Der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (ELVIS) und der Mittelstandsverband (Mittelstand.BVMW) melden, dass sie vor „immensen Problemen“ für die Speditions- und Logistikbranche stehen. Der Krieg in der Ukraine beginnt, den Fahrermangel zu verschärfen und die Verbände sehen eine noch weitere, gefährliche Entwicklung in diese Richtung. Viele Lieferketten werden „dem nicht standhalten können“, heißt es aus Fachkreisen.
Versorgungsengpässe größeren Ausmaßes könnten uns bevorstehen, die Handel, Industrie und die Bevölkerung schmerzhaft und über längere Zeit treffen könnten. Die Verbände rufen die Spediteure und Logistikunternehmen deshalb „DRINGEND“ dazu auf, sich „unverzüglich und bestmöglich“ auf die zu erwartenden Engpässe vorzubereiten.
Die Welt der Logistik und der Lieferketten, von denen die Verbraucher in Westeuropa und auch die Unternehmen auf Gedeih und Verderb abhängen, verändert sich zurzeit täglich, wenn nicht stündlich. Der Versorgungskollaps in Deutschland steht möglicherweise schon an der Türschwelle.
Nikolja Grabowski, der Vorstand der ELVIS AG zieht ein ernüchterndes Resumée:
„Dass wir in Deutschland seit Jahren mit einem eklatanten Fahrermangel zu kämpfen haben, ist hinlänglich bekannt. Dennoch gibt es bis heute keine belastbaren Lösungskonzepte für dieses Problem. Im Gegenteil: Die Regelungen des Mobilitätspakets, insbesondere die Rückkehrpflicht der eingesetzten Fahrzeuge an den Ort der Niederlassung haben die Lage eher noch verschärft. Das könnte uns jetzt zum Verhängnis werden.“
Die Systeme der LKW-Mautstationen zeigen deutlich, dass osteuropäische LKW-Flotten einen sehr großen Teil des Lastenverkehrs in Deutschland leisten. Wie groß hierbei der Anteil ukrainischer Fahrer ist, darüber gibt es keine genauen Zahlen, ist in der Presseerklärung von ELVIS zu lesen. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) verfüge nicht darüber, weil die Fahrleistung für ukrainische Fahrer nicht extra erfasst wird.
Es gibt aber Zahlen zu den polnischen LKW-Fahrern in Deutschland. DAS Bundesamt für Güterverkehr beziffert diesen mit 17,5 Prozent. Das ist mehr als die Hälfte der von ausländischen Unternehmen in Deutschland geleisteten Transporte. In der Branche ist es aber bekannt, dass viele Fahrer, die auf den Lohnlisten polnischer Unternehmen stehen, Ukrainer sind. Der größte Teil dieser Männer fällt aber nun schlagartig aus. Ein sehr großer Teil davon wird von der allgemeinen Mobilmachung in der Ukraine einberufen und muss Dienst an der Waffe leisten. Ein anderer Teil kehrt in die Ukraine zurück und will die eigene Familie in Sicherheit bringen.
Es wird aber wahrscheinlich nicht nur bei dem Ausfall ukrainischer Fahrer bleiben. Wenn der Konflikt weiter schwelt, werden wahrscheinlich auch andere Anrainerstaaten um die Ukraine herum ihre Soldaten und Reservisten einberufen.
Die Einschätzung der Lage durch Thomas Hansche, Sprecher der BLV-pro, könnte düsterer kaum sein:
„Dann wird sich bedauerlicherweise zeigen, was der seit Jahren versäumte Wandel und die fehlende Unterstützung der heimischen Logistikbranche für Auswirkungen auf die Versorgung unserer Bevölkerung haben wird. Durch die von der Politik zugelassene Zunahme der Abhängigkeit von billigen Flotten durch die „Geiz ist Geil Mentalität“ der Industrie, Discounter und Verbraucher, den fehlenden Kontrollen der Aufsichtsbehörden und des Verdrängungswettbewerbs stiegen deren Marktanteile, die nun drohen, abrupt und ohne Ersatz wegzubrechen. (…) Neben leeren Regalen droht der Bevölkerung und der Industrie das nächste Desaster; knappes Gas, was ja schon immens im Preis gestiegen ist und weiter steigen wird. Ohne ausreichendes Gas keine Wärme für die Menschen, Auswirkungen auf die Produktivität in der Industrie (…) Weiter wird der ab 1. April geltende Dünger-Exportstopp der Russen das globale Düngemittelangebot spürbar reduzieren und zu einer weiteren Krise in der Landwirtschaft führen. Da Russland auch mit der größte Lieferant weltweit für Weizen ist, mögen wir uns diese Auswirkungen gar nicht ausmalen. Es muss jetzt der inländische Güterkraftverkehr gestärkt, gefördert und ausgebaut werden, um dem drohenden Kollaps entgegenzuwirken.“
Klaus Meyer, Vorsitzender der Fachkommission Logistik und Mobilität im BVMW, warnt: „Wir reden hier von geschätzt 100.000 ukrainischen Fahrern, die sich aktuell allein in Polen aufhalten und den Transportunternehmen schon bald nicht mehr zur Verfügung stehen könnten. Das käme einem Aderlass gleich, der sich kaum kompensieren ließe.“
Die Unternehmensverbände ELVIS und BVMW warnen aber nicht nur die deutschen Spediteure und Logistikunternehmen, schnellstens Ausweichmöglichkeiten zu finden. Sie fordern auch die Politik auf, zusammen mit der Branche sehr schnell Lösungsansätze zu finden. So könne man als erstes den Mobilitätspakt aussetzen, der die LKW-Fahrer und Unternehmen dazu verpflichtet, immer an den Ortzurückzukehren, an dem das jeweilige Transportunternehmen seinen offiziellen Sitz hat. Es gehe dabei nicht um die Abschaffung des Mobilitätspaktes, sondern darum, in dieser Situation flexible Möglichkeiten zur Bewältigung dieser Ausnahmesituation zu schaffen.
