Eine Unter­leg­scheibe für die Demokratie

Bis zwei Zen­ti­meter Silikon, bis zehn Zen­ti­meter Bau­schaum – so lautet ein nicht ganz ernst gemeinter Spruch aus dem Handwerk, wenn es um die Füllung läs­tiger Lücken in der Gebäu­de­sub­stanz geht. Und auch im Gebäude unserer Demo­kratie klafft offenbar eine Lücke, die der Füllung bedarf. Fest­ge­stellt wurde sie von denen, die sich gern als „Bau­meister der Demo­kratie“ ver­stehen: unsere Poli­tiker im Bun­destag. Als ich erstmals von der Idee hörte, Bür­gerräte sollten der Politik rat­gebend bei­springen, dachte ich, es handele sich um eine Posse vom Kaliber des gefor­derten Par­la­ments­poeten, der auf grünen Wunsch zur Wel­ten­rettung der Politik die Harfe zupft. Schließlich sind es die Kli­makleber, die derlei Sowjets seit einigen Kle­be­pe­rioden fordern, und von denen ist man Gehabe gewöhnt, das eines Nero würdig ist, der das bren­nende Rom besingt. Doch nun muss ich fest­stellen: die ziehen das wirklich durch mit dem Bür­gerrat und ab Sep­tember haben die Poli­tiker die „Lücke“ endlich geschlossen. Ob die 160 zufällig aus­ge­wählten und gleich­zeitig hand­ver­le­senen Bürger eher Bau­schaum oder Silikon sind? Ver­mutlich beides, gleich­zeitig dämpfend, iso­lierend und durch Selektion beliebig formbar.

Demo­kra­tie­lücke

„Mit dem Bür­gerrat holen wir die Meinung der Bür­ge­rinnen und Bürger näher ans Par­lament“, sagt der Grünen-Abge­ordnete Leon Eckert und erschreckt damit nicht nur seine Wähler. Näher ans Par­lament? Wie weit kann ein Abge­ord­neter, der als Dritt­plat­zierter mit 18% der Wäh­ler­stimmen für Freising in den Bun­destag einzog, denn von seinen Wählern ent­fernt sein, dass er über Dritte nach deren Meinung fragen muss? Oder ist gar schlim­meres gemeint? Will man die Meinung der Bürger zwar „näher an das Par­lament“ bringen, diese jedoch tun­lichst draußen halten, bei den Domestiken?

Wir müssen wohl in der Gebrauchs­an­weisung nach­sehen, welche die Erbauer dieser unserer Demo­kratie und hin­ter­lassen haben, dem Grund­gesetz. Viel­leicht finden wir das Füllsel für die Lücke zwi­schen Volkes Wille und dem Dop­pel­wumms mit Wär­me­pumpe ja dort. Ein Rat ist dort schnell gefunden, doch handelt es sich dabei um den Bun­desrat, den wir bekanntlich schon etwas länger haben. Und weil wir schon mal im Text sind, suchen wir doch gleich noch nach den anderen „bera­tenden Gremien“, ob deren Wort­gewalt und par­la­men­ta­rische Zitier­häu­figkeit bereits von den Gründern dieser Republik kodi­fi­ziert wurde. Doch weder der Ethikrat, dem wir zu guten Teilen die Begrün­dungen für Gen­tech­nik­verbot (Agrar), Atom­aus­stieg und Gen­technik-Gebot (Impfung) ver­danken, noch die Mer­kelsche Lockdown-Tafel­runde der Minis­ter­prä­si­denten sind dort zu finden.

