Wieso der Sozia­lismus nichts mit Wis­sen­schaft zu tun hat, sondern mit der inneren Haltung seiner Anhänger

Im Jahre 1922 erschien erstmals Ludwig von Mises‘ Die Gemein­wirt­schaft. Unter­su­chungen über den Sozia­lismus. Auf mehr als fünf­hundert Seiten bietet der pro­mi­nen­teste Ver­treter der Öster­rei­chi­schen Schule eine umfas­sende Dar­stellung und tief­grei­fende Analyse des „sozia­lis­ti­schen Phä­nomens“. Trotz aller Kata­strophen, die mit dem Versuch, den Sozia­lismus zu ver­wirk­lichen, bis heute ver­bunden sind, hat diese Ideo­logie wenig von ihrer Anzie­hungs­kraft ein­gebüßt. Nach wie vor ist die moderne Zivi­li­sation durch das sozia­lis­tische Denken und die daraus fol­gende Politik bedroht. Der Mar­xismus ver­giftet zuerst die Köpfe, erfasst dann die Politik, um schließlich als Herr­schafts­macht zer­stö­re­risch in Erscheinung zu treten. Deshalb ist es so wichtig, die geis­tigen Grund­lagen des Sozia­lismus zu begreifen. Es gibt keine bessere Grundlage dafür als „Die Gemein­wirt­schaft“ von Ludwig von Mises.

Teil 1: Warum der Sozia­lismus triumphierte

Wie­der­erwe­ckung des Sozia­lismus durch Karl Marx

„Um die Mitte des 19. Jahr­hun­derts schien die Idee des Sozia­lismus abgetan.“ (Die Gemein­wirt­schaft, Vorwort S. III). Die ihm zugrun­de­lie­genden Denk­fehler waren ent­larvt. Die prak­ti­schen Ver­suche waren gescheitert. Aber dann kam Karl Marx (1818–1883) und schuf das Denk­ge­bäude des Mar­xismus als „Anti­logik, Anti­wis­sen­schaft und Anti­denken“ (Mises, Gemein­wirt­schaft, Vorwort, S. V – In dieser und den nach­fol­genden Artikeln dieser Reihe folgen wir der zweiten umge­ar­bei­teten Auflage von 1932)

Der Ein­fluss von Marx war mehrfach zer­stö­re­risch. Als erstes wider­sprach er der All­ge­mein­gül­tigkeit der Logik. Diese war nun „klas­sen­ab­hängig“. Zweitens griff er die dia­lek­tische Methodik von Hegel auf und stellte sie „vom Kopf auf die Beine“. Nicht der Hegelsche „Welt­geist“ bestimmt die Dynamik der Geschichte, sondern der „Unterbau“, die wirt­schaftlich-tech­nische Ent­wicklung. Drittens rekla­miert Marx „Wis­sen­schaft­lichkeit“ in dem Sinne für sich, dass er mit seiner Methode his­to­rische Gesetz­mä­ßig­keiten aus­findig zu machen glaubt, wonach die Welt­ge­schichte deter­mi­nis­tisch zum Sozia­lismus hin­führt. Was bei Hegel „Ende der Geschichte“ heißt wird von Marx umge­deutet in die Ver­voll­kommnung der irdi­schen Welt im Sozia­lismus mittels der Ver­ge­sell­schaftung der Produktionsmittel.

Die geschicht­liche Unent­rinn­barkeit des Sozia­lismus als „wis­sen­schaftlich bewiesen“ dar­zu­stellen, passte sehr gut zum Zeit­geist der Mitte des 19. Jahr­hun­derts. Der „his­to­rische Mate­ria­lismus“ erhob den Anspruch, auf die­selbe Stufe gestellt zu werden, wie phy­si­ka­lische Erkennt­nisse und wie die Darwin’sche Evo­lu­ti­ons­theorie. Marx‘ Sponsor und Mit­ar­beiter, Friedrich Engels (1820–1895), bestimmt in der Grabrede für seinen Genossen die Leistung von Karl Marx folgendermaßen:

