By Evbestie - Own work, CC BY-SA 4.0, Link

Die Fil­ter­blasen-Gesell­schaft — oder: warum Facebook unsere Debat­ten­kultur zer­stört hat

Über 10 Jahre war ich Mit­glied bei Dir, Facebook. Nun habe ich mich abge­meldet. Warum ich das tat und warum ich hoffe, dass mir viele Deiner User folgen werden, möchte ich hiermit erklären.
Als wir uns ken­nen­lernten, so Anfang 2008, da wurde es überall im deutsch­spra­chigen Bereich gerade total hipp, sich bei Dir anzu­melden und sich mit Leuten zu befreunden, die man aus der Schule kannte, vom Büro oder einfach aus irgend­einer Bar. Langsam aber sicher wurdest Du ein fester Bestandteil im Leben vieler Men­schen, die in ihrer Freizeit – oder wenn am Arbeits­platz niemand hinsah –Bilder aus dem Urlaub, vom Mit­tag­essen oder den Drink nach Fei­er­abend pos­teten sowie „Likes“ für lustige Bildchen mit Katzen oder dumme Sprüche gaben.
Dann begann 2009 der Wahl­kampf für die Bun­des­tagswahl in Deutschland und Du begannst damit, Dich zu ver­ändern. Freunde und Bekannte pos­teten ver­mehrt poli­tische Zei­tungs­ar­tikel, Reden von Poli­tikern, Wahl­werbung. Freund­schafts­an­fragen mehrten sich. Auf einmal begannen alle, sich mit allen zu „befreunden“, die in wei­terer Hin­sicht die gleiche Meinung hatten oder pro­minent poli­tisch aktiv waren. Das war die Zeit, in der ich auch das erste Mal „ent­freundet“ wurde. Ein Schul­freund aus der Grund­schule wollte mit mir wohl nichts mehr zu tun haben, nachdem ich seine Wahl­werbung für Die Linke kri­ti­sierte. Das war aller­dings eine Aus­nahme, denn eigentlich war der Ton damals noch sehr freundlich und man dis­ku­tierte sehr offen, auch über Par­tei­grenzen hinweg. Ich kann mich z.B. noch gut daran erinnern, wie 2009 (es gab zu diesem Zeit­punkt so was wie Fan-Seiten noch nicht) Claudia Roth von den Grünen und Jörg van Essen von der FDP oder auch der damalige JU-Vor­sit­zende Philipp Miß­felder mehrfach auch auf meiner Pinnwand in einer Dis­kussion zwi­schen ganz nor­malen Wählern mit­mischten. Man debat­tierte einfach, so wie man es im realen Leben auch gewohnt war. Ganz offen arbeitete man mit den Argu­menten des anderen, ver­suchte sie zu wider­legen, dis­ku­tierte – ganz ohne Beleidigungen.
2009 fand die Ver­än­derung statt, die ich im ein­ge­henden Satz des letzten Absatzes ansprach, aller­dings noch nicht so, dass man sie irgendwie negativ hätte betrachten müssen. Ganz im Gegenteil, ich fand das alles klasse. Die Ver­netzung – meine Freun­des­liste war zur Zeit der BTW09 auf über 2000 Per­sonen ange­wachsen – brachte unge­ahnte neue Mög­lich­keiten. Man lernte tolle neue Leute kennen, von denen man einige dann auch im realen Leben traf. Die Timeline ent­wi­ckelte sich zu so einer Art glo­baler Infor­ma­ti­ons­leiste. Die gepos­teten Zei­tungs­ar­tikel der immer mehr auf Social Media aus­ge­legten Online-Angebote der Tages­zei­tungen aus aller Welt ergaben einen Infor­ma­ti­ons­fluss, wie ich ihn bis dahin noch nie gesehen hatte, und der war für mein wis­sens­durs­tiges Mitt­zwan­ziger-Hirn die absolute Erfüllung! Du, liebes Facebook, nahmst zu diesem Zeit­punkt einen festen Platz in meinem Leben ein. Morgens in der Stra­ßenbahn las ich nicht mehr die Pend­ler­zeitung, ich schaute durch meine Timeline. Für den Abend ver­ab­redete man sich über Facebook und min­destens zwei Mal am Tag wurde geschaut, ob die Freunde etwas Neues gepostet hatten.
