Bild https://pixabay.com/de/illustrations/w%C3%BCrfel-russland-ukraine-eu-7046596/

Ukraine-Krieg ohne Pro­pa­ganda: Alles, was wir heute sicher wissen

Die Haupt­ur­sache des Ukraine-Krieges ist der NATO-Bei­tritt der Ukraine, der vom Westen ange­strebt wurde. Den „rus­si­schen Impe­ria­lismus“ gibt es nicht wirklich, sondern dieser wurde erfunden, um Russland die Schuld geben zu können. Das begründet der bekannte US-Poli­tik­wis­sen­schaftler John J. Mears­heimer von der Uni­versity of Chicago. Er ent­kräftet dabei auch die üblichen Gegen­ar­gu­mente. Die klaren und nüch­ternen Schil­de­rungen von Mears­heimer sind eine gesun­dende Wohltat inmitten gefähr­licher Kriegs­trei­berei. Dieser kann durch klare Gedanken Kraft genommen werden. 

Die Frage, wer für den Krieg in der Ukraine ver­ant­wortlich ist, ist seit dem Ein­marsch Russ­lands in die Ukraine am 24. Februar 2022 ein sehr umstrit­tenes Thema.

Die Antwort auf diese Frage ist von enormer Bedeutung, denn der Krieg war aus ver­schie­denen Gründen eine Kata­strophe, von denen die wich­tigste darin besteht, dass die Ukraine prak­tisch zer­stört wurde. Sie hat einen beträcht­lichen Teil ihres Ter­ri­to­riums ver­loren und wird wahr­scheinlich noch mehr ver­lieren, ihre Wirt­schaft liegt in Trümmern, eine riesige Zahl von Ukrainern wurde intern ver­trieben oder ist aus dem Land geflohen, und sie hat Hun­dert­tau­sende von Opfern zu beklagen. Natürlich hat auch Russland einen hohen Blutzoll gezahlt. Auf stra­te­gi­scher Ebene sind die Bezie­hungen zwi­schen Russland und Europa, ganz zu schweigen von Russland und der Ukraine, auf absehbare Zeit ver­giftet, was bedeutet, dass die Gefahr eines grö­ßeren Krieges in Europa auch dann noch bestehen wird, wenn der Krieg in der Ukraine zu einem ein­ge­fro­renen Kon­flikt wird. Wer die Ver­ant­wortung für diese Kata­strophe trägt, ist eine Frage, die nicht so schnell ver­schwinden wird, sondern eher noch an Bedeutung gewinnen dürfte, je mehr Men­schen das Ausmaß der Kata­strophe bewusst wird.

Die gängige Meinung im Westen ist, dass Wla­dimir Putin für den Krieg in der Ukraine ver­ant­wortlich sei. Die Invasion zielte darauf ab, die gesamte Ukraine zu erobern und sie zu einem Teil eines grö­ßeren Russ­lands zu machen, so die Argu­men­tation. Sobald dieses Ziel erreicht sei, würden die Russen ein Imperium in Ost­europa errichten, ähnlich wie es die Sowjet­union nach dem Zweiten Welt­krieg getan habe. Daher stellt Putin letztlich eine Bedrohung für den Westen dar, der man mit aller Macht begegnen muss. Kurz gesagt, Putin ist ein Impe­rialist mit einem Mas­terplan, der sich nahtlos in die reiche rus­sische Tra­dition einfügt.

Das alter­native Argument, mit dem ich mich iden­ti­fi­ziere und das im Westen ein­deutig in der Min­derheit ist, lautet, dass die Ver­ei­nigten Staaten und ihre Ver­bün­deten den Krieg pro­vo­ziert haben. Damit soll natürlich nicht geleugnet werden, dass Russland in die Ukraine ein­mar­schiert ist und den Krieg begonnen hat. Die Haupt­ur­sache des Kon­flikts ist jedoch der NATO-Beschluss, die Ukraine in das Bündnis auf­zu­nehmen, was prak­tisch alle rus­si­schen Führer als exis­ten­zielle Bedrohung ansehen, die beseitigt werden muss. Die NATO-Erwei­terung ist jedoch Teil einer umfas­sen­deren Stra­tegie, die darauf abzielt, die Ukraine zu einem west­lichen Bollwerk an Russ­lands Grenze zu machen. Ein Bei­tritt Kiews zur Euro­päi­schen Union (EU) und die För­derung einer far­bigen Revo­lution in der Ukraine – die Umwandlung des Landes in eine pro­west­liche liberale Demo­kratie – sind die beiden anderen Säulen dieser Politik. Die rus­sische Führung fürchtet alle drei Bereiche, aber am meisten fürchtet sie die NATO-Erwei­terung. Um dieser Bedrohung zu begegnen, hat Russland am 24. Februar 2022 einen Prä­ven­tiv­krieg begonnen.

