Ricardo Lange ist überzeugter Befürworter der Corona-Eindämmungsmaßnahmen und der Impfung. Das sei ihm unbenommen. Nur dadurch, dass er das sehr öffentlich macht, sehr bekannt ist und viele Follower hat, ist er auch Projektionsfläche für Menschen, die ihn in ihrem Bedürfnis nach Beachtung, Selbstinszenierung und Öffentlichkeitsanteilnahme mit üblen Tricks missbrauchen. So postete eine Twitter-Nutzerin ein Foto, das Ricardo empört sofort auf seinem Twitterkonto teilte: Ein handgeschriebener, bösartiger Zettel eines „Coronaleugners“, der der tapferen Krankenschwester die Autoreifen zerstochen hat.
Es passte ja so gut ins Bild, es war ja so empörend, das musste ja so kommen … diese verdammten Covidioten. Gewalttätiges, verblödetes Pack. Da sieht ihnen genau ähnlich. Tapferen, selbstlosen Krankenschwestern, die sich für ihre Patienten aufopfern, covid-überlastet, aber ungebrochen, schleppen sie sich nach ihrer aufreibenden Nachtschicht erschöpft zum Auto. Und was finden sie? Zerstochene Reifen und einen Hass-und-Hetze Brief, der ihnen Übles wünscht. Nur weil sie für die Impfung und für Eindämmungsmaßnahmen sind. Man sollte sie alle in einen Sack stecken und draufprügeln, diese Idioten, da triff man doch immer den Richtigen.
„Jetzt seht ihr mal was passiert, wenn ihr unschuldige Bürger zum Impfen auffordert! Jammert nicht, dass ihr zu schlecht bezahlt werdet, selber Schuld! Probiert’s mal mit einem anderen Beruf.“
In „Hassreden“ gegen Anti-Impfer und Covidioten übertrifft man sich zurzeit recht gern auf den sozialen Medien. Ein Tweet empfahl sogar, die Ungeimpften zusammenzutreiben und zu keulen. Das wurde aber nicht wegen Hassrede gelöscht. In den Niederlanden hetzt die Polizei scharfe Hunde auf Demonstranten, in Deutschland sprüht ein Polizist Reizgas in einen Kinderwagen. Es wird auf unbewaffnete Bürger eingedroschen, und die Presse und die Medien schweigen. Ungeimpfte sind in der Kategorie „Untermenschen“ angekommen.
Natürlich machte der Tweet mit den armen Krankenschwestern sofort Furore. Insbesondere die unbeirrbare Tapferkeit, die sie in ihrem Post zur Schau trug. Sie lasse sich von ihrer Arbeit an vorderster Front dennoch nicht abschrecken, schrieb sie. Und an den Täter gewandt: „Wir halten zusammen und Du tust einem einfach nur leid, Du armes Würstchen“.
Doch Ricardo Lange witterte bald Unrat. Das „arme Täter-Würstchen“ war offensichtlich erfunden. Man muss dem Intensivpfleger Ricardo Lange zugutehalten, dass er zwar vorschnell die Sache veröffentlichte, dann aber sofort ebenfalls veröffentlichte, dass er diese Meldung als Fälschung entlarvte. Und er brachte es auch auf den Punkt:
„Scheinbar wurde ich getäuscht. Leider gibt es auf beiden ‚Seiten‘ Menschen, die für Aufmerksamkeit oder Mitleid keine Grenzen kennen. Kann man nichts und niemandem mehr glauben? Offensichtlich nicht! Spalter und Lügner sind bei mir falsch. Leider ist mir das zu spät aufgefallen.“
Die angebliche Fachkrankenschwester für Intensiv und Anästhesie hatte sich schon mehrfach bei Ricardo Lange gemeldet. Mit 50.000 Followern bot Ricardo Lange auch ein großes Forum, auf dem sie sich präsentieren konnte. Doch anscheinend ist sowohl der feige Angriff und der Zettel genauso ein Fake, wie die engagierte Krankenschwester, die sich immer wieder als Gleichgesinnte bei Ricardo Lange meldete. Ihr Profilbild zeigt eine lächelnde, hübsche Frau mit blondem, langem Haar. Aber auch das Foto ist nicht echt, genauso wenig, wie der Brief und die zerstochenen Reifen.
