Bukchon Hanok Village, Seoul, South Korea - Von: Doug Sun Beams - flickr.com - CC BY 2.0

Süd­korea als kapi­ta­lis­ti­scher Vorzeigestaat

In Pye­ongchang finden gerade die Olym­pi­schen Win­ter­spiele statt. Die Welt schaut auf Süd­korea. Auch wir Deut­schen könnten uns etwas von den Süd­ko­reanern abschauen: Die geben über 20% für die Bildung aus, während die GroKo eine kleine Lockerung im „Koope­ra­ti­ons­verbot“ feiert.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Bevor Korea 1948 in einen kapi­ta­lis­ti­schen Süden und einen kom­mu­nis­ti­schen Norden geteilt wurde, war es eines der ärmsten Länder der Welt, ver­gleichbar mit Afrika südlich der Sahara – und das blieb bis Anfang der 60er-Jahre so. Heute steht das kapi­ta­lis­tische Süd­korea mit einem Brut­to­in­lands­produkt pro Kopf von 27.539 Dollar vor Ländern wie Spanien (26.609), Russland (8.929), Bra­silien (8.727) oder China (8.113) und ist die acht­stärkste Export­nation der Welt. Pro­dukte von korea­ni­schen Unter­nehmen wie Samsung, Hyundai und LG sind weltweit beliebt.
Vage Schät­zungen für Nord­korea beziffern das Brut­to­in­lands­produkt auf 583 Dollar pro Kopf. Immer wieder sterben Tau­sende Nord­ko­reaner bei Hun­gers­nöten. Deut­licher kann man wohl nicht die Über­le­genheit eines kapi­ta­lis­ti­schen gegenüber einem kom­mu­nis­ti­schen Wirt­schafts­system zeigen. Der Kon­trast zwi­schen Nord- und Süd­korea könnte stärker nicht sein. Nach dem Index der wirt­schaft­lichen Freiheit 2017 gehört Süd­korea zu den 25 frei­esten Ländern der Welt, es ran­giert mit Platz 23 bei­spiels­weise vor Deutschland (26) oder Japan (40). In der Kate­gorie „Business Freedom“ erzielt Süd­korea sogar 90,6 von 100 mög­lichen Punkten. Zum Ver­gleich: Nord­korea ran­giert auf Platz 180, das ist der letzte Platz in dem Ranking. Im Bereich „Business Freedom“ erhält es nur fünf von 100 mög­lichen Punkten.
Aus­gangslage nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Aus­gangslage für Süd­korea nach dem Zweiten Welt­krieg war sehr schwierig: Das Land bekam zunächst kei­nerlei Hilfe von den USA, während Nord­korea von der Sowjet­union und China stark unter­stützt wurde. Süd­korea war ein reines Agrarland ohne nen­nens­werte Boden­schätze, während fast alle Boden­schätze der Halb­insel wie Eisenerz, Gold, Kupfer, Blei, Zink, Graphit, Molybdän, Kalk­stein und Marmor in Nord­korea kon­zen­triert sind. Die Bevöl­kerung Süd­koreas wuchs sehr rasch, weil viele Men­schen aus dem kom­mu­nis­ti­schen Norden flüch­teten – allein in den Jahren 1945 bis 1947 nahm die Ein­woh­nerzahl von 16 auf 21 Mil­lionen Men­schen zu. Viele Bewohner des Südens fris­teten ein Leben am oder unterhalb des Existenzminimums.
Die japa­nische Regierung vertrat im Juli 1961 die Meinung, es werde für Süd­korea aus sieben Gründen unmöglich sein, eine unab­hängige Wirt­schaft zu ent­wi­ckeln: Über­be­völ­kerung, Mangel an Res­sourcen, unter­ent­wi­ckelte Industrie, schwere mili­tä­rische Lasten, schwache poli­tische Geschick­lichkeit, Mangel an Kapital, Fehlen an admi­nis­tra­tiver Fähigkeit. In den 50er-Jahren, nach dem Korea­krieg, gab es in der Tat kaum öko­no­mische Fort­schritte in Süd­korea. Das Pro-Kopf-Ein­kommen war 1960 mit 79 Dollar immer noch eines der nied­rigsten weltweit.
