Chro­no­lo­gie­kritik: Pol­um­kehrung – die Kata­strophe kam von innen

Mit etwa 15 Jahren las ich zum ersten Mal Peter Kaisers “Die Rückkehr der Glet­scher”. Nach der Lektüre hatte ich den Ein­druck, sehr viel über Geo­logie, Vulkane, Erd­beben, Kon­ti­nen­tal­drift und Palä­on­to­logie gelernt zu haben.

Nur was ein Pol­sprung eigentlich war, oder was sich der Autor unter diesem Begriff vor­stellte, hatte ich nicht ganz begriffen. Ich schob das damals auf die für mein Alter teils etwas schwierige Lektüre und behielt soviel im Gedächtnis:

Kata­strophen, aus­gelöst durch tief­grei­fende Ver­än­de­rungen der Erd­achse, sind eine ein­leuch­tende Mög­lichkeit, zahl­reiche geo­lo­gische und palä­on­to­lo­gische Phä­nomene zu erklären, von der Ent­stehung der Stein­kohle bis zum Sauriersterben.

Kürzlich las ich das Buch zum zweiten Mal, diesmal ent­schlossen, der Pol­sprung­theorie auf den Grund zu gehen. Das war schwie­riger als geahnt: Ent­weder hält der Autor die Defi­nition seiner Grundidee für so offen­sichtlich, dass eine genaue Erklärung nicht not­wendig scheint, oder er ver­meidet es, weil es ihm selbst nicht klar ist.

Mit diesem etwas unan­ge­nehmen Gefühl arbeitet man sich durch 440 Seiten (in der Taschen­buch­ausgabe von 1977), während man ver­sucht, aus gele­gent­lichen Hin­weisen darauf zu schließen, was nun genau mit einer Ver­schiebung des Pols gemeint ist: eine Ver­la­gerung des Magnet­feldes der Erde? Ein Kippen der Erd­achse? Eine Ver­schiebung der Erd­kruste gegenüber der Polachse?

Diese dritte, a priori am schwersten vor­stellbare Mög­lichkeit, kris­tal­li­siert sich schließlich als die einzige heraus, die Kaiser im Sinne haben kann, obwohl die grund­le­genden Angaben weit ver­streut im Text liegen und nicht immer übereinstimmen.

Erst auf Seite 77 kommt ein klarer Hinweis: “Die Erd­achse steht ― abge­sehen von der Prä­zession ― immer in einem Winkel von rund 23 Grad zur Ebene der Son­nen­um­laufbahn”. Damit wird aus­ge­schlossen, dass mit “Pol­sprung” ein Kippen der Erd­achse gemeint sein könnte.

Dieser Satz steht inmitten eines Kapitels (Fol­gen­schwere Umpo­lungen) über die Ent­de­ckung von Eisen­teilchen in der Erd­kruste, die nicht nach dem heu­tigen Magnetfeld aus­ge­richtet sind, sondern oft genau umge­kehrt: “Min­destens 171mal wech­selte die Pollage um annä­hernd 180 Grad” in den letzten 76 Mil­lionen Jahren. Eisen­se­di­mente aus den letzten Jahr­mil­lionen beweisen, dass sich die Erde sehr häufig völlig umpolt.

Da diese Beob­achtung als Beweis für die von Kaiser pos­tu­lierten Pol­sprünge her­an­ge­zogen wird, könnten wir hier davon aus­gehen, dass das Magnetfeld der Erde als fix gedacht werden sollte.

Dem ist aber nicht so: der Zusam­men­bruch des Magnet­feldes und seine Neu­formung in einer anderen Aus­richtung ist Vor­aus­setzung und Ursache für den “Pol­sprung”, erklärt Kaiser (S. 13). Diese Ver­qui­ckung von magne­ti­schem und irdi­schem Pol­sprung begleitet uns durch das Buch und trägt nicht immer zum Ver­ständnis bei: Wenn von einer “völ­ligen Umpolung” der Erde gesprochen wird, was ist dann gemeint?

