Deuten euro­päische Baumring-Ana­lysen auf ein unge­wöhn­liches aktu­elles Hydro­klima hin?

Nicht wirklich.

Eine kürzlich erschienene Arbeit (M. B. Freund et al 2023, hiernach als MBF23 bezeichnet) in „Nature com­mu­ni­cation earth and envi­ronment“ unter­sucht die Varia­bi­lität der som­mer­lichen Dürre-Ereig­nisse seit 1600. Sie ver­wendet die Methode der „sta­bilen Iso­to­pen­ana­lysen C13/O18“, um den „Stan­dar­di­sierten Nie­der­schlags-Evapo­tran­spi­ra­tions-Index (SPEI)“ von 1950 bis heute zurück auf 1600 zu erweitern.

(von Frank Bosse und Nic Lewis)

Die Arbeit beschreibt und ver­wendet ein Multi-Proxy-Netzwerk über weite Teile Europas (siehe Abb. 1 in MBF23), um die Geschichte der Som­mer­dürren für einen län­geren his­to­ri­schen Zeitraum zu rekon­stru­ieren. Sie kommt zu inter­es­santen Ergeb­nissen über die Abhän­gigkeit dieser Ereig­nisse von Vul­kanen und solarem Antrieb. Die Lektüre lohnt sich, und wir waren daran inter­es­siert, ob die Über­schrift gerecht­fertigt ist, ebenso wie die Behauptung in der Zusammenfassung:

„Wir zeigen, dass die jüngste euro­päische Som­mer­tro­ckenheit (2015–2018) im Kontext meh­rerer Jahr­hun­derte höchst unge­wöhnlich ist…“

Dank der Autoren sind die ver­wen­deten Jah­res­daten der SPEI-Rekon­struktion ver­fügbar, so dass wir Berech­nungen durch­führen konnten, um diese Behaup­tungen zu überprüfen.

Eine erste scheinbare „Bestä­tigung“ des Titels des Papiers findet sich in Abbildung 3a in MBH23:

Abb.1: Eine Repro­duktion von Abb. 3a von MBH23. Jähr­liche euro­päische Mit­tel­werte der SPEI-Daten in blau/rot, die Ergeb­nisse des Tief­pass­filters sind in schwarz dargestellt.

Die schwarze Linie in dieser Abbildung zeigt die Aus­wirkung der Anwendung einer 13-jäh­rigen Tief­pass­glättung, sie bezieht sich also auf die jüngste Ver­gan­genheit. In der Tat zeigt der ver­wendete 13-jährige Tsche­by­scheff-Filter nach 2010 einen „dra­ma­ti­schen“ Ein­bruch zu einem weitaus nied­ri­geren Nie­der­schlags­index als zu jedem anderen Zeit­punkt im Rekon­struk­ti­ons­zeitraum 1600–2018. Bei genauerer Betrachtung findet man jedoch auch tro­ckene Perioden vor 1950, dem Beginn des klas­si­schen SPEI-Daten­satzes, der in Abb. 1 mit „SPEI“ gekenn­zeichnet ist, oder vor 1880, die in Abb. 1 dun­kelgrau mar­kiert sind, und der Tief­pass­filter reagierte nicht so wie nach 2010.

Der Grund für dieses Ver­halten ist recht einfach: Alle Glät­tungs­filter haben Pro­bleme mit dem Anfang und dem Ende eines gefil­terten Daten­satzes. Sie schätzen die Ausgabe, weil es in den Roh­daten keine Vorläufer/Nachfolger gibt. Um die Aus­wir­kungen dieser Eigen­schaften zu testen, haben wir die­selben Daten mit einem ähn­lichen Filter (Löß) ver­wendet und einen Ver­gleich mit Abb. 1 ange­stellt, aber die Fil­terung im Jahr 1949 beendet:

Abb. 2: Wie Abb. 1, aber mit dem geglät­teten SPEI-Index bis 1949.

Wäre das Papier 1950 geschrieben worden, würde es „unge­wöhn­liches aktu­elles Hydro­klima“ fest­stellen, im Jahr 2023 findet es das­selbe für die aktu­ellen Bedin­gungen auf­grund eines Fil­ter­pro­blems. Der Anfang nach 1600 ist in der Fil­ter­ausgabe aus dem gleichen Grund eben­falls sehr unge­wöhnlich nass.

Die Senke am Ende in Abb. 3a des MBH23 ist nicht echt, sondern ein Artefakt des ver­wen­deten Filters.

Ein ein­facher lau­fender Mit­tel­wert­filter, der zwar in den ersten Jahren keine Ergeb­nisse liefert, aber nicht arte­fakt­be­haftet ist, glättet die Schwan­kungen im Zeitraum 1600–2018 besser:

Abb. 3: Sommer-SPEI-Daten (schwarz) gefiltert mit einem nach­lau­fenden Mit­telwert (rot). Das his­to­rische Minimum dieses Filters ist als gestri­chelte rote Linie dar­ge­stellt. Deutlich zu sehen sind Minima in den 1870er und 1680er Jahren sowie am Ende des Zeit­raums 1600–2018.

Abb. 3 zeigt das gegen­teilige Ergebnis der Über­schrift von MBF23: bis 2018 (dem letzten Daten­punkt in der Reihe von MBF23) zeigt es, dass das jüngste euro­päische Sommer-Hydro­klima NICHT unge­wöhnlich war, der SPEI-Index lag im Rahmen der natür­lichen Variabilität.