Das Wirt­schafts­wunder
Das änderte sich erst, als 1961 Park Chung-hee an die Macht kam. Park, der bis zu seiner Ermordung durch den eigenen Geheim­dienstchef 1979 Süd­korea auto­kra­tisch beherrschte, wurde zum Vater des korea­ni­schen Wirt­schafts­wunders. Zunächst neigte Park einer zen­tralen Staats­wirt­schaft zu. Er wird berichtet, dass Lee Byung-chull, der Begründer der Samsung Gruppe (die heute weltweit unter anderem durch ihre Mobil­te­lefone bekannt ist) Park davon über­zeugte, dass nur eine relativ liberale Markt­wirt­schaft die not­wen­digen unter­neh­me­ri­schen Initia­tiven und die erfor­der­liche Krea­ti­vität frei­setzen würde, um inter­na­tionale Wett­be­werbs­fä­higkeit und die Ver­sorgung der Bevöl­kerung mit modernen Gütern zu erreichen. Große Unter­neh­mens­gruppen wie Samsung werden in Korea als „Chaebol“ bezeichnet, was man mit „Business Family“ über­setzen kann. Es sind mächtige, meist sehr stark diver­si­fi­zierte Fami­li­en­un­ter­nehmen, die den ent­schei­denden Beitrag zum Auf­stieg Koreas leis­teten. Es ist kein Zufall, dass es der Gründer einen solchen Chaebols war, der Parks wirt­schaft­liche Linie maß­gebend beeinflusste.
Denn cha­rak­te­ris­tisch für Süd­korea war die enge Ver­zahnung zwi­schen dem Staat und diesen großen Fami­li­en­un­ter­nehmen. Der Staat gab zwar Pläne vor, in denen Ent­wick­lungs­ziele for­mu­liert wurden, jedoch dürfen diese nicht mit den Wirt­schafts­plänen in sozia­lis­ti­schen Plan­wirt­schaften ver­wechselt werden. Zwar machte der Staat Vor­gaben für Ent­wick­lungs- und ins­be­sondere Pro­duk­ti­ons­ziele. Aber es war grund­sätzlich nicht so, dass der Staat diesen Fami­li­en­un­ter­nehmen so wie in einer Plan­wirt­schaft dik­tierte, was sie zu tun hatten, sondern dass das staat­liche Handeln maß­geblich durch den Ein­fluss dieser Chaebol bestimmt wurde, wobei Bestechung an der Tages­ordnung war. Als Park sein Regime errichtete, stützte er sich in erster Linie auf die mäch­tigen Chaebols, die sich bereits eta­bliert hatten: Sie waren schon vor ihm da – nur drei der heu­tigen 30 Spitzen-Chaebols wurden noch in der Park-Zeit oder danach gegründet.
In Süd­korea wurden die Pri­vat­un­ter­nehmen – anders als in Nord­korea, wo man sie ver­staat­lichte – für ihre Kriegs­ver­luste ent­schädigt. Der japa­nische Kolo­ni­al­besitz wurde pri­va­ti­siert und an wenige Fami­li­en­un­ter­nehmer ver­kauft. Diese stammten fast zur Hälfte aus Familien mit­tel­großer Grund­ei­gen­tümer und Groß­grund­be­sitzer. Heute kennen Ver­braucher weltweit die Unter­nehmen der großen korea­ni­schen Chaebols: Samsung ist der schärfste Wett­be­werber von Apple, und Fern­seh­geräte und Elek­tronik des Unter­nehmens LG sind weltweit beliebt. Es handelt sich bei diesen großen Fami­li­en­un­ter­nehmen um Fir­men­gruppen, die sehr breit diver­si­fi­ziert sind – so wie man es etwa in den USA nur von einem Unter­nehmen wie General Electric kennt. Oft besteht eine Fir­men­gruppe aus dut­zenden Unter­nehmen, die in den unter­schied­lichsten Branchen tätig sind. Mitte der 90er-Jahre waren die fünf größten Chaebols gemessen an ihren Pro­dukt­gruppen, im Durch­schnitt in je 142 Märkten aktiv. Für die Chaebols auf Platz sechs bis zehn waren es im Durch­schnitt je 63, auf Platz elf bis 15 je 39 Märkte, in denen sie operierten.