Die Debatte darüber, wer den Ukraine-Krieg ver­ur­sacht hat, ist kürzlich auf­ge­flammt, als zwei pro­mi­nente west­liche Poli­tiker – der ehe­malige US-Prä­sident Donald Trump und der pro­mi­nente bri­tische Abge­ordnete Nigel Farage – das Argument vor­brachten, dass die NATO-Erwei­terung die trei­bende Kraft hinter dem Kon­flikt sei. Es über­rascht nicht, dass ihre Äuße­rungen von den Ver­fechtern der kon­ven­tio­nellen Meinung mit einem hef­tigen Gegen­an­griff beant­wortet wurden. Es ist auch erwäh­nenswert, dass der schei­dende NATO-Gene­ral­se­kretär Jens Stol­tenberg im ver­gan­genen Jahr zweimal sagte, dass „Prä­sident Putin diesen Krieg begonnen hat, weil er die Tür der NATO schließen und der Ukraine das Recht ver­weigern wollte, ihren eigenen Weg zu wählen“. Kaum jemand im Westen hat dieses bemer­kens­werte Ein­ge­ständnis des NATO-Chefs in Frage gestellt, und er hat es auch nicht zurückgezogen.

Mein Ziel ist es, einen Über­blick über die wich­tigsten Punkte zu geben, die die Ansicht stützen, dass Putin nicht in die Ukraine ein­mar­schiert ist, weil er ein Impe­rialist ist, der die Ukraine zu einem Teil eines grö­ßeren Russ­lands machen will, sondern vor allem wegen der NATO-Erwei­terung und der Bemü­hungen des Westens, die Ukraine zu einer west­lichen Hochburg an der Grenze Russ­lands zu machen.

Lassen Sie mich mit den SIEBEN WICH­TIGSTEN GRÜNDEN für die Ablehnung der her­kömm­lichen Meinung beginnen.

ERSTENS gibt es schlicht und ergreifend keine Beweise aus der Zeit vor dem 24. Februar 2022, dass Putin die Ukraine erobern und in Russland ein­gliedern wollte. Ver­treter der gän­gigen Meinung können keine Schrift­stücke oder Aus­sagen von Putin nennen, die darauf hin­deuten, dass er die Ukraine erobern wollte.

Wenn man sie zu diesem Punkt befragt, liefern die Ver­fechter der kon­ven­tio­nellen Meinung Hin­weise, die wenig oder gar nichts mit Putins Motiven für die Invasion der Ukraine zu tun haben. Einige betonen zum Bei­spiel, dass er sagte, die Ukraine sei ein „künst­licher Staat“ oder kein „echter Staat“. Solche undurch­sich­tigen Äuße­rungen sagen jedoch nichts über die Gründe für seinen Kriegs­ein­tritt aus. Das­selbe gilt für Putins Aussage, er betrachte Russen und Ukrainer als „ein Volk“ mit einer gemein­samen Geschichte. Andere weisen darauf hin, dass er den Zusam­men­bruch der Sowjet­union als „die größte geo­po­li­tische Kata­strophe des Jahr­hun­derts“ bezeichnete. Aber Putin sagte auch: „Wer die Sowjet­union nicht ver­misst, hat kein Herz. Wer sie zurück­haben will, hat kein Hirn.“ Andere wie­derum ver­weisen auf eine Rede, in der er erklärte: „Die moderne Ukraine wurde voll­ständig von Russland geschaffen, genauer gesagt, vom bol­sche­wis­ti­schen, kom­mu­nis­ti­schen Russland.“ Aber das ist kaum ein Beweis dafür, dass er an der Eroberung der Ukraine inter­es­siert war. Außerdem sagte er in der gleichen Rede: „Natürlich können wir die Ereig­nisse der Ver­gan­genheit nicht ändern, aber wir müssen sie zumindest offen und ehrlich zugeben.“

Um zu beweisen, dass Putin die gesamte Ukraine erobern und Russland ein­ver­leiben wollte, muss man nach­weisen, dass er 1) dieses Ziel für erstre­benswert hielt, 2) es für machbar hielt und 3) die Absicht hatte, dieses Ziel zu ver­folgen. Es gibt in den öffent­lichen Auf­zeich­nungen keine Beweise dafür, dass Putin erwog, geschweige denn beab­sich­tigte, die Ukraine als unab­hän­gigen Staat zu beenden und sie zu einem Teil Groß­russ­lands zu machen, als er am 24. Februar 2022 seine Truppen in die Ukraine schickte.

Tat­sächlich gibt es erheb­liche Beweise dafür, dass Putin die Ukraine als unab­hän­giges Land aner­kannte. In seinem bekannten Artikel vom 12. Juli 2021 über die rus­sisch-ukrai­ni­schen Bezie­hungen, der von Befür­wortern der kon­ven­tio­nellen Meinung oft als Beweis für seine impe­rialen Ambi­tionen ange­führt wird, sagt er dem ukrai­ni­schen Volk: „Ihr wollt einen eigenen Staat gründen: Ihr seid will­kommen!“ Zur Frage, wie Russland die Ukraine behandeln sollte, schreibt er: „Es gibt nur eine Antwort: mit Respekt.“ Er schließt seinen langen Artikel mit den fol­genden Worten ab: „Und wie die Ukraine aus­sehen wird – das müssen ihre Bürger ent­scheiden.“ Diese Aus­sagen stehen im direkten Wider­spruch zu der Behauptung, Putin wolle die Ukraine in ein grö­ßeres Russland eingliedern.

