Foto: http://en.kremlin.ru

Ist Erdoğan dabei, Russland für Groß-Turan zu zerstören?

  1. Januar 2022, NEO
    Der tür­kische Prä­sident Recep Tayyip Erdoğan ist berüchtigt für seinen laxen Umgang mit ver­meint­lichen Ver­bün­deten, sein es nun die NATO oder die EU. Doch seine größte Per­fidie scheint sich jetzt gegen die Bezie­hungen der Türkei zu Putins Russland zu richten. In den letzten zwei oder mehr Jahren hat Erdoğan im Umgang mit der Ukraine, Armenien, Syrien, Libyen und jetzt in jüngster Zeit bei der geschei­terten Revo­lution in Kasachstan ein klares Muster gezeigt, bei dem es nicht nur um Oppor­tu­nismus, sondern tat­sächlich um Heim­tücke oder Ver­trau­ens­miss­brauch geht, also um ein dop­peltes Spiel mit Russland, obwohl das Land in Bezug auf Energie und moderne Waf­fen­systeme von ihm abhängig ist. Die Frage lautet: Warum?

(von F. William Engdahl
Über­setzung©: Andreas Ungerer)

Hier bestellen!

Erdoğan und die geschei­terte Revo­lution in Kasachstan

Die jüngsten blu­tigen Unruhen und Angriffe bewaff­neter Kämpfer auf den Flug­hafen von Almaty sowie auf Medien- und Regie­rungs­ge­bäude in Kasachstan, ein­schließlich der grau­samen Ent­hauptung von min­destens zwei Poli­zei­be­amten durch ISIS-ähn­liche Dschi­ha­disten, zeigen deutlich, dass zwei par­allele Desta­bi­li­sie­rungs­pro­zesse im Gange waren. Die eine war die anfäng­liche Fassade fried­licher Pro­teste gegen die Erhöhung der Treib­stoff­preise durch die Regierung des ener­gie­reichen Landes, die es Washington und der EU ermög­licht hat, zum „Dialog“ auf­zu­rufen. Diese Pro­teste wurden von „Menschenrechts“-Aktivisten ange­führt, die mit Mil­lionen von Dollar von der mit der CIA ver­bun­denen National Endowment for Demo­cracy*, wahr­scheinlich der Soros Foun­dation in Kasachstan und ver­schie­denen anderen von der CIA oder dem MI‑6 gesteu­erten NGOs aus­ge­bildet und gesteuert worden sind. Klar ist, dass es sich um eine Art „Pseudo-Far­ben­re­vo­lution“ gehandelt hat, hinter der sich ein weitaus üblerer Putsch­versuch zum Regime­wechsel verbarg.

Der weitaus ernst­haftere Angriff ging jedoch von geschätzt 20.000 aus­ge­bil­deten Ter­ro­risten, ein­schließlich aus­län­di­scher Dschi­ha­disten und von dem Kopf des Orga­ni­sierte Ver­brechen in Kasachstan, Arman Dzhu­ma­geldiev, gesteu­erten Kri­mi­nellen aus. Das ist die zweite gewaltsame Gruppe, der Auf­merk­samkeit bedarf. Es scheint, als wäre Erdoğans Nach­rich­ten­dienst (MIT) sowie sein Militär gemeinsam mit der CIA und dem MI‑6* tief in die Aus­bildung und Bewaffnung der Put­schisten ver­wi­ckelt gewesen. Der Her­aus­geber der Asia Times, Pepe Escobar, erklärt, dass es, laut hoch­ran­gigen zen­tral­asia­ti­schen Geheim­dienst­quellen, eine im süd­lichen Teil des Geschäfts­zen­trums von Almaty sta­tio­nierte „geheime“ US-ame­ri­ka­nisch-tür­kisch-israe­lische Ope­ra­ti­ons­zen­trale gab. In dieser „Zen­trale“ befanden sich 22 Ame­ri­kaner, 16 Türken und 6 Israelis, welche die von den Türken in West­asien aus­ge­bil­deten und dann nach Almaty geschleusten Sabo­teurs­banden koor­di­niert haben.

Erdoğan und die Muslimbruderschaft

Erdoğan hat jah­relang Dschi­ha­disten von Al Qaeda und ISIS (zwei in Russland ver­botene Ter­ror­or­ga­ni­sa­tionen) ver­deckt innerhalb der Türkei aus­ge­bildet und sie im Geheimen über die Grenze nach Idlib und andere Ter­ror­hoch­burgen gebracht, um sich dort, im Krieg gegen Bashar al Assad (und de facto gegen die sich dort befind­lichen Russen), dem ISIS oder dem syri­schen Arm von Al-Qaeda, Jabhat al-Nusra, anzu­schließen. Außerdem ist Erdoğan seit Jahren mit der (in Russland ver­bo­tenen) Mus­lim­bru­der­schaft, jener geheimen poli­tisch-isla­mis­ti­schen Orga­ni­sation, eng ver­bunden, die während des Ara­bi­schen Früh­lings und Jahr­zehnte davor mit der CIA und dem MI‑6 zusam­men­ge­ar­beitet hat.

