Palästinenserin vor Israelischen Soldaten Bild: Flickr.com, Scottish Palestine Solidarity, CC BY-NC-SA 2.0 DEED

Israe­li­scher Think-Tank erar­beitet Plan zur eth­ni­schen Säu­berung des Gaza-Streifens – Israelis pro­tes­tieren gegen die Gewalt in Gaza an Zivilisten

Es ist ein Merkmal unserer Zeit, dass es nur noch schwarz und weiß gibt. Ob es der Ukraine Kon­flikt ist, wo man aus­schließlich den bösen Putin ver­ant­wortlich zu machen hat, alles andere ist hoch unmo­ra­lisch. Die Impfung war ein gött­liches Gebot, jeder, der Zweifel daran hatte, ein gefähr­licher Covidiot. Die Mas­sen­mi­gration eine kul­tu­relle Berei­cherung und mora­lisch geboten, wer auf die Risiken hinwies, ein Rassist und Nazi. Die abscheu­lichen Mas­saker der Hamas an Israelis recht­fer­tigen Mas­saker an paläs­ti­nen­si­schen Zivi­listen und Kindern, jeder der das miss­billigt, ist ein Nazi und Anti­semit. So geht es mit fast allen wich­ti­geren Themen. Dif­fe­ren­zierte Betrach­tungs­weisen sind völlig aus der Mode gekommen. Aber: Es regt sich überall Wider­stand, auch in Israel. 

Kon­flikte müssen fair gelöst werden – nicht mit der mora­li­schen Keule niedergehalten

Die poli­tisch-kor­rekte Doktrin der mora­lisch über­le­genen Ein­bahn­straßen kann jede Dis­kussion ersticken. Das kann sie sogar sehr gut, denn sie verfügt über das Instrument der sozialen Aus­grenzung, des Iso­lierens, des Unsicht­bar­ma­chens, der Dif­fa­mierung. Aber sie löst kein ein­ziges, echtes Problem, sondern ver­schärft jedes. Denn gerade durch das gewaltsame Unsicht­bar­machen eines Kon­fliktes — oder jed­weden Pro­blems — wird dieses nicht gelöst oder geheilt, sondern zum Krebs­tumor. Das war bei der Impfung so, das zeigt sich jetzt im Ukrai­ne­krieg. Die Wahlen in Hessen und Bayern offen­barten es eben­falls. Echte Pro­bleme lassen sich eben nicht weg­dif­fa­mieren. Im Israel-Gaza-Krieg ent­faltet sich jetzt das Unheil dieser mora­li­schen Ein­bahn­straßen auf’s Neue und wird brandgefährlich.

Das Problem ist nämlich, dass sich die Dif­fa­mierten zu Wort melden, denn sie unter­werfen sich nicht immer alle, ins­be­sondere dann, wenn es um Sein oder Nichtsein geht.

Der Hamas-Überfall war ein bar­ba­ri­scher, grau­samer, wider­licher Akt. Unwi­der­sprochen. Es traf Zivi­listen, Unschuldige, vom Baby bis zum Greis. Es hat nicht der „geköpfte Babys“-Lüge als Neu­auflage der Brut­kas­tenlüge bedurft, die (neben erfun­denen Mas­sen­ver­nich­tungs­waffen) als mora­lische Recht­fer­tigung für Ame­rikas Ein­tritt in den Irak­krieg diente. Es ist mehr als genug an Gräu­el­taten an diesem Tag von Seiten der Hamas pas­siert.

Die Gräu­el­taten geschahen nicht aus Gaza heraus, sondern im Westjordanland

Gaza ist nur ein Teil des paläs­ti­nen­si­schen Landes. West­jor­danland ist daneben, wird aber immer weiter von israe­li­schen Siedlern einfach durch Sied­lungen ein­ge­nommen. Wie berichtet, ent­zündete sich die Kata­strophe an einem großen, tra­di­tio­nellen Laub­hüt­tenfest jüdi­scher Siedler im Paläs­ti­nen­serland West­jor­danland, zu dem zwei von drei israe­li­schen Grenz­schutz­ba­tail­lonen zum Schutz abge­ordnet worden waren – und der Hamas freie Fahrt gaben.