Wie Darwin das Gesetz der Ent­wicklung der orga­ni­schen Natur, so ent­deckte Marx das Ent­wick­lungs­gesetz der mensch­lichen Geschichte: die bisher unter ideo­lo­gi­schen Über­wu­che­rungen ver­deckte ein­fache Tat­sache, dass die Men­schen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wis­sen­schaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Pro­duktion der unmit­tel­baren mate­ri­ellen Lebens­mittel und damit die jedes­malige öko­no­mische Ent­wick­lungs­stufe eines Volkes oder eines Zeit­ab­schnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staats­ein­rich­tungen, die Rechts­an­schau­ungen, die Kunst und selbst die reli­giösen Vor­stel­lungen der betref­fenden Men­schen ent­wi­ckelt haben, und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht, wie bisher geschehen, umge­kehrt. (Friedrich Engels, 1883)

Nach der Dar­stellung von Friedrich Engels ent­deckte Marx „das spe­zielle Bewe­gungs­gesetz der heu­tigen kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­weise und der von ihr erzeugten bür­ger­lichen Gesell­schaft“. Schlüssel zu dieser Erkenntnis war die „Ent­de­ckung des Mehr­werts“. Diese Erkenntnis schuf „plötzlich Licht“ für die wis­sen­schaft­liche Durch­dringung der kapi­ta­lis­ti­schen Bewegungsgesetze.

Es ist ent­hüllend, wenn Engels in der Grabrede fest­stellt, dass Marx in erster Linie Revo­lu­tionär war und ihm die Wis­sen­schaft als Mittel dazu diente, seine revo­lu­tio­nären Ziele mit diesem Mittel zu ver­folgen. Engels liefert die Bestä­tigung, dass man auch die öko­no­mi­schen Schriften von Marx erst richtig ver­stehen kann, wenn man sie als Hilfs­mittel zur kom­mu­nis­ti­schen Revo­lution begreift. Dass Marx kein Wis­sen­schaftler oder Gelehrter war, sondern vor allem anderen ein Kom­munist, und man sein Werk unter diesem Gesichts­punkt sehen muss, hat Murray Rothbard lapidar so zum Aus­druck gebracht:

Der Schlüssel zu dem von Karl Marx geschaf­fenen kom­pli­zierten und mas­siven Gedan­ken­system … ist im Grunde ein ein­facher: Karl Marx war Kom­munist. (Murray N. Rothbard, Clas­sical Eco­nomics. S. 317)

Nach Engels war Marx ein kom­mu­nis­ti­scher Revo­lu­tionär, dem es vor allem anderen darauf ankam, „am Sturz der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft und der durch sie geschaf­fenen Staats­ein­rich­tungen mitzuwirken“.

Für Mises (Gemein­wirt­schaft, 1932) beruht der „unver­gleich­liche Erfolg des Mar­xismus“ darauf, „dass er tief ver­an­kerten uralten Wunsch­träumen und Res­sen­ti­ments der Menschheit Erfüllung ver­heißt.“ Mit dem Anspruch auf wis­sen­schaft­liche Gül­tigkeit ver­spricht er ein Paradies auf Erden, „ein Schla­raf­fenland voll Glück und Genuss und, was den Schlecht­weg­ge­kom­menen noch süßer mundet, Ernied­rigung aller, die stärker und besser sind als die Menge.“ (Vorwort, S. V)

Für Mises (Gemein­wirt­schaft, 1932) beruht der „unver­gleich­liche Erfolg des Mar­xismus“ darauf, „dass er tief ver­an­kerten uralten Wunsch­träumen und Res­sen­ti­ments der Menschheit Erfüllung ver­heißt. … ein Schla­raf­fenland voll Glück und Genuss und, was den Schlecht­weg­ge­kom­menen noch süßer mundet, Ernied­rigung aller, die stärker und besser sind als die Menge.“ (Vorwort, S. V)

