Ehemalige Heimkinder brechen immer öfter ihr Schweigen. Sie treffen sich auf Kongressen und berichten über ihre Erfahrungen. Die Sonderpädagogik-Dozentin und Publizistin Anja Röhl organisierte so ein Treffen 2019 auf Sylt mit sogenannten „Verschickungskindern“. Sie vernetzt die Opfer der Kinder-Erholungsheime und Kinderheilstätten. Die von ihr zusammengetragenen Berichte zählen auf Hunderten von Seiten von Prügeln, Isolation und eiskalten Duschen, sexuelle Gewalt und ungenießbares Essen auf. Aber auch heute noch werden in Heimen die Kinder sediert, als Testpersonen für Pharmaexperimente benutzt und komplett falsch medikamentiert.
Die Berichte der ehemaligen „Verschickungskinder“ lassen einem die Haare zu Berge stehen. Sie berichten von sexuellen, gewalttätigen Zudringlichkeiten bis hin zu Vergewaltigungen. Wenn sie den Schlangenfraß, der ihnen hingestellt wurde, nicht essen wollten, wurden sie zwangsgefüttert. Wenn sie aus Ekel erbrachen, mussten sie ihr Erbrochenes essen.
Eine Arbeit von Silvia Wagner und Burkhard Wiebel mit dem Titel „Verschickungskinder“ – Einsatz sedierender Arzneimittel und Arzneimittelprüfungen. Ein Forschungsansatz:
„Dieser Beitrag befasst sich mit der Frage, inwiefern es solche medikamentösen Praktiken in den Einrichtungen der damaligen Zeit gegeben hat, das heiß,t es wird Hinweisen auf den Einsatz medizinisch nicht indizierter Arzneimittel, vor allem Sedativa (Beruhigungsmittel), sowie auf durchgeführte Arzneimittelprüfungen bei Verschickungskindern nachgegangen.“
Das, so stellt die Arbeit fest, betraf hauptsächlich Kinder, die aus ihrer Lebensumgebung herausgeholt wurden, weil es staatlicherseits als ein Auftrag der „öffentlichen Erziehung“ gesehen wurde, Kinder aus Familien mit „Problemlagen“, Kinder Alleinerziehender, „gestörte“ Familien und Milieus oder Kinder und Jugendliche mit „gestörten Anlagen“, die man als minderwertig klassifizierte, aus ihrem Umfeld heraus zu holen. Entsprechend wurden diese jungen Menschen in den Heimen und Kinderheilstätten auch behandelt.
Die ehemaligen Heimkinder berichten auch davon, Tees oder Tabletten verabreicht bekommen zu haben, von denen sie müde und benommen wurden. Das macht dem Personal den Tag natürlich leichter, wenn die Kinder ruhig und benommen sind, statt – wie es Kinder tun – herumzurennen, Unsinn zu machen, sich zu streiten oder Schaden anzurichten, rufen, kreischen, Unsinn machen. Das wird auch in der Arbeit betont (Seite 11):
„Für die medikamentöse Sedierung der Heimkinder gab es in der Regel keine medizinische Indikation, sondern sie diente letztlich der Institution, indem die Heranwachsenden auf diese Weise leichter zu ‚handhaben‘ waren. Solch eine Praxis kann als ‚soziale Medikation‘ bezeichnet werden. (…) Es handelte sich um eine ‚unsichtbare Fixierung‘, um medikamentöse Gewalt“
In der damaligen Fachliteratur wird der Einsatz von Sedativa auch durchaus empfohlen, gegen Heimweh und für eine bessere Eingewöhnung, abends Schlafmittel zu verabreichen, damit für alle eine erholsame, ruhige Nachtruhe möglich werde. Allerdings mit der Voraussetzung verbunden, dass dies die „Anwesenheit eines urteilskräftigen, fachlich genügend vorgebildeten Arztes in den Heimen“ erfordere, was „oft genug nicht der Fall“ sei.
