drehte. So warnte der Kri­mi­nal­psy­chologe Rudof Egg vor vor­ei­ligen Schlüssen. Aus seiner Erfahrung weiß er, dass zwi­schen Anlass und Grund für eine Tat unter­schieden werden muss. „Niemand, der halbwegs bei Ver­stand ist, würde einen ihm völlig unbe­kannten jungen Mann wegen eines Hin­weises auf eine Maske erschießen. Das ist kri­mi­nal­psy­cho­lo­gi­scher Nonsens“ erklärt Herr Egg. „Was da wirklich an diesem Tag und an diesem Abend war, worüber er sich noch geärgert hat“, sei noch völlig unklar. Mög­li­cher­weise habe der Ver­dächtige ganz andere Gründe als die Corona-Auflage gehabt.

Bei den Ent­ste­hungs­zu­sam­men­hängen der Tat müsse man „sehr, sehr auf­passen“, erklärte Herr Egg. „Manchmal ist es nur zeitlich mit­ein­ander ver­knüpft, ohne wirklich ursächlich zu sein.“ Er kennt solche Taten und das, was eigentlich dahin­ter­steckt und weiß: „Der letzte Tropfen, der das Fass der Aggres­si­vi­täts­neigung zum Über­laufen gebracht hat, den kann man nicht als die Ursache ansehen.“ Genauso gut hätte etwas ganz anderes, das dem Täter zufällig wider­fährt, die Kata­strophe aus­lösen können: „Bei Per­sonen, die ein Gewalt­po­tenzial haben und so unter Druck stehen, ist es fast egal. Sie nehmen jede Ein­schränkung als Anlass“.

Seine Kölner Kol­legin Lydia Benecke sieht es genauso: „Auch, wenn viele Men­schen sich nun eine schnelle Antwort auf die Frage wün­schen, warum eine solche Tat begangen wurde: Diese ist zum gegen­wär­tigen Zeit­punkt nicht möglich.“

Inter­essant: Viele ori­en­tierten sich bei ihrer Tat „an dem, was zeit­geistig vor­handen ist“, sagt Rudolf Egg. Über Corona-Auf­lagen ärgerten sich viele Men­schen, in einigen Ländern seien sie ja auch bereits abge­schafft, sagt er.

Das ist sogar recht ein­leuchtend. Ist eine ganze Gesell­schaft unter Spannung und ein „latenter Dau­er­frust“ liegt in der Luft, zusätzlich heizen Politik und Medien noch die Aggres­sionen und die Spaltung zwi­schen Geimpften und Unge­impften an … dann könnte das ja durchaus einer solchen, sowieso aggressiv gela­denen Person das Gefühl geben, dass er endlich etwas tun muss, sich wehren muss, „ein Zeichen setzen“, wie der Tank­stel­len­mörder vor der Polizei aussagte.

Was wäre geschehen, wenn der junge Mann hinter der Tank­stel­len­theke sich nicht mora­lisch ver­pflichtet gefühlt hätte, diesen unbot­mä­ßigen „Covidioten“ ener­gisch zurecht­zu­weisen? Hat er nicht bemerkt, dass er da jemanden vor sich hat, der kurz vor dem Amok steht? Warum fühlte er sich ver­pflichtet, die Maske um jeden Preis durch­zu­drücken bei jemandem, der erkennbar wütend ist? Warum hat er nicht den Ball flach gehalten, die Bier­dosen abkas­siert und drei Kreuz­zeichen gemacht, als der auf­ge­brachte Typ wieder draußen war?

Hier spielt nämlich die mona­te­lange Politik der Spaltung, des Ver­ächt­lich­ma­chens Unge­impfter  eine nicht geringe Rolle. Der Druck, diese an Hetze gren­zenden Bezeich­nungen und Beschimp­fungen wie Corona-Leugner, Covidioten, Viren­schleudern, Pan­demie der Unge­impften, Super­spreader, all diese Belei­di­gungen und unge­rechten Schuld­zu­wei­sungen, welche Poli­tiker, Medien und Pro­mi­nente seit Monaten überall gegen Unge­impfte ver­breiten, all das musste irgendwann bei irgend­einem aggres­siven, poten­zi­ellen Gewalt­täter, wie Mario N. die Sicherung durch­brennen lassen.