Das ganze tröp­felte nun weiter vor sich hin. Facebook fügte neue Funk­tionen hinzu, es gab jetzt ver­mehrt Gruppen von Inter­es­sen­ge­mein­schaften, die ersten Fan-Seiten erblickten das Licht der Welt, Facebook limi­tierte die Höchst­anzahl der „Freunde“ etc. Ich per­sönlich lernte immer mehr Gleich­ge­sinnte kennen, egal ob es das Hobby oder die Politik betraf. Aller­dings wurde oft auch schon der Ton in den Dis­kus­sionen schärfer. „Ent­freundet“ oder aus Gruppen gelöscht zu werden, wenn man mit der dort vor­herr­schenden Meinung nicht konform ging, wurde expo­nen­tiell steigend zur Nor­ma­lität. Die „Net­tigkeit“ im Netz nahm ab, was mich damals aber noch nicht son­derlich störte, ich hatte so oder so andere Prio­ri­täten im Leben und zog mich deshalb ver­mehrt aus Dis­kus­si­ons­gruppen zurück, in denen ich für meine Mei­nungs­ein­würfe beleidigt wurde. Anfangs waren das noch Gruppen, die meiner poli­ti­schen Ein­stellung größ­ten­teils gegen­sätzlich waren, wie z.B. solche von Anhängern der Grünen oder der SPD, dann kamen in letzter Zeit sogar Gruppen meiner liberal-kon­ser­va­tiven poli­ti­schen Heimat dazu. Wider­spruch wurde also oftmals nicht mal mehr in den eigenen Reihen geduldet.
Um mich herum bildete sich also eine soge­nannte Fil­ter­blase. Das ging wahr­scheinlich den meisten poli­tisch inter­es­sierten Facebook-Nutzern so, egal welcher par­tei­lichen Richtung sie ange­hörten. Es war ganz einfach zu bequem und einfach geworden, sich nur noch mit dem berieseln zu lassen, was man hören wollte. Richtig krass sind diese Fil­ter­blasen mit dem Fort­schreiten der Flücht­lings­krise geworden. Egal, in welcher Art Facebook-Gruppe man zu dieser Zeit gewesen ist, ob pro oder contra, man fand dort keine ver­nünftige Dis­kus­si­ons­kultur mehr vor. Wer etwas Kri­ti­sches zur Flücht­lings­po­litik in „Refugees-Welcome“-Gruppen postete, wurde meist sofort gelöscht, nachdem ihm vorher andere User noch schnell irgend­welche Belei­di­gungen in die Kom­mentare geschrieben hatten – und umge­kehrt war es genauso und ist es auch heute noch. Facebook hat unzählige kleine elitäre Clubs in Form von „Gruppen“ geschaffen, bei denen eine Bei­tritts­an­frage gestellt werden muss, um über­haupt Mit­glied werden zu können. Bei vielen dieser Gruppen müssen Sie, bevor man Sie auf­nimmt, zusätzlich zur Anfrage eine Reihe an Fragen „richtig“ beant­worten, welche die Gruppen-Admi­nis­tra­toren vorher fest­gelegt haben. Was meist einer Art Gesin­nungs­prüfung gleichkommt.
Die wich­tigste Frage, die sich dabei im Bezug auf diese Ent­wicklung meiner Meinung nach stellt, ist, wie viele Nutzer wohl gemerkt haben, dass sie sich in einer solchen Blase befinden? Ich befürchte leider, auch im Hin­blick auf unsere der­zeitige gesell­schaft­liche Ent­wicklung, dass der Pro­zentsatz sehr gering ist. Ich bin sogar davon über­zeugt, dass es den meisten Nutzern nicht bewusst ist, wie tief sie in einer solchen Fil­ter­blase stecken. Selbst in meinem Freundes- und Bekann­ten­kreis, bestehend aus Linken, Libe­ralen und Rechten, ist das offen­sichtlich vielen nicht bewusst.
Zwei Dinge sind dabei wohl besonders schlimm:

  1. Viele dieser Freunde sind Poli­tiker, Jour­na­listen sowie Unter­nehmer. Men­schen, die offen – also „open minded“ – bleiben sollten für Argu­mente jed­weder Art, um ver­nünftige und vor­aus­schauende Ent­schei­dungen treffen zu können.
  2. Sehr viele dieser Men­schen scheinen diese Fil­ter­blasen mitt­ler­weile auch mit ins reale Leben über­nommen zu haben.

Inter­es­san­ter­weise scheinen die Berufs­gruppen der Poli­tiker und Jour­na­listen dabei besonders stark betroffen zu sein, was sich auch darin wider­spiegelt, dass es kaum noch echte poli­tische Debatten zu geben scheint. Argu­mente der Gegen­seite prallen oft nur noch ab. Jeder hält ver­bissen an seiner Meinung fest, selbst dann noch, wenn Denk­fehler durch logische Argu­men­tation offen­kundig sind. Somit scheint die Ver­nunft ein Opfer der unbe­dingten Durch­setzung der eigenen Ideo­logie zu werden. Das ist zwar nicht erst seit Facebook der Fall, jedoch scheint es sich durch sein Zuwirken noch ver­stärkt zu haben.
Ganz besonders auf­fallend zu beob­achten ist dies an Figuren wie Jus­tiz­mi­nister Heiko Maas, der iro­ni­scher­weise mit seinem NetzDG gerade die für ihn und die Bun­des­re­gierung unbe­quemen Mei­nungen weg­zen­sieren möchte und damit Facebook wohl am Ende zu einer Super-Fil­ter­blase im Gut­men­schen-Gleich­schritt formt.
