„Achtsam leben in einer unfriedlichen Welt” ist das Thema des Vortrages, mit dem der Schweizer Historiker und Pazifist Daniele Ganser zurzeit durch die Schweiz, Österreich und Deutschland tourt. Wie schwierig es ist, das umzusetzen, zeigte sich bei einer Veranstaltung in Bensheim an der hessischen Bergstraße. Über den Referenten und den Veranstalter ergoss sich die Häme der Provinzpresse wie giftige Galle, sogar langjährige Sponsoren sprangen ab. Dennoch hielt Daniele Ganser insgesamt vier Vorträge an zwei Tagen, wegen der großen Nachfrage gab es zwei Zusatzveranstaltungen.
Als ich einen Tag vor dem ersten Vortrag mit dem Initiator der erfolgreichen Vortragsreihe „Lebenskunst“ Justus Keller sprach, lagen seine Nerven blank, er konnte sich kaum mehr retten vor erbosten Mails, Sponsoren waren abgesprungen, die Stadt auf Distanz gegangen. Mit großem Staunen nahm Keller die medialen Begleiterscheinungen zur Kenntnis, in der lokalen Presse tobte der übliche Shitstorm, wobei offenkundig der eine vom anderen abschrieb. „Verschwörungsideologie: Ärger um Ganser-Vortrag in Bensheim“, titelte das Darmstädter Echo. „Holocaust-Vergleiche und Schuldumkehrung beim Ukraine-Krieg: Der Schweizer Historiker Daniele Ganser plant mehrere Vorträge in Bensheim“, hieß es beim regionalen Fernsehmagazin hessenschau. Und weiter: „Inhaltliche Positionen der Querdenker-Szene. Daniele Ganser macht seit vielen Jahren mit Verschwörungstheorien und inhaltlichen Positionen der Querdenker-Szene von sich reden… Wenn er über Deutschland als besetztes Land ohne Friedensvertrag spricht, lässt ihn das anschlussfähig an die Reichsbürgerszene erscheinen.“. Und weiter: „Die Bergsträßer Initiative ‚Vielfalt Jetzt‘ wendet sich gegen Gansers geplante Auftritte. Angesichts der vielen Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine auch nach Bensheim geflohen sind, ‚passen Gansers verschwörungsbehafteten Erklärungen nicht in ein öffentliches Gebäude‘, sagte der Sprecher der Initiative, Manfred Forell, dem hr.“ Die Stadt sah keine rechtliche Handhabe, den Vortrag zu verbieten.
Der Bergsträßer Anzeiger bat Justus Keller um eine Presse-Erklärung, in der er ausdrücklich erklärt, dass er und Dr. Daniele Ganser Pazifisten und gegen Waffenlieferungen in die Ukraine sind. Justus Keller: „In 20 Jahren gab es bei keinem anderen Referenten eine so hohe Nachfrage in der Region – es zeigt, wie viele Menschen des Krieges überdrüssig sind und im 21. Jahrhundert, neben der einseitigen Forderung ‚schwere Waffen zu liefern‘, nach neuen Wegen suchen und darin nicht mehr das adäquate Mittel politischer Konflikte sehen.“
Trotz aller Aufregung, die Vorträge fanden statt, die Stadt sah keine rechtliche Handhabe, sie zu verbieten. Justus Keller begrüßte das Publikum mit den Worten: „Es geht um Krieg und Frieden, das muss diskutierbar sein.“.