Kleine und mittlere Betriebe hatten es dem­ge­genüber zunächst schwer und spielten kaum eine Rolle. Das änderte sich erst in den 80er- und 90er-Jahren. Der Pro­zentsatz der Beschäf­tigung in Klein- und Mit­tel­un­ter­nehmen (bis zu 100 Mit­ar­beiter) an der Gesamtzahl der Beschäf­tigten erhöhte sich von 35 Prozent im Jahr 1970 auf rund 58 Prozent im Jahr 1998. Dennoch spielen die großen Chaebols auch heute noch eine ent­schei­dende Rolle in der korea­ni­schen Wirt­schaft. Sehr viel Wert legten und legen diese Unter­nehmen auf For­schung und Ent­wicklung. Bei dem Unter­nehmen Hyundai etwa hat sich die Zahl der For­scher von 616 im Jahre 1980 auf 3.890 im Jahre 1994 mehr als ver­sechs­facht. Bei Samsung stieg das For­schungs­per­sonal von 690 auf 8.919 um das 13-fache.
Die Chaebols – Samsung, LG & Co.
Die Ent­wicklung verlief nicht ohne zahl­reiche Brüche, von denen die Finanz­krise 1997/98 der hef­tigste war. Die Krise traf Korea schwer. Das durch­schnitt­liche Gesamt­ein­kommen nahm von 1996/97 auf 1997/98 um ein Viertel ab. Die Arbeits­lo­sigkeit stieg, die Real­löhne sanken. Öko­nomen schätzen die nega­tiven Wohl­fahrts­ef­fekte für die pri­vaten Haus­halte in diesem Zeitraum auf 45 Prozent. Solche Krisen werden von Kapi­ta­lismus-Kri­tikern gerne als Beleg für die Schwäche des kapi­ta­lis­ti­schen Systems ange­führt. Tat­sächlich sind sie not­wendig und haben oft eine rei­ni­gende Wirkung, weil nicht mehr pro­fi­table Unter­nehmen vom Markt verschwinden.
Ein Bei­spiel dafür ist der Zusam­men­bruch der Unter­neh­mens­gruppe Daewoo, die von dem extrem erfolg­reichen Unter­nehmer Kim Woo-choong gegründet worden war. Er kam aus der Tex­til­in­dustrie und wurde nach­ein­ander in der Schwer­industrie, dem Autobau und der Elek­tronik­branche aktiv. Infolge der Finanz­krise von 1997/98 ging das Unter­nehmen 1999 bankrott. Die viert­größte Unter­neh­mens­gruppe Süd­koreas brach aus­ein­ander. Die daraus ent­stan­denen ein­zelnen Unter­nehmen, die etwa in der Stahl­ver­ar­beitung, im Schiffsbau oder im Finanz­ge­schäft tätig sind, ope­rieren heute als eigen­ständige Firmen und sind teil­weise sehr erfolgreich.
Die heftige 1997/98er-Krise führte dazu, dass Süd­korea vor­über­gehend unter das Kuratel des IWF gestellt wurde. Obwohl dessen strenge Auf­lagen oft kri­ti­siert wurden, hatten sie schon rasch positive Aus­wir­kungen und die Krise wurde erstaunlich schnell über­wunden. Wich­tiger noch waren die lang­fris­tigen posi­tiven Aus­wir­kungen der Reform­auf­lagen des IWF. Denn die in den 80er- Jahren begonnene Libe­ra­li­sierung des korea­ni­schen Wirt­schafts­systems gewann nun erst richtig an Tempo. Zahl­reiche Chaebols wurden zer­schlagen oder auf das Kern­ge­schäft redu­ziert. Zudem wurde die süd­ko­rea­nische Wirt­schaft in einem bis dahin nicht gekannten Maß für aus­län­dische Inves­toren geöffnet. Auch der Geld­markt wurde 1998 voll­kommen libe­ra­li­siert, Fusionen mit und Unter­neh­mens­über­nahmen durch aus­län­dische Firmen, selbst feind­liche, wurden ermöglicht.
Samsung ver­kaufte damals Dut­zende von Unter­neh­mens­ein­heiten, die nicht zum Kern­ge­schäft gehörten, und entließ rund ein Drittel der ver­blie­benen Beschäf­tigten. Diese Maß­nahmen sollten sich aus­zahlen, denn Samsung wurde nach der Krise zu einer der am schnellsten wach­senden Marken. Heute gehört das korea­nische Unter­nehmen zu den 15 größten Firmen der Welt und ran­giert direkt hinter dem US-Riesen General Electric und vor AT&T.
