Der Verlust der Gletscher im Glacier National Park ist eine der sichtbarsten Manifestationen des Klimawandels in den USA. Überall im Park wurden Schilder aufgestellt, die verkündeten, dass die Gletscher bis 2020 verschwunden sein würden. Im Jahr 2017 hat der Park damit begonnen, diese Schilder abzubauen. Was war geschehen, abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass die Gletscher bis 2020 nicht verschwunden waren?
Die Gletscher von Montana sind nicht nur ein wichtiges Symbol für die globale Erwärmung (z. B. Al Gores Unbequeme Wahrheit), sondern scheinen auch ein wichtiges politisches Symbol für progressive Politiker in Montana zu sein. Anfang dieser Woche hat mich Reilly Neill, eine (Art) Politikerin in Montana, auf Twitter angegriffen:
Eine Reihe fortschrittlicher Akademiker verlässt Twitter aufgrund der Übernahme durch Elon Musk. Was??? Und verpassen den ganzen Spaß???
Nun, zufällig habe ich einige Analysen der Gletscher und des Klimas von Montana in meinem Archiv; vielleicht kann ich Reilly (und den „echten Wissenschaftlern von Montana“) helfen zu verstehen, was hier vor sich geht.
Variabilität der Gletscher im Glacier National Park
Die Gesamtfläche des von Gletschern bedeckten Glacier National Parks schrumpfte laut US Geological Survey zwischen 1850 und 2015 um 70 %. Das Schmelzen begann am Ende der Kleinen Eiszeit (um 1850), als nach Ansicht der Wissenschaftler 146 Gletscher die Region bedeckten, während es 2019 nur noch 26 sind.
Die ersten Erhebungen der Gletscher im Glacier National Park begannen in den 1880er Jahren, wobei der Schwerpunkt auf den beiden größten Gletschern – Grinnell und Sperry – lag. Eine 2017 vom U.S. Geological Survey herausgegebene Publikation mit dem Titel Status of Glaciers in Glacier National Park [Link] enthält eine Tabelle mit der flächenmäßigen Ausdehnung der genannten Gletscher im Glacier National Park seit der Kleinen Eiszeit (LIA) mit Markierungen bei LIA, 1966, 1998, 2005 und 2015. Die Analyse dieser Daten zeigt:
● Ein ~50%-iger Verlust seit der LIA bis 1966 (~115 Jahre), durchschnittlich ein Verlust von ~4,5% pro Jahrzehnt.
● Zusätzlicher Verlust von ~12 % von 1966–98 (32 Jahre), durchschnittlich ein Verlust von ~3,7 % pro Jahrzehnt.
● Zusätzlicher Verlust von ~4,75% von 1998–2015 (17 Jahre), was einem durchschnittlichen Verlust von ~2,8% pro Jahrzehnt entspricht.
Ein Großteil des Gletscherverlustes fand vor 1966 statt, als die durch fossile Brennstoffe verursachte Erwärmung minimal war. Die prozentuale Rate des Gletscherschwunds in dieser frühen Periode überstieg die im 21. Jahrhundert beobachtete Schwundquote. Ich vermute, dass ein Großteil dieses Abschmelzen in den 1930er Jahren stattfand (siehe nächster Abschnitt).
Wenn man viel weiter zurückblickt, war der Glacier National Park vor 11.000 Jahren praktisch eisfrei. Gletscher gibt es innerhalb der Grenzen des heutigen Glacier National Park seit etwa 6500 Jahren. Diese Gletscher variierten in ihrer Größe und folgten den klimatischen Schwankungen, erreichten aber erst am Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 ihre heutige maximale Größe. Eine 80-jährige Periode (~1770–1840) mit kühlen, feuchten Sommern und überdurchschnittlichen Schneefällen im Winter führte zu einem schnellen Wachstum der Gletscher kurz vor dem Ende der Kleinen Eiszeit. Der jüngste Verlust an Gletschermasse muss also im Lichte der Tatsache verstanden werden, dass die Gletscher im 19. Jahrhundert ihre größte Masse der letzten 11.000 Jahre erreichten. (Link).
Der USGS hat seine Gletscherstatistik seit 2015 nicht mehr aktualisiert (man muss sich fragen, warum, angesichts der erwarteten enormen Verluste). Während der Verlust zwischen 1998 und 2015 im Vergleich zu früheren Jahrzehnten abgenommen hat, scheint es, dass der Eisverlust seit 2008 tatsächlich zum Stillstand gekommen ist oder sich leicht umgekehrt hat (Link). Dieser Stillstand veranlasste den Glacier National Park 2017 dazu, die Schilder zu entfernen, auf denen stand, dass die Gletscher bis 2020 verschwinden würden.
Was ist hier also los?