Eine Umkehrung der magne­ti­schen Aus­richtung, also lediglich eine elek­tro­ma­gne­tische Umpolung des Kraft­feldes, oder eine außer­or­dentlich große Ver­schiebung der Erd­kruste gegenüber der Erd­achse, mit der Folge, dass die Bewohner Skan­di­na­viens dann das Kreuz des Südens im Zenit gesehen hätten?

Diese zweite Mög­lichkeit, obwohl über­ra­schend, muss wohl gemeint sein, denn ein großer Teil der geo­lo­gi­schen Bewe­gungen wird damit erklärt, dass sich die Schollen und Ridges der Erd­kruste auf­wölben müssen, wenn sie über die Äqua­tor­ebene gleiten, da ja die Erde keine genaue Kugel, sondern ein Rota­ti­ons­geoid ist (S. 100).

Kaiser geht sehr aus­führlich auf Alfred Wegeners Kon­ti­nen­tal­drift-Theorie ein und legt die Schwächen der her­kömm­lichen Erklä­rungs­ver­suche gut dar. Aber zu oft wird seine Pol­sprung­theorie nur ganz am Ende eines Kapitels als ideale Lösung vor­ge­stellt, ohne dass der Autor nun Ein­zel­heiten aus­ar­beitete: das Ent­stehen der Ridges, die Mes­sungen des Alters der Sedi­mente im Ozean­boden, das Auf­reißen der unter­see­ischen Cañons…

Eine ganze Reihe von geo­lo­gi­schen Rätseln lassen sich mit der Zerrung und Aus­dehnung des Ozean­bodens erklären, die bei einem Pol­sprung, meint Kaiser, ja statt­finden muss (S. 97 ff). Aller­dings gelten die ange­führten Mes­sungen für alle Meere, es können sich aber nicht alle Meere ständig aus­dehnen, es sei denn, die Erde würde dabei beträchtlich größer.

Diese Mög­lichkeit wird aber vom Autor nicht in Betracht gezogen. Wenn sich aber der Atlantik bei jedem Pol­sprung aus­dehnt, dann müssten andere Meere zusam­men­ge­staucht worden sein, oder es müssten sich dazwi­schen unge­heure Gebirge auf­ge­faltet haben. Auf beide Über­le­gungen wird nicht weiter eingegangen.

Ist ein völ­liges Ver­rut­schen der Erd­kruste um 180º über­haupt vor­stellbar? Kaiser erklärt die bisher wenig bekannte Zusam­men­setzung des Erd­in­neren und geht davon aus, daß der Mantel der Erde auf dem Erdkern schwimmt; beide Teile haben ver­schiedene Rota­ti­ons­ge­schwin­dig­keiten. Die Erd­kruste rotiert schneller als der Kern, durch die Reibung ent­steht das enorme magne­tische Kraftfeld (ver­ein­facht ausgedrückt).

So wäre ein plötz­liches Ver­rut­schen der Erd­kruste wohl vor­stellbar; der Kern müsste dann stabil gegenüber der Achse und der Ekliptik gedacht werden.

Kaiser geht von “völ­ligen Umpo­lungen”, aus, aber daneben auch von klei­neren Sprüngen (S. 98). Nun mag uns eine ruck­artige Ver­schiebung der Kon­ti­nen­tal­schelfe wohl ein­leuchten, aber warum sollte sie aus­ge­rechnet 180º betragen?

Warum sollte die Bewegung erst dann zur Ruhe kommen, wenn Skan­di­navien die Lage der Ant­arktis ein­ge­nommen hat? Ist eine magne­tische Umpolung aus­rei­chende Ursache? Hier bleibt der Phan­tasie des Lesers mancher Spielraum gelassen.

Wer den oft etwas schwie­rigen geo­phy­si­ka­li­schen Aus­füh­rungen nicht ganz zu folgen vermag, wird trotzdem in der zweiten Hälfte des Buches auf seine Kosten kommen: In den Kapiteln “Kohle dank der Kata­strophen”, “Die Sintflut braute Erdöl”, “Vor uns die Eiszeit?” und “Der nackte Nean­der­taler” wird auf jedenfall eines schlüssig bewiesen: Zahl­reiche geo­lo­gische und palä­on­to­lo­gische Pro­bleme sind nur durch die Annahme von Katak­lysmen zu lösen.