Dass die ganze Angriffs­ge­schichte aber klar geplant war, ist ersichtlich. Die umfang­reiche Aus­rüstung, motor­be­triebene Gleit­schirme, Was­ser­fahr­zeuge, Bewaffnung, Munition, Fahr­zeuge, das alles spricht für eine Finan­zierung und sorg­fältige Planung. Das kam schon in den ersten 24 Stunden nach der Bericht­erstattung zum Mas­saker auf.

Israels „Ver­geltung“ des Hamas-Terrors: Mas­senmord an paläs­ti­nen­si­schen Zivilisten

Der israe­lische Premier Netanjahu steht nun in Israel selbst in der Kritik. Allzu offen erklärte er in den Stunden des Schocks nach den Gräu­el­taten im West­jor­danland, dass sich die Hamas nun auch dort ein­ge­nistet habe und mit Ter­rorüber­fällen in diesem Gebiet begonnen hat, und nun müsse das Übel Hamas mit allen Mitteln aus­ge­rottet werden, und es erfordere harte Ver­gel­tungs­schläge. Die treffen natürlich wieder Zivi­listen – und das eben­falls in Massen, aber es sind ja „nur Paläs­ti­nenser“. Die Yahoo-Nach­rich­ten­seite berichtet:

„Dem Krieg zwi­schen Israel und den isla­mis­ti­schen Hamas-Angreifern im Gaza­streifen fallen immer mehr Zivi­listen zum Opfer — dar­unter nach UN-Angaben viele Kinder. Seit den Ter­ror­an­griffen der Hamas in Israel vor gut zwei Wochen starben bei Israels Gegen­schlägen nach Angaben des UN-Kin­der­hilfs­werks allein 2360 Kinder. 5364 weitere seien ver­letzt worden, teilte Unicef am frühen Morgen unter Berufung auf nicht genannte Berichte mit.“

UN-Gene­ral­se­kretär António Guterres konnte offenbar diese Bru­ta­li­täten nicht einfach schweigend über­gehen und machte sich einer „isra­el­kri­ti­schen Äußerung“ schuldig. Das sorgte umgehend zu „ver­schärften Span­nungen“ zwi­schen ihm und Israel. Unsere begnadete Außen­mi­nis­terin Annalena Baerbock betonte im Welt­si­cher­heitsrat das Recht Israels auf Selbst­ver­tei­digung — mahnte aber vor­sichtig gleich­zeitig Israel zur „Ein­haltung des huma­ni­tären Völ­ker­rechts“. Ein bisschen schwach für das, was in Gaza gerade passiert.

Und nicht nur in Gaza. Die Hamas-Ter­ro­risten sitzen zum Bei­spiel auch in Syrien. Das hindert aber die israe­lische Luft­waffe nicht daran, auch dort massive Bom­ben­an­griffe auf mili­tä­rische Stel­lungen zu fliegen. Die Begründung sollte man genau lesen:

Wie das israe­lische Militär am Mitt­woch­morgen bekanntgab, flogen Kampf­flug­zeuge Angriffe gegen mili­tä­rische Infra­struktur und Mör­ser­ge­schütze der syri­schen Armee, nachdem am Vortag Richtung Israel gefeuert worden sei. Israels Luft­waffe bom­bar­diert immer wieder Ziele im benach­barten Syrien. Israel will damit ver­hindern, dass sein Erz­feind Iran und mit ihm ver­bündete Milizen ihren mili­tä­ri­schen Ein­fluss in Syrien aus­weiten. Der Iran ist einer der wich­tigsten Ver­bün­deten Syriens. Die Angriffe der israe­li­schen Luft­waffe haben sich seit Beginn des Krieges gegen die vom Iran unter­stützte isla­mis­tische Hamas ausgeweitet.“

Israel bom­bar­diert einfach in Nach­bar­ländern alles, was irgendwie mit „Hamas-freundlich“ zu tun haben könnte. Wer dabei alles um’s Leben kommt … Kol­la­te­ral­schaden. Regt sich da im Westen Protest? Natürlich nicht, denn auch Prä­sident Assad ist ein zer­ti­fi­zierter Böse­wicht, dessen man sich leider damals nicht ent­le­digen konnte. Schon allein deshalb, weil er mit Putin redet.

