Magie und Medizin: Ein alt­ägyp­ti­scher Text ent­hüllt fas­zi­nie­rende fort­schritt­liche medi­zi­nische Behandlungen!

1873 erwarb der Ägyp­tologe und Schrift­steller Georg Moritz Ebers im ägyp­ti­schen Luxor für 300 ägyp­tische Pfund das älteste Medi­zin­handbuch der Welt, das bereits im 16. Jahr­hundert v. Chr. ver­fasst wurde.

(von Frank Schwede)

Auf 18,63 Metern werden hier Krank­heiten, Sym­ptome, Dia­gnosen und Zube­reitung von Heil­mitteln beschrieben.

Gegen Schmerzen in den Zehen hatten bereits die alten Ägypter ein Haus­mittel: „Roter Ocker und das Gärungs­produkt des Honigs“ per Druck­verband mit Hilfe der „Scherbe eines neuen Topf“ auf das Gliedmaß, emp­fiehlt der Papyrus Ebers.

Das geheim­nis­volle Dokument ent­stand vor 3.500 Jahren, ver­mutlich in der Umgebung von Theben. 18,63 Meter lang, 30 Zen­ti­meter hoch und in schwarzer und roter Schrift teil­weise beid­seitig beschrieben mit 879 Rezepten und Rat­schlägen in 110 Kolumnen sowie einem Kalender.

Der Papyrus Ebers ist das älteste Medi­zin­handbuch der Welt. Seit 1873 gehört es der Uni­ver­si­täts­bi­bliothek Leipzig. Für 300 ägyp­tische Pfund kaufte der For­scher und Schrift­steller Georg Ebers die Schrift­rolle 1873 in Luxor bei einem kop­ti­schen Händler.

Begeistert schrieb Ebers am 26. März 1873 aus Kairo an das könig­liche Haus­mi­nis­terium in Sachsen:

„Unser Document enthält nichts Gerin­geres, als ein Com­pendium der gesamten ägyp­ti­schen Medicin (…). Ich emp­fehle meinen Schatz bis zu meiner Heimkehr (Ende April) der gütigen Obhut Ew. Excellez. Die Büchse mit den mehr als 3000 Jahre alten, die größte Vor­sicht erhei­schenden, gebrech­lichen Papyros darf nur von mir selbst geöffnet werden. Ich bitte noch ange­le­gentlich das Kistchen an einen tro­ckenen Ort zu stellen. Denn nichts ver­dirbt einen Papyros leichter als Feuchtigkeit.“

Von 1870 bis 1889 forschte und lehrte Ebers als Ägyp­to­logie-Pro­fessor an der Uni­ver­sität Leipzig und machte sich nach seiner Rückkehr aus Ägypten umgehend an die Arbeit, um ein gedrucktes Fak­simile der Quelle anzu­fer­tigen, das 1875 fertig war.

Das Ori­gi­nal­do­kument ist mitt­ler­weile nicht mehr voll­ständig. Im Zweiten Welt­krieg wurden vier Meter der Rolle kom­plett zer­stört. Ebers hatte sie in 29 Teile zer­schnitten und unter Glas auf­be­wahrt, um den emp­find­lichen Papyrus auf­grund  der ungüns­tigen nord­eu­ro­päi­schen Kli­ma­be­din­gungen zu konservieren.

An der Uni­ver­si­täts­bi­bliothek Leipzig hat Chef­re­stau­rator Jörg Graf mitt­ler­weile die erste ori­gi­nal­ge­treue Kopie der Rolle fer­tig­ge­stellt, die Georg Ebers nach Leipzig brachte.

Stammt die Schrift­rolle von Grabräubern?

Heute ist der Papyrus Ebers das älteste voll­ständig erhal­tende Medi­zin­handbuch der Welt, in dem unter anderem ein­fache Mittel gegen Haar­ausfall, Husten und Ver­dau­ungs­pro­bleme nie­der­ge­schrieben sind.

