Wieso ratio­nales Wirt­schaften im Sozia­lismus unmöglich ist

 Über das Problem der Wirtschaftsrechnung

Das Streben nach indi­vi­du­eller Befrie­digung treibt die Men­schen zur Gesellschaftlichkeit.

Geld­rechnung

Der Mensch will Lust erlangen und Unlust ver­treiben. Darin besteht das ver­nunft­gemäß zu begrei­fende mensch­liche Handeln. (S. 89) Durch diesen Drang kommt es zur Arbeits­teilung, die jedem Betei­ligten Vor­teile bringt. Mit der Arbeits­teilung ent­steht die Gesell­schaft. Das Geld kommt ins Spiel, weil es dazu dient, die Begren­zungen des direkten Güter­aus­tau­sches zu über­winden. Vom Natur­altausch aus­gehend kommt es auf den Märkten zur Geld­rechnung, da sie für das wirt­schaft­liche Handeln unent­behrlich ist. Eine arbeits­teilige Gesell­schaft braucht Geld, weil das indi­vi­duelle wirt­schaft­liche Handeln der Ori­en­tierung durch Preise bedarf. Preise sind unab­dingbar, um die wirt­schaft­lichen Tätig­keiten zu koor­di­nieren. Dabei ist aller­dings das Geld weder für Wert und Preis ein Maßstab.

Das Geld ist kein Maßstab des Wertes, auch kein Maßstab des Preises. Der Wert wird ja nicht in Geld gemessen. Auch die Preise werden nicht in Geld gemessen, sie bestehen in Geld. (S. 94)

Es ist nicht zu bestreiten, dass die Geld­rechnung unvoll­kommen ist. Sie weist sogar schwere Mängel auf, aber es gibt kein bes­seres Instrument, das man an die Stelle des Geldes setzen könne. Für die prak­ti­schen Zwecke des Lebens reicht die Geld­rechnung eines gesunden Geld­wesens aus. Ver­zichtet man auf die Geld­rechnung, dann wird jedes Wirt­schaften schlechthin unmöglich (S. 101)

Die Unzu­läng­lichkeit der Geld­rechnung kommt daher, dass der Wirt­schafts­rechnung der Tauschwert zugrunde liegt und nicht der sub­jektive Gebrauchswert. Deshalb ist die Geld­rechnung nicht uni­versell. Sie macht nur als Wirt­schafts­rechnung Sinn. Rechnen in Geld­ein­heiten ist ein prak­ti­scher Kniff, um die Ver­fügung über wirt­schaft­liche Güter den Regeln der Wirt­schaft­lichkeit anzu­passen. Geld­rechnung kann sich nur auf die Güter in den Mengen beziehen, die im gege­benen Zeit­punkt gegen Geld aus­ge­tauscht werden. Die Erwei­terung des Anwen­dungs­ge­bietes der Geld­rechnung würde zu Miss­griffen führen.

Die Geld­rechnung versagt, wenn man sie in geschicht­lichen Unter­su­chungen über die Ent­wicklung der wirt­schaft­lichen Ver­hält­nisse als Maßstab der Güter­werte zu ver­wenden sucht, sie versagt, wenn man an ihrer Hand Volks­ver­mögen und Volks­ein­kommen zu schätzen sucht, und wenn man mit ihr den Wert von Gütern berechnen will, die außerhalb des Tausch­ver­kehrs stehen, wie etwa, wenn man die Men­schen­ver­luste durch Aus­wan­derung oder durch Krieg in Geld zu berechnen strebt. (S. 95)

Die Geld­rechnung gibt dem wirt­schaftlich Han­delnden einen Weg­weiser „durch die erdrü­ckende Fülle der wirt­schaft­lichen Mög­lich­keiten“. Geld­rechnung gestattet,

… das Wert­urteil, das sich in unmit­tel­barer Evidenz nur an die genuss­reifen Güter und bes­ten­falls noch an die Pro­duk­tiv­güter der nied­rigsten Güter­ord­nungen knüpft, auf alle Güter höherer Ordnung aus­zu­dehnen. Sie macht den Wert rechenbar und gibt uns damit erst die Grund­lagen für alles Wirt­schaften mit Gütern höherer Ordnung. Hatten wir sie nicht, dann wäre alles Pro­du­zieren mit weit aus­ho­lenden Pro­zessen, dann wären alle län­geren kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­umwege ein Tappen im Dunkeln. (S. 96)