Die Autoren des Grund­ge­setzes gingen nai­ver­weise davon aus, dass eine positive Auswahl und vor allem die Wahl von Abge­ord­neten in die Par­la­mente des Bundes und der Länder genügen müsse, um Volkes Wille zur Geltung zu bringen. Wozu also all die Zwi­schen­schritte, Lücken­büßer und Unter­leg­scheiben? Der SZ-Artikel gibt darüber keine Aus­kunft, sondern ver­wirrt seine Leser. Einen „neuen“ Bür­gerrat bekäme der Bun­destag, so steht da. Was ist denn aus dem „alten“ geworden? Den gab es nämlich nie, der Bun­destag sollte vielmehr der Bür­gerrat sein: eine Ver­sammlung freier Bürger, die aus freien, all­ge­meinen und geheimen Wahlen her­vor­ge­gangen ist, um für die Bürger zu sprechen und Gesetze in deren Interesse zu machen. Wer wie Bärbel Bas (SPD) nun behauptet, ein zwi­schen Wähler und Bun­destag geschal­teter Rat müsse da ver­bindend aus­helfen, hält sich offen­sichtlich selbst nicht für Bürger genug, sondern für etwas anderes, höher­ste­hendes. Doch wenn das mit der Reprä­sentanz nicht mehr klappt, wie im Grund­gesetz vor­ge­sehen, wozu brauch man dann noch diese Repräsentanten?

Der sozio­lo­gische Mecha­nismus, der hier am Werk ist und den ich mangels Sozio­lo­gie­studium nicht benennen, sondern nur beschreiben kann, hat in diesem Land bereits byzan­ti­nische Ausmaße ange­nommen. Überall Gremien, Foren, Exper­tenräte und Agoras. Alle hängen über ein unsicht­bares Mycel am Saft des Steu­er­zahl­erholzes, ver­teilen Geld und ver­schieben Ver­ant­wortung. Die Exper­to­kratie aus Bera­ter­firmen und Lob­by­or­ga­ni­sa­tionen ist dem Bürger spä­testens seit Covid-Dik­tatur und Habecks Heiz-Hammer jedoch so suspekt, dass man nun auf den Bürger selbst zurück­greift. Aller­dings in seiner ver­ein­zelten, ein­ge­hegten Form. Denn nicht Gefatter Zufall oder das Los ent­scheiden über die 160 Bera­ter­plätze, sondern der heilige Pro­porzius, den die Politik anwendet, denn die Räte werden je nach Thema und „Bera­tungs­bedarf“ mög­lichst „divers“ besetzt. Erstes Thema und Test­ballon, ob der Bürger über­haupt dazu taugt, die Poli­tiker zu beraten, ist „Ernährung im Wandel“, womit nicht der natür­liche Ablauf der Ver­dauung gemeint ist, sondern die poli­tische Maßgabe, dass sich was ändern muss im Mund-Magen-Darm­be­reich. Man legt deshalb Wert darauf, dass unter den Ernäh­rungs­bür­ger­räten genügend Veganer und Vege­tarier sind. Ob der Proporz auch Car­ni­voren, Spar­gel­anten, Grün­kohl­ianer und Lak­to­se­into­lerate ein­schließt? Ein Schelm, wer den Wandel stört!

Politik mag ein Eisberg sein, der sich zu 90% dem Blick der Öffent­lichkeit ent­zieht, aber zumindest die sicht­baren medial-par­la­men­ta­ri­schen zehn Prozent lassen Schlüsse auf das Zustan­de­kommen von Ent­schei­dungen zu. Doch wie öffentlich werden die Sit­zungen der „Bür­gerräte“ und deren Rat­schlüsse sein? Wird es ein Lob­by­re­gister für Bür­gerräte geben oder werden die so „zufällig“ aus­ge­wählt wie „Pas­santen“, die der WDR zu grünen Themen inter­viewt? Werden Kameras laufen, wenn von Poli­tikern aus­ge­wählte Experten den Bür­ger­räten emp­fehlen, was sie den Poli­tikern raten sollten? Was sagt die Süd­deutsche dazu?

„Der Bür­gerrat werde einen „Blick auf die im Alltag bereits statt­fin­denden Umbrüche der Ernährung“ richten und die Per­spektive der Bür­ge­rinnen und Bürger ein­bringen. Thema soll auch die Rolle des Staates werden, etwa die Frage, inwieweit die Regierung mit Rege­lungen ein­greifen soll.“

Na, liebe Leser, Appetit auf „Mit­be­stimmung“ bekommen?


Quelle: unbesorgt.de