Die Schrift­rolle wurde ursprünglich als Assasif Medical Papyrus of Thebes bezeichnet und später, nachdem sie Georg Ebers erworben hatte, in Papyrus Ebers umbenannt.

Bisher ist wenig darüber bekannt, wie Ebers in den Besitz der Schrift­rolle kam. Gerüchten nach soll er sie Grab­räubern abge­kauft haben, die den Papyrus in Leinen gewi­ckelt aus einem Grab gestohlen haben. Andere Quellen behaupten, dass Ebers die Schrift­rolle in einem Anti­qui­tä­ten­laden erworben hat.

Ebers ver­öf­fent­lichte den Inhalt des Papyrus 1875 in einer zwei­bän­digen Fak­simile-Ausgabe mit Kom­mentar und Glossar. Später wurden vier weitere eng­lische Über­set­zungen erstellt.

Die erste im Jahr 1905, die zweite und dritte 1930 und 1937 von Cyril P. Byron und Bendiz Abel. Eine umfas­sende Über­setzung brachte der renom­mierte Arzt Paul Cha­li­ounguin heraus – sie gilt als die wertvollste.

Der Papyrus ist in zwei Kate­gorien unter­teilt. Der wis­sen­schaft­liche Teil, der Krank­heits­bilder und deren Heil­ver­fahren beschreibt und der magisch-reli­giöse mit  Beschwö­rungen und Zau­ber­sprüchen, die sich an alt­ägyp­tische Götter richten.

Begriffe wie Viren und Bak­terien exis­tierten im alten Ägypten freilich noch nicht, weil jede Krankheit dem Zorn der Götter zuge­schrieben wurde. Deshalb waren magische und reli­giöse Tech­niken für die alten Ägypter von großer Bedeutung.

Obwohl der Papyrus auf das 16. Jahr­hundert datiert ist, wird auf­grund der sprach­lichen Aus­drucks­weise ange­nommen, dass die Schrift­rolle mit Hilfe älterer Quellen aus der 12. Dynastie Ägyptens (1995–1775 v. Chr.) stammen könnte.

Der Papyrus wurde ursprünglich in Hie­ratic geschrieben, einer kur­siven, abge­kürzten Version der Hie­ro­glyphen. Er besteht aus 877 Rubriken mit ungefähr 108 Spalten, die von 1–110 num­me­riert sind.

Jede Spalte besteht aus 20–22 Text­zeilen. Am Ende der Schrift­rolle befindet sich ein Kalender, der zeigt, dass er im neunten Jahr von Amenophis I. geschrieben wurde, was darauf schließen lässt, dass der Papyrus 1536 v. Chr. ver­fasst wurde.

Die Schrift­rolle umfasst 842 Seiten mit einer Fülle von Wissen über Ana­tomie, Phy­sio­logie, Toxi­ko­logie, Dia­betes und 328 Rezepten zur Behand­lungen der unter­schied­lichster Krank­heiten, die durch Tiere, Pflanzen und Mine­ral­gifte aus­gelöst werden –  hinzu kommen natürlich noch jede Menge  Zaubersprüche.

Vielfach wird ange­nommen, dass die Zube­reitung der Medizin von einem bestimmten ägyp­ti­schen Gott inspi­riert wurde. Die Rezep­turen sind so detail­liert beschrieben, dass sie selbst heute noch zusam­men­ge­stellt werden können. Aktuelle For­schungen bestä­tigen sogar, dass die Ägypter ab min­destens 1820 v. Chr. dazu in der Lage waren, Medi­ka­mente herzustellen.

Tat­sächlich werden fünfzig Prozent der von den alten Ägyptern ver­wen­deten Quellen zur Her­stellung von Medi­ka­menten noch heute ver­wendet, obwohl mitt­ler­weile ein Großteil syn­the­tisch her­ge­stellt wird.