Der Auf­stieg Koreas erfolgte zwar unter markt­wirt­schaft­lichen Vor­zeichen, aber zunächst nicht im Rahmen einer Demo­kratie. Erst ab dem Jahr 1987 kann man von Süd­korea als demo­kra­ti­schem Land sprechen. Markt­wirt­schaft­liche Moder­ni­sierung und Demo­kratie können zusam­men­fallen, müssen es jedoch nicht, wie auch das Bei­spiel Chinas zeigt. Die zunächst starke Rolle des Staates in der Wirt­schaft wurde schon seit Beginn der 80er-Jahre redu­ziert. Eine wichtige Maß­nahme war die Pri­va­ti­sierung der Banken. Und während 1979 noch 25 Prozent aller Kredite über den Natio­nalen Inves­ti­ti­ons­fonds gelenkt wurden, waren es 1991 gerade noch fünf Prozent. 1980 wurde unter einem neuen Anti-Mono­pol­gesetz die Wett­be­werbs­be­hörde Korea Fair Trade Com­mission ein­ge­richtet. In den 90er- Jahren setzte sich die Libe­ra­li­sierung fort, was 1996 den Bei­tritt Süd­koreas zur OECD möglich machte.
Süd­korea gibt 20 Prozent für Bildung aus
Das Bei­spiel Süd­koreas zeigt, gerade im Ver­gleich mit dem kom­mu­nis­ti­schen Nord­korea, die Kraft und Über­le­genheit des Kapi­ta­lismus. Aber ande­rer­seits wird an diesem Bei­spiel deutlich, dass das Wirt­schafts­system nur eine Vor­aus­setzung für den Auf­stieg ist. Die kapi­ta­lis­tische Struktur der Wirt­schaft war eine Basis für den Erfolg, doch dass dieser Erfolg so grandios war und ist, hängt stark mit kul­tu­rellen Fak­toren zusammen, vor allem mit dem schon sprich­wört­lichen Fleiß und Bil­dungs­hunger der Koreaner.
In kaum einem Land wird Bildung eine so große Bedeutung bei­gemessen wie in Süd­korea. Mit rund 20 Prozent ist der Bil­dungsetat der größte Posten im Staats­haushalt. Dieser Anteil hat sich in den ver­gan­genen drei Jahr­zehnten kaum ver­ändert. Und das sind nur die staat­lichen Inves­ti­tionen. Addiert man die beträcht­lichen pri­vaten Aus­gaben von etwa drei Prozent des Brut­to­so­zi­al­pro­duktes dazu, dann ist Süd­korea bei den Bil­dungs­aus­gaben inter­na­tio­naler Spit­zen­reiter. Gerade im Bil­dungs­be­reich ist Süd­korea viel stärker markt­wirt­schaftlich struk­tu­riert als die meisten anderen Länder. Rund 80 Prozent der Hoch­schulen sind in pri­vater Trä­ger­schaft. Die Qua­lität dieser Hoch­schulen ist erst­klassig. Acht korea­nische Uni­ver­si­täten befinden sich unter den 100 inno­va­tivsten Uni­ver­si­täten der Welt. Die Tech­nische Uni­ver­sität KAIST schaffte es als einzige nicht US-ame­ri­ka­nische Uni­ver­sität in die Liste der Top 10.
Trotz dieser erst­klas­sigen Qua­lität der Uni­ver­si­täten können sie den Lern­eifer der korea­ni­schen Stu­denten nicht stillen. Ins­be­sondere bei Schülern und Stu­denten aus wohl­ha­ben­deren Familien ist es inzwi­schen zur Gewohnheit geworden, ihre Bil­dungs­laufbahn mit Abschlüssen an einer aus­län­di­schen, zumeist ame­ri­ka­ni­schen, Hoch­schule zu krönen. Das Examen von einer süd­ko­rea­ni­schen Eli­te­uni­ver­sität in Kom­bi­nation mit einem län­geren Stu­di­en­auf­enthalt in den USA ist zur zen­tralen Qua­li­fi­kation für eine erfolg­reiche Kar­riere geworden. Fast alle füh­renden Posi­tionen in Politik und Wirt­schaft sind mit Per­sonen besetzt, die ihren Dok­tor­titel an einer Uni­ver­sität der USA erworben haben.