In dem­selben Artikel vom 12. Juli 2021 und erneut in einer wich­tigen Rede am 21. Februar 2022 betonte Putin, dass Russland „die neue geo­po­li­tische Rea­lität, die nach der Auf­lösung der UdSSR ent­standen ist“, akzep­tiere. Diesen Punkt wie­der­holte er ein drittes Mal am 24. Februar 2022, als er ankün­digte, Russland werde in die Ukraine ein­mar­schieren. Ins­be­sondere erklärte er: „Wir haben nicht vor, ukrai­ni­sches Ter­ri­torium zu besetzen“, und machte deutlich, dass er die ukrai­nische Sou­ve­rä­nität respek­tiere, aller­dings nur bis zu einem gewissen Punkt: „Russland kann sich nicht sicher fühlen, sich nicht ent­wi­ckeln und nicht exis­tieren, wenn es sich einer stän­digen Bedrohung durch das Ter­ri­torium der heu­tigen Ukraine aus­ge­setzt sieht.“ Das heißt, Putin war nicht daran inter­es­siert, die Ukraine zu einem Teil Russ­lands zu machen, sondern er wollte sicher­stellen, dass sie nicht zu einem „Sprung­brett“ für west­liche Aggres­sionen gegen Russland wird.

ZWEITENS gibt es kei­nerlei Hin­weise dafür, dass Putin eine Mario­net­ten­re­gierung für die Ukraine vor­be­reitete, in Kiew pro­rus­sische Füh­rungs­per­sön­lich­keiten auf­baute oder irgend­welche poli­ti­schen Maß­nahmen ver­folgte, die eine Besetzung des gesamten Landes und dessen letzt­end­liche Ein­glie­derung in Russland ermög­lichen würden.

Diese Fakten wider­sprechen der Behauptung, Putin sei daran inter­es­siert gewesen, die Ukraine von der Land­karte zu tilgen.

DRITTENS: Putin hatte nicht annä­hernd genug Truppen, um die Ukraine zu erobern. 

Beginnen wir mit den Gesamt­zahlen. Ich schätze seit langem, dass die Russen mit höchstens 190.000 Sol­daten in die Ukraine ein­mar­schiert sind. General Olek­sandr Syrskyi, der der­zeitige Ober­be­fehls­haber der ukrai­ni­schen Streit­kräfte, sagte kürzlich in einem Interview mit The Guardian, dass die rus­sische Inva­si­ons­truppe nur 100.000 Mann stark war. The Guardian hatte diese Zahl bereits vor Beginn des Krieges genannt. Es ist unmöglich, dass eine Truppe von 100.000 oder 190.000 Mann die gesamte Ukraine erobern, besetzen und in ein Groß­russland ein­gliedern könnte.

Bedenken Sie, dass die Wehr­macht beim deut­schen Überfall auf die west­liche Hälfte Polens im Sep­tember 1939 etwa 1,5 Mil­lionen Mann zählte. Die Ukraine ist geo­gra­fisch mehr als dreimal so groß wie die west­liche Hälfte Polens im Jahr 1939, und in der Ukraine leben im Jahr 2022 fast doppelt so viele Men­schen wie in Polen zum Zeit­punkt des deut­schen Über­falls. Wenn wir die Schätzung von General Syrskyi akzep­tieren, dass 100.000 rus­sische Truppen im Jahr 2022 in die Ukraine ein­mar­schierten, bedeutet dies, dass Russland über eine Inva­si­ons­streit­macht ver­fügte, die 1/15 der Größe der deut­schen Streit­kräfte war, die in Polen ein­mar­schierten. Und diese kleine rus­sische Armee mar­schierte in ein Land ein, das sowohl ter­ri­torial als auch von der Bevöl­ke­rungszahl her viel größer war als Polen.

Abge­sehen von den Zahlen stellt sich die Frage nach der Qua­lität der rus­si­schen Armee. Zunächst einmal han­delte es sich um eine mili­tä­rische Streit­kraft, die in erster Linie dazu bestimmt war, Russland vor einer Invasion zu schützen. Es han­delte sich nicht um eine Armee, die für eine Groß­of­fensive zur Eroberung der gesamten Ukraine, geschweige denn zur Bedrohung des übrigen Europas, gerüstet war. Außerdem ließ die Qua­lität der Kampf­truppen zu wün­schen übrig, da die Russen nicht mit einem Krieg rech­neten, als sich die Krise im Frühjahr 2021 zuzu­spitzen begann. Daher hatten sie kaum Gele­genheit, eine qua­li­fi­zierte Inva­si­ons­truppe aus­zu­bilden. Sowohl qua­li­tativ als auch quan­ti­tativ war die rus­sische Inva­si­ons­truppe nicht annä­hernd mit der deut­schen Wehr­macht der späten 1930er und frühen 1940er Jahre vergleichbar.

Man könnte argu­men­tieren, dass die rus­sische Führung dachte, das ukrai­nische Militär sei so klein und so unter­legen, dass ihre Armee die ukrai­ni­schen Streit­kräfte leicht besiegen und das ganze Land erobern könnte. Tat­sächlich wussten Putin und seine Leut­nants sehr wohl, dass die Ver­ei­nigten Staaten und ihre euro­päi­schen Ver­bün­deten das ukrai­nische Militär seit Aus­bruch der Krise am 22. Februar 2014 bewaffnet und aus­ge­bildet hatten. Die große Befürchtung Moskaus war, dass die Ukraine de facto Mit­glied der NATO werden würde. Außerdem beob­ach­teten die rus­si­schen Führer, wie die ukrai­nische Armee, die größer war als ihre Inva­si­ons­truppen, zwi­schen 2014 und 2022 im Donbass erfolg­reich kämpfte. Ihnen war sicherlich klar, dass das ukrai­nische Militär kein Papier­tiger war, der schnell und ent­schlossen besiegt werden konnte, zumal es über eine starke Rücken­de­ckung durch den Westen verfügte.