Bei der Suche nach Unterlagen stießen die Autoren der Arbeit in einem damaligen Fachmedium über die Kinderklinik und Kinderheilstätte „Kaiserin Friedrich“ auf Norderney auf Folgendes (Seite 14/15):
„Hier wurde laut einer Publikation in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift ‚die therapeutische Wirkung‘ des Anthelmintikums Uvilon® (Wirkstoff: Piperazin) an 42 Kindern im Alter von 2 bis 14 Jahren ‚geprüft‘. Wie erwähnt, handelte es sich bei der Einrichtung um ein Kindererholungsheim und zugleich um eine Kinderheilstätte. (…) Dass das Präparat nicht generell medizinisch indiziert war, wird besonders an dem Umstand deutlich, dass es auch ‚heimwehkranken Kindern‘ verabreicht wurde. Dazu heißt es: ‚Kinder, die besonders unter der Trennung von zu Hause litten, gewöhnten sich viel schneller in ihre neue Umgebung ein und wurden ausgeglichener, wenn man schon am ersten Tag mit der Verabreichung von Contergan begann.‘ “
… und so geht es munter dahin. Wer nun meint, das sei heute nicht mehr so, der irrt. Der Bayerische Rundfunk recherchierte und fand heraus, dass auch heute noch Heimkinder immer wieder auch über lange Zeit mit Psychopharmaka sediert werden. Ein heute junger Familienvater erinnert sich noch gut an seine Zeit im Heim. Er kam mit 12 Jahren dorthin. Vor dem Abendessen bekam er immer eine Tablette. Die hatte nicht nur die Wirkung, dass er kaum Hunger hatte:
„Noch viel schlimmer ist für Fabian die sedierende Wirkung. Seinen Kopf muss er auf die Hände stützen, immer wieder fallen ihm die Augen zu. „Ich habe teilweise schon gefragt, ob ich ins Bett darf? Dann hieß es: ‘Nö!’ ” So erinnert sich der junge Familienvater an seine Zeit in einem Augsburger Kinderheim, in das er als Zwölfjähriger kommt.“Dipiperon habe ich bekommen, über ein bis zwei Jahre”, sagt Fabian. Das Medikament ist ein Neuroleptikum, dass vor etwa einem Jahr erstmals in die Schlagzeilen kommt. Der als “Star-Psychiater” betitelte Arzt Michael Winterhoff soll Kinder damit jahrelang in unverantwortlicher Weise sediert haben.“
Der Kinderpsychiater Michael Winterhoff hat nun die Staatsanwaltschaft Bonn an den Fersen. Es geht um eine „hohe dreistellige Zahl an Fällen“ von möglicherweise schweren Schäden aufgrund seiner Behandlungsmethoden. Und noch immer ist die enorme Dimension des Falles nicht klar. Herr Winterhoff hat über dreißig Jahre lang Kinder und Jugendliche behandelt – und das in etwa 30 Heimen aller Art.
Zuerst ging man von einer zweistelligen Anzahl an Opfern aus, doch bei einer Razzia im Frühjahr dieses Jahres in den Praxisräumen des renommierten Arztes in Bonn und den 15 Einrichtungen in NRW, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, mit denen Herr Winterhoff zusammenarbeitete, beschlagnahmte die Polizei über 2.000 Patientenakten. Ermittelt wird wegen „Verdachts auf gefährliche Körperverletzung durch nicht fachgerechte Behandlung“. 100 Kripobeamte durchsuchten die Einrichtungen in den genannten Bundesländern.
Insbesondere beziehen sich die Tatvorwürfe auf den Einsatz stark sedierender Medikamente in den Heimen. Über Jahre hinweg wurden die Kinder und Jugendlichen mit „Pipamperon“ behandelt, einem Neuroleptikum, das schwere Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen verursachen kann. Pharmazeuten und Ärzte wissen, dass dieses Mittel nur in Notfällen und dann zeitlich eng begrenzt eingesetzt werden darf. Zu den Nebenwirkungen dieses Medikaments gehören Depressionen, Bluthochdruck, Unruhe, Krämpfe und Augenverdrehen, in manchen Fällen Zittern und hohes Fieber. Als Folge davon kann es zu Muskelzerfall und sogar zum Tod kommen. Eine vollkommen verantwortungslose Medikamentierung, Kinder und Jugendliche jahrelang damit zu traktieren – und das, wie sich auch noch herausstellte, aufgrund selbst erfundener Diagnosen durch Herrn Dr. Winterhoff. Diagnosen, die in keinem anerkannten Lehrbuch oder Verzeichnis zu finden sind.
Ehemalige „Patienten“ des gefeierten Kinderpsychiaters haben Strafanzeige wegen Körperverletzung gestellt. Viele der heute Erwachsenen sagen, dass sie heute noch an den Langzeitwirkungen leiden. Mehrere Eltern der damaligen Kinder beteuern, dass sie überhaupt nicht über die Behandlung und deren Risiken informiert worden seien.
„Die haben den Kindern regelmäßig, und zwar allen Kindern, ganz bestimmte Medikamente gegeben. Die wurden untersucht, die Kinder, wie die auf die Medikamente reagieren. Und nach vier Wochen kam ein neues Medikament, und wieder ein neues. Manchmal Säfte, Tuben, Pillen – also unmöglich. Und natürlich konnte man da keine Hilfe erwarten von Heimaufsicht oder vom Jugendamt oder, oder, oder. So mussten wir da eben unser Dasein fristen.“
Psychopharmaka, Libido hemmende Arzneistoffe, Antidepressiva, Schlaftabletten, Neuroleptika, Impfstoffe, Beruhigungsmittel.(Deutschlandfunk.de)
Die BILD schreibt: „Auf BILD-Anfrage teilte damals z.B. das Jugendamt St. Augustin (NRW) mit: ‚Aufgrund ernst zu nehmender Hinweise auf schwerwiegende qualitative Mängel bei der Diagnostik und der medizinisch-psychologischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen der Praxis Dr. Winterhoff‘ werde man die Zusammenarbeit aussetzen.“
Herr Winterhoff bestreitet. Er geht davon aus, dass seine Behandlungen „rechtskonform“ waren.
