Alles schreit nach Bestrafung Russlands, russische Dirigenten, Sportler, Schachweltmeister, russische Künstler und Prominente werden nun weltweit für den russischen Einfall in die Ukraine persönlich haftbar gemacht und werden gekündigt und davongejagt. Der „Westen“ zückt das einzig scharfe Schwert, das er hat (denn die Armeen Europas könnten Russland nicht standhalten) die „Sanktionen“. Nur hat ein Schwert immer zwei Schneiden. Und die lassen nicht nur Russland, sondern auch Europa bluten.
Die Dusche an Sanktionen gegen Russland schadet nicht (nur) Präsident Putin. Sie schadet den ganz normalen Menschen in Russland. Das wissen auch die Sanktionierer, und das wollen sie auch: Werden die Menschen in Probleme und Nöte geworfen, werden sie vielleicht gegen Putins Regierung auf die Straße gehen. Möglicherweise aber auch nicht. Es wäre gut möglich, dass sich dann auch seine Kritiker in der Not hinter ihn stellen.
Umgekehrt werden in Europa die Menschen überrascht feststellen, dass die Sanktionen uns sehr weh tun werden. Sie werden in die deutsche Wirtschaft Schneisen schlagen, der deutsch-russische Handel kann dadurch komplett zum Erliegen kommen. Denn die Sperrung der Banken-Kommunikation und des SWIFT-Systems für russische Banken macht für die westlichen Unternehmen den Handel unmöglich, die Zahlungswege sind auch uns versperrt. Deutsche Firmen können die aus Russland gelieferten Waren nicht mehr bezahlen und umgekehrt.
Möglicherweise werden die Unternehmen also heimlich still und leise die SWIFT-Sanktionen umgehen. Eine Agentur oder ein Handelsunternehmen ist in den arabischen oder asiatischen Ländern schnell gemacht. Dort gibt es keine Sanktionen gegen Russland – und so könnte eine intelligente Lösung dann doch für zumindest einen Basis-Handel mit Russland gefunden werden. Es ist auch durchaus vorstellbar, dass hinter den Kulissen China hier den Russen helfen könnte.
Die USA, Frankreich, Kanada, Italien, Großbritannien, die EU-Kommission und Deutschland haben also diese SWIFT-Sperrung und weitere Sanktionen gegen die russische Zentralbank beschlossen. Die Schweiz ist zwar kein EU-Land, hat sich aber trotz ihres Grundsatzes der Neutralität doch den Sanktionen angeschlossen. Das hat sie nicht einmal im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gemacht.
Empfindlich trifft es die russischen Banken in der EU. Nicht nur die hier in Westeuropa lebenden Osteuropäer haben oft ihre Konten auf Tochtergesellschaft der Sberbank, Sberbank Europe AG mit Sitz in Wien und Tochtergesellschaften in Kroatien und Slowenien. Die Kunden dieser Banken befürchten, dass ihr Geld wegen der SWIFT-Sperrungen dort nicht mehr sicher ist und ziehen ihre Gelder ab.
„Die Sberbank Europe hat eigenen Angaben zufolge etwa 773.000 Kunden in Zentral- und Osteuropa, davon 65.000 in Deutschland und Österreich. (…) Die Nationalbank in Prag leitete Schritte ein, um der Sberbank-Tochter in Tschechien die Banklizenz zu entziehen.“
Die russischen Banken sollen also von den internationalen Zahlungsströmen ausgeschlossen werden, um Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen. Was bedeutet das für Deutschland? Darüber finden wir einiges beim Statistischen Bundesamt. Hier gibt es eine Pressemitteilung vom 24. Februar 2022, genau an dem Tag des russischen Einmarsches in die Ukraine.
Hier lesen wir:
„Zwischen Russland und Deutschland werden primär Rohstoffe, Fahrzeuge und Maschinen gehandelt. Deutschland importierte 2021 vor allem Erdöl und Erdgas im Wert von 19,4 Milliarden Euro – das war ein Zuwachs um 49,5 % und machte 59 % aller Einfuhren aus Russland aus. Außerdem lieferte Russland vor allem Metalle (4,5 Milliarden Euro, +72,1 % gegenüber 2020), Mineralöl- und Kokereierzeugnisse (2,8 Milliarden Euro, +23,0 %) sowie Kohle (2,2 Milliarden Euro, +153,0 %) nach Deutschland.