Die“Supply Chain Visibility“ (SCV, die Transparenz der Lieferketten) zeigt jetzt schon einen signifikanten Rückgang der russischen Exporte nach Westeuropa hinein an:
- Die russischen Importmengen sanken im Vergleich zum 28. Februar um 28 % gegenüber der Vorwoche.
• Öl- und Gaslieferungen sind um 12% gesunken.
• Am stärksten betroffen waren das verarbeitende Gewerbe und der Einzelhandel, die im Vergleich zur Vorwoche um 56% bzw. 26% zurückgingen.
• 20–30%ige Erhöhung der Transaktionspreise für Luftfracht von Asien nach Europa.
• Indien versucht, die Sanktionen zu umgehen, um den russischen Handel aufrechtzuerhalten
Wie das schon vorher absehbar war, ist Deutschland (noch) gehorsam gegenüber den Vorgaben der USA, während ein großes und wichtiges Land, wie Indien aktiv Möglichkeiten durchspiet, die Sanktionen zu unterlaufen. Die Branchenseite „trans.info“ beleuchtet einige interessante Entwicklungen weltweit in diesem Zusammenhang:
Berichten aus Indien zufolge sucht die Regierung des Landes nach Wegen, den Handel mit Russland nach den Sanktionen des Westens aufrechtzuerhalten.
„The Hindu“ schreibt, dass das indische Handels- und Industrieministerium verschiedene Ideen von Exporteuren prüft, wie z. B. Zahlungen in Drittländern und die Zulassung von Geschäften in Rubel. Die Zeitung fügt jedoch hinzu, dass der fehlende Versicherungsschutz und die steigenden Frachtraten weitere Probleme sind, mit denen das Land zu kämpfen hat.
Russland ist der 25. größte Handelspartner Indiens. Zu den wichtigsten Einfuhren aus Indien gehören Tee, Arzneimittel, Mobiltelefone und andere elektronische Geräte, Maschinen, Eisen und Stahl sowie Bekleidung.
China unterstützt Russland massiv und obwohl man eine „begrenzte Rückendeckung“ proklamierte, scheint China aber sehr aktiv die russischen Handelsbeziehungen zu unterstützen. Die chinesische Reederei COSCO bedient weiterhin wie gewohnt russische Häfen, schreibt Maritime Executive. Großredereien wie Maersk ließ in einer Erklärung wissen: „Da die Stabilität und Sicherheit unserer Operationen bereits direkt und indirekt durch die Sanktionen beeinträchtigt wird, werden neue Maersk-Buchungen von und nach Russland vorübergehend ausgesetzt, mit Ausnahme von Lebensmitteln, medizinischen und humanitären Lieferungen.“
Die massiv steigenden Kraftstoffpreise tun ein Übriges, um dem Transportgewerbe das Lebenslicht auszublasen. Die Branchenseite Transport-online.de: Um die Versorgung von Bevölkerung und Industrie zumindest einigermaßen aufrecht zu erhalten, fordert der BWVL, die Steuern auf LKW ‑Dieselkraftstoffsteuern für diese Zeit entsprechend zu senken. Der Verband begründet seine Forderung damit, dass die im Zuge des Ukrainekriegs eingetretenen exorbitanten Preissteigerungen bei den Energiekosten die Logistik und damit die Wirtschaft insgesamt in bislang nicht gekanntem Ausmaß belasten. Überdies kommen zur Mehrwertsteuer nicht nur die Mineralölsteuer, sondern auch die 2021 eingeführte CO2-Abgabe hinzu.
BWVL-Präsident Jochen Quick: „Die jüngsten Preisexplosionen bedeuten eine immense (Logistik-) Kostenwelle für Unternehmen und Verbraucher, erhöhen die Inflation und wirken lähmend auf sämtliche Branchen.“
BWVL-Hauptgeschäftsführer Markus Olligschläger mahnt: „Nicht nur für kleine und mittelständische Unternehmen mit eigener Logistik kann die Energiepreisentwicklung zur existenziellen Bedrohung werden, auch der Versorgungssicherheit der Bevölkerung droht damit Gefahr.“
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