Ähnlich ver­korkst sieht die Situation im Jour­na­lismus aus. Begriffe wie Lügen- oder Lücken­presse kommen nicht von ungefähr. Dass sich die deut­schen Medien, gerade mit der pro-Merkel- und der pro- bzw. oft sehr lücken­haften Flücht­lings­be­richt­erstattung nicht mit Ruhm bekle­ckert haben, mag außer Frage stehen. Doch auch auf der „anderen Seite“ sieht es nicht besser aus. Um der ein­sei­tigen Bericht­erstattung in den Main­stream­m­edien ent­ge­gen­zu­wirken, schossen die Blogs im Netz wie Pilze aus dem Boden. Dass sich auch hier oft frag­würdige Inhalte finden, braucht nicht groß aus­ge­führt zu werden. Wer beide Blasen nicht erkennt und kri­ti­siert, sollte viel­leicht über­prüfen, ob er sich nicht zu tief in einer der beiden befindet.
Was Facebook aller­dings jetzt macht – oder auf­grund des Drucks von Seiten des bereits erwähnten Mei­nungs­in­qui­sitors Heiko Maas tun muss –, halte ich für das Gegenteil von för­derlich. Ich möchte hier ganz klar sagen, dass ich keine Lösung habe, den Zustand, wie ich ihn von 2008 kenne, wie­der­her­zu­stellen. Aller­dings wird dies wohl kaum durch ein­faches Löschen von „unbe­quemen“ Inhalten oder „Hass“-Postings durch groß auf­ge­stellte Lösch­zentren zu händeln sein. Eine Zensur von unbe­quemen Mei­nungen, die nicht in das Weltbild der anscheinend sehr bequemen und nach außen abge­schot­teten Fil­ter­blase von Heiko Maas und seinen Genossen von CDU/CSU, SPD und Grünen passen, wird die ganze Lage auf kurze Sicht nur noch ver­schlechtern. Die stei­gende Anzahl unzu­frie­dener Bürger in eine Ecke zu treiben, aus der sich der ein oder andere sicherlich nicht mehr auf fried­lichem Wege zu befreien weiß, ist sicherlich brand­ge­fährlich – mal davon abge­sehen, dass diese Zensur ein Angriff auf unsere Demo­kratie ist, wie es ihn seit 1945 nicht mehr gegeben hat.
Bisher hatten mich die Zen­soren in Ruhe gelassen, selbst nachdem ich das erste Ent­hül­lungs-Interview zu den zwei­fel­haften Prak­tiken der Facebook-Lösch­zentren mit einer ehemals dort tätigen Mit­ar­bei­terin geführt hatte, durfte ich lange weiter unge­stört meine Artikel posten. Doch nun hat mich diese Zensur innerhalb von 30 Tagen drei Mal, fast direkt hin­ter­ein­ander getroffen. Facebook hat mir dabei das Posten für je eine Woche ver­boten – unbe­gründet. Ohne mir eine „Ver­fehlung“ mit­zu­teilen und auch auf meinen aus­führ­lichen Ein­spruch gegen die Sperre hat das Unter­nehmen nicht reagiert. Dabei bin ich nicht der einzige, wie bekannt sein dürfte. Blogger-Kol­legen wie David Berger, Jürgen Fritz, Ines Laufer, Imad Karim usw. geht es regel­mäßig genauso wie mir. Unbe­gründet gesperrt, Ein­spruch nicht beant­wortet und kaum einmal ent­sperrt, geht das ganze Pro­cedere wieder von vorne los. Aller­dings ab jetzt nicht mehr mit mir. Ich werde Facebook diese Woche end­gültig ver­lassen, meinen pri­vaten Account und meine Fan-Seite schließen. Zensur kann ich als freier Mensch in keinster Weise hinnehmen!
Facebook lebt von seinen Nutzern, es sammelt Daten – was ich bis zu einem gewissen Grad hin­ge­nommen habe – und es ver­kauft Wer­be­plätze. Und für die wer­benden Unter­nehmen ist Facebook nur so lange inter­essant, wie es diese Vielzahl an Nutzern hat, die es heute vor­weisen kann.
Mit mir geht einer dieser Nutzer. Viel­leicht folgen mir 10 und jedem dieser 10 folgen wieder 10 und so weiter, bis man auf der Facebook-Timeline nur noch Pos­tings von Heiko Maas und Marc Zuckerberg findet. Viel­leicht finden wir so zurück zur Debatte und zu einem ver­nünf­tigen Mit­ein­ander. Ich würde es mir wünschen!
PS.: Falls sich bei Facebook nun einige freuen, einen unbe­quemen Geist los­ge­worden zu sein: Nur weil ich Facebook ver­lasse, heißt das nicht, dass ich nicht weiter gegen die Zen­sur­prak­tiken bei euch anschreiben werde!