Auf Amazons Webseite hagelt es Verrisse. Die teure, neue Großproduktion des Streaming-Dienstes von Amazon Prime Video kommt nicht gut an. Nur 39 Prozent Nutzerzustimmung, das ist auf gut Deutsch ein Flop für das Megaprojekt. Der größte Zankapfel dabei ist die Tatsache, dass es in dem Serial auch schwarze Hobbits und Elben gibt. Die meisten Zuschauer mögen es nicht. Viele sagen, dass das mit Tolkien nichts mehr zu tun habe, sondern mehr mit einer „verkrampften Volkserziehung“.
Amazons Reaktion: Man schränkte die Möglichkeiten zur Bewertung ein. Bewertungen mit ein, zwei oder drei Sternen – also miese Bewertungen – waren nicht mehr möglich. Nur ab vier Sterne aufwärts ließ Amazon gnädigst die Kunden voten. Sowas kommt nicht gut an und spricht sich blitzschnell herum. Nach Protesten gab Amazon nach, und man kann wieder voten.
Aufwendig ist das Werk gemacht. Amazon hat an nichts gespart, das kann man in den Trailern schon sehen.
Die Tolkienfreunde sind zu großen Teilen schlicht verprellt. Tolkiens Welt wird verfälscht und viele Figuren durch „politisch korrekte“ Charaktere ersetzt. Es gebe plötzlich wesentlich mehr weibliche Kämpfer und es seien unmotiviert Rollen mit Farbigen wider Tolkiens Figuren besetzt worden. Die Tolkien-Fans maulen: Zuerst politisch-korrekte Volkserziehung und dann auch noch Zensur.
Besonders schlau ist das nicht von Amazon. Denn es geht ja auch um Zuschauerzahlen. Da kommt keine Hype-Stimmung auf und die Tolkien-Fans wären eigentlich das Zielpublikum gewesen, das schon mal einen verlässlichen, festen Block an Zugriffen und begeisterten Wertungen geliefert hätte. Bei Streamingdiensten sollte es doch in erster Linie um begeisterte und zufriedene Zuschauer und positive Kritiken gehen, oder? Dabei startete es vielversprechend: Schon am ersten Tag schauten sich mehr als 25 Millionen Zuschauer den Fantasy-Schinken an. Es hätte so schön werden können.
Stattdessen plärrt die eine Seite „Rassismus!“ und die andere „krampfige Volkserziehung“. Man rangelt um die Authentizität der Tolkien-Welt, beschuldigt sich gegenseitig, ideologisch oder rassistisch zu sein oder es mit der Diversität einfach immer und überall zu übertreiben.
Manche bringen es in den Kommentaren gut auf den Punkt: „Weil es Fantasy-Figuren sind, unterliegen sie nun einmal Rassen, Klassen und dementsprechend Aussehen, sonst sind es Mischwesen Punkt. Auch wenn es für einige rassistisch klingen mag: Es gibt nun einmal klassisch keine Schwarzen Hobbits, Zwerge oder gar Elfen. Man muss nicht überall mit aller Macht Wokeness und Diversität durchdrücken. Das ist im Moment ein riesiges Problem, das alle Filme und Serien durchleben.“
Doch selbst ein Kommentator, dem es „wurst“ ist, „ob Fantasiewesen irgendeine andere Hautfarbe haben, als nur weiß“ setzt hinzu, dass die „überbordende Wokeness, die eine winzige und mächtige Minderheit überall durchdrücken kann“, ihn schon sehr nerve.
Ein sehr prominenter Nutzer, Elon Musk ätzte: „Tolkien würde sich im Grab umdrehen“. Und präzisiert: „Fast jeder männliche Charakter ist bisher ein Feigling, ein Idiot oder beides. Nur Galadriel (weiblich) ist mutig, klug und nett.“
Auf einer Netzseite, die ein Diskussionspaneel „Der Herr der Ringe Wiki“ eröffnet hat, meldet sich ein Nazgul187, ein „bräunlicher Latino“ zu Wort und meint:
„Also ich als (bräunlicher) Latino muss ehrlich sagen, dass mir alles passt, solange es sich an die Vorgaben von Tolkien hält. Wenn im Buch keine schwarzen Hobbits sondern bräunliche Hobbits beschrieben werden haben in der Serie keine schwarzen Schauspieler mit zu spielen, fertig. Das hat nichts mit Rassismus zu tun sondern mit Respekt Tolkien und den Fans seiner Werke gegenüber. Ich persönlich habe beim Thema Political Corectness in Filmen die Schnauze gestrichen voll und sollten sie sich nicht an die Vorgaben halten und nur ein Mann durch eine Frau ersetzen bin ich ehrlich raus. (…) Meine Haut ist dunkler als die jedes Hobbits in HDR deshalb fühl ich mich aber nicht angegriffen oder ausgeschlossen. Deshalb muss sich keiner ausgeschlossen fühlen. (…) Wenn sie Figuren um politisch korrekt zu bleiben abändern, ist das auf gut Deutsch DAS ALLER LETZTE.