Der mit Sedativen so freigiebige Kinderpsychiater ist aber leider nicht der Einzige. In vielen Heimen werden die Kinder ruhiggestellt und der Pharmaindustrie als Versuchsratten überlassen. Ein Opfer dieser Praxis, Helfried Gareis, sprach mit der Frankfurter Rundschau über seinen Leidensweg. Er hilft heute anderen Opfern dieser Praktiken in Kinderheimen. Er sagt, dass das Problem noch weit größer war als angenommen. Das sei aber schwer zu beweisen, da die Heime zusammen mit den Behörden den Einsatz dieser Mittel wohlweislich ungenügend dokumentierten. Auch er weist darauf hin, dass es meistens die schwachen Familien der Gesellschaft trifft. Hier werden die Kinder am öftesten herausgeholt, weil sie aufgrund der Umstände oft auffällig werden:
„Sie haben in der eigenen Familie Gewalt erlebt oder wurden aus nichtigen Anlässen als verwahrlost gebrandmarkt. Die Jugendämter verstanden sich als Jugendverfolgungsbehörde und betrieben ihre Strafverfolgung mit größter Menschenverachtung an der desinteressierten Justiz vorbei. Beleidigungen, Gewalt, Bildungsverweigerung, Kinderarbeit und Zwangsarbeit werden heute in den Selbsthilfegruppen beklagt, und auch der materielle Betrug, da die Arbeit nicht entlohnt wurde. (…) Ein Mann aus unserer Frankfurter Gruppe ist im Kinderheim Wolfsmünster, einem Heim der Stadt Frankfurt, mehrfach ans Bett gefesselt und mit Luminal regelrecht betäubt worden. Es gab die chemische Keule statt Heilpädagogik. Die hemmungslosen Bestrafungsorgien waren damals schon als Kindesmisshandlung erkannt.“
Die Seite Deutschlandfunk Kultur zitiert Aussagen ehemaliger Heimkinder. Hier ein paar Zitate:
„Ja und dann hieß es: ins Büro. Da waren die Schächtelchen mit den Medikamenten, Mund auf, runterschlucken, Kontrolle. Ich war einfach völlig benebelt. Wie so ein Zombie irgendwie, völlig willenlos. Und das hat dann natürlich viele Angestellte dazu gebracht, sich jahrzehntelang an den Kindern zu vergehen.“ (Reiner Gläser, ehemaliges Heimkind.)
„Also ich habe vom zweiten Tag an Adumbran bekommen. Vom dritten, vierten Tag hab ich bekommen Valium, zwei Stück, teilweise drei und Encephabol. Das ist ein Mittel für schwerst Demenzkranke.“ (Reiner Gläser, ehemaliges Heimkind.)
„Atosil, Neurocil, Melleril-Retard 200, Speda zum Schlafen, weil ich einmal abends um halb Zehn auf der Fensterbank gesessen hab. Das waren alles Medikamente gegen Schizophrenie, gegen Psychosen richtig. Und ich hatte damals noch keine Psychose. Die haben aber bei mir dann eine Psychose ausgelöst.“ (Petra Alice Berg, ehemaliges Heimkind.)
„Ab Mitte der 50er-Jahre mit Einzug von Psychopharmaka werden die Kinder regelrecht sediert. Man kann schon feststellen, dass es eine kollektive Vergiftung gegeben hat.“(Frank Sparing, Medizinhistoriker an der Düsseldorfer Universität.)
Der Verband ehemaliger Heimkinder fragt nun drängend das, was Sie, lieber Leser sicher schon ans Fragezeichen über Ihrem Kopf schweben haben. So adressieren die Betroffenen klar in Richtung Betreuer, Pfleger und Personal der Heime:
„Die haben doch gesehen, was mit uns passiert ist! Warum ist niemand eingeschritten?“
Interessant und sehr aufschlussreich: In dem Artikel des Deutschlandfunks zu den Arzneimitteltests an den Kindern, stellt der Autor des Beitrages, Stephanie Kowalewski, erschüttert fest:
„Auch an Säuglingen wurden Impfstoffe getestet
Also die Ärzte beschreiben die Prüfsituationen: dass es eben zum Teil Doppelblindstudien waren oder dass es da eine Kontrollgruppe gab oder dann war das Medikament noch nicht auf dem Markt und man wollte gucken, wie es wirkt oder welche Nebenwirkungen es hat. Es sind Präparate getestet worden, um Kinder ruhig zu stellen. Sedierende Präparate also, Psychopharmaka – da hauptsächlich Neuroleptika. Man hat aber auch an Säuglingen in Säuglingsheimen Impfstoffe getestet.“
Einen kritischen Artikel von Stephanie Kowalewski zu den gerade offiziell anlaufende Empfehlung für die experimentellen Covid-mRNA Impfungen an sechs Monate alten Babys, die in diesem Alter auch noch meist gestillt werden, findet man leider nicht im Netz.
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