Ein geheimer Plan zur voll­stän­digen eth­ni­schen Säu­berung des Gazastreifens

Die Seite Mon­do­weiss berichtet unter der Über­schrift „Israe­li­scher Tink-Tank ent­wi­ckelt einen Plan zur kom­pletten eth­nische Säu­berung von Gaza“, dass eine israe­lische Denk­fabrik, die in Ver­bindung zum israe­li­schen Pre­mier­mi­nister Ben­jamin Net­anyahu steht, am 17. Oktober in einem Bericht zur „ein­zig­ar­tigen und sel­tenen Gele­genheit“ für die „Re-Location und end­gültige Umsiedlung der gesamten Gaza-Bevöl­kerung“ vor­schlägt. Dabei bezieht er sich auf eine Ver­öf­fent­li­chung der israe­li­schen Seite „Cal­calist“. Das ist zwar in Hebräisch geschrieben, doch wenn man eine Such­ma­schine (Browser) mit Über­set­zungs­pro­gramm ver­wendet, bekommt man ihn in ein recht gutes Deutsch über­setzt. Hier steht klipp und klar zu lesen (aus dem über­setzten Beitrag):

„Für die­je­nigen, die mit dem Staats­streich nicht zufrieden waren: Die israe­lische Regierung fördert jetzt neue Ideen für den Gaza­streifen. Laut einem von Cal­calist erhal­tenen Dokument emp­fiehlt Geheim­dienst­mi­nister Gila Gam­aliel die Umsiedlung von Gaza-Bewohnern nach Sinai nach Kriegsende.

Das Dokument trägt das Logo des Geheim­dienst­mi­nis­te­riums und wird für interne Dis­kus­sionen zwi­schen Minis­terien ver­wendet. Es soll nicht an die Öffent­lichkeit gelangen, aber es erreichte eine Gruppe, die derzeit eine Bewegung namens ‚Sied­lungs­haupt­quartier – Gaza­streifen‘ gründet, die die Rückgabe der Siedlung an den Gaza­streifen anstrebt. Es ist möglich, dass das Dokument, das die Politik der Regierung wahr­scheinlich nicht beein­flussen wird, zur Unter­stützung der Bewegung und ihrer Ziele ver­fasst wurde und daher auch in ihre Hände gelangte. Auf jeden Fall ist dies eine direkte Fort­setzung der extremen Politik, die die Regierung seit ihrer Gründung ver­folgt. Gam­a­liels Dokument unter­sucht angeblich drei Alter­na­tiven für die Nach­kriegszeit, aber die Alter­native, ‚die positive und lang­fristige stra­te­gische Ergeb­nisse bringen wird‘, ist die Umsiedlung der Bürger Gazas auf den Sinai. Der Umzug umfasst drei Phasen: die Errichtung von Zelt­städten im Sinai süd­westlich des Gaza­streifens, die Schaffung eines huma­ni­tären Kor­ridors zur Unter­stützung der Bewohner und schließlich den Bau von Städten im nörd­lichen Sinai. Gleich­zeitig wird innerhalb Ägyptens südlich der Grenze zu Israel eine mehrere Kilo­meter breite sterile Zone ein­ge­richtet, damit die eva­ku­ierten Bewohner nicht zurück­kehren können.“

Das sei kein offi­zi­eller Plan, schreibt die Seite weiter. Dieses Büro des Geheim­dienst­mi­nis­te­riums kann dieser Dar­stellung nach nur Emp­feh­lungen geben, die die israe­lische Regierung annehmen kann – oder auch nicht. Aber: Diese Abteilung wird von Gila Gam­aliel, dem Geheim­dienst­mi­nister selbst, geleitet, der mit dem Pre­mier­mi­nister Ben­jamin Netanjahu in guter Ver­bindung steht.