Haltet euch an die Vorgaben. Alles andere ist unnötiger Hollywoodbullshit. Verrat an Tolkien und seinen Fans oder simple Kulturverleugnung. Nennt es wie ihr wollt.“
Nutzer„Ihayakil“ Sieht es ähnlich:
„Ich als Asiate fände es auch komplett absurd und irgendwie auch beleidigend, wenn Schauspieler, die mich durch unsere “gemeinsame Herkunft” repräsentieren sollen, plötzlich ohne jegliche Beweise im Text (oder seltsam modern interpretierte Textstellen) auftreten, nur um “unseren Kulturkreis” schön abhaken zu können. Tolkiens Werke sind in gewisser Weise Ventile für den “modernen” Leser, der seinem Alltag, welcher mit eben solchen allseits präsenten Tagesthemen gefüllt ist, entgehen möchte. Wer diesen Aspekt der Werke Tolkiens nicht verstanden hat und moderne, politische Trendthemen in eine Serie zu eben diesem Werk einfügt, wird nicht in der Lage sein, ein vernünftiges Produkt herauszubringen. Und diese scheinbar willkürlichen Änderungen sind nichts anderes als politische Statements.“
Es sind also offenbar nicht alles weiße, rechtsradikale Rassisten, die sich gegen die Vergewaltigung des Werkes von Tolkien wenden. Was sie alle unterschwellig auch transportieren, ist etwas ganz anderes:
Hätte Amazon ein Fantasy-Epos geschaffen, was nicht an Tolkien anknüpft, sondern eine ganz andere, eigene Legende erfunden, ebenso opulent und großzügig ausgestattet, gerne mit allen möglichen Kulturen, Rassen, usw. – es hätte niemanden gestört und die Leute wären begeistert gewesen. Es hätte niemanden verletzt.
Tolkien hat zwar eine Fantasy-Welt mit ikonischen Helden, Königreichen, Kulturen und Symbolen geschaffen. Aber er hat sie nicht vollkommen frei erfunden im Nirgendwo angesiedelt. Wir sehen eine Wikinger-ähnliche Kultur und die dazugehörigen Menschen. Tolkiens Elben, Trolle, Drachen und Feen sind uralte Sagengestalten, wie auch Zwerge, Druiden, Magier mit spitzen Hüten, Schwerter, Festungen im Gebirge, Drachenschiffe … das alles sind Versatzstücke, die aus der europäischen Kultur und aus der alten Sagen- und Denkwelt der Europäer stammen und daher auch sehr tiefe Wurzeln in uns Europäern haben. Sie berühren uns auf eine ganz andere Art, als Sagen und Märchen aus anderen Kulturkreisen. Es ist ein Teil unserer Kultur. Das war auch der Erfolg von „Vikings“ oder Mittelalter-Epen, wie „Ivanhoe“, dem Nibelungenlied oder der König-Artus-Sage.
Es sind eben keine reinen Fantasiegestalten, die man beliebig umbesetzen kann. Es sind die Wurzeln unserer europäischen Identität, die – wie jede andere Kultur auch — von Sagen und Überlieferungen lebt, die von Generation zu Generation weitergegeben, ausgeschmückt, besungen und überhöht werden, Transzendentes hineinweben, Götter, Geister und Fabelwesen mit aufnehmen. Das sind die geistigen Ahnen, die jede Kultur braucht und pflegt.
Deshalb reagieren viele so aggressiv auf das Amazon-Tolkien-Sequel, weil hier eine ziemlich brutale „kulturelle Aneignung“, ja, sogar Umformung stattfindet. Sie spüren, dass selbst diese kollektive, unterbewusste, traumartige Identität nicht mehr existieren darf und ihnen gestohlen werden soll.
Wird vielleicht morgen die Artus-Legende verfilmt mit einer lesbischen Indiofrau in der Hauptrolle? Wie toll fänden es wohl die Japaner, wenn man ihnen eine Serie vorsetzen würde, in der ihre Samurai-Helden-Legenden von nordeuropäischen Blondinen gespielt würden?