Seit seinem Ent­stehen als Ideo­logie besteht die Attrak­ti­vität des Sozia­lismus darin, dass, wer für sozia­lis­tische Maß­nahmen ein­tritt „als Freund des Guten, des Edlen und des Sitt­lichen“, gilt, „als unei­gen­nüt­ziger Vor­kampfer einer not­wen­digen Reform, kurz als ein Mann, der seinem Volk und der ganzen Menschheit selbstlos dient, vor allem aber auch als wahrer und uner­schro­ckener For­scher“. Wer hin­gegen an den Sozia­lismus mit den Maß­stäben des wis­sen­schaft­lichen Denkens her­an­tritt, „wird als Ver­fechter des bösen Prinzips, als Schurke, als feiler Söldling der eigen­süch­tigen Son­der­in­ter­essen einer das Gemeinwohl schä­di­genden Klasse und als Ignorant in Acht und Bann getan.“  (Vorwort S. VII)

An diesem Tenor hat sich bis heute wenig geändert. Während es nach dem Ende der Sowjet­union vor über dreißig Jahren so aussah, als hätte die kom­mu­nis­tische Ideo­logie für immer aus­ge­dient, erleben wird seit einiger Zeit eine neue Sym­pa­thie­welle für den Sozia­lismus. Diesmal kommt die Begeis­terung für die sozia­lis­tische Plan­wirt­schaft nicht mit roten Fahnen auf der Straße daher, sondern im „grünen Gewandt“ in aka­de­mi­schen Semi­naren und Fernseh-Talkshows.

Diesmal kommt die Begeis­terung für die sozia­lis­tische Plan­wirt­schaft nicht mit roten Fahnen auf der Straße daher, sondern im „grünen Gewandt“ in aka­de­mi­schen Semi­naren und Fernseh-Talkshows.

Wer könnte nicht in der heu­tigen Gegenwart zustimmen, wenn Mises für seine Zeit fest­stellt, dass es üblich geworden ist, „über wirt­schafts­po­li­tische Dinge zu reden und zu schreiben, ohne die Pro­bleme, die in ihnen stecken, rück­sichtslos bis ans Ende gedacht zu haben.“

Die öffent­liche Erör­terung der Lebens­fragen der mensch­lichen Gesell­schaft hat sich „ent-geistigt“. Sie lenkt die Politik auf Bahnen, „die gera­dewegs zur Zer­störung aller Kultur führen.“ (Vorwort, S. XII) Auch ist es immer noch so, dass es als „aus­sichts­loses Beginnen scheint, die lei­den­schaft­lichen Anhänger der sozia­lis­ti­schen Idee durch logische Beweis­führung von der Ver­kehrtheit und Wider­sin­nigkeit ihrer Auf­fas­sungen zu über­zeugen.“ Damals wie heute ist es so, dass die Anhänger des Sozia­lismus keinem Argument zugänglich sind, „dass sie nicht hören und nicht sehen und vor allem nicht denken wollen.“ (Vorwort S. XIII)

Damals wie heute ist es so, dass die Anhänger der Sozia­lismus keinem Argument zugänglich sind, „dass sie nicht hören und nicht sehen und vor allem nicht denken wollen.“ (Vorwort S. XIII)

In der heu­tigen Zeit wird das fort­ge­setzt, was auch Marx und Engels schon prak­ti­ziert haben. Anstatt mit Argu­menten zu wider­legen, haben die Sozia­listen ihre Gegner beschimpft, ver­spottet, ver­höhnt, ver­dächtigt, ver­leumdet … Ihre Polemik richtet sich nie gegen die Dar­le­gungen, immer gegen die Person des Gegners. Nur wenige halten solchen Angriffen stand. Es haben sich so stets nur wenige gefunden, die den Mut auf­bringen, den Sozia­lismus rück­sichtslos zu kri­ti­sieren, wie es die „Pflicht des wis­sen­schaftlich Den­kenden ist. (Ein­leitung, S. 6)

Anstatt mit Argu­menten zu wider­legen, haben die Sozia­listen ihre Gegner „beschimpft, ver­spottet, ver­höhnt, ver­dächtigt, ver­leumdet … Ihre Polemik richtet sich nie gegen die Dar­le­gungen, immer gegen die Person des Gegners.“ Nur wenige halten solchen Angriffen stand.