Ver­schiedene archäo­lo­gische, medi­zi­nische und his­to­rische For­schungen können belegen, dass die alten Ägypter über ein reiches Wissen verfügt haben und dazu in der Lage waren, Krank­heiten auf ratio­nalem Weg zu behandeln.

Geheim­nis­voller Erkältungszauber

Es wurden sogar moderne Tech­niken von den alten Ägyptern zur Behandlung ein­ge­setzt. Und die Kom­bi­nation von Medizin und Magie könnte durchaus der dama­ligen Kultur des Landes geschuldet sein.

Wenn Medi­ziner mit ihrem Latein am Ende waren, hatten die Men­schen immerhin noch die Mög­lichkeit, eine magisch-reli­giöse Behandlung in Betracht zu ziehen. Ein solches Bei­spiel beschreibt ein geheim­nis­voller Erkäl­tungs­heilzauber aus dem Papyrus.

„Aus­strömen, Stinknase, aus­strömen, Sohn der Stinknase! Fließt aus, ihr Kno­chen­brecher, zer­stört den Schädel und macht sieben Löcher des Kopfes krank!“

Auch die alten Ägypter wussten, dass das Herz für den Transport des Blutes von größter Bedeutung ist. Und ihnen war auch klar, dass das Herz jenes Organ ist, das für die Regu­lierung und Zir­ku­lation von Kör­per­flüs­sig­keiten wie Blut, Tränen, Urin und Sperma ver­ant­wortlich ist.

Deshalb ist dem Herz im Papyrus ein eigenen Abschnitt unter dem Titel „Buch des Herzens“ gewidmet. Dieser Abschnitt befasst sich aus­führlich mit den Arterien und der Blutversorgung.

Auch psy­chische Pro­bleme wie Depres­sionen, Angst­zu­stände kommen in der Schrift zur Sprache. Der Grund ist, dass die Psyche einen großen Ein­fluss auf das Herz-Kreislauf-System hat.

Weiter enthält der Papyrus Kapitel zu den Themen Schwan­ger­schaft, Gas­tritis, Emp­fäng­nis­ver­hütung, Gynä­ko­logie, Para­siten, Haut­er­kran­kungen, Kno­chen­bildung und chir­ur­gische Behand­lungs­me­thoden von bös­ar­tigen Tumoren.

Freilich klingen viele Behand­lungs­me­thoden nach unserem heu­tigen Ver­ständnis mehr als aben­teu­erlich. Aller­dings dürfen wir nicht ver­gessen, dass diese Schrift zu einer Zeit ver­fasst wurde, als Krankheit als der Zorn Götter gegen die Men­schen betrachtet wurde.

Unter­su­chungen zeigen, das rund 64 Prozent der beschrie­benen Heil­mittel the­ra­peu­tisch wirksam sind, obwohl eine Vielzahl der Behand­lungs­me­thoden rein auf die Kraft der Magie beruhen, was im Grunde genommen auch stimmt, weil Heilung ohne Glaube nicht möglich ist.

Heil­me­thoden sind selbst heute Grenzen gesetzt, wenn die Pati­enten nicht an deren Wirk­samkeit glauben. Das heißt, Heilung erfolgt in erster Linie über die Kraft des Geists und des Bewusst­seins, was die alten Ägypter als die Kraft der Magie bezeichnet haben.

Das ver­deut­lichen die teils irra­tio­nalen Behand­lungs­me­thoden, wie die Ver­wendung von Kro­ko­dilkot als Ver­hü­tungs­mittel, oder die Salbung des Kopfes von Migräne-Pati­enten mit Teilen eines Welses.

Nach unserem heu­tigen medi­zi­ni­schen Ver­ständnis sind das völlig irra­tionale Behand­lungs­me­thoden, die dennoch von Erfolg gekrönt sein können, wenn man den Pla­ce­bo­effekt mit einbezieht.