Stein­kohle kann sich nicht nach und nach in Torf­mooren ablagern, sie muss durch eine Flut­welle ent­standen sein, die Wälder mit sich riss, zuschüttete und presste. Ähn­liches gilt für Erdöl, obwohl hier Kaisers Erklä­rungs­ver­suche nicht ganz befrie­digen: Zwar wird die Pressung erklärt, aber offen bleibt, welche unge­heure Kolonien von Lebe­wesen die ent­spre­chende Menge Faul­schlamm pro­du­ziert haben könnten.

Fos­silien sind Belege für eine Kata­strophe: nur so konnten sie kon­ser­viert werden

Völlig über­zeugend ist dagegen, wie Kaiser den Nean­der­taler aus der Eiszeit holt. Zwar geht der Autor durchaus von der Existenz zahl­reicher Eis­zeiten aus ― diese sind ganz einfach Momente, in denen das ent­spre­chende Gebiet am Nordpol lag und von Eis­kappen bedeckt war. Wenn man die Alters­be­stim­mungen der Geo­logen ernst nimmt, was Kaiser durch­gehend tut, dann läßt sich sogar zeigen, daß bestimmte Gebiete ver­eisten, während andere, weit ent­fernte, gerade eisfrei wurden, ein schöner Beleg für die Theorie.

Weder der Früh­mensch noch das Mammut können zwi­schen Glet­schern gelebt haben; schon die in den Mam­mut­mägen kon­ser­vierte Flora beweist das Gegenteil. Nur eine plötzlich her­ein­bre­chende Kata­strophe, die das Klima innerhalb von Stunden ganz erheblich erkalten ließ, kann ein eben noch gra­sendes Tier bis heute einfrieren.

Bei einem all­mäh­lichen jähr­lichen Absinken der Durch­schnitts­tem­pe­ratur müsste der Kadaver auf jeden Fall im nächsten Sommer wieder auf­getaut und verwest sein.

Die Bei­spiele greifen weiter: So gut wie alle Fos­silien sind Beweise für die Kata­strophe, von geschlossen, das heißt lebend, ver­stei­nerten Muscheln über die rät­sel­haften Icht­h­y­o­saurier-Friedhöfe und im Sprung kon­ser­vierte Urpferde bis zum Höh­len­men­schen, der sicher nicht in Höhlen lebte, denn dort gibt es keine lang­jäh­rigen Feu­er­spuren, keine Abfälle.

Ohne eine plötz­liche Flut- oder Schlamm­welle gibt es keine Ver­stei­nerung. Palä­on­to­logie ist nur durch Kata­strophen erklärbar, wie ja schon der Vater dieser Wis­sen­schaft, Georges Cuvier, sehr gut wusste.

In diesem Sinne bricht Kaiser eine über­zeu­gende Lanze für den Kata­stro­phismus. Eine andere Frage ist, ob die Kata­strophe durch einen Pol­sprung, wie er ihn dar­stellt, statt­ge­funden haben muss. Eine plötz­liche Kli­ma­än­derung kann auch durch ein Kippen der Erd­achse erklärt werden, eine Flut­welle auch durch einen Meteor-Ein­schlag. Nur soviel steht fest: die Lyell’sche Kon­ti­nui­täts­theorie funk­tio­niert nicht.

Leider nennt Kaiser nir­gendwo Vor­gänger für seine Sicht­weise, außer Cuvier selber. Er zitiert aus­giebig wis­sen­schaft­liche Lite­ratur, um die Rätsel auf­zu­zeigen, die ein Pol­sprung dann ins­gesamt lösen muss. Aber nir­gendwo ist die Rede davon, dass andere Autoren, wenigstens im Hin­blick auf den Kata­stro­phismus, ähn­liche Posi­tionen ver­treten hätten.