Um zu zeigen, dass auch die Behauptung in der Zusam­men­fassung („2015–2018 höchst unge­wöhnlich“) nicht stimmt, haben wir uns die Daten genauer ange­sehen und die 4‑Jahres-Durch­schnitte über die gesamte Zeit­spanne berechnet.

Es stellte sich heraus, dass in vielen Zeit­räumen der 4‑Jahres-Durch­schnitt in den SPEI-Daten nega­tiver war als im Zeitraum 2015–2018, für den dieser Durch­schnitt ‑0,273 beträgt:

Seit 1900 gab es vier solcher Perioden, die alle in den Jahren vor 1950 lagen: 1947–1950; 1946–1949; 1945–1948; 1944–1947. Die Periode vor 1950 (die nicht stark von anthro­po­genen Ein­flüssen geprägt war) wies in der Tat sehr tro­ckene Sommer auf, die im MBF23 mit keinem Wort erwähnt werden.

Vor 1900 gibt es auch einige Perioden:

1892–1895; 1760–1763; 1759–1762; 1738–1741; 1688–1691.

Die „euro­päische Som­mer­tro­ckenheit 2015–2018“ war im Kontext meh­rerer Jahr­hun­derte NICHT „höchst unge­wöhnlich“, wie in der Zusam­men­fassung fälsch­li­cher­weise behauptet wird.

Um diese Behauptung zu unter­mauern, haben wir auch unter­sucht, ob Durch­schnitts­werte über längere Zeit­räume „höchst unge­wöhnlich“ waren.

Es stellte sich heraus, dass ein nach­lau­fender Durch­schnitt von 5 Jahren 10 Zeit­räume zwi­schen 1600 und 1950 ergibt, eine Zeit­spanne, die über­wiegend von natür­licher Varia­bi­lität beein­flusst wurde, mit nega­ti­veren SPEI-Werten als der jüngste Zeitraum bis 2018; ein 10-Jahres-Durch­schnitt ergibt 9 solche Zeit­räume vor 1951. Und ein 3‑Jahres-Durch­schnitt ergibt nicht weniger als 57 Zeit­räume vor 1951 mit mehr nega­tiven SPEI-Werten als der jüngste Zeitraum.

Außerdem haben wir uns die Varia­bi­lität der jähr­lichen Daten nach 1950 (die Zeit­spanne des „nativen SPEI“) und vor diesem Jahr, der Zeit­spanne der Rekon­struktion des „euro­päi­schen Hydro­klimas auf der Grundlage eines Netz­werks von Baumring-Sta­bil­iso­topen von Sau­er­stoff- und Koh­len­stoff­ver­hält­nissen“ in MBF23, ange­sehen. Wir berech­neten 21 Jahre lang die Stan­dard­ab­wei­chungen (Sigma) der jähr­lichen Daten (Abb.4):

Abb. 4: Die Varia­bi­lität der jähr­lichen SPEI-Daten. Die Durch­schnitts­werte vor 1950 und nach diesem Jahr sind mit einer gestri­chelten Linie mar­kiert. Man beachte den Sprung.

Die geringere zeit­liche Varia­bi­lität der Rekon­struktion lässt Zweifel auf­kommen, ob die Rekon­struktion der SPEI 1600…1950 sinnvoll ist, um die neueren nativen SPEI-Daten 1:1 mit den his­to­ri­schen Rekon­struk­ti­ons­daten vor 1950 zu ver­gleichen. Es sieht so aus, als ob die Rekon­struktion, auch wenn sie ansonsten gültig ist, die natür­liche Varia­bi­lität deutlich unter­be­wertet. Dies ist ein häu­figes Problem bei proxy-basierten Rekon­struk­tionen. Es führt dazu, dass das Ausmaß der Schwan­kungen während der instru­men­tellen SPEI-Ära nach 1950 im Ver­gleich zur natür­lichen Varia­bi­lität über­trieben dar­ge­stellt wird, so dass normale Schwan­kungen als unge­wöhnlich erscheinen können.

Schluss­fol­gerung

MBF23 ist eine sehr wert­volle Arbeit, wenn es um die Beschreibung der Varia­bi­lität der euro­päi­schen Som­mer­dürren seit 1600 geht. Aller­dings sind weder der Titel „European tree-ring iso­topes indicate unusual recent hydro­climate“ noch die Behauptung in der Zusam­men­fassung, dass „die jüngste euro­päische Som­mer­tro­ckenheit (2015–2018) im Kontext meh­rerer Jahr­hun­derte höchst unge­wöhnlich ist“ durch die in der Arbeit ver­wen­deten Daten gerechtfertigt.

Die geringere zeit­liche und räum­liche Auf­lösung der Rekon­struktion vor 1950 im Ver­hältnis zur ermit­telten SPEI nach 1950 lässt Zweifel auf­kommen, ob der Ver­gleich einiger Jahre nach 1950 mit den his­to­ri­schen rekon­stru­ierten Werten ange­messen ist.

MBF23 sollte kor­ri­giert und umbe­nannt werden, da einige wichtige Schluss­fol­ge­rungen, ein­schließlich der Haupt­aussage im Titel, nicht durch eine ord­nungs­gemäße sta­tis­tische Analyse der SPEI-Werte, die ihre Rekon­struk­ti­ons­me­thode erzeugt, gestützt werden. Die jüngste Dürre in Europa bis 2018 lag im Bereich der natür­lichen Variabilität.

Link: https://wattsupwiththat.com/2023/02/23/do-european-tree-ring-analyses-indicate-unusual-recent-hydroclimate/

Über­setzt von Christian Freuer für das EIKE


Quelle: eike-klima-energie.eu