Dagegen exportierte Deutschland im Jahr 2021 vor allem Maschinen (5,8 Milliarden Euro, +5,7 %), Kraftwagen und Kraftwagenteile (4,4 Milliarden Euro, +31,8 %) sowie chemische Erzeugnisse (3,0 Milliarden Euro, +19,7 %) nach Russland.
Russland zählt mit einem Anteil von 2,3 % am deutschen Außenhandel insgesamt zu den 15 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands im Jahr 2021.Außerhalb der Europäischen Union war Russland 2021 für Deutschland der viertwichtigste Importpartner sowie der fünftwichtigste Abnehmer deutscher Waren.“
Das sind also keine Peanuts für beide Seiten. Und so schreibt auch die New York Times, dass die EU-Sanktionen, besonders, wenn sie noch verschärft werden, eine Schneise der Verwüstung durch die Volkswirtschaften Europas schlagen wird. Schon jetzt protestieren mehrere EU-Länder gegen die Sanktionen, die ihnen mehr schaden als Russland.
Russland dagegen wird sich nach Osten orientieren und mehr mit China handeln und den asiatischen Staaten und Südamerika. Reuters schreibt:
„… die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten haben noch nie zuvor versucht, eine 1,5‑Billionen-Dollar-Wirtschaft aus dem globalen Handel herauszuschneiden, und es ist unklar, wie viel Druck sogar einheitliche westliche Sanktionen auf Moskau ausüben können. (…) Neue Sanktionen könnten Russland dazu veranlassen, zu versuchen, seine nicht auf Dollar lautenden Handelsbeziehungen mit Peking zu vertiefen, um die Beschränkungen zu umgehen.“
China hat schon klar gemacht, dass es ein Großabnehmer für russisches Gas und Öl sein wird. Damit hat China sein Energieproblem gelöst und Europa ein großes Energieproblem bekommen. Und auch andere schmerzhafte Probleme: Das Riesenland Russland ist einer der großen, weltweit führenden Exporteure von (eben nicht nur Öl und Gas) Kupfer, Aluminium, Palladium und sehr wichtigen anderen Rohstoffen, darunter auch „Seltene Erden“, die unverzichtbar für Hochtechnologie sind.
Der Hamburger Hafen ist ratlos. Die Sanktionen treffen hier direkt ins Herz der Lieferketten und des Güterumschlags:
„Der Chef der Hafenbehörde (HPA), Jens Meier, erklärte, der Handelsverkehr mit Russland sei zum Erliegen gekommen. ‚Im Moment sind alle ein wenig ratlos.‘ In der Hansestadt gebe es viele Firmen, die seit Jahren mit Russland Handel trieben. Man könne nur die Hoffnung aussprechen, dass sich die Dinge wieder normalisierten und das Leid in der Ukraine beendet werde, fügte Meier hinzu. (…) Hamburg sei auch davon betroffen, dass es keine direkten Zugverbindungen durch die Ukraine mehr gebe. Dies habe auch Folgen für den Güterverkehr von und nach China. Die sogenannte Eiserne Seidenstraße zwischen Europa und der Volksrepublik hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer Alternative zum Transport über den Seeweg entwickelt.“
Das Ganze wird Deutschland und Europa enormen Schaden zufügen, und wir werden uns noch wundern, welche Auswirkungen das auf unseren Alltag haben wird. Schon seit Anfang Februar (also vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine) verschärfen sich die Lieferprobleme im deutschen Einzelhandel. 76,3 Prozent der Einzelhändler klagten, dass nicht alle bestellten Waren geliefert werden konnten, wie aus der am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts hervorgeht. Im Januar waren es noch 57,1 Prozent. Dabei ist das Brechen der Lieferketten durch die Sanktionen noch gar nicht in den Februarzahlen enthalten. Lieferengpässe und Inflation werden sich verstärken. Die Lücken in den Regalen werden in jedem Fall größer werden und die Preise spürbar steigen:
“‘Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine drohen die Kosten für Gas und Öl weiter zu steigen und damit viele weitere Preise für die Verbraucher’, sagte der Leiter der Ifo-Konjunkturprognosen, Timo Wollmershäuser. ‚Eine Fünf vor dem Komma der Inflationsrate im Gesamtjahr 2022 wird gerade wahrscheinlicher als eine Drei.‘”
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