Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Bild: Wikimedia Commons, Olaf Kosinsky, Lizenz: CC BY-SA 3.0-de

Polen wehrt sich gegen EU-Fremd­be­stimmung: Die Bruch­stellen in der EU treten offen zutage (+Video)

Die Staats- und Regie­rungs­chefs der EU-Länder haben Post aus War­schau bekommen. Polens Minis­ter­prä­sident schrieb ihnen einen Brief, der es in sich hat und der die wahren Struk­turen und Absichten der EU offenlegt und warnt. Die Begeis­terung für die EU ist ziemlich abge­flaut. Der Staa­tenbund brö­ckelt. Als auf­merksame Beob­achter das vor Jahren schon kommen sahen, wurden sie als „schlechte Europäer“ und natio­na­lis­tische Klein­denker abge­watscht. Doch nun legt der pol­nische Minis­ter­prä­sident den Finger in die Wunde: „Die EU werde wohl bald kein Bund freier Staaten mehr sein, sondern ein zentral regierter Orga­nismus, der von Insti­tu­tionen ohne die demo­kra­tische Kon­trolle der Bürger Europas geführt wird.“

Der War­schauer Brief nennt die Dinge beim Namen:

«Ich meine die schritt­weise Umge­staltung der EU in ein Subjekt, das nicht mehr der Bund von freien, gleichen und sou­ve­ränen Staaten ist — sondern ein zentral regierter Orga­nismus, der von Insti­tu­tionen ohne die demo­kra­tische Kon­trolle der Bürger Europas geführt wird» 

Er setzt hinzu, dass, wenn diese Ent­wicklung so wei­tergehe, werde das Land um Land immer weiter so gehen. Mit dieser Ansicht ist Polens Minis­ter­prä­sident Mateusz Mora­wiecki nicht allein. Die Visegrad-Staaten haben den Staa­tenbund (bisher) haupt­sächlich des­wegen nicht bereits ver­lassen, weil es Geld aus den EU-Kassen gibt. Auch in Italien wächst die Stimmung gegen die EU.

Kann sich jemand noch daran erinnern, wie bei dem Euro­vision-Song-Contest 1990 der Ita­liener Toto Cutugno sein Lied „Insieme 1992: Unite, unite Europe!“(Zusammen 1992: Vereint, vereint, Europa!) gesungen hatte? Wer hatte da nicht ein paar Tränchen in den Augen? Wessen Herz schlug da nicht höher?

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„Per noi, amori senza confini“ – Für uns, Liebe ohne Grenzen …

Und was haben sie daraus gemacht?

Die EU mutiert mehr und mehr zur strengen Gou­ver­nante, die dik­tiert, abstraft, kujoniert.

Die EU Gelder werden nicht gerecht in den Mit­glieds­staaten ver­teilt, sondern sollen bei Unbot­mä­ßig­keiten gegen Brüssel mehr und mehr gekürzt oder gar gestrichen werden. Aus der gefei­erten Gemein­samkeit wird Schritt für Schritt ein System von Fremd­be­stimmung und Dis­zi­pli­nie­rungs­maß­nahmen durch den Brüs­seler Moloch.

„Sempre più liberi noi
Non è più un sogno e non sei più da solo“
(Mehr und mehr werden wir frei
Es nicht mehr länger ein Traum und wir sind nicht mehr länger allein)

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Schon der Brexit hat dem schönen Bild des freund­schaftlich ver­einten Europas schwer Abbruch getan. Die EU-Granden haben es den Briten so schwer wie möglich gemacht und ihre Schi­kanen aus­ge­packt. Doch Groß­bri­tannien hat es durch­ge­zogen — und ist kurz darauf einem neu geschaf­fenen Mili­tär­bündnis bei­getreten, das Aus­tralien, das United Kingdom und die USA in einer neuen Wehr­ge­mein­schaft gegen China und seinen Ein­fluss vereint: AUKUS. Kaum berichtet und enorm unter­schätzt, wurde hier ein Pakt geschmiedet, der das „Rumpf-Europa“ mit seiner fast schon unin­ter­essant halb­her­zigen NATO-Mit­glied­schaft bald hin­ten­runter fallen lässt. AUKUS ist ein geo­po­li­ti­scher Game­ch­anger und die EU rafft es nicht. Aber das ein andermal.

Jetzt ver­sucht Brüssel, Polen auf die Knie zu zwingen. Polens Ver­fas­sungs­ge­richt hatte in einem Urteil fest­ge­schrieben, dass Teile des EU-Rechtes mit der pol­ni­schen Ver­fassung unver­einbar seien.