Ohne Geld würde sich der mensch­liche Geist nicht zurecht­finden in der ver­wir­renden Fülle der Zwi­schen­pro­dukte und der Pro­duk­ti­ons­mög­lich­keiten. „Er stünde allen Ver­fahrens- und Stand­ort­fragen ratlos gegenüber“. (S. 97)

Damit eine Wirt­schafts­rechnung in Geld erfolgen kann, müssen zwei Bedin­gungen erfüllt sein. Zuerst müssen sowohl Konsum- als auch Pro­duk­ti­ons­güter in den Tausch­verkehr ein­be­zogen sein. Es müssen Aus­tausch­ver­hält­nisse am Markt ent­stehen. Zweitens muss ein all­gemein gebräuch­liches Tausch­mittel – also Geld – in Ver­wendung sein, das den Aus­tausch am Markt ver­mittelt und sich so die Geld­preise auf einen gemein­samen Nenner zurück­führen lassen. (S. 96) Ohne Markt und Geld­preise ist kein ratio­nales wirt­schaft­liches Handeln möglich.

Jeder Schritt, der uns vom Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln und vom Geld­ge­brauch weg­führt, führt uns auch von der ratio­nellen Wirt­schaft weg. (S. 98)

Pla­nungs­chaos

Ohne Wirt­schafts­rechnung kann es eine auf frei­wil­ligem Aus­tausch beru­hende arbeits­teilige Wirt­schaft nicht geben. Da im sozia­lis­ti­schen Gemein­wesen die Durch­führung der Wirt­schafts­rechnung unmöglich ist, kann es im über­haupt keine Wirt­schaft in unserem Sinne geben. Nur im Kleinen oder in neben­sach­lichen Ein­zel­dingen mag auch wei­terhin rational gehandelt werden, aber von einer ratio­nalen Güter­pro­duktion kann nicht mehr gesprochen werden. Ohne Preis- und markt­ba­sierte Wirt­schafts­rechnung gibt es kein Mittel, zu erkennen, was wirt­schaftlich oder unwirt­schaftlich ist. Nach der Abschaffung des Son­der­ei­gentums and Pro­duk­ti­ons­mitteln kann das Handeln nicht mehr wirksam auf Wirt­schaft­lichkeit ein­ge­stellt werden. Wenn, so wie im sozia­lis­ti­schen Gemein­wesen, es weder freie Märkte noch Pri­vat­ei­gentum an Pro­duk­ti­ons­mitteln gibt, ist es unmöglich, eine Wirt­schafts­rechnung durchzuführen.

Statt der ver­spro­chenen Abschaffung der „Anarchie des Marktes“, herrscht genau dies in der sozia­lis­ti­schen Wirt­schaft: Planungschaos.

Man ver­ge­gen­wärtige sich die Lage des sozia­lis­ti­schen Gemein­wesens. Da gibt es Hun­derte und Tau­sende von Werk­stätten, in denen gear­beitet wird. Die wenigsten von ihnen erzeugen gebrauchs­fertige Waren; in der Mehrzahl werden Pro­duk­ti­ons­mittel und Halb­fa­brikate erzeugt. Alle diese Betriebe stehen unter­ein­ander in Ver­bindung. Sie durch­wandert der Reihe nach jedes wirt­schaft­liche Gut, bis es genussreif wird. In dem rast­losen Getriebe dieses Pro­zesses fehlt aber der Wirt­schafts­leitung jede Mög­lichkeit, sich zurecht zu finden. Sie kann nicht fest­stellen, ob das Werk­stück auf dem Wege, den es zu durch­laufen hat, nicht über­flüs­si­ger­weise auf­ge­halten wird, ob an seine Voll­endung nicht Arbeit und Material ver­schwendet werden. Welche Mög­lichkeit hätte sie, zu erfahren, ob diese oder jene Erzeu­gungsart die vor­teil­haftere ist? Sie kann bes­ten­falls die Güte und Menge des genuss­reifen End­ergeb­nisses der Erzeugung ver­gleichen, aber sie wird nur in den sel­tensten Fällen in der Lage sein, den bei der Erzeugung gemachten Aufwand zu ver­gleichen. (S. 99)