Hanns Hör­biger, Otto Muck, Charles Hapgood oder Immanuel Veli­kovksy werden nicht genannt; viel­leicht hat Kaiser sie ja tat­sächlich nicht gelesen oder nicht bewusst verarbeitet.

Aller­dings hat gerade Hör­biger schon zur Jahr­hun­dert­wende die Ent­stehung der Stein­kohle als Folge von rie­sigen Flut­wellen beschrieben. Viel­leicht liegt hier auch der Versuch vor, nur unbe­dingt aner­kannte aka­de­mische Autoren im Lite­ra­tur­ver­zeichnis zu führen, um nicht als Phantast abgetan zu werden.

Tat­sächlich machen es sich ja viele Kri­tiker sehr leicht, sobald sie irgend­einen aus wis­sen­schaft­lichen oder poli­ti­schen Gründen als nicht stu­benrein klas­si­fi­zierten Autor in einer Fußnote ent­decken. Aller­dings wurde Kaisers Werk, trotz seiner kor­rekten Form, von der Wis­sen­schaft nicht beachtet.

Die Kata­strophe kann vor­aus­ge­fühlt werden, weil das Magnetfeld vorher zusammenbricht

Auf Veli­kovsky baut Kaiser tat­sächlich nicht auf, obwohl er im Schluß­ka­pitel darlegt, wie sich frühere Kata­strophen in den Mytho­logien der Menschheit, u.a. in der Bibel, nie­der­ge­schlagen haben. Doch zieht er weder die Bibel als Tat­sa­chen­be­richt heran, noch geht er auf kos­mische Ereig­nisse ein: seine Kata­strophe spielt sich zwi­schen Erdkern und Erd­mantel ab, nicht im Weltraum.

Das erlaubt ihm auch einen über­ra­schenden Schluss auf die Beziehung der Menschheit zur Kata­strophe: sie wird nicht nur erinnert, sie wird auch vorausgefühlt.

Da das Zusam­men­brechen des Magnet­feldes Vor­aus­setzung für einen Pol­sprung ist, und sich viel­leicht recht lange vorher anbahnt ― und diese Ver­än­derung des Magnet­feldes muss gespürt werden ― kann die Menschheit sich unbe­wusst vor­be­reiten und ihre Über­le­bens­chancen als Spezies ver­bessern. Zum Bei­spiel durch eine Bevölkerungsexplosion:

Je mehr Indi­viduen vor­handen sind, desto weniger wahr­scheinlich ist das Aus­sterben der Art. Ob die zu jener Zeit gerade im Schwange befind­liche Hippy-Bewegung hierhin gehört (außerhalb der modernen Zivi­li­sation überlebt man leichter bei einer Kata­strophe) wird dreißig Jahre später aller­dings wieder fraglich.

Ganz am Rande deutet Kaiser, der sonst die kon­ven­tio­nellen Jahr­mil­lionen unbe­sehen  über­nimmt und sich nur bis zur Alt­steinzeit vorwagt, sogar eine Kata­strophe im Mit­tel­alter an: Der Zusam­men­bruch des Römi­schen Reiches, und zwar sowohl des west­rö­mi­schen als auch später des ost­rö­mi­schen, sei durch einen all­ge­meinen Sit­ten­verfall, vor allem dem der Sexu­al­moral, begleitet gewesen.

Nun muß nicht dieser den Zusam­men­bruch des Reiches beschleunigt haben, sondern es könnte umge­kehrt, argu­men­tiert Kaiser, die dro­hende (und vor­aus­ge­fühlte) Kata­strophe zur Auf­hebung des  sexu­ellen Kodex geführt haben, um besser den unab­wend­baren Folgen zu begegnen.

Das macht natürlich nur dann Sinn, wenn ― was der Autor nicht weiter aus­führt ― nicht der Ein­bruch bar­ba­ri­scher Völker sondern eine Natur­ka­ta­strophe dem Reich ein Ende machte.


Quelle: pravda-tv.com