Erich Kästner - By Paulae - File:Erich Kaestner cropped.jpg, CC BY-SA 3.0, Link

Erich Kästner: Man darf nicht warten, bis der Frei­heits­kampf Lan­des­verrat genannt wird

Beim Namen Erich Kästner lächeln die Leute und nicken. Jaja, „Das dop­pelte Lottchen“, „das flie­gende Klas­sen­zimmer“, „Pünktchen und Anton“ und „Emil und die Detektive“, sagen sie dann und sehen die alten, schönen Filme vor sich. Es waren groß­artige Filme und ein wun­der­volles Geschenk Erich Kästners an die Kinder dieser Welt. Sie sind ja in mehrere Sprachen über­setzt worden. Die Kinder finden sich in seinen Büchern wieder und sie nehmen dabei ganz leicht die feine Sprache auf, die mensch­liche Wärme, das unauf­dringlich sichere Gefühl für Wahres, Gutes und Schönes, was ehrlich, unge­künstelt und bar jeden Pomps aus Kästners Texten spricht.
Marcel Reich-Ranicki sah in diesen Büchern „ver­tauschten Rollen“, die Kästner seinen Prot­ago­nisten zuteilte. Im „Das dop­pelten Lottchen“ treffen sich die Zwil­lings­mädchen, die durch die Scheidung der Eltern getrennt von­ein­ander auf­wachsen und nichts von­ein­ander wissen, zufällig. Sie beschließen, ihre Plätze zu tau­schen und erweisen sich dabei als kluge Agenten für eine Ver­söhnung der Eltern und einen Neu­anfang. Hier erziehen die Kinder die Eltern. Auch sonst sind die Kinder die, die noch einen unver­dor­benen Ver­stand haben. In Emil und die Detektive sind es die Kinder, die den Ver­brecher finden und fassen, und die Ordnung wie­der­her­stellen, die die Erwach­senen zer­stört haben.
In seinem Leben zeigte Erich Kästner auch eine Vor­liebe dafür, „aus der Rolle zu fallen“. Und so erfassen die Kli­schee-Rollen, in die Lite­raten oder Unter­hal­tungs­künstler ein­ge­stuft werden, auch nicht das Wesen Erich Kästners, der einer­seits lustige Gedichte schrieb, ein talen­tierter Vorlese rund ein wun­der­barer Kin­der­buch­autor war, ande­rer­seits auch ein sehr poli­ti­scher Mensch, der zwei Welt­kriege mit­er­lebte, was ihn zum über­zeugten Anti­mi­li­ta­risten machte. Er schrieb iro­nische und sati­rische Gedichte, aber er war nicht nur ein Wit­ziger und bis­siger Sati­riker. Er ver­fasste auch zutiefst depressive, düstere Zeilen. Manches davon wirkt, wie dunkle Prophetie.
 

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Emp­find­samen Men­schen ist diese Trau­rigkeit und das Vor­aus­ahnen schmerz­hafter Zei­ten­wenden nicht fremd. Aber aus der Fähigkeit, die Dinge klar zu sehen und der Bereit­schaft, auch für die eigenen Über­zeu­gungen ein­zu­stehen und – wenn es sein muss – zu leiden, erwachsen auch die Auf­rechten. Erich Kästner wird als „poin­tierter Gesell­schafts­kri­tiker“ bezeichnet, was er sicher auch war. Sein Scharf­blick für die Brüche in der Wirk­lichkeit rührt aber nicht aus Spottlust oder Bit­terkeit her, sondern aus der Liebe und dem Mitleid mit denen, die in ihrem Leben diese Brüche ertragen und aus­baden müssen.