Abb. 1 Daniele Ganser im Bensheimer Bürgerhaus
Daniele Ganser wird gefeiert wie ein Rockstar, er nennt das Hin und Her um seine Vorträge „schmerzhafte Werbung“ mit dem Effekt, dass die Menschen in Scharen kommen, und berichtet mit verschmitztem Lächeln, dass der Bürgermeister von Innsbruck, der ihn persönlich gar nicht kenne, ihm untersagt habe, aufzutreten. Und so hält Ganser seinen Vortrag nun in einem 24 Kilometer entfernten Ort. Bei seinem Vortrag in Bensheim – bei dem zirka 500 Besucher anwesend waren – betont er, dass man über jeden Konflikt ganz unterschiedlich sprechen könne, doch in einer sehr dogmatischen Gesellschaft sei ein aufgeklärter Diskus nicht mehr möglich. Warum ist das so? Weil Realität durch Wiederholung erschaffen wird, weil unsere 100 Milliarden Neuronen sich nach dem Wiederholungsprinzip verknüpfen. Damit arbeitet die Werbung, damit arbeiten die Medien, weil Angst sich nun mal besser verkauft als heile Welt. „In den ARD-Tagesthemen hören Sie die Angst, doch der Kontext fehlt.“ Gansers Beobachtung: Seit Nine-Eleven jagt eine Angst die nächste: Angst vor Terror, Angst vor Viren, und jetzt: Angst vor Russen. „Wenn man heute sagt, man habe Angst vor Terror, wird man schief angeguckt. Viren sind auch vorbei.“ Die permanente Panikmache führe zur eigentlichen Energiekrise: Burnout und Depression. Gansers Appell: „Sagen Sie: ‚Bei der Angst mach ich nicht mit.’“ 😉
Abb. 2 Schaufenster in Berlin
Ganser erklärt, dass über den Medienkonsum das Verhältnis zwischen Ordnung und Unordnung gestört wird. Er empfiehlt, darauf zu achten, mit wem wir kommunizieren, außerdem „Natur statt Bildschirmzeit, um die Neuronen neu zu verknüpfen.“.
Im zweiten Teil des Vortrags geht Ganser auf die Ukraine ein und verteilt rote Karten an diejenigen, die mit verantwortlich sind für den Krieg (auch an Putin!), der nicht, wie im Mainstream gebetsmühlenartig wiederholt, im Februar 2022, sondern im Februar 2014 begonnen hat und ein Stellvertreterkrieg ist. Für Sie als Leser des amadeus-Verlags und Abonnenten der „Unbestechlichen“ muss ich darauf nur kurz eingehen.
Abb. 3 Rote Karten für die Kriegstreiber
Ganser stellt klar: „Wir brauchen Deeskalation, kein Wettrüsten.“ Gansers Kritik: „Ich sehe keinen Plan.“ Gansers Sorge: „Deutsche Panzer gegen Russen. Deutschland greift Russland an. Das ist ein Trauma, die Erinnerung an die Operation Barbarossa 1941. Das ist gefährlich.“ Gansers Erkenntnis: „Einen Wirtschaftskrieg kann man nur machen, wenn man exportiert, nicht, wenn man importiert.“
Daniele Ganser, der dazu aufruft, den medialen Mainstream zu verlassen, ist dort wie all die anderen, die dem gängigen Narrativ widersprechen, Persona non grata. „Um meine Aussagen zu posten, musste ich zu Facebook flüchten, zu den Amerikanern!“ Nachdem die Angst vor dem Virus Schnee von gestern ist, genießt er bei seinen Vorträgen sichtlich das Bad in der Menge.
Abb.4 Keine Angst vor Nähe – Daniele Ganser signiert
Übrigens: Von den Pressevertretern, die sich im Vorfeld über die Vorträge echauffiert und Daniele Ganser als „Querdenker“ und „Reichsbürger“ denunziert hatten, hat sich kein einziger in die „Höhle des Löwen“ getraut. Sich eine eigene Meinung zu bilden – einer der Grundwerte von seriösem Journalismus –, ist in den „Leitmedien“ offenkundig nicht mehr gefragt (oder nicht mehr geduldet). Daniele Ganser wird am Ende des Vortrags mit stehenden Ovationen gefeiert wie ein Friedensbotschafter. Eine junge Frau flüstert mir zu: „Ist es nicht unglaublich, was wir hier gerade erleben?“ Ja, das ist eine Energiewende, die den Namen verdient! Justus Keller strahlt und verrät, dass er für den nächsten Lebenskunst-Vortrag ebenfalls eine umstrittene Persönlichkeit der Zeitgeschichte angefragt hat: Sahra Wagenknecht. „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s völlig ungeniert.“
Abb. 5 Vera Wagner und Daniele Ganser
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https://www.lebenskunst-bensheim.de
Fotos: Vera Wagner
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