Schließlich waren die Russen im Laufe des Jahres 2022 gezwungen, ihre Armee aus der Oblast Charkiw und aus dem west­lichen Teil der Oblast Cherson abzu­ziehen. Damit gab Moskau Gebiete auf, die seine Armee in den ersten Tagen des Krieges erobert hatte. Es steht außer Frage, dass der Druck der ukrai­ni­schen Armee eine Rolle dabei spielte, den rus­si­schen Rückzug zu erzwingen. Vor allem aber erkannten Putin und seine Generäle, dass sie nicht über genügend Kräfte ver­fügten, um das gesamte Gebiet, das ihre Armee in Charkiw und Cherson erobert hatte, zu halten. Also zogen sie sich zurück und schufen besser kon­trol­lierbare Ver­tei­di­gungs­po­si­tionen. Dies ist kaum das Ver­halten, das man von einer Armee erwarten würde, die auf­gebaut und aus­ge­bildet wurde, um die gesamte Ukraine zu erobern und zu besetzen. Tat­sächlich war sie für diesen Zweck nicht kon­zi­piert und konnte daher diese Her­ku­les­aufgabe nicht bewältigen.

VIERTENS: In den Monaten vor Kriegs­beginn ver­suchte Putin, eine diplo­ma­tische Lösung für die sich anbah­nende Krise zu finden.

Am 17. Dezember 2021 sandte Putin ein Schreiben an Prä­sident Joe Biden und NATO-Chef Stol­tenberg, in dem er eine Lösung der Krise auf der Grundlage einer schrift­lichen Garantie vor­schlug, dass: 1) die Ukraine der NATO nicht bei­treten würde, 2) keine Angriffs­waffen in der Nähe der rus­si­schen Grenzen sta­tio­niert würden und 3) die seit 1997 nach Ost­europa ver­legten NATO-Truppen und ‑Aus­rüstung nach West­europa zurück­verlegt würden. Was auch immer man von der Mach­barkeit einer Einigung auf der Grundlage von Putins Eröff­nungs­for­de­rungen halten mag, über die die Ver­ei­nigten Staaten keine Ver­hand­lungen führen wollten, es zeigt, dass er ver­suchte, einen Krieg zu vermeiden.

FÜNFTENS: Unmit­telbar nach Beginn des Krieges hat Russland der Ukraine die Hand gereicht, um Ver­hand­lungen zur Been­digung des Krieges und zur Aus­ar­beitung eines Modus Vivendi zwi­schen den beiden Ländern aufzunehmen.

Die Ver­hand­lungen zwi­schen Kiew und Moskau begannen in Weiß­russland nur vier Tage nach dem Ein­marsch rus­si­scher Truppen in die Ukraine. Diese weiß­rus­sische Schiene wurde schließlich durch eine israe­lische und eine Istan­buler Schiene ersetzt. Alle ver­füg­baren Beweise deuten darauf hin, dass Russland ernsthaft ver­han­delte und nicht an der Über­nahme ukrai­ni­schen Ter­ri­to­riums inter­es­siert war, mit Aus­nahme der Krim, die es 2014 annek­tiert hatte, und mög­li­cher­weise des Donbass. Die Ver­hand­lungen endeten, als die Ukrainer auf Drängen Groß­bri­tan­niens und der Ver­ei­nigten Staaten die Ver­hand­lungen abbrachen, die zum Zeit­punkt ihrer Been­digung gute Fort­schritte gemacht hatten.

Darüber hinaus berichtet Putin, dass er, als die Ver­hand­lungen statt­fanden und Fort­schritte machten, gebeten wurde, als Geste des guten Willens die rus­si­schen Truppen aus dem Gebiet um Kiew abzu­ziehen, was er am 29. März 2022 tat. Keine west­liche Regierung und kein ehe­ma­liger Poli­tiker hat diese Behauptung Putins ange­fochten, die in direktem Wider­spruch zu seiner Behauptung steht, er wolle die gesamte Ukraine erobern.

SECHSTENS: Abge­sehen von der Ukraine gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Putin die Eroberung anderer ost­eu­ro­päi­scher Länder ins Auge gefasst hat.

Außerdem ist die rus­sische Armee nicht einmal groß genug, um die gesamte Ukraine zu über­rennen, ganz zu schweigen von dem Versuch, die bal­ti­schen Staaten, Polen und Rumänien zu erobern. Außerdem sind alle diese Länder NATO-Mit­glieder, was mit ziem­licher Sicherheit einen Krieg mit den Ver­ei­nigten Staaten und ihren Ver­bün­deten bedeuten würde.

SIEBTENS: Kaum jemand im Westen behauptete, Putin habe impe­riale Ambi­tionen, seit er im Jahr 2000 die Macht übernahm, bis zum Beginn der Ukraine-Krise am 22. Februar 2014. Zu diesem Zeit­punkt wurde er plötzlich zum impe­rialen Aggressor. Warum? Weil die west­lichen Staats- und Regie­rungs­chefs einen Grund brauchten, ihm die Schuld für die Krise zu geben. 