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Diese unprä­ten­tiöse Liebe, die aus seinen Kin­der­bü­chern und aus seinen gesell­schafts­kri­ti­schen Stücken und Gedichten spricht, zeigt sich auch in der Zeit des Dritten Reiches. Er mag die Nazis über­haupt nicht. Er muss aus nächster Nähe der Ver­brennung seiner Bücher und Schriften zusehen. Und dennoch emi­griert er nicht, wie fast alle seine regime­kri­ti­schen Schrift­stel­ler­kol­legen. Er schrieb dazu einen Vier­zeiler, der in so schlichter Sprache, ohne jeden patrio­ti­schen Thea­ter­donner und doch so unglaublich tief und stark seine Liebe zu seinem Land aus­drückt, dass es einem die Tränen in die Augen treibt:

„Ich bin ein Deut­scher aus Dresden in Sachsen.
Mich lässt die Heimat nicht fort.
Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen –
wenn’s sein muss, in Deutschland verdorrt.“
(Erich Kästner, aus „Not­wendige Antwort auf über­flüssige Fragen“)

 
Dass er außerdem seine Mutter, an der er sehr hing, nicht allein lassen wollte, nimmt der linke Tages­spiegel zum Anlass, Kästners Aus­harren in Deutschland nur seiner Mamakind-Bequem­lichkeit zuzu­schreiben: „Sein Tagebuch offe­riert nun, mit etwas Sar­kasmus gelesen, eine pro­fanere, dritte Variante: Wer im Ausland hätte ihm seine Wäsche so zuver­lässig wie die Mutter gewa­schen und gebügelt?“
Liebe zum Hei­matland passt irgendwie nicht zur Antinazi-Ikone Kästner. Man gesteht ihm als ehren­haftes Motiv für das Dableiben noch zu, dass er als Zeuge und Chronist die Ereig­nisse beob­achten und für die Nachwelt fest­halten und nie­der­schreiben wollte.
Vieles an Kästners Leben im Dritten Reich passt nicht in die Vor­stel­lungen, die man sich heute von Wider­stands­kämpfern macht. Und ein solcher im Sinne des direkten Agi­tierens war er auch nicht. Er war sogar relativ erfolg­reich während der Herr­schaft des Natio­nal­so­zia­lismus’. Seine Auf­zeich­nungen, auch das „blaue Buch“ genannt, in die er seine täg­lichen Notizen nie­der­schrieb und das er während der Bom­ben­an­griffe auch mit in den Luft­schutz­keller nahm, lassen die Beob­ach­tungen und Gedanken Kästners wieder lebendig werden, die er in seiner ganz eigenen, klaren, feinen und doch bis­weilen fet­zigen Sprache in Worte fasste.
Damals wie heute durch­lebte und durchlebt man Umbruchs­zeiten mit schrei­enden Unge­rech­tig­keiten, Bru­ta­li­täten, Unfass­barem und kleinen Wundern. Wie all­täg­liche Grau­sam­keiten durch ihre ständige Präsenz zum Banalen werden. So beob­achtete Kästner, dass jüdische Mit­bürger drang­sa­liert wurden, aber auch Deutsche, die sich der ver­ord­neten Meinung nicht anpassten „bishin zu Tele­fon­stil­legung“ (Ähn­lich­keiten mit Martin Sellner sind rein zufällig). Wie Linke und als Oppo­si­tio­nelle fol­genlos von selbst­er­nannten, damals poli­tisch kor­rekten Schlä­ger­trupps zusam­men­ge­prügelt werden durften, ohne dass sie zur Rechen­schaft gezogen wurden (hat nichts mit Antifa versus AfD-Mit­gliedern gemeinsam). Wie Men­schen, die es wagten, eine nicht ange­passte Meinung zu äußern, ihren Arbeits­platz ver­loren. Die Ver­hal­tens­weisen der Men­schen sind damals, wie heute die­selben, wie Kästner schreibt: „Denun­zi­an­tentum, Nie­der­tracht, Bru­ta­lität, Grö­ßenwahn, Krie­cherei, Oppor­tu­nismus, Gesin­nungs­wechsel auf Kom­mando“. Alles das sehen wir heute wieder.
Und genau wie dif­fa­mierte und ver­folgte Patrioten heute, muss Kästner aber auch dafür sorgen, dass er von etwas leben kann. Er wurde mehrfach von der Gestapo ver­nommen aber wieder frei­ge­lassen und aus dem Schrift­stel­ler­verband aus­ge­schlossen. Er stellte einen Auf­nah­me­antrag in die Reichs­schrift­tums­kammer, was wegen seiner kul­tur­bol­sche­wis­ti­schen Haltung abge­lehnt wurde. Das war im Prinzip ein Publi­ka­ti­ons­verbot. Er musste sich die Bezeichnung „Asphalt­li­terat“ gefallen lassen.
Doch Kästner blieb noch recht gut ver­netzt in der künst­le­ri­schen Szene. Das Berufs­verbot der Nazis bewirkt nur, dass Kästner etwas erfin­dungs­reicher im Ver­bor­genen und unter Pseudonym arbeitet. Sein Ver­leger und Freund Kurt Leo Maschler ver­öf­fent­lichte Kästners Bücher in seinem „Atrium-Verlag“ in der Schweiz. Aber auch in Deutschland ist Kästner sehr erfolg­reich. Unter ver­schie­denen Pseud­onymen schreibt er Thea­ter­texte und diverse Dreh­bücher für Filme, wie zum Bei­spiel „Drei Männer im Schnee“. Unter dem Namen „Berthold Bürger“ gelang es ihm sogar, das Drehbuch zum Film „Münch­hausen“ zu schreiben. Der Film wurde zu einem der bekann­testen Filme der Ufa und gefiel Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nister Goebbels ganz außerordentlich.
 