Im Unter­schied dazu wird in der auf dem Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln beru­henden Wirt­schafts­ordnung die Wert­rechnung von allen selb­stän­digen Gliedern der Gesell­schaft durch­ge­führt. Jeder ist an ihrem Zustan­de­kommen beteiligt, einmal als Ver­braucher, das andere Mai als Erzeuger. Als Ver­braucher setzt der Markt­teil­nehmer die Rang­ordnung der gebrauchs- und ver­brauchs­reifen Güter fest; als Erzeuger zieht der Wirt­schafts­akteur die Inves­ti­ti­ons­güter in jene Ver­wendung, in der sie den höchsten Ertrag abzu­werfen ver­sprechen. Damit erhalten auch alle Pro­duk­ti­ons­güter die ihnen nach dem augen­blick­lichen Stand der gesell­schaft­lichen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nisse und der gesell­schaft­lichen Bedürf­nisse zukom­mende Rang­ordnung. Das Zusam­men­spiel der beiden Wer­tungs­pro­zesse sorgt dafür, dass das wirt­schaft­liche Prinzip überall, im Ver­brauch sowohl als in der Erzeugung, zur Herr­schaft gelangt. (S. 99)

Diese Bedin­gungen fehlen in der sozia­lis­ti­schen Wirtschaft.

Die Pla­nungs­be­hörde mag zwar ver­muten, was für Güter am drin­gendsten benötigt werden, aber damit hat sie erst einen Teil des für die Wirt­schafts­rechnung Erfor­der­lichen gefunden. Es fehlt der andere Teil, die Bewertung der Pro­duk­ti­ons­mittel. Die Behörde mag zwar den Wert, der der Gesamtheit der Pro­duk­ti­ons­mittel zukommt, fest­stellen, also den Wert, der der Gesamtheit der durch die pro­du­zierten Güter befrie­digten Bedürf­nisse zukommt. Auch ver­mögen die Planer fest­zu­stellen, wie groß der Wert eines ein­zelnen Pro­duk­ti­ons­mittels ist, indem sie die Bedeutung des Aus­falles an Bedürf­nis­be­frie­digung kennen, der durch seinen Wegfall ent­steht. Doch das Pla­nungs­gremium kann diesen Wert nicht auf einen ein­heit­lichen Preis­aus­druck zurück­führen. Dazu bräuchte man eine Ver­kehrs­wirt­schaft, in der alle Preise auf einen gemein­samen Aus­druck, nämlich Geld, zurück­ge­führt werden können. Aber genau diese Ver­kehrs­wirt­schaft will der Sozia­lismus abschaffen. (S. 100)

Kapi­tal­rechnung ist ohne Wirt­schafts­rechnung nicht möglich. Da sie im Sozia­lismus not­wen­di­ger­weise fehlen muss, ist eine Kapi­tal­rechnung nicht durch­führbar und die Planer stehen hilflos den Grund­pro­blemen der Wirt­schaft gegenüber. Den Lenkern der Plan­wirt­schaft ist es beim besten Willen nicht möglich, jene Kal­ku­la­tionen durch­zu­führen, die nötig sind, um Pro­duktion und Konsum so in Ein­klang zu bringen, dass zumindest die Wertsumme des Kapitals erhalten bleibt und dass die die über die Erhaltung des Kapitals hinaus erzielten Über­schüsse dem Ver­brauch zugu­te­kommen. (S. 179)

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Kapi­tal­rechnung

Der Aus­druck „Kapital“ hat einen festen Platz in der Wirt­schafts­rechnung. Er fasst das in Geld bestehende oder in Geld gerechnete Stamm­ver­mögen einer Erwerbs­wirt­schaft zusammen. Mit dieser Zusam­men­fassung lässt sich fest­stellen, wie sich der Wert dieses Ver­mögens im Verlauf der jewei­ligen Geschäfts­ope­ra­tionen ver­ändert hat. Der Ursprung des Begriffs des „Kapitals“ kommt von der Wirt­schafts­rechnung her. Die Heimat des Kapi­tal­be­griffs ist die Buch­führung, „dieses vor­nehmste Mittel der aus­ge­bil­deten Ratio­na­li­sierung des Han­delns“. (S. 102)

Der schil­lernde Begriff des „Kapi­ta­lismus“ gewinnt im Hin­blick auf die Kapi­tal­rechnung seinen spe­zi­fi­schen Sinn. Kapi­ta­lismus ist dann die Wirt­schafts­weise, in der die unter­neh­me­ri­schen Hand­lungen an der Kapi­tal­rechnung aus­ge­richtet werden.

