Das „Nussknacker“-Ballett ist poli­tisch nicht korrekt: Abgesetzt!

Die Streich- bzw. Abbruch­kultur (Cancel Culture), die darauf abzielt, dass Kunst­werke ver­gan­gener Epochen buch­stäblich auf­hören zu exis­tieren, treibt in unserem Land immer absurdere Blüten.

(von Hubert von Brunn)

Jetzt hat es Tschai­kowskys „Nuss­knacker“ erwischt, jenes mär­chen­hafte Ballett, das tra­di­tionell in der Vor­weih­nachtszeit auf­ge­führt wird. Beim Staats­ballett Berlin steht der beliebten Klas­siker neu­er­dings unter Kolo­nia­lismus-Ver­dacht und wurde deshalb aus dem Pro­gramm genommen.

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Die jetzt abge­setzte Insze­nierung wurde vor acht Jahren von zwei rus­si­schen Gast-Cho­reo­grafen geschaffen und ori­en­tiert sich detail­getreu an der Urauf­führung von Marius Petipa im Jahre 1892 in St. Petersburg. Seit der Pre­miere 2013 war dieser „Nuss­knacker“ ein Rie­sen­erfolg, jede Vor­stellung ausverkauft.

Alt und Jung staunten über das opu­lente Büh­nenbild, die präch­tigen Kostüme, die bezau­bernden Spit­zen­tänzer und genossen Tschai­kowskys wun­derbare Musik. Die Steine des Anstoßes: Black­facing von zwei Kindern, ein braun geschminkter Solist, Tip­pel­schrittchen beim chi­ne­si­schen Tanz und der Auf­tritt von Harems­damen im ori­en­ta­li­schen Tanz.

Nach ersten Pro­testen 2015 wurden die Kin­der­ge­sichter schon nicht mehr dunkel geschminkt – jetzt haben es die selbst­er­nannten Kul­tur­wächter end­gültig geschafft, dieses groß­artige Kunstwerk in seinem ori­gi­nalen Erschei­nungsbild vorerst von der Bühne zu verbannen.

Der Aus­drucks­wille des Künstlers wird verfälscht

Rücken­de­ckung bekommen die zer­stö­re­ri­schen Kunst-Zen­soren von Chris­tiane Theobald, der kom­mis­sa­ri­schen Inten­dantin des Staats­bal­letts: „Wir müssen alles neu bewerten“, kon­sta­tiert sie mit Bezug auf die o.g. Steine des Anstoßes.

Das alles seien Dinge, „die man so heute nicht mehr unbe­sprochen auf die Bühne stellen kann. Mit der aktu­ellen Dis­kussion darum, welches Reper­toire in post­ko­lo­nialer Zeit noch ver­tretbar ist, müssen wir uns fragen, ob Ele­mente aus der Ent­ste­hungszeit schwierig sind.“ Was für ein unsäglich igno­rantes Geschwätz.

Während meines Ger­ma­nistik-Stu­diums habe ich gelernt, dass zum voll­stän­digen Ver­ständnis eines lite­ra­ri­schen Werkes die poli­ti­schen, gesell­schaft­lichen, wirt­schaft­lichen, phi­lo­so­phi­schen usw. Gege­ben­heiten zur Zeit seiner Ent­stehung unbe­dingt zu hin­ter­fragen und in die Inter­pre­tation mit ein­zu­be­ziehen sind.

Diese Sorg­falts­pflicht gilt für die Betrachtung und Beur­teilung jeg­licher Form der künst­le­ri­schen Äußerung: Lite­ratur, Theater, Musik, Malerei, Satire – und es ist weder der Kunst noch der wis­sen­schaft­lichen Auf­ar­beitung der­selben dienlich, wenn will­kürlich in das Werk ein­ge­griffen und der Aus­drucks­wille des Künstlers ver­fälscht wird.

Das hat etwas mit der künst­le­ri­schen Freiheit zu tun und die ist in unserem Grund­gesetz Art. 5, Abs. 3 ein­deutig for­mu­liert: „Kunst und Wis­sen­schaft, For­schung und Lehre sind frei.“ Und bereits im Abs. 1 heißt es: „Eine Zensur findet nicht statt.“

Nach den Erfah­rungen der Nazizeit wollte man unbe­dingt ver­hindern, dass sich der Staat wieder in diese Dinge ein­mischt. Unter dieser Prä­misse darf die Kunst hier­zu­lande auch pro­vo­kativ oder besonders frei­zügig oder poli­tisch unkorrekt daher­kommen. In gewisser Weise ist es sogar ihre Aufgabe, ihre Finger in gesell­schaft­liche Wunden zu legen, um auf bestimmte Miss­stände auf­merksam zu machen.