„Was sagt die Polizei?“, fragte Lange auf die Schreckensmeldung zurück. Und bekam darauf von ihr noch ein Foto eines Autos mit zerstochenen Reifen. „Meins.“
Das war der Fehler, den die „tapfere, kleine Krankenschwester“ nicht hätte machen dürfen. Sie wusste nicht, dass Herr Lange ein Autofan ist. Der Tweet hatte schon Tausende an Likes gesammelt, sie war die gefeierte Heldin gewesen. Doch Ricardo Lange stutzte: Der Reifen auf dem Foto war ein Sommerreifen der Marke Vredestein und das Foto das perfekte Werk eines Fotografen. Beleuchtung, Winkel, alles passte. Schnell fand Ricardo Lange heraus, dass es ein Agenturfoto von Imago war – und schon mehrfach in den Medien veröffentlicht. Er stellte auf seinem Twitterkonto das angebliche Tatfoto neben einen Bericht mit diesem Agenturfoto. Bingo:
Doch nicht nur das Reifenfoto war eine Lüge. Auch das Profilfoto der unbeugsamen Heldin war ein Agenturfoto und nicht die angebliche Krankenschwester aus Würzburg. Und auch andere Fotos, die sie gepostet hatte, sind auf den verschiedensten Seiten im Internet zu sehen und von Fotoseiten heruntergeladen.
Ricardo Lange bemühte sich um Schadensbegrenzung und stellte die Sache auf seinem Twitterkonto vorbildlich klar. Natürlich musste eine Anke hinterherhupen und sich nochmal extra blamieren: „Aber zu zutrauen wäre es den QD …“. Klar. Denen darf man ungestraft alles unterstellen. Das sind samt und sonders Untermenschen. Nur blöd, dass es nicht so war und die vermeintliche Heldin gelogen hatte. Aber Hauptsache, sie stand auf der richtigen Seite, nicht wahr. Anke?
Wohltuend weiter unten der Kommentar von Maik Einhorn: „aber es ist dir aufgefallen und du entschuldigst dich, das ist heute eh schon selten geworden Herr Lange 🙂 Und danke das du auch nicht mit machst bei dieser Spaltung und Hass in dieser Bevölkerung. #gemeinsamgegencorona“
Ricardo Lange blockierte nach all dem die „Würzburger Krankenschwester“. Nun meldete sich sogar deren (angebliche?) Schwester. Nein, das sei keine Fake-Nachricht, das Reifenfoto habe die Krankenschwester nur deshalb genommen, weil ihr Mann Polizist sei und ihr das geraten habe. Sichersicher. Als Polizist hat man ja keine Ahnung, dass falsche Tatsachenbehauptungen und Vorspiegelungen einer Straftat nicht in Ordnung sind.
Dann stellte sich auf Nachfragen der Redaktion t‑online bei der Würzburger Polizei auch noch heraus, dass der Reifenschlitzer-Fall gar nicht bei der Polizei gemeldet worden war. Vielleicht hatte der Polizisten-Ehemann der tapferen Krankenschwester auch davon abgeraten? Die Würzburger Polizei beschied jedenfalls die Presse damit, dass – wenn diese Tat angezeigt worden wäre, man davon wüsste.
Den Intensivpfleger Lange macht der ganze Vorfall sehr nachdenklich. „Ich finde es erschreckend, wie leicht man an eine emotionale, erfundene Geschichte glaubt und wie schnell man dann bereit ist, sie zu teilen. Aber wer vermutet denn auch, dass sich so was jemand ausdenkt?”
Lieber Ricardo Lange, leider passiert so etwas sehr oft. Menschen lügen. Und sehr oft erfinden sie Geschichten nur, um sich groß hervorzutun und bemitleidet, bewundert, gefeiert zu werden. Das geht umso besser, wenn der schuldige Bösewicht genau ins allgemein akzeptierte Hass-Schema passt. Da springt das Publikum sofort drauf an. Heute sind es die Ungeimpften „Covidleugner“, morgen vielleicht die „Klimassäue“, die noch ihren Benziner oder Diesel fahren, übermorgen die „reichen Dreckschweine“, die vielleicht in der ganzen Zerstörung, die jetzt angerichtet wird, sich noch irgendwie ein bisschen Geld oder einen guten Job oder ein Auto erhalten konnten. Man muss nur eine erkennbare Gruppe für alles Schlechte, was passiert, ständig öffentlich beschuldigen, dann werden diese Menschen erst gemieden und dann niedergemacht bis hin zur physischen Vernichtung. Die Geschichte ist voll davon.
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