Der wohl beste Beweis dafür, dass Putin in den ersten vierzehn Jahren seiner Amtszeit nicht als ernst­hafte Bedrohung ange­sehen wurde, ist die Tat­sache, dass er auf dem NATO-Gipfel im April 2008 in Bukarest ein gela­dener Gast war, auf dem das Bündnis bekannt gab, dass die Ukraine und Georgien schließlich Mit­glieder werden würden. Putin war natürlich erzürnd über diese Ent­scheidung und machte seinem Unmut Luft. Sein Wider­stand gegen diese Ankün­digung hatte jedoch kaum Aus­wir­kungen auf Washington, da das rus­sische Militär als zu schwach ein­ge­schätzt wurde, um eine weitere NATO-Erwei­terung zu ver­hindern, so wie es auch bei den Erwei­te­rungs­wellen von 1999 und 2004 zu schwach gewesen war, um sie auf­zu­halten. Der Westen glaubte, er könne Russland die NATO-Erwei­terung noch einmal aufzwingen.

Außerdem war die NATO-Erwei­terung vor dem 22. Februar 2014 nicht darauf aus­ge­richtet, Russland ein­zu­dämmen. Ange­sichts des trau­rigen Zustands der rus­si­schen Mili­tär­macht war Moskau nicht in der Lage, die Ukraine zu erobern, geschweige denn eine revan­chis­tische Politik in Ost­europa zu ver­folgen. Der ehe­malige US-Bot­schafter in Moskau, Michael McFaul, der ein ent­schie­dener Ver­fechter der Ukraine und scharfer Kri­tiker Putins ist, stellt bezeich­nen­der­weise fest, dass die Ein­nahme der Krim durch Russland im Jahr 2014 vor Aus­bruch der Krise nicht geplant war; es war eine impulsive Reaktion auf den Putsch, der den pro­rus­si­schen Führer der Ukraine stürzte. Kurz gesagt, die NATO-Erwei­terung war nicht dazu gedacht, eine rus­sische Bedrohung ein­zu­dämmen, weil der Westen nicht glaubte, dass es eine solche gab.

Erst als im Februar 2014 die Ukraine-Krise aus­brach, begannen die Ver­ei­nigten Staaten und ihre Ver­bün­deten plötzlich, Putin als gefähr­lichen Führer mit impe­rialen Ambi­tionen und Russland als ernst­hafte mili­tä­rische Bedrohung zu beschreiben, die die NATO ein­dämmen müsse. Dieser abrupte Wechsel der Rhe­torik sollte einem wesent­lichen Zweck dienen: dem Westen die Mög­lichkeit zu geben, Putin für die Krise ver­ant­wortlich zu machen und den Westen von der Ver­ant­wortung frei­zu­sprechen. Es über­rascht nicht, dass diese Dar­stellung Putins nach dem Ein­marsch Russ­lands in die Ukraine am 24. Februar 2022 deutlich an Zug­kraft gewann.

Eine Abwei­chung von der gän­gigen Meinung ist erwäh­nenswert. Einige argu­men­tieren, dass die Ent­scheidung Moskaus, in die Ukraine ein­zu­mar­schieren, wenig mit Putin selbst zu tun hat und statt­dessen Teil einer expan­sio­nis­ti­schen Tra­dition ist, die lange vor Putin bestand und tief in der rus­si­schen Gesell­schaft ver­wurzelt ist. Dieser Hang zur Aggression, der angeblich von inneren Kräften und nicht von Russ­lands äußerem Bedro­hungs­umfeld ange­trieben wird, hat im Laufe der Zeit prak­tisch alle rus­si­schen Führer dazu gebracht, sich ihren Nachbarn gegenüber gewalt­tätig zu ver­halten. Es lässt sich nicht leugnen, dass Putin in dieser Geschichte das Sagen hat oder dass er Russland in den Krieg geführt hat, aber es heißt, dass er wenig Ein­fluss hat. Fast jeder andere rus­sische Führer hätte genauso gehandelt.

Es gibt zwei Pro­bleme mit diesem Argument. Erstens ist es nicht wider­legbar, da der lang­jährige Cha­rak­terzug in der rus­si­schen Gesell­schaft, der diesen aggres­siven Impuls her­vorrufe, nie iden­ti­fi­ziert wurde. Es heißt, die Russen seien schon immer aggressiv gewesen – egal, wer an der Macht ist – und würden es auch immer sein. Es ist fast so, als ob es in ihrer DNA läge. Die gleiche Behauptung wurde einst über die Deut­schen auf­ge­stellt, die im zwan­zigsten Jahr­hundert oft als ange­borene Aggres­soren dar­ge­stellt wurden. Der­artige Argu­mente werden in der aka­de­mi­schen Welt aus gutem Grund nicht ernst genommen.

Außerdem bezeichnete zwi­schen 1991 und 2014, als die Ukraine-Krise aus­brach, kaum jemand in den Ver­ei­nigten Staaten oder West­europa Russland als von Natur aus aggressiv. Außerhalb Polens und der bal­ti­schen Staaten wurde die Angst vor rus­si­scher Aggression in diesen 24 Jahren nicht häufig geäußert, was man erwarten würde, wenn die Russen zu Aggres­sionen ver­anlagt wären. Es scheint klar, dass das plötz­liche Auf­tauchen dieser Argu­men­tation eine bequeme Ausrede war, um Russland die Schuld für den Ukrai­ne­krieg zu geben.

Lassen Sie mich einen anderen Gang ein­legen und die DREI HAUPT­GRÜNDE dar­legen, die dafür sprechen, dass die NATO-Erwei­terung die Haupt­ur­sache für den Ukraine-Krieg war.