Die flächenmäßige Ausdehnung und die Massenbilanz der Gletscher hängen vom Zusammenspiel zwischen der Schnee-Akkumulation während der kalten Jahreszeit und der Gletscherschmelze im Sommer ab. Es gibt keinen prima facie Grund dafür, dass eine langsame Erwärmung der durchschnittlichen jährlichen Temperaturen zu einem Nettoverlust an Gletscherfläche/Masse führen wird. Es gibt starke interannuelle und multidekadische Schwankungen in der Schneemenge, und in manchen Situationen können höhere Wintertemperaturen mit mehr Schneefall verbunden sein. Die sommerliche Schmelzsaison ist recht kurz. Der Zeitpunkt des wetterbedingten jahreszeitlichen Übergangs von Schnee zu Regen ist ein entscheidender Faktor für den Beginn der Schmelzsaison und damit für ihre Dauer. Im Sommer können die Tageszeit und die Gesamtmenge der Bewölkung einen großen Unterschied bei der Schmelzmenge ausmachen. Und schließlich kann der mit der Luftverschmutzung verbundene Ruß das Schmelzen der Gletscher erheblich beschleunigen; dies ist ein großes Problem für die Gletscher des Hindukusch-Himalaya, aber ich sehe keinen Hinweis auf Ruß im Zusammenhang mit dem Glacier National Park.
Es wird Sie nicht überraschen zu erfahren, dass ENSO, die Pazifische Dekadische Oszillation (PDO) und die Atlantische Multidekadische Oszillation (AMO) die atmosphärischen Zirkulationsmuster beeinflussen, die sich sowohl auf die Schneeansammlung in der kalten Jahreszeit als auch auf die sommerliche Schmelze auswirken (einen Überblick finden Sie hier).
Betrachten wir zunächst den Schnee. Für den Zeitraum der instrumentellen Schneemessungen in Montana seit 1955 lässt sich ein allgemeiner Abwärtstrend der Schneedecke im April in Montana im Zeitraum 1955–2015 feststellen. Seit 2016 haben die meisten der letzten 7 Jahre jedoch eine normale bis überdurchschnittliche Frühjahrs-Schneedecke in Montana gezeigt. Dieses Verhalten spiegelt die variable Natur des Klimas sowohl auf saisonaler als auch auf dekadischer Ebene wider.
Um das Verständnis für das Verhalten der Schneedecke in der Vergangenheit zu erweitern, wurden Paläoklima-Aufzeichnungen entwickelt, die den modernen Datenbestand ergänzen. Zu diesen Aufzeichnungen gehören Seesediment- und Baumringdaten. Eine wichtige Studie, die sich auf den amerikanischen Westen konzentriert, wurde 2011 veröffentlicht und liefert einen Datensatz über 500 Jahre. Diese Länge der Aufzeichnungen zeigt Klimaschwankungen auf Jahrhundert-Skalen, darunter Merkmale wie die Kleine Eiszeit. Die Studie zeigte auch kurzfristigere klimatische Merkmale, die unterschiedliche Anomalien zwischen den nördlichen und südlichen Rocky Mountains aufweisen. Von besonderer Bedeutung ist, dass in der Studie einen Schneemangel in den 1930er Jahren in der Greater Yellowstone Region (Montana) festgestellt wurde, die den niedrigen Werten gegen Ende des 20. Jahrhunderts ähnelt.
Betrachten wir nun die Temperaturen im Sommer. Die hier gezeigten Durchschnittswerte für den Bundesstaat Montana stammen aus der NOAA State Climate Summary for Montana (2022). Während die beiden Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts insgesamt die wärmsten für Montana seit 1900 waren, gab es keinen Trend bei den extremen Sommertemperaturen. Die höchsten Sommertemperaturen in Montana waren in den 1930er Jahren aufgetreten.
Die Zahl der sehr heißen Tage (≥35°C) und warmen Nächte (≥21°C) war in den 1930er Jahren am höchsten.
Die kalten Winter in Montana
Der „Gier“-Teil von Reilly Neills Twitter-Tirade scheint etwas mit fossilen Brennstoffen zu tun zu haben. Wenn es jemals einen Ort gibt, an dem man sich mit fossilen Brennstoffen (oder Kernenergie) warm halten möchte, dann ist es Montana im Winter. Montana ist einer der kältesten Bundesstaaten der USA. Besonders besorgniserregend sind winterliche „arktische Ausbrüche“, die in jedem Winter mehrmals mit unterschiedlicher Stärke und Dauer auftreten. „Arktische Ausbrüche“ bringen selbst im Zeitalter der globalen Erwärmung regelmäßig außergewöhnlich niedrige Temperaturen in weite Teile der kontinentalen USA*.
[*Den jüngsten „Kältereports“ zufolge ist genau das bereits jetzt im November in den USA der Fall, vo verschiedentlich neue Rekorde aufgestellt wurden. A. d. Übers.]