Selbst die irr­wit­zigsten Rezepte können Wirkung zeigen, wenn der Patient an deren Wirk­samkeit glaubt, weil Krankheit und Psyche eng mit­ein­ander ver­bunden sind und eine Krankheit meistens zunächst im Kopf entsteht.

Das Problem mit der Echtheit

Die Echtheit des Papyrus wird vielfach noch heute ange­zweifelt, weil ange­nommen wird, dass der Inhalt auf­grund der Anzahl der Über­set­zungen ver­fälscht wie­der­ge­geben wurde.

Die bri­tische Ägyp­to­login Ann Rosalie David von der Uni­ver­sität Man­chester, die unter anderem auch als Direk­torin der Inter­na­tional Mummy Database tätig ist, hält den Papyrus sogar für völlig wertlos.

In einem Beitrag des Lancet Paper aus dem Jahr 2008 kam die Ägyp­to­login zu dem Schluss, dass die Quelle für die Erfor­schung des Papyrus begrenzt und schwierig ist. Weiter erklärt sie, dass sich die Über­set­zungen vielfach wider­sprechen, offenbar deshalb, weil die Über­setzer Pro­bleme mit der Sprache des Ori­ginals hatten.

Anhand ana­to­mi­scher und radio­lo­gi­scher Unter­su­chungen an Mumien und Ske­lett­resten kommen For­scher aber zu dem Ergebnis, dass die alten Ägypter nicht nur hoch­begabt waren, sondern auch über ein enormes medi­zi­ni­sches Wissen verfügt haben, dass sie sogar dazu in der Lage waren, pro­the­tische Zehen herzustellen.

Im Laufe vieler Jahre wurden auch Gewebe, Haare und Knochen von Mumien unter­sucht, um her­aus­zu­finden, unter welchen Krank­heiten die Ver­stor­benen zu Leb­zeiten gelitten hatten.

Viele der iden­ti­fi­zierten Beschwerden wurden tat­sächlich nach der in dem Papyrus beschrie­benen Methoden behandelt, was beweist, dass einige der in der Schrift  erwähnten Heil­ver­fahren offenbar erfolg­reich waren. Die US Medi­zi­nerin Veronica M. Pagan schrieb dazu 2011 in World Neu­ro­surgery:

„Diese Schrift­rollen wurden ver­wendet, um Wissen von Gene­ration zu Gene­ration wei­ter­zu­geben, sie wurden wahr­scheinlich während einer Behandlung zur Hand genommen und als Rat­geber im täg­lichen Leben ver­wendet. Selbst bei diesen bemer­kens­werten Schrift­rollen ist es wahr­scheinlich, dass medi­zi­ni­sches Wissen jen­seits eines bestimmten Niveaus mündlich von Meister zu Schüler wei­ter­ge­geben wurde.“

Tat­sächlich hilft das Stu­dieren des Papyrus heu­tigen Medi­zinern, eine Ver­bindung zwi­schen spi­ri­tu­ellem und natur­wis­sen­schaft­lichem Wissen der alten Ägypter her­zu­stellen, weil man in diesem Papier sehr viel über das alte Wissen und die Tech­niken lernt, die vor Jahr­hun­derten ihren Weg die heutige Welt der Medizin gefunden haben.

Gleich­zeitig gelangen wir auch zu der Erkenntnis, dass es falsch ist, anzu­nehmen, dass sämt­liche medi­zi­nische Heil­me­thoden und Tech­niken, wie etwa die Her­stellung von Pro­thesen, erst in der Neuzeit erfunden wurden.

Was würde wohl ein Medi­ziner im 45. Jahr­hundert denken, wenn er ein medi­zi­ni­sches Handbuch aus dem 21. Jahr­hundert in die Hände bekommt. Ganz sicher würde er sagen… „oh mein Gott, waren die damals rückschrittlich.“


Quelle: pravda-tv.com