Nach dem Mili­tär­putsch von Al Sisi im Jahr 2013, durch den die Mus­lim­bru­der­schaft in Ägypten gestürzt wurde, sind schät­zungs­weise zwan­zig­tausend Kader der Bru­der­schaft von Erdoğans AKP auf­ge­nommen auf­ge­nommen worden und haben Exil in der Türkei erhalten. Seit Katar gezwungen wurde, seine aktive Unter­stützung für die geheime Orga­ni­sation der Mus­lim­bru­der­schaft zu redu­zieren, hat sich Erdoğan zum wich­tigsten Unter­stützer und Beschützer der Orga­ni­sation ent­wi­ckelt. In einem Interview mit dem rus­si­schen Fern­sehen aus dem Jahr 2020 sagte der syrische Prä­sident al-Assad, dass „die Ideo­logie der Mus­lim­bru­der­schaft und nicht die natio­nalen Inter­essen der Türkei der Grund dafür sind, dass Erdoğan illegal Truppen nach Syrien sendet, um in Idlib für Al-Qaeda zu kämpfen.“

Als Erdoğan der großen Orga­ni­sation des nun im Exil in Penn­syl­vania lebenden und des im Jahr 2016 fehl­ge­schla­genen Put­sches gegen Erdogan ange­klagten Fet­hulla Gülen zu miss­trauen begann, war klar, dass sich Erdoğan zur Aus­weitung seiner neo-osma­ni­schen Ambi­tionen dem inter­na­tio­nalen Netzwerk der Mus­lim­bru­der­schaft annähern würde. Der Chef von Erdoğans Inlands­ge­ge­im­dienst MIT hat, laut dem fran­zö­si­schen Jour­na­listen Thierry Meyssan, seit dem Jahr 2003 aktiv an der Ver­breitung tür­kisch dschi­ha­dis­ti­scher Ein­flüsse in ehe­ma­ligen zen­tral­asia­ti­schen Sowjet­re­pu­bliken gear­beitet. Heute ist Istanbul die de facto-Haupt­stadt der Muslimbruderschaft.

Das hatte direkte Aus­wir­kungen auf den kürz­lichen Putsch­versuch in Kasach­astan. Der Berichten zufolge Schlüs­sel­or­ga­ni­sator am Boden der Angriffe in Almaty und anderer gegen die Regierung von Kassym-Schomart Keme­le­witsch Tokajew oppo­nie­renden Groß­städte war als Mit­glied der Mus­lim­bru­der­schaft bekannte und nun abge­setzte Neffe des ehe­ma­ligen Prä­si­denten Nas­ar­bajew*, Samat Abish. Abish ist nun aus dem Amt des ersten stell­ver­tre­tenden Vor­sit­zenden des Natio­nalen Sicher­heitsrats, einer Schlüs­sel­po­sition, die er im Jahr 2015 von Nas­ar­bajew erhalten hatte, ent­lassen worden. Die Mus­lim­bru­der­schaft wird von Ländern wie Ägypten, Barhein, Saudi Arabien, den Ver­ei­nigten Ara­bi­schen Emi­raten und Syrien als Ter­ror­or­ga­ni­sation betrachtet.

Der Umstand, dass Erdoğan heute der wich­tigste Unter­stützer der ter­ro­ris­ti­schen Mus­lim­bru­der­schaft ist — der de facto-“Mutter“ von Al-Qaida, ISIS und anderen dschi­ha­dis­ti­schen Gruppen weltweit — sowie die Tat­sache, dass Erdoğans MIT zusammen mit dem MI‑6, der CIA und dem Mossad heimlich Ter­ro­risten in Kasachstan für die Anschläge aus­ge­bildet hat, und dass der Haupt­or­ga­ni­sator des bewaff­neten kasa­chi­schen Auf­stands im Januar, Samat Abish, ein bekanntes Mit­glied der Mus­lim­bru­der­schaft ist, deuten darauf hin, dass Erdoğans Rolle bei den jüngsten Ereig­nissen in Kasachstan weitaus bedeut­samer war, als berichtet wird, obwohl Erdoğan in der Presse seine Unter­stützung für Tokajew bekundet hat.