Mises hegte die Hoffnung, dass neue Geschlechter her­an­wachsen werden „mit offenem Auge und offenem Sinn“, die „unbe­fangen und vor­ur­teilslos an die Dinge her­an­treten“ und die „wagen und prüfen“ werden, die wieder zu denken beginnen und die mit Vor­be­dacht handeln werden. Mises widmet diesen neuen Gene­ra­tionen sein Buch. „Zu ihnen will dieses Buch sprechen.“ (Vorwort S. XIII).

Mises hegte die Hoffnung, dass neue Geschlechter her­an­wachsen werden „mit offenem Auge und offenem Sinn“, die „unbe­fangen und vor­ur­teilslos an die Dinge her­an­treten“ und die „wagen und prüfen“ werden, die wieder zu denken beginnen und die mit Vor­be­dacht handeln werden. Mises widmet diesen neuen Gene­ra­tionen sein Buch. „Zu ihnen will dieses Buch sprechen.“ (Vorwort S. XIII).

Auch für unsere Zeit stellt sich die­selbe Her­aus­for­derung und Aufgabe, denn immer noch ist der Sozia­lismus der Irr­glaube vieler Men­schen. Sozia­lismus erfüllt das Denken und Emp­finden der Massen und drängt sie zum Sozia­lismus. Wie zu Zeiten der Erst­ver­öf­fent­li­chung der Gemein­wirt­schaft, müssen wir eben­falls zugeben: Wir leben im „Zeit­alter des Sozia­lismus“ (Ein­leitung, S. 1)

Mises sagt (S. 1), und wir müssen dem für die heutige Zeit in der Bun­des­re­publik Deutschland zustimmen, dass es keine ein­fluss­reiche poli­tische Partei gibt „die es wagen dürfte, frank und frei für das Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln ein­zu­treten.“ Damals wie heute ist das Wort „Kapi­ta­lismus“ verfemt und wird als „Summe des Bösen“ benutzt. Der Sozia­lismus ist die beherr­schende Idee der Zeit: „Selbst die Gegner des Sozia­lismus stehen ganz und gar unter dem Bann seiner Ideen.“ (Ein­leitung, S. 2)

Während das Ver­sagen des Kom­mu­nismus, den Men­schen Wohl­stand und Freiheit zu schenken, offen­sichtlich wurde, blühte das mar­xis­tisch-sozia­lis­tische Denken als Ideo­logie im aka­de­mi­schen Betrieb, in der Erziehung und in den Medien. Getarnt als Vor­kämpfer der sozialen Gerech­tigkeit und Gleichheit in Ver­bindung mit plan­wirt­schaft­lichen For­de­rungen, dem Kli­ma­wandel zu begegnen, gelingt es den roten und neu­er­dings vor allem den grünen Sozia­listen zunehmend, staat­liche Herr­schafts­macht auch in den Demo­kratien des Westens zu erlangen.

Getarnt als Vor­kämpfer der sozialen Gerech­tigkeit und Gleichheit in Ver­bindung mit plan­wirt­schaft­lichen For­de­rungen, dem Kli­ma­wandel zu begegnen, gelingt es den roten und neu­er­dings vor allem den grünen Sozia­listen zunehmend, staat­liche Herr­schafts­macht auch in den Demo­kratien des Westens zu erlangen.

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Dr. Antony P. Mueller ist habi­li­tierter Wirt­schafts­wis­sen­schaftler der Uni­ver­sität Erlangen-Nürnberg und Pro­fessor der Volks­wirt­schafts­lehre an der bra­si­lia­ni­schen Bun­des­uni­ver­sität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapi­ta­lismus, Sozia­lismus und Anarchie: Chancen einer Gesell­schafts­ordnung jen­seits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com


Quelle: misesde.org