Dass Mario N. „so jemand“ ist, wird deutlich, wenn eine Nach­barin des Täters in einem Interview mit RTL über ihn spricht. Sie sagt klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, „bis der so eska­liert“. Er sei immer aggressiv gewesen und sei immer wieder auf sie  — und andere – verbal los­ge­gangen, seit Jahren habe sie sich vor ihm gefürchtet: „Eigenen Angaben zufolge schloss die Kos­me­ti­kerin nach jedem Kunden, der zu ihr in den Laden kam, wieder ab — aus Angst vor ihrem Nachbarn Mario N.“

RTL schreibt:

Im RTL-Interview erzählt die Frau: “Ich hab’ ihn auch für meine Kund­schaft als Bedrohung ange­sehen.” Oft habe Mario N. sich mit ihr gestritten: “Der ist oft verbal auf mich los, hat mich zutiefst vulgär beleidigt. Es ging um die Par­kerei, ich habe alle Kunden gebrieft, dass sie bloß nicht zu nah an dieser Garage von ihm parken. Damit das hier nicht noch in einem Fiasko endet.“ Als sie das gepi­xelte Fahn­dungsfoto nach dem Mord in der Tank­stelle in Idar-Ober­stein sah, habe sie sofort gedacht: „Das ist er! Es war eine Frage der Zeit, bis der so eskaliert.“

Men­schen, die sich so ver­halten, haben ein gestörtes Selbst­be­wusstsein. Sie fühlen sich miss­achtet, unter­ge­buttert und glauben, sich ständig „mit aller Gewalt“ dagegen wehren zu müssen. Sie steigern sich immer weiter in diese Haltung hinein. Sie können mit der Her­ab­setzung, den Belei­di­gungen, die ihnen aus allen Ecken ent­ge­gen­schallen, nicht ver­nünftig umgehen.

Betrachtet man den Wer­degang und die Per­sön­lichkeit des Täters, findet man schnell Hin­weise und Fakten, die zeigen, dass Mario N. schon lange vor der Pan­demie so kon­di­tio­niert war. Er fiel viele Jahre früher durch erschre­ckende Gewalt­phan­tasien auf. Auf Twitter fanden Recherchen seine gru­se­ligen Posts. So schrieb er schon vor vielen Jahren „Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale einfach nicht raus.“ (Das ent­deckte die Orga­ni­sation CeMAS, Center für Moni­toring, Analyse und Strategie.)

Die Freude unter den Recher­cheuren ist groß: Mario N. tum­melte sich auch gern auf AfD-Platt­formen und folgte dem Twitter-Account des ehe­ma­ligen Bun­des­ver­fas­sungs­schutz­prä­si­denten und heu­tigen Bun­des­tags­kan­di­daten Hans-Georg Maaßen (CDU) oder der ehe­ma­ligen CDU-Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten (bis 2017) Erika Steinbach, lang­jährige Prä­si­dentin des Bundes der Ver­trie­benen und heute Vor­sit­zende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Unklar ist, ob diese recher­chierten Auf­ent­halte von Mario N. auf den besagten Twit­ter­konten nun Herrn Maaßen und Frau Steinbach schaden sollen, weil ein spä­terer Mörder ihnen auf Twitter folgte, oder soll — umge­kehrt — im Subtext mit­schwingen, dass Herr Maaßen und Frau Steinbach so kon­ta­mi­nierend fins­terböse sind, dass sie Mario N. durch seine bloße digitale Anwe­senheit auf ihren Twit­ter­konten zum Amok­läufer pro­gram­mierten? Oder pau­scha­li­siert man einfach mal wieder alles, was einem nicht passt, in einen Topf als „rechte Mörderbande“?