(Eine wenig bekannte biografische Tatsache von JC ist, dass arktische Kaltluftausbrüche und die Bildung von Antizyklonen mit kaltem Kern das Thema meiner Doktorarbeit waren – siehe hier und hier).
Im Februar und März 2019 kam es in Montana zu einem außergewöhnlichen Kaltluftausbruch, mit ähnlichen Ausbrüchen in den Jahren 2014 und 2017. Im Februar 2019 lagen die durchschnittlichen Temperaturabweichungen in Montana bis zu 14 K unter dem Normalwert, wobei Great Falls im Zentrum der Kälte stand. Die Temperaturen stiegen an 11 Tagen nicht über ‑18°C und fielen in 24 Nächten auf ‑20°C oder darunter. Während die Kälte im Februar aufgrund ihrer Dauer bemerkenswert war, sorgte der anschließende arktische Einbruch Anfang März 2019 für die niedrigsten Temperaturen. Fast zwei Dutzend offizielle Stationen in Montana brachen monatliche Rekorde, mit einer Rekord-Tiefsttemperatur von ‑46 F im März.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, unter solch kalten Bedingungen ohne Strom und Heizung zu sein. Abgesehen davon, dass man frieren und herausfinden müsste, wie man sich warm halten kann, würden auch die Wasserleitungen einfrieren, was nicht nur zu einem Mangel an Trinkwasser, sondern auch zu massiven Sachschäden führen würde, sobald die Leitungen auftauen.
Glücklicherweise verfügt Montana über ein zuverlässiges Stromsystem, das zu etwa 50 % aus erneuerbaren Energien (vor allem Wasserkraft) und zum größten Teil aus Kohle gespeist wird. Es gibt eine nicht unerhebliche Gruppe in Montana, die 100 % erneuerbare Energie anstrebt (Wasser, Wind, Sonne).
Zusätzlich zu der außergewöhnlichen Stromnachfrage für die Beheizung von Privathaushalten während solcher arktischer Ausbrüche ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in solchen Zeiten auf ein Minimum reduziert. Die Solar- und Wasserkraftkapazitäten in Montana sind im Winter am geringsten. Während die Winterwinde im Allgemeinen stark sind, werden die arktischen Kaltluftausbrüche von großen Hochdruckgebieten begleitet, die als Antizyklone mit kaltem Kern bezeichnet werden*.
[*Einschub des Übersetzers: Winterliche Hochdruckgebiete über Festlandsgebieten sind oberhalb etwa 1500 bis 2000 m durch einen großen Warmluftkörper gekennzeichnet. In den unteren Luftschichten dagegen wird es aufgrund der Ausstrahlung immer kälter, vor allem dann, wenn auch eine Schneedecke vorhanden ist. Die Folge sind kräftige Inversionen. So treten in Sibirien im Winter am Boden Temperaturwerte um ‑50°C auf, während es in der gesamten Troposphäre darüber durchweg wärmer ist. – Ende Einschub]
Während arktische Ausbrüche im Allgemeinen die nördlichen Great Plains am stärksten treffen, kann die räumliche Ausdehnung dieser Ausbrüche sehr groß sein. Der Kälteausbruch im Februar 2021, der Montana betraf, erstreckte sich über die Hälfte der USA und reichte bis nach Texas, wo es zu massiven Stromausfällen kam, die zahlreiche Menschenleben kosteten. Die große horizontale Ausdehnung dieser Hochdrucksysteme zeigt, dass die Fernübertragung von überschüssiger Energie von einem anderen Ort aus nicht viel nützt, wenn ein Großteil des Kontinents ebenfalls unter eisiger Kälte und schwachem Wind leidet. Die lange Dauer dieser Ereignisse macht die Batteriespeicherung in hohem Maße unpraktikabel. Die Optionen sind Kernkraft, Gas und Kohle.
Schlussfolgerungen
Nichts ist einfach, wenn es darum geht, Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels zu verstehen. Der Schlüssel zum Verständnis liegt darin, die längsten verfügbaren Datensätze zu betrachten und zu versuchen, die Ursachen der historischen und paläologischen Variabilität zu interpretieren. Wenn man die natürlichen Schwankungen erst einmal verstanden hat, ist man nicht mehr so anfällig dafür, alles auf die durch fossile Brennstoffe verursachte Erwärmung zurückzuführen und naive Vorhersagen für die Zukunft zu treffen. Und wenn man erst einmal die Wettervariabilität und ‑extreme verstanden hat, wird man nicht mehr so begeistert von erneuerbaren Energien sein.
Ich hoffe, dass diese kleine Darstellung Reilly Neill und den echten Wissenschaftlern in Montana hilft, die Ursachen für die jüngsten Schwankungen der Gletscher in Montana zu verstehen.
Link: https://wattsupwiththat.com/2022/11/11/glacier-saga/
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Übersetzt von Christian Freuer für das EIKE
Quelle: energie-klima-energie.eu
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