ERSTENS sagten rus­sische Führer aller Art vor Kriegs­beginn wie­derholt, dass sie die NATO-Erwei­terung in die Ukraine als eine exis­ten­zielle Bedrohung betrachten, die beseitigt werden muss. 

Putin hat diese Argu­men­tation bereits vor dem 24. Februar 2022 mehrfach öffentlich dar­gelegt. In einer Rede vor dem Vor­stand des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­riums am 21. Dezember 2021 erklärte er: „Was sie in der Ukraine tun oder ver­suchen oder planen, findet nicht Tau­sende von Kilo­metern ent­fernt von unserer Lan­des­grenze statt. Es geschieht direkt vor unserer Haustür. Sie müssen ver­stehen, dass wir uns einfach nir­gendwo mehr hin zurück­ziehen können. Glauben sie wirklich, dass wir diese Bedro­hungen nicht wahr­nehmen? Oder glauben sie, dass wir tatenlos zusehen werden, wie Bedro­hungen für Russland ent­stehen?“ Zwei Monate später, auf einer Pres­se­kon­ferenz am 22. Februar 2022, nur wenige Tage vor Kriegs­beginn, sagte Putin: „Wir sind kate­go­risch gegen einen NATO-Bei­tritt der Ukraine, weil dies eine Bedrohung für uns dar­stellt, und wir haben Argu­mente, die dies unter­stützen. Ich habe in diesem Saal wie­derholt darüber gesprochen.“ Dann machte er deutlich, dass er begreift, dass die Ukraine ein Defacto-Mit­glied der NATO werde. Die Ver­ei­nigten Staaten und ihre Ver­bün­deten, sagte er, „pumpen die der­zei­tigen Kiewer Macht­haber wei­terhin mit modernen Waf­fen­typen voll“. Er fuhr fort, dass Moskau, wenn dies nicht gestoppt werde, „mit einem bis an die Zähne bewaff­neten ‚Anti­russland‘ dastehen würde. Das ist völlig inakzeptabel.“

Auch andere füh­rende rus­sische Poli­tiker – dar­unter der Ver­tei­di­gungs­mi­nister, der Außen­mi­nister, der stell­ver­tre­tende Außen­mi­nister und der rus­sische Bot­schafter in Washington – betonten die zen­trale Bedeutung der NATO-Erwei­terung als Aus­löser der Ukraine-Krise. Außen­mi­nister Sergej Lawrow brachte es auf einer Pres­se­kon­ferenz am 14. Januar 2022 auf den Punkt: „Der Schlüssel zu allem ist die Garantie, dass die NATO nicht nach Osten expan­dieren wird.“

Man hört oft das Argument, die rus­si­schen Befürch­tungen seien unbe­gründet, weil es keine Chance gebe, dass die Ukraine dem Bündnis in abseh­barer Zukunft bei­treten würde, wenn über­haupt. Tat­sächlich wird behauptet, die Ver­ei­nigten Staaten und ihre euro­päi­schen Ver­bün­deten hätten der Auf­nahme der Ukraine in die NATO vor dem Krieg wenig Auf­merk­samkeit geschenkt. Aber selbst wenn die Ukraine dem Bündnis bei­treten würde, wäre dies keine exis­ten­zielle Bedrohung für Russland, da die NATO ein Ver­tei­di­gungs­bündnis ist. Daher kann die NATO-Erwei­terung weder eine Ursache der ursprüng­lichen Krise gewesen sein, die im Februar 2014 aus­brach, noch des Krieges, der im Februar 2022 begann.

Diese Argu­men­tation ist falsch. Tat­sächlich bestand die west­liche Reaktion auf die Ereig­nisse von 2014 darin, die bestehende Stra­tegie zu ver­doppeln und die Ukraine noch näher an die NATO her­an­zu­führen. Das Bündnis begann 2014 mit der Aus­bildung des ukrai­ni­schen Militärs und bildete in den fol­genden acht Jahren durch­schnittlich 10.000 Sol­daten pro Jahr aus. Im Dezember 2017 beschloss die Trump-Regierung, Kiew mit „Ver­tei­di­gungs­waffen“ zu ver­sorgen. Andere NATO-Länder zogen bald nach und lie­ferten noch mehr Waffen an die Ukraine. Darüber hinaus begannen die ukrai­nische Armee, Marine und Luft­waffe, an gemein­samen Mili­tär­übungen mit NATO-Streit­kräften teil­zu­nehmen. Die Bemü­hungen des Westens, das ukrai­nische Militär zu bewaffnen und aus­zu­bilden, erklären zu einem großen Teil, warum es im ersten Kriegsjahr so ​​gut gegen die rus­sische Armee abschnitt. Eine Schlag­zeile im Wall Street Journal vom April 2022 lautete: „Das Geheimnis des mili­tä­ri­schen Erfolgs der Ukraine: Jah­re­lange NATO-Ausbildung.“

Abge­sehen von den lau­fenden Bemü­hungen des Bünd­nisses, das ukrai­nische Militär zu einer schlag­kräf­ti­geren Kampf­truppe zu machen, die an der Seite der NATO-Truppen ope­rieren kann, gab es im Westen im Laufe des Jahres 2021 eine neue Begeis­terung für die Auf­nahme der Ukraine in die NATO. Gleich­zeitig vollzog Prä­sident Zel­ensky, der nie viel Enthu­si­asmus für eine Auf­nahme der Ukraine in das Bündnis gezeigt hatte und im März 2019 auf der Grundlage einer Plattform gewählt wurde, die zur Zusam­men­arbeit mit Russland bei der Bei­legung der anhal­tenden Krise aufrief, Anfang 2021 einen Kurs­wechsel und befür­wortete nicht nur die NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine, sondern vertrat auch eine harte Linie gegenüber Moskau.