Auch im Schul­wesen spielen private Schulen eine große Rolle. Es gibt fast 100.000 private Nach­hil­fe­schulen (Hagwon) und 77 Prozent der Schüler ver­bringen an ihnen im Durch­schnitt zusätzlich 10,2 Stunden wöchentlich neben dem nor­malen Schul­un­ter­richt. Die Familien geben durch­schnittlich 800 Dollar im Monat für die private Schul­bildung ihrer Kinder aus. Dabei sind auch die staat­lichen Schulen sehr gut und gehören zu den fort­schritt­lichsten der Welt. Bereits im Jahr 2001 waren alle Grund‑, Mittel- und Ober­schulen an das Internet ange­schlossen, jeder der 340.000 Lehrer hatte einen eigenen PC und bis 2003 waren 14 „Cyber-Uni­ver­si­täten“ ans Netz gegangen.
Der Bil­dungs­eifer führt zu ent­spre­chenden Ergeb­nissen, bei­spiels­weise bei dem PISA-Test. Süd­koreas Schüler stehen bei den Natur­wis­sen­schaften auf Platz elf von 70 Nationen (Deutschland Platz 16, USA Platz 25), im Bereich Mathe­matik sogar weltweit auf Platz sieben. Beein­dru­ckend ist besonders: Während der Anteil besonders leis­tungs­starker Schüler im OECD-Durch­schnitt bei 15,3 Prozent liegt, ist er in Süd­korea mit 25,6 Prozent weit über­durch­schnittlich. Umge­kehrt: Im OECD-Durch­schnitt gelten 13 Prozent der Schüler als leis­tungs­schwach, in Korea sind es nur 7,7 Prozent.
Darin spiegelt sich der unge­heure Fleiß der Koreaner wider. Die in Süd­korea im Zusam­menhang mit den Auf­nah­me­prü­fungen für die Uni­ver­sität gebräuch­liche Rede­wendung sadang orak (wörtlich: Vier-Bestehen, Fünf-Durch­fallen), steht für die Ansicht, man müsse mit vier Stunden Schlaf aus­kommen, denn wer sich fünf Stunden Ruhe gönne, werde durch­fallen. Der typische Tag eines Schülers in Süd­korea sieht so aus, dass er um sieben Uhr auf­steht, um neun Uhr in der Schule und um 17 Uhr wieder zu Hause ist. Dann macht er Schul­auf­gaben, beschäftigt sich mit dem Internet usw. Zwi­schen dem zehnten und zwölften sowie dem 16. und 18. Lebensjahr geht die über­wie­gende Mehrheit von 20 bis 22 Uhr in die bereits erwähnten Pri­vat­schulen (hagwon), die auf die Ein­tritts­examina für die begehr­testen Ober­schulen und später für die Uni­ver­sität vorbereiten.
Es sind solche kul­tu­rellen Prä­gungen, die ent­scheidend zum Erfolg von Süd­korea und von anderen asia­ti­schen Staaten bei­getragen haben. Erfolg­reich ist jedoch nur die Kom­bi­nation einer kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft einer­seits und dieser kul­tu­rellen Werte ande­rer­seits. Denn die jahr­hun­der­te­alten Tra­di­tionen sind ja für Nord- und Süd­ko­reaner iden­tisch. In einem inef­fi­zi­enten Wirt­schafts­system wie dem von Nord­korea können sich diese posi­tiven Fak­toren nicht ent­spre­chend aus­wirken oder werden fehl­ge­leitet in ideo­lo­gische Zere­monien, Drill und Waffenproduktion.
Süd­korea, das noch in den 60er-Jahren ein Ent­wick­lungsland mit einem ähn­lichen Lebens­standard wie heute viele afri­ka­nische Länder war, ist nicht durch Ent­wick­lungs­hilfe zum Wohl­stand gekommen, sondern durch kapi­ta­lis­tische Reformen. Kapi­ta­lismus + Bil­dungs­hunger wirkt Wunder.
Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung von Kapitel 4 des neuen Buches von Rainer Zitelmann

Dr. Rainer Zitelmann auf TheEuropean.de