https://www.youtube.com/watch?v=B6rKq4fNUDM
 
Kästner schrieb auch an dem Drehbuch des Heinz-Rühmann-Films „Ich ver­traue Dir meine Frau an“ mit.
https://www.youtube.com/watch?v=onesI3ebIyw
 
Und er schaffte es auch noch, den Gräueln der letzten Kriegs­zeiten im Untergang der Nazizeit zu ent­kommen: Einem Ufa-Team gelang es Anfang 1945, nach Tirol aus­zu­reisen – unter dem Vorwand, es werde dort einen der Hei­mat­filme drehen, die nach dem „Endsieg“ dringend gebraucht würden. Erich Kästner wurde als vor­geb­licher Dreh­buch­autor in das Team inte­griert. Im Tiroler Mayr­hofen im Zil­lertal erlebte er in Sicherheit und recht gemütlich das Ende der Nazi-Herrschaft.
Links­in­tel­lek­tuelle erwähnen diese Seite an Erich Kästner nicht so gerne. In ihrem Schwarz­weiß­denken hat man das als Anti­fa­schist gefäl­ligst nicht zu tun.
Dazu war Kästners ganzes Wesen aber nicht ein­schichtig genug. Heute würde er damit wieder anecken. In der Tabu-Welt von heute darf man sich auch nicht unge­straft auf eigenen Wegen bewegen. Es gibt nur selten Zeit­räume in der Geschichte, in denen der mensch­liche Geist frei atmen kann und man aus seinen ganz eigenen Über­zeu­gungen handeln darf. Das erfahren wir heute wieder schmerzhaft. Die Gesin­nungs­po­lizei ist heute wieder gna­denlos, fast wie damals. Fast. KZs haben wir noch nicht wieder, oder „auf der Flucht erschossen“.
Nach dem Krieg scherte Kästner auch wieder aus dem all­gemein ver­ord­neten, poli­tisch kor­rekten, deut­schen Schuldkult aus:
„Die Sieger, die uns auf die Ankla­gebank ver­weisen, müssten sich neben uns setzen. Es ist noch Platz. Wer hat denn, als längst der Henker bei uns öffentlich umging, mit Hitler pak­tiert? Das waren nicht wir. Wer hat denn Kon­kordate abge­schlossen? Han­dels­ver­träge unter­zeichnet? Diplo­maten zur Gra­tu­la­ti­onscour und Ath­leten zur Olym­piade nach Berlin geschickt? Wer hat denn den Ver­bre­chern die Hand gedrückt statt den Opfern?“
(Erich Käster, „Notabene 1945. Ein Tagebuch“)