In einem alten, überlieferten Gebet von den britischen Inseln, heißt es am Ende auf Altenglisch (Angelsächsisch): „geskyldað me with de laðan Poccas and with ealleyfeln. Amen“. Zu Deutsch: „Beschilded (beschützt) mich gegen die grässlichen Pocken und allem Übel“.
Die erste, historisch bekannte Pocken-Epidemie Europas begann im 6. Jahrhundert. Bis ins 15. Jahrhundert gab es mehrfach Ausbrüche in England und auf dem Festland. Die Spanier brachten den Erreger, gegen den sie selber immun geworden waren, nach Mittel- und Südamerika. Dort verstarben Millionen an autochthonen Amerikanern daran. Die Pocken trugen sehr viel zum Untergang der indianischen Kulturen der Inka und Azteken bei.
Pockenviren sind die größten bekannten Viren und mit 400 Nanometern geradezu dicke Brocken. Sie haben eine ungewöhnliche Vermehrungstaktik. Die Inkubationszeit, also die Zeit von der Ansteckung bis zum Ausbruch, beträgt 12 bis 14 Tage. Der Infizierte fühlt sich sehr krank und schwach, leidet unter Kopf- und Rückenschmerzen, einer schweren Halsentzündung und hohem Fieber mit Schüttelfrost, Delirien und Wahnvorstellungen. In diesem Stadium ist die Krankheit hochinfektiös, die typischen Pocken oder Blattern treten aber erst einige Tage nach Beginn der Erkrankung auf. Wer diese schwere Erkrankung übersteht, behält die Pockennarben ein Leben lang. Nicht selten bleiben schwere Folgen, wie Erblindung, Taubheit oder Lähmungen. Auch Gehirnschäden oder eine anschließende Lungenentzündung können dadurch dauerhaft zurückbleiben.
Übertragen werden die Pocken meistens durch Tröpfcheninfektion, also Niesen, Husten, Anhauchen, Sprechen in nächster Nähe. In den winzigen Wassertröpfchen werden die Viren transportiert. Aber auch durch Berührung (Schmierinfektion) kann man sich infizieren. Strenge Quarantäne ist der einzige Weg, eine Verbreitung auszuschließen.
Ein Drittel der Erkrankten stirbt an den Pocken oder Blattern, und es gibt bis heute kein Gegenmittel. Unter ungünstigen Umständen können es auch zwei Drittel sein. Die Blattern oder Pocken gelten als einer der tödlichsten Infektionskrankheiten. Im 20sten Jahrhundert sollen insgesamt eine halbe Milliarde Menschen daran gestorben sein. Es gibt zwei verschiedene Verlaufsformen der Pocken:
Die schwarzen Blattern (Variola haemorrhogica) sind ein besonders schwerer Krankheitsverlauf. Innerhalb von Tagen setzen schwere Blutungen der Haut und der Schleimhäute ein, sogar die inneren Organe können betroffen sein. In diesen Fällen sterben die Patienten häufig schon während der ersten 48 Stunden. Eine mildere Infektion, weiße Pocken (Variola minor) genannt, verläuft weit weniger heftig und „nur“ in einem bis fünf Prozent tödlich. Übersteht man diese Krankheit, ist man jedoch leider nicht gegen eine Ansteckung mit den “schwarzen” Pocken immun. „Epidemiologen gehen davon aus, dass durch das erstmalige Auftreten von Pocken in einer Bevölkerungsgruppe diese Gruppe auf rund ein Drittel ihrer Ausgangsgröße reduziert wird.“
Seit 1977 gelten die Pocken als ausgestorben. Aber das sind sie nicht wirklich. Das Forschungszentrum der US-Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) und die russische Seuchenbehörde VECTOR halten diese Viren in ihren Laboren künstlich am Leben.
Nachdem der Mensch es geschafft hat, Genome zu entschlüsseln und auch zielgerichtet zu verändern, bieten sich bei dem brisanten Grundmaterial ganz neue Möglichkeiten. Was diese beiden Großmächte mit potenten Biowaffen wie den Blattern – oder noch gefährlichere, künstliche Varianten des Killervirus – betrifft, gilt das alte Gesetz: Wenn der Mensch die Möglichkeit hat, eine wirksame Waffe einzusetzen, dann macht er das auch.
Es gibt auch Grund, so eine Absicht zu befürchten: Kanadische Virologen haben an der University of Alberta (Kanada) aus den DNA-Fragmenten das ausgestorbene, allerdings für den Menschen ungefährliche Pferdepockenvirus rekonstruiert, und dieses Verfahren in einem wissenschaftlichen Online-Journal veröffentlicht.
Solche Rekonstruktionen werden durchgeführt, indem die noch vorhandenen Genabschnitte sozusagen „wieder zusammengeklebt“ werden. Mit dem Pferdepockenvirus stellten die kanadischen Wissenschaftler das bisher größte künstliche Virus her.
Zweck der Sache sei – so die Wissenschaftler – Grundlagenforschung für sichere Viren-Impfstoffe der Zukunft zu betreiben. Fachleute haben aber Bedenken geäußert: Mit dieser Methode könne man tödliche Erreger quasi mit bestellten Eigenschaften künstlich erschaffen, indem man sie aus vorhandenen Sequenzen mit den erwünschten Eigenschaften zusammenfügt – also maßgeschneiderte Biowaffen herstellt. Auch solche, die es in der Natur noch niemals gegeben hat, und wogegen das in Hunderten an Jahrmillionen entstandene Leben auf diesem Planeten auch keine Verteidigungsstrategie entwickeln konnte. Oder anders ausgedrückt: Der Mensch ist dabei, ein tückisches, brandgefährliches, winzigkleines, sich explosiv vermehrendes „Alien“ zu entwickeln, das mit nichts zu bekämpfen und zu stoppen ist und von dem man nicht weiß, was es an Schaden ausrichten kann.
Was das Pockenvirus betrifft, haben die kanadischen Gen-Ingenieure mit ihrer Veröffentlichung nun einen Bauplan herausgegeben, nach dem man auch das tödliche Blatternvirus neu zusammenbauen kann. Wer diesen Killer als Waffe einsetzen will, der hat jetzt die Anleitung dazu.
Die Kanadier geben sich indes unbeeindruckt. Sie wollen diese Technologie auch bei anderen Pockenstämmen einsetzen. Das Verfahren dürfte schnell Interessenten und Nachahmer finden. Laut „Science“ ist das angewendete Verfahren weder teuer noch schwierig.
Selbst, wenn die Staaten und Wissenschaftler sich im Umgang mit diesen Techniken zu hohen ethischen Werten verpflichteten, und dies auch wider Erwarten einhielten, besteht die schon tausendfach wahr gewordene Gefahr, dass das Wissen in die Hände weit weniger moralisch gesonnener Interessentenkreise gelangt, die damit ihre Ziele wirksam durchsetzen könnten.
Sie bekommen alle neuesten Artikel per E-Mail zugesendet.