Auf­fällig ist, dass Richard Moore im Juni 2020 zum Kopf des bri­ti­schen Aus­lands­ge­heim­dienstes MI‑6 ernannt worden ist. Moore ist ein Türkei-Spe­zialist, der in den frühen 1990er Jahren als MI‑6 Agent in der Türkei und von 2014–2017 dort als Bot­schafter gear­beitet hat. Die Rolle des MI‑6 gegen Russland ist offenbar deutlich tief­grei­fender, als viele sich vor­stellen. Der Umstand, dass ein Türkei-Experte zum Kopf des MI‑6 ernannt wurde, ist sehr bezeichnend und deutet darauf hin, dass die anglo­ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dienste Erdoğans Türkei höchst­wahr­scheinlich dazu benutzen, um den gesamten mus­li­mi­schen Teil der ehe­ma­ligen Sowjet­union zu desta­bi­li­sieren. Der Oppor­tunist Erdoğan freut sich selbst­ver­ständlich darüber, seinen anglo­ame­ri­ka­ni­schen Freunden in dieser Ange­le­genheit zu helfen.

Tür­kische Drohnen für die Ukraine

Und die Desta­bi­li­sierung Kasach­stans, eines für die rus­sische Sicherheit und Wirt­schaft lebens­wich­tigen Staates im „nahen Ausland“, ist bei weitem nicht der einzige Bereich, in dem Erdoğan Druck auf Putins Russland aus­geübt hat. In der Ukraine war Erdoğan äußerst pro­vo­kativ gegenüber Russland und unter­stützte offen den Antrag der Ukraine auf Bei­tritt zur NATO, eine rote Linie für Moskau. Er hat auch unbe­mannte bewaffnete tür­kische Drohnen vom Typ Bay­raktar TB2 an Kiew ver­kauft, um sie gegen die eth­ni­schen Russen im Donbass ein­zu­setzen. Nach dem CIA-Putsch des Jahres 2014 auf dem Maidan in der Ukraine begann Erdoğan, sich Kiew anzu­nähern. Im April 2021 traf sich der ukrai­nische Komiker und heutige Prä­sident, Wolo­dymyr Selenskyj, mit Erdoğan in der Türkei, um über den Kauf von tür­ki­schen Mili­tär­drohnen durch die Ukraine zu sprechen, nachdem diese zuvor im aser­bai­dscha­nisch-arme­ni­schen Berg-Karabach-Krieg sehr erfolg­reich ein­ge­setzt worden sind. Selenskyj bat die Türkei um Unter­stützung in ihrem Streit mit Russland. Erdoğan ant­wortete, indem er Russ­lands Annexion der Krim, deren Bevöl­kerung zu nur 12 % aus Turk-Tataren besteht, als illegal bezeichnet hat.

Erdoğan ist deutlich darum bemüht, die rus­sische Dominanz im Schwarzen Meer, wo die tür­kische Marine vor 2014 domi­niert hat, ein­zu­schränken. Auf einer NATO-Kon­ferenz im Jahr 2021 sagte Erdoğan zu dem NATO-Gene­ral­se­kretär: „Im Schwarzen Meer sind Sie nicht zu sehen, und ihre Unsicht­barkeit dort macht das Schwarze Meer zu einem rus­si­schen See.“ Der größte Erd­gasfund der Türkei, von dem sich diese erhofft, die Abhän­gigkeit von rus­si­schen Gasim­porten ver­ringern zu können, befindet sich vor der tür­ki­schen Schwarz­meer­küste. Im Jahr 2020 wurden Gasim­porte im Wert von rund 41 Mrd. USD haupt­sächlich von der rus­si­schen Gazprom über die Turk­Stream-Pipeline bezogen. Ob der neue tür­kische Gasfund im Schwarzen Meer, etwa 100 See­meilen von der tür­ki­schen Küste ent­fernt, wirt­schaftlich sein wird, ist noch lange nicht klar und könnte Jahre dauern, was Erdoğans Pro­vo­ka­tionen gegenüber Russland noch ris­kanter macht. Der geschätzte Gasfund würde den Ein­fuhren von Turk­Stream von etwa 13 Jahren ent­sprechen. Aber dieser Fund hat Erdogan in seinem Vor­gehen gegen Russland ein­deutig bestärkt.

Das tür­kische Vor­gehen gegen Armenien

Im Sep­tember 2020 hat die von der Türkei aus­ge­bildete aser­bai­dscha­nische Armee einen fra­gilen Waf­fen­still­stand in der vor­wiegend von Arme­niern bewohnten Enklave Nagorny-Karabach mit mili­tä­ri­scher Gewalt gebrochen. Später wurde bestätigt, dass die nur spärlich vor­be­rei­teten arme­ni­schen Streit­kräfte nicht nur heftige Rück­schläge durch tür­kische Drohnen erlitten haben, sondern auch, dass der tür­kische MIT erfahrene dschi­ha­dis­tische Kämpfer aus Syrien in dem Krieg ein­ge­setzt hat, in dem sie Kriegs­ver­brechen gegen eth­nische Armenier verübt haben.