Das Misgav-Institut für nationale Sicherheit  und zio­nis­tische Stra­tegie (Seite ist jetzt nicht mehr erreichbar und zieht gerade um) ver­öf­fent­lichte aber eben­falls ein Posi­ti­ons­papier, das die „Umsiedlung der gesamten Bevöl­kerung des Gaza­streifens in den Sinai“ befür­wortet. Der Bericht emp­fiehlt, die gegen­wärtige Situation zu nutzen, um das ersehnte zio­nis­tische Ziel: die Ver­treibung und Umsiedlung der Paläs­ti­nenser aus ihrem ange­stammten Land Palästina. Der Unter­titel des Posi­ti­ons­pa­piers: „Im Moment gibt es eine ein­zig­artige und seltene Gele­genheit, den gesamten Gaza­streifen in Abstimmung mit der ägyp­ti­schen Regierung zu evakuieren.“

Auch der Middle East Monitor berichtet über diesen Plan der „Eth­ni­schen Säu­berung  des Gaza-Streifens“.

„Israel hat die Hamas gegründet, um die Fatah zu spalten und die PLO zu schwächen“

„Die Geister, die ich rief, sie werde ich nicht mehr los“ heißt es in der Ballade „der Zau­ber­lehrling“ von Johann Wolfgang von Goethe. Und so erging es Israel mit deiner selbst­ge­züch­teten Hamas.

Der irische Senator David Norris sagte in einer viel dis­ku­tierten Rede im iri­schen Senat: „Israel hat Angst vor der paläs­ti­nen­si­schen Einheit. Es hat nichts mit der Ermordung israe­li­scher Kinder zu tun, die Israelis wussten schon vor dem Krieg, dass die Hamas damit nichts zu tun hat. Israel hat die Hamas gegründet, um die Fatah zu spalten. Sie sind also für die Fatah ver­ant­wortlich, was ich vor einigen Jahren im Außen­mi­nis­terium in Jeru­salem bestä­tigen konnte“.

Zuvor hatten Wiki­Leaks-Depe­schen gezeigt, dass Israel die Hamas benutzen wollte, um die PLO zu schwächen. Weitere Infor­ma­tionen dazu finden sich in einem Artikel der Washington Post mit dem Titel „How Israel helped to create the Hamas“. Im Jahr 2009 ver­öf­fent­lichte das Wall Street Journal einen langen Artikel, der ent­hüllte, wie Israel zur Gründung der Hamas bei­getragen hat. Diese Behauptung ist nicht aus der Luft gegriffen.

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Es ging dabei darum, wie der Tweet oben zeigt, dass die Über­nahme des Gaza­streifens durch die Hamas dem Interesse Israels sehr ent­ge­genkam, denn damit hatte Israel mit einem von der Hamas gelei­teten Gaza einen „feind­lichen Staat“, der den Einsatz des israe­li­schen Militär, der IDF (Israeli Defense Force), rechtlich möglich machte. Nur, so besagt der Tweet, hat Israel die Rolle des Iran in Gaza unter­schätzt. Der Iran könne da nicht viel machen, solange sie da keinen Hafen in Gaza haben, war die Ein­schätzung. Die sich offen­sichtlich als falsch her­aus­ge­stellt hat.

Die Israelis stehen nicht alle hinter den Plänen Netanjahus

Dieser Plan ist nun auch in Israel bekannt. Es gibt Demons­tra­tionen und Protest gegen diese Pläne und die Bom­bar­dierung der paläs­ti­nen­si­schen Bevöl­kerung in Gaza.

63 israe­lische Jugend­liche schrieben einen ver­öf­fent­lichten Brief an Minis­ter­prä­sident Netanjahu, dass sie den Mili­tär­dienst ver­wei­gerten, weil sie sich nicht „an der Besatzung und Unter­drü­ckung des paläs­ti­nen­si­schen Volkes“ betei­ligen wollten.

Yonatan Shapira war Kampf­pilot und wei­gerte sich, am israe­li­schen Angriff auf die Bevöl­kerung von Gaza teil­zu­nehmen. Im Jahr 2003 schrieb er in einem Brief an die Regierung, dass er nicht über das West­jor­danland und den Gaza­streifen fliegen werde. Anlass war die Bom­bar­dierung des Hauses des Hamas-Führers Salah Shehade in Gaza im Juli 2002, mitten in der Nacht. Die Bombe tötete 15 Men­schen, vor­wiegend Kinder. 150 weitere wurden ver­letzt. „Mir war klar: Das war ein Ter­ror­an­schlag und ich bin Teil einer Ter­ror­or­ga­ni­sation“, schrieb der ehe­malige Kampf­pilot in seinem Brief.