Der schil­lernde Begriff des „Kapi­ta­lismus“ gewinnt im Hin­blick auf die Kapi­tal­rechnung seinen spe­zi­fi­schen Sinn. Kapi­ta­lismus ist dann die Wirt­schafts­weise, in der die unter­neh­me­ri­schen Hand­lungen an der Kapi­tal­rechnung aus­ge­richtet werden.

Auch die in der Sozio­logie gebrauchten Aus­drücke wie „kapi­ta­lis­ti­scher Geist“ und „anti­ka­pi­ta­lis­tische Gesinnung” gewinnen dann einen deut­lichen Inhalt. In so einem Gebrauch können dann auch die Begriffe „Sozia­lismus” und „Kapi­ta­lismus” ein­ander gegen­über­ge­stellt werden. (S. 102/3)

Aus­tausch­ver­hält­nisse der Pro­duk­tiv­güter können sich nur bilden, wenn es ein Son­der­ei­gentum an den Pro­duk­ti­ons­mitteln gibt. Unter kapi­ta­lis­ti­scher Pro­duk­ti­ons­weise ist die Wirt­schafts­weise zu ver­stehen, in der in Geld gerechnet wird, sodass man die einer Pro­duktion gewidmete Güter­menge nach ihrem Geldwert gerechnet, als Kapital zusam­men­fassen kann. Hier liegt der Unter­schei­dungs­punkt zwi­schen kapi­ta­lis­ti­scher und sozia­lis­ti­scher Pro­duk­ti­ons­weise und der Unter­schied zwi­schen Kapi­ta­lismus und Sozia­lismus. Im Unter­schied zum Sozia­lismus besteht die kapi­ta­lis­tische Pro­duk­ti­ons­weise darin, den Erfolg des Wirt­schaftens and den Ver­än­de­rungen des Kapitals festzustellen.

Wo der Markt­verkehr fehlt, gibt es keine Preis­bildung; ohne Preis­bildung gibt es keine Wirt­schafts­rechnung. (S. 111)

Das Problem der Wirt­schafts­rechnung ist das Kern­problem des Sozia­lismus. Ohne Bezug auf dieses Grund­problem, sind alle Ana­lysen der sozia­lis­ti­schen Wirt­schaft wertlos. Für die poli­tische Ent­wicklung sollte es sich ver­heerend aus­wirken, dass Marx gleichsam ein Verbot aus­ge­sprochen hatte, die sozia­lis­tische Wirt­schafts­ordnung zu ana­ly­sieren und nicht bei der bloßen Kapi­ta­lis­mus­kritik stecken zu bleiben.

Bis zu Mises’ Ver­öf­fent­li­chung der Unter­su­chung über die Wirt­schafts­rechnung im sozia­lis­ti­schen Gemein­wesen von 1920 und der Erwei­terung dieses Ansatzes in „Die Gemein­wirt­schaft“ von 1922 gab es keine im wis­sen­schaft­lichen Sinn brauchbare Analyse der sozia­lis­ti­schen Wirt­schafts­weise. Mit diesen beiden Schriften erbrachte Ludwig von Mises den Nachweis, dass im sozia­lis­ti­schen Gemein­wesen Wirt­schafts­rechnung nicht möglich ist und liefert damit zugleich den Beweis, dass ratio­nales Wirt­schaften im Sozia­lismus undurch­führbar ist.

Bis zu Mises’ Ver­öf­fent­li­chung der Unter­su­chung über die Wirt­schafts­rechnung im sozia­lis­ti­schen Gemein­wesen von 1920 und der Erwei­terung dieses Ansatzes in „Die Gemein­wirt­schaft“ von 1922 gab es keine im wis­sen­schaft­lichen Sinn brauchbare Analyse der sozia­lis­ti­schen Wirtschaftsweise.

Dies ist der dritte Teil der Arti­kel­reihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemein­wirt­schaft. Unter­su­chungen über den Sozia­lismus“. Den zweiten Teil finden Sie hier.

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Dr. Antony P. Mueller ist habi­li­tierter Wirt­schafts­wis­sen­schaftler der Uni­ver­sität Erlangen-Nürnberg und Pro­fessor der Volks­wirt­schafts­lehre an der bra­si­lia­ni­schen Bun­des­uni­ver­sität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapi­ta­lismus, Sozia­lismus und Anarchie: Chancen einer Gesell­schafts­ordnung jen­seits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com


Quelle: misesde.org