Prä­sident Biden, der im Januar 2021 ins Weiße Haus einzog, hatte sich seit langem für die Auf­nahme der Ukraine in die NATO ein­ge­setzt und war ein Super­falke gegenüber Russland. Es über­rascht nicht, dass die NATO am 14. Juni 2021 auf ihrem jähr­lichen Gipfel in Brüssel ein Kom­mu­niqué her­ausgab, in dem es hieß: „Wir bekräf­tigen den auf dem Gipfel von Bukarest 2008 gefassten Beschluss, dass die Ukraine Mit­glied des Bünd­nisses wird.“ Am 1. Sep­tember 2021 besuchte Zel­ensky das Weiße Haus, wo Biden klar­stellte, dass die Ver­ei­nigten Staaten „fest ent­schlossen“ seien, „die euro-atlan­ti­schen Bestre­bungen der Ukraine zu unter­stützen“. Am 10. November 2021 unter­zeich­neten Außen­mi­nister Antony Blinken und sein ukrai­ni­scher Amts­kollege Dmytro Kuleba ein wich­tiges Dokument – die „Charta der stra­te­gi­schen Part­ner­schaft zwi­schen den USA und der Ukraine“. Das Ziel beider Par­teien, so heißt es in dem Dokument, ist es, „das Enga­gement für die Durch­führung tief­grei­fender und umfas­sender Reformen in der Ukraine zu unter­streichen, die für eine voll­ständige Inte­gration in die euro­päi­schen und euro-atlan­ti­schen Insti­tu­tionen erfor­derlich sind.“ Es bekräftigt auch aus­drücklich das Enga­gement der USA für die „Buka­rester Gip­fel­er­klärung von 2008“.

Es scheint kaum Zweifel daran zu geben, dass die Ukraine auf dem besten Weg war, bis Ende 2021 Mit­glied der NATO zu werden. Dennoch argu­men­tieren einige Befür­worter dieser Politik, dass sich Moskau keine Sorgen über dieses Ergebnis hätte machen müssen, denn „die NATO ist ein Ver­tei­di­gungs­bündnis und stellt keine Bedrohung für Russland dar“. Aber das ist nicht die Meinung Putins und anderer rus­si­scher Poli­tiker über die NATO, und es kommt darauf an, was sie denken. Kurz gesagt, es steht außer Frage, dass Moskau den Bei­tritt der Ukraine zur NATO als eine exis­ten­zielle Bedrohung ansah, die nicht hin­ge­nommen werden durfte.

ZWEITENS erkannte eine beträcht­liche Anzahl ein­fluss­reicher und hoch ange­se­hener Per­sön­lich­keiten im Westen vor dem Krieg, dass die Expansion der NATO – ins­be­sondere in die Ukraine – von der rus­si­schen Führung als töd­liche Bedrohung ange­sehen werden und schließlich zur Kata­strophe führen würde.

William Burns, der heute die CIA leitet, aber zum Zeit­punkt des NATO-Gipfels in Bukarest im April 2008 US-Bot­schafter in Moskau war, ver­fasste ein Memo an die damalige Außen­mi­nis­terin Con­do­leezza Rice, in dem er die rus­si­schen Über­le­gungen zur Auf­nahme der Ukraine in die Allianz prä­gnant beschreibt. „Der Bei­tritt der Ukraine zur NATO“, so schrieb er, „ist für die rus­sische Elite (nicht nur für Putin) die klarste aller roten Linien. In den mehr als zwei­einhalb Jahren, in denen ich Gespräche mit den wich­tigsten rus­si­schen Akteuren geführt habe, von Scharf­ma­chern in den dunklen Nischen des Kremls bis hin zu Putins schärfsten libe­ralen Kri­tikern, habe ich noch nie­manden gefunden, der die Auf­nahme der Ukraine in die NATO als etwas anderes betrachtet als eine direkte Her­aus­for­derung für die rus­si­schen Inter­essen.“ Die NATO, so sagte er, „würde als ein stra­te­gi­scher Feh­de­hand­schuh ange­sehen werden. Das heutige Russland wird darauf reagieren. Die rus­sisch-ukrai­ni­schen Bezie­hungen würden auf Eis gelegt … Das würde einen frucht­baren Boden für rus­sische Ein­mi­schungen auf der Krim und in der Ost­ukraine schaffen.“

Burns war 2008 nicht der einzige west­liche Ent­schei­dungs­träger, der erkannte, dass die Auf­nahme der Ukraine in die NATO mit Gefahren ver­bunden war. Auf dem Buka­rester Gipfel sprachen sich sowohl die deutsche Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel als auch der fran­zö­sische Prä­sident Nicolas Sarkozy gegen eine NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine aus, weil sie wussten, dass dies Russland alar­mieren und ver­ärgern würde. Merkel erklärte kürzlich ihre Ablehnung: „Ich war mir sehr sicher, … dass Putin das nicht einfach zulassen wird. Aus seiner Sicht wäre das eine Kriegserklärung“.

