Die Aufregung ist groß und hält an über eine Äußerung unserer Außenministerin, die sie auf einem Panel des Forum 2000 in Prag getätigt hat: Sie werde liefern, „no matter what my german voters think, but i wan’t to deliver to the people of the ukraine.“ Ebenso laut wie die kritischen Stimmen sind jedoch die zustimmenden, die in der Rede Baerbocks vor allem die bedingungslose Unterstützung der Ukraine sehen wollen und feiern. Zunächst mal unterstreiche ich meinen Standpunkt, dass ich prinzipiell für die Unterstützung der Ukraine bin, wenn ich auch stark bezweifle, dass die Art und Weise, wie unsere Politik dies zu tun vorgibt, zu irgend etwas Positivem führen wird. Es war jedoch nicht der nun im Feuer stehende Satz, der mich erstaunt hat, denn erstens bin ich nicht „ihr Wähler“ und werde es nie sein und zweitens kann es doch niemanden ernsthaft überraschen, dass eine Exekutive sich einen feuchten Kehricht um das schert, was Wähler denken!
Wie so oft bei dieser Regierung ist es das mangelnde diplomatische Dekorum, welches vermisst wird. In diesem Fall durch die Deutschen, die nun die Torte im Gesicht spüren, während den Ukrainern das Dessert schmecken dürfte. Es hätte dieses unbedachten Satzes keinesfalls bedurft, um das zu sagen, was zu sagen war und wir dürfen davon ausgehen, dass solch eine verbale Entgleisung, die zu empörten Reaktion geradezu herausfordert, einem Genscher, Kinkel oder Westerwelle nicht passiert wäre. Aber wissen Sie was, liebe Leser: geschenkt!
Im Gedächtnis wird dieser Fauxpas bleiben und nicht die Essenz der Rede, nämlich ein weiterer „what ever it takes“-Moment in einer langen Reihe zu sein. Griechenlandrettung, Bankenrettung, Eurorettung, Klimarettung, Uniper-Rettung, Ukraine-Rettung – in diese Liste wollte Baerbock sich eingetragen und wie alle ihre Koste-es-was-es-wolle-Kollegen interessiert sie sich nur wenig für die Kollateralschäden bei jenen, die ihre Politik zu ertragen und zu bezahlen haben.
Dass nun das große Geraderücken und die Schuldzuweisungen begonnen haben, überrascht auch nur jene, die sich als Wähler Baerbocks irgendwie mitgemeint fühlen. Peter Ptassek, im Außenministerium für strategische Kommunikation zuständig, sieht pflichtschuldigst russische Desinformation am Werk – was denn auch sonst! Das viral gehende Video sei sinnentstellend zusammengeschnitten und „Desinformation von der Stange“. Er empfiehlt statt dieses kursierenden Schnipsels das komplette – und fast vier Stunden lange – Video zur Erbauung und Untermauerung der lauteren Absichten seiner Chefin – wie überraschend! Sie können aber bis zu 1:22:55 springen, liebe Leser. Erst da kommt der Auftritt der Ministerin.
Auch der Spiegel schlägt in diese Kerbe und spricht von „prorussischer Desinformation“. Ansonsten trägt der Artikel leider nichts dazu bei, die sogenannte „Desinformation“ richtig zu stellen. Wie auch: der Satz wurde so gesagt und war sicher auch so gemeint. Der Rest ist Framing und Delegitimierung von Empörung und Kritik. Viel interessanter sind ohnehin die Kommentare zum Artikel, also die Meinungsäußerungen, die der Spiegel selbst zulässt. Zustimmung allenthalben! Baerbock habe sich klar geäußert, sei authentisch, die Maßnahmen der Regierung notwendig.
Es ist die Fortführung der Presse-Akklamation der Regierungsarbeit mit Hilfe des Leserkommentars. Ein Kommentator verstieg sich sogar zu folgender Aussage: „Bärbock hat recht. Deutschland ist ein sehr reiches Land und wir werden es nicht merken, wenn wir einige 100 Milliarden Euro für Waffen und den Wiederaufbau an die Ukraine überweisen.“ Natürlich weiß ich nichts über die finanziellen Reserven eines registrierten (und zahlenden) Spiegel-Lesers, habe aber den Verdacht, dass dieser keine Vorstellung davon hat, auf wessen Fell unsere geliebte Außenministerin da gerade zum Markt reitet, mit welchem Auftrag sie eigentlich unterwegs ist und wie dünn das Fell des “reichen Landes” mittlerweile geworden ist.
What ever it takes!
Es ist nämlich nicht die kleine Entgleisung oder Wählerbeleidigung, sondern die im weiteren Gespräch immer wieder zutage tretende Amtsanmaßung, die zu kritisieren ist. Etwa „Die Ukraine wird Mitglied der EU. Punkt!“ oder „Es wird so lange dauern, wie er braucht, aber am Ende werden wir gewinnen.“ Alles ignorante, präfaktische und besitzergreifende Aussagen, die Baerbock nicht zustehen und Putin genau die Argumente in die Hand geben, um genauso weiterzumachen wie bisher und sein Proxy-Feindbild „expansionistische EU“ zu füttern. „Seht ihr“, wird er sagen, „sie halten sich nicht an ihre eigenen Regeln, an die Kriterien, die man erfüllen muss, um EU-Mitglied zu werden und um all die langen Prozesse und Prüfungen, die es dazu braucht. Sie sagen: du wirst Mitglied und Punkt. Und sie sprechen vom Sieg, warum sollen wir das nicht auch tun?“
Die Leichtfertigkeit der Versprechen ist es, die mir Angst macht, nicht die Wählerbeleidigung oder ein vermuteter verletzter Amtseid, um den sich hierzulande ohnehin niemand kümmert, am wenigsten die Politik selbst, die sich viel lieber in flexiblen Notwendigkeiten als starren Grundsätzen bewegt, auch wenn ständig das Gegenteil behauptet wird.
Doch ist dem gebeutelten und beleidigten Wähler nicht ganz im Sinne Hölderlins Abhilfe versprochen? Wächst nicht, wo Gefahr ist, das Rettende auch? Die negativen Folgen der Sanktionen (bzw. der deutschen Abhängigkeit von russischer Energie) werde man durch Maßnahmen abfedern, meint Baerbock. Doch wie kommt sie darauf, dass dies gelingen wird? Das Stickstoffwerk Piesteritz, das Ziegelwerk Nelskamp oder die Porzellanmanufaktur Eschenbach gingen bei diesem „Abfedern“ schon zu Bruch, weitere Kollateralschäden in der Industrie und Millionen Privathaushalten werden kaum noch abzuwenden sein.
Die Möglichkeit, dass das Baerbock‘sche „whatever“ buchstäblich alles sein und es am Ende dennoch nicht reichen könnte, die EU, den Euro, das Klima und die Ukraine zu retten, scheint unsere Außenministerin mit ihrem „… in the end we will win“ jedenfalls nicht in den Sinn zu kommen. Ich bin da weitaus skeptischer, zumal wir uns durch den Krieg gegen Russland und dem gegen die energetische Vernunft mal wieder in einem Zweifrontenkrieg befinden. Die Rede Georg VI. am 3.9.1939 zum Kriegseintritt Großbritanniens, die sich gerade zum 83. Mal jährt, endete mit der Wendung „…with God’s help, we shall prevail.“ Eine vergleichbare Demut – nicht nur den Wählern, sondern auch den eigenen Fähigkeiten gegenüber – lassen die Äußerungen Baerbocks leider vermissen.
Quelle: unbesorgt.de