Der Impuls­geber war Aser­bai­dschans Sta­tio­nierung töd­licher tür­ki­scher Drohnen gegen arme­nische Ziele. Die in der Türkei pro­du­zierten Drohnen haben ukrai­nische Trieb­werke. Der Verlust von arme­ni­schem Ter­ri­torium war nicht nur für Armenien eine demü­ti­gende Nie­derlage, sondern auch für Putin, da Armenien Mit­glied in Russ­lands Eura­si­scher Wirt­schafts­union ist. Das hat der Türkei einen gewal­tigen Ver­trau­ens­vorschuss in ganz Zen­tral­asien verschafft.

RAND und der Große Zusam­men­schluss von Turan*

Im Jahr 2019 hat die RAND Cor­po­ration* in Washington der US Army einen Bericht vor­gelegt, der sich zur ernst­haften Desta­bi­li­sierung Russ­lands darauf kon­zen­triert, Moskau bei der Bedrohung der Sicherheit seiner Lan­des­grenzen zu Inter­ven­tionen zu zwingen. Abge­sehen von wei­teren Wirt­schafts­sank­tionen, schlug der Bericht vor, „Russland mili­tä­risch oder öko­no­misch zu über­fordern, oder das Regime zu ver­an­lassen an inner­staat­lichem und/oder inter­na­tio­nalem Prestige und Ein­fluss zu ver­lieren.“ Der RAND-Bericht hat unter anderem gefordert, die Ukraine im Donbass gegen Russland auf­zu­rüsten, einen Regime­wechsel in Belarus zu fördern, die Unter­stützung der Dschi­ha­disten im Kampf gegen das in Syrien sta­tio­nierte rus­sische Militär zu erhöhen, die Span­nungen im Süd Kau­kasus, ein­schließlich Nagorny-Kara­bachs aus­zu­nutzen und den rus­si­schen Ein­flusses in Zen­tral­asien, ein­schließlich in Kasachstan zu ver­ringern. Ein Großteil des von Washington gedeckten Vor­gehens gegen Russland in den ver­gan­genen drei Jahren ent­spricht dieser von RAND vor­ge­schla­genen Strategie.

Im Jahr 2009 hat Erdoğan eine als Koope­ra­ti­onsrat tür­kisch­spra­chiger Staaten bezeichnete Orga­ni­sation mit Sitz in Istanbul geschaffen. Zu seinen Mit­gliedern zählen Aser­bai­dschan, Kasachstan, Kir­gi­sistan und die Türkei. Ihr nament­liches Ziel besteht, laut ihrer Website, in der Her­vor­hebung ihrer „gemeinsame Geschichte, Sprache, Iden­tität und Kultur“. Sie bezieht sich auf die Türkei als Erdoğans Großes Turan, einer Art neo-osma­ni­schem Reich, das letztlich den Großteil von Zen­tral­asien, großer Teile des mus­li­mi­schen Russ­lands, die chi­ne­sische Provinz Xin­jiang, die Mon­golei und den Iran umfasst. Kürzlich zeigte er eine ein­ge­rahmte Karte von Groß-Turan, die ihm im November vom Führer der extrem Rechten Partei der Natio­nalen Bewegung MHP*, Delvet Bahceli, über­reicht worden war.

Es ist ver­ständlich, dass Stra­tegen in Washington und London sich über solche Ambi­tionen Erdoğans erfreut zeigen. Für sie dient Erdoğans Wunsch, der Errichtung einer Großen Turan-Turk Region mit Istanbul als Haupt­stadt, einem für die NATO äußerst nütz­lichem Zweck – der Zer­störung Russ­lands als funk­tio­nie­rende Nation und Machtfaktor.

————————————–

  1. William Engdahl ist stra­te­gi­scher Risi­ko­be­rater und Dozent. Er hat ein Diplom in Wirt­schafts­wis­sen­schaften von der Princeton Uni­versity, ist Best­sel­ler­autor von Werken über Öl und Geo­po­litik und schreibt exklusiv für das Online-Magazin „New Eastern Outlook”.

 Quelle: https://journal-neo.org/…

Quelle der Über­setzung: https://giftamhimmel.de/…

Die mit einem * ver­se­henen Links wurden zusätzlich eingefügt.

Diese Über­setzung ist urhe­ber­rechtlich geschützt.