Um noch einen Schritt weiter zu gehen: Zahl­reiche ame­ri­ka­nische Poli­tiker und Stra­tegen sprachen sich in den 1990er Jahren gegen die Ent­scheidung von Prä­sident Clinton aus, die NATO zu erweitern, als diese Ent­scheidung noch zur Debatte stand. Diesen Gegnern war von Anfang an klar, dass die rus­sische Führung darin eine Bedrohung ihrer lebens­wich­tigen Inter­essen sehen würde und dass diese Politik letztlich in eine Kata­strophe münden würde. Die Liste der Gegner umfasst pro­mi­nente Per­sön­lich­keiten des Estab­lish­ments wie George Kennan, sowohl Prä­sident Clintons Ver­tei­di­gungs­mi­nister William Perry als auch seinen Vor­sit­zenden des Ver­ei­nigten Gene­ral­stabs, General John Shali­kashvili, Paul Nitze, Robert Gates, Robert McNamara, Richard Pipes und Jack Matlock, um nur einige zu nennen.

Die Logik von Putins Position sollte für Ame­ri­kaner, die seit langem der Monroe-Doktrin ver­pflichtet sind, voll­kommen ver­ständlich sein. Diese besagt, dass keine ent­fernte Groß­macht ein Bündnis mit einem Land in der west­lichen Hemi­sphäre ein­gehen und ihre mili­tä­ri­schen Streit­kräfte dort sta­tio­nieren darf. Die Ver­ei­nigten Staaten würden einen solchen Schritt als exis­ten­zielle Bedrohung auf­fassen und alles tun, um diese Gefahr zu besei­tigen. Dies geschah natürlich auch während der Kuba­krise 1962, als Prä­sident Kennedy den Sowjets klar machte, dass ihre Atom­ra­keten aus Kuba abge­zogen werden müssten. Putin ist zutiefst von der­selben Logik beein­flusst. Schließlich wollen Groß­mächte nicht, dass sich ent­fernte Groß­mächte in ihrem Hin­terhof ansiedeln.

DRITTENS: Die zen­trale Bedeutung der tiefen Angst Russ­lands vor einem NATO-Bei­tritt der Ukraine wird durch zwei Ent­wick­lungen seit Kriegs­beginn verdeutlicht.

Während der Istan­buler Ver­hand­lungen, die unmit­telbar nach Beginn der Invasion statt­fanden, machten die Russen deutlich, dass die Ukraine eine „dau­er­hafte Neu­tra­lität“ akzep­tieren müsse und der NATO nicht bei­treten könne. Die Ukrainer akzep­tierten die For­derung Russ­lands ohne ernst­haften Wider­stand, sicherlich weil sie wussten, dass es sonst unmöglich wäre, den Krieg zu beenden. In jün­gerer Zeit, am 14. Juni 2024, stellte Putin zwei For­de­rungen, die die Ukraine erfüllen müsse, bevor er einem Waf­fen­still­stand und der Auf­nahme von Ver­hand­lungen zur Been­digung des Krieges zustimmen würde. Eine dieser For­de­rungen war, dass Kiew „offi­ziell“ erklärt, „dass es seine Pläne, der NATO bei­zu­treten, aufgibt“.

Das alles ist nicht über­ra­schend, denn Russland hat die Ukraine in der NATO immer als exis­ten­zielle Bedrohung gesehen, die um jeden Preis ver­hindert werden muss. Diese Logik ist die trei­bende Kraft hinter dem Ukraine-Krieg.

Schließlich ist aus der Ver­hand­lungs­po­sition Russ­lands in Istanbul sowie aus Putins Äuße­rungen zur Been­digung des Krieges in seiner Ansprache vom 14. Juni 2024 klar ersichtlich, dass er nicht daran inter­es­siert ist, die gesamte Ukraine zu erobern und sie zu einem Teil eines grö­ßeren Russ­lands zu machen.

***

John Joseph Mears­heimer (* 14. Dezember 1947 in Brooklyn, New York City) ist ein US-ame­ri­ka­ni­scher Poli­tik­wis­sen­schaftler an der Uni­versity of Chicago. Sein Schwer­punkt ist die Analyse inter­na­tio­naler Bezie­hungen aus der Per­spektive des offen­siven Neo­rea­lismus, den er erstmals 2001 in seiner Mono­grafie The Tragedy of Great Power Politics darstellte.

Dieser Text von John J. Mears­heimer erschien am 5.8.2024 auf https://substack.com/@mearsheimer/p‑147357385. Vielen Dank für die Geneh­migung des Autors zum Abdruck der deut­schen Über­setzung. Die Über­setzung wurde von Thomas Mayer erstellt.

Neben der NATO-Ost­erwei­terung gibt es weitere Fak­toren, die zum Ukraine-Krieg führten, zum Bei­spiel der Natio­na­lismus in der Ukraine und die Unter­drü­ckung der eth­nisch-rus­si­schen Bevölkerung.

Aus­führlich sind die viel­schich­tigen Hin­ter­gründe des Ukraine-Krieges geschildert in dem Buch von Thomas Mayer: Wahr­heits­suche im Ukraine-Krieg – Um was es wirklich geht, 600 Seiten, ISBN 978–3‑89060–863‑1, Infos zum Buch: https://kurzelinks.de/h10a

Addendum (DB) Krohne-Schmalz zu den Vorgängen

Ganz ähnlich äußert sich hier eine Jour­na­listin, die wie sich keine sonst in Sachen Russland und Ukraine aus­kennen dürfte:

Der Artikel erschien zuerst bei philosophia-perennis.com.