Ver­fas­sungs­ge­richts­prä­si­dentin Przylebska hatte dann bei der Urteils­ver­kündung die angeb­liche Unver­ein­barkeit zen­traler Artikel der Euro­päi­schen Ver­träge mit deren kon­kreter Aus­legung, etwa durch den Euro­päi­schen Gerichtshof, begründet. Der hatte zuletzt immer wieder Teile der soge­nannten Jus­tiz­reform ver­worfen und in einem Fall sogar geur­teilt, nach EU-Recht unzu­lässige Regeln etwa bei der Rich­ter­be­rufung müssten selbst dann außer Kraft gesetzt werden, wenn sie Ver­fas­sungsrang haben. Die EU-Inte­gration, so Przylebska weiter, habe eine Etappe erreicht, “in der die Organe der EU außerhalb der Grenzen ihrer Kom­pe­tenzen wirken, die ihnen die Republik Polen in den Ver­trägen ver­liehen hat, die Ver­fassung nicht das höchste Recht der Republik Polen ist und Vorrang in Geltung und Anwendung hat und in der die Republik Polen nicht als sou­ve­räner und demo­kra­ti­scher Staat funk­tio­nieren kann.” Was mit der Ver­fassung unver­einbar sei.“ 

Auch mit dieser Grund­satz­kritik ist Polen nicht allein. Auch in anderen EU-Ländern hatten  Ver­fas­sungs­richter die EU-Kom­pe­tenzen deutlich in Frage gestellt und in ihre Schranken gewiesen. Auch das deutsche Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt besteht auf einem „Letzt­ent­schei­dungs­recht“.

Niemand hat aber so offen klare Kante gegen die „Über­grif­figkeit“ der EU gezeigt wie Polen. Und am gest­rigen Dienstag gab es im Euro­pa­par­lament in Straßburg einen offenen Schlag­ab­tausch darüber, was höher steht: EU-Recht oder natio­nales Recht.

Frau von der Leyen hatte Polen wegen des Infra­ge­stellens von EU-Recht und EU-Kom­pe­tenzen mit schweren Sank­tionen gedroht. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemein­samen Werte aufs Spiel gesetzt werden“, sagte sie in der teil­weise sehr hit­zigen Debatte im Straß­burger Europaparlament.

Frau von der Leyen wurde auch sehr konkret, was die wei­teren Schritte gegen Polen sein könnten: Ein wei­teres Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren werde in Gang gesetzt, sowie die Nutzung eines neuen Ver­fahrens, das die Kürzung von EU-Geld­mitteln ermög­licht. Aber auch eine erneute Anwendung des soge­nannten Artikel-7-Ver­fahrens steht im Raum. Das kann zum Entzug des pol­ni­schen Stimm­rechtes bei EU-Ent­schei­dungen führen.

Deutsche Euro­pa­ab­ge­ordnete der Par­teien CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP und Linken unter­stützten dabei Frau von der Leyens harten Kurs gegen Polen. Zusammen mit einigen anderen Par­teien unter­stützte die AfD Polens Minis­ter­prä­sident Morawiecki.

Der pol­nische Minis­ter­prä­sident bezog klar und ent­schieden Stellung gegen den Kurs der EU-Kom­mission und Kom­mis­si­ons­prä­si­dentin Frau von der Leyen: Polen ver­teidige sehr wohl euro­päische Grundwerte.

Man wehre sich aber gegen die Über­grif­figkeit der EU-Insti­tution und hier besonders gegen die der EU-Kom­mission. Polen werde seine Sou­ve­rä­nität nicht unter­graben lassen und auch nicht die euro­päi­schen Grund­werte. Er, Mateusz Mora­wiecki, Minis­ter­pä­sident Polens, könne nicht ruhig bleiben, wenn sein Land ange­griffen wird. Es müsse für alle die­selben Spiel­regeln geben, das sei der Kern der Rechtsstaatlichkeit:

“Die Kom­pe­tenzen der EU haben ihre Grenzen, wir können nicht länger schweigen, wenn sie über­schritten werden. (…) Es geht nicht an, dass Poli­tiker Polen erpressen und Polen drohen.” 

Man werde nicht zulassen, dass dies als Mittel der Politik gegenüber EU-Mit­glieds­staaten ein­ge­setzt werde, sagte er an die Adresse des Kom­mis­si­ons­prä­si­denten Ursula von der Leyen gerichtet.

Die EU-Kom­mission unter Frau von der Leyen dürfte aber letzt­endlich doch ein­lenken. Denn ihren harten Sank­tions-Kurs kann sie nur fahren, wenn die große Mehrheit der anderen EU-Mit­glieds­staaten das auch mit­trägt. Dass Polen über ein jetzt schon lau­fendes Artikel-7-Ver­fahren die EU-Stimm­rechte ent­zogen werden könnten, ist stark zu bezweifeln. Die Mehr­heits­ver­hält­nisse im zustän­digen EU-Minis­terrat stehen eher hinter Polen. Ein neues Stimm­recht-Ent­zugs­ver­fahren würde gegen die Wand laufen.

Dieses Schau­spiel an Züch­tigung könnte nämlich auch bei wei­teren EU-Mit­gliedern den Ver­dacht auf­kommen lassen, dass das gege­be­nen­falls ihrem eigenen Land eben­falls blühen würde. Polen hat übrigens noch ein As im Ärmel: Es kann auch nach Straf­maß­nahmen solche EU-Ent­schei­dungen, die zwingend ein­stimmig getroffen werden müssen, blo­ckieren. Das hätte zur Folge, dass die kom­plette EU-Außen­po­litik hand­lungs­un­fähig würde.

Beim EU-Gipfel morgen, am Don­nerstag, geht es weiter. Dort aber müssen Ent­schei­dungen ein­stimmig getroffen werden. Polen kann das sehr gelassen sehen.