Sie darf aber auch einfach unter­halten und durch die Schönheit des Dar­ge­stellten die Seele der Men­schen berühren – so wie eben der „Nuss­knacker“. Da ist es völlig inak­zep­tabel, dass irgend­welche spät­ka­pi­ta­lis­tische Kunst-Zen­soren und deplat­zierte Kultur-Funk­tionäre und ‑Innen in ihrer mora­li­schen Über­heb­lichkeit, gepaart mit Unwis­senheit daher kommen und sich anhei­schig machen, her­aus­ra­gende Kunst­werke her­unter zu trimmen auf ihre geistige Minderbemitteltheit.

Die alles hin­biegen wollen auf eine ein­di­men­sionale Ebene der poli­ti­schen Kor­rektheit, deren Para­meter natürlich sie bestimmen und die selbst­ver­ständlich für alle Kul­tur­schaf­fenden bindend sein soll. Für Phan­tasie ist da kein Raum mehr. Wenn das keine Zensur ist!

Unfassbare Arroganz der selbst ernannten Kunst-Zensoren

Es gibt noch eine ganze Reihe weitere Werke, die auf dem Index der Kunst­zen­soren stehen. Die Liste ist zu lang, um sie hier alle auf­zu­zählen, deshalb nur ein paar Bei­spiele: „Othello“, die Geschichte des Mohren von Venedig, ist gleich zweifach gefährdet – einmal als Shake­speares Drama und noch einmal als Oper von Verdi; der Roman „Onkel Toms Hütte“, der Film „Vom Winde verweht“ …

Ein bizarres Bei­spiel für die um sich grei­fende Ver­blödung der Kultur-Funk­tionäre liefert derzeit auch die Komische Oper Berlin. Sie wirbt für die Ope­rette „Zigeuner“baron“ von Johann Strauß (Sohn) mit dop­pelten Anfüh­rungs­zeichen. Das „Zigeu­ner­schnitzel“ wurde ja schon aus den Spei­se­karten gestrichen, bei einem Büh­nenwerk ist das nicht so einfach.

Es umzu­taufen in „Sinti-und-Roma-Baron“ haben sich die Sprach­po­li­zisten dann doch nicht getraut, deshalb die alberne Krücke mit den dop­pelten Anfüh­rungs­zeichen. Haupt­sache, man macht deutlich, dass man mit dem dis­kri­mi­nie­renden und ras­sis­ti­schen Begriff „Zigeuner“ nicht ein­ver­standen ist.

Dümmer geht’s nimmer!

Abge­sehen von der unsäg­lichen Bar­barei der Kunst-Zen­soren im Hin­blick auf die Authen­ti­zität eines Kunst­werks, bedeutet dessen unau­to­ri­sierte Ver­stüm­melung auch einen erheb­lichen Ein­griff ins Urhe­ber­recht. Aber das scheint die arro­ganten Bes­ser­wisser nicht wirklich zu stören.

Die mora­lische Über­le­genheit, die sie sich selbst zubil­ligen, recht­fertigt ihre Vor­ge­hens­weise und im Übrigen sind die Autoren in aller Regel nicht mehr unter den Lebenden. Es gab ja schon einmal eine Zeit, in der miss­liebige Kunst­werke als „ent­artete Kunst“ stig­ma­ti­siert, ver­boten oder gar zer­stört wurden, Bücher, die nicht ins Weltbild der Nazis passten, wurden verbrannt.

Derart bar­ba­risch gehen die Sau­ber­männer und ‑frauen unserer Tage natürlich nicht vor. Ihre Zensur läuft subtil unter dem Deck­män­telchen auf­klä­re­ri­scher Anti­dis­kri­mi­nierung ab. Ein direktes Verbot können sie nicht ver­fügen, dazu fehlt ihnen die Legitimation.

Aber sie können ein Werk so lange dif­fa­mieren, bis Inten­danten, Regis­seure, Cho­reo­grafen, Schau­spieler, Tänzer usw. sich weigern, die moder­nis­tisch ver­stüm­melte Version zu pro­du­zieren und auf die Bühne zu bringen.

Ein trau­riges Schicksal, das über kurz oder lang auch dem „Nuss­knacker“ blüht.


Quelle: pravda-tv.com