Das Ende der Ära Merkel und wird die EU eine Diktatur?

Die umstrittene Ent­scheidung zur Grenz­öffnung wird der Kanz­lerin wohl zum Verhängnis
Von der CSU demon­tiert, von den Wähler abge­straft, in Europa iso­liert — Angela Merkel ist ange­zählt und ihre Macht ero­diert. Im Gegensatz zur deut­schen Natio­nal­mann­schaft befindet sie die Kanz­lerin schon im End­spiel. Die offen­sicht­liche  End­phase ihrer Kanz­ler­schaft erinnert stark an den unrühm­lichen Abgang Kohls. Ebenso wie einst ihr Mentor ist Merkel der Rea­lität ent­rückt: Unbeirrt hält sie am Mantra der „offenen Grenzen“ fest, während andere Schutz­wälle hoch­ziehen wollen. Par­allel ist das Land in eine hand­feste Regie­rungs­krise geschlittert und erleidet einen Ansehensverlust.
(Von Marc Friedrich, Mat­thias Weik und Christof Völlinger)
Schick­salstage für die Kanz­lerin und das Land: Von der mäch­tigsten Frau der Welt zur Getrie­benen, die um ihr poli­ti­sches Erbe und Über­leben kämpft und ein Land welches vom Export­welt­meister zur Bana­nen­re­publik abge­stiegen ist. Wir erleben eine his­to­rische Zei­ten­wende. Die letzten Wochen und das ganze Hickhack mit dem Höhe­punkt von Horst See­hofers Rück­tritt vom Rück­tritt haben dem Ansehen Deutsch­lands weltweit geschadet und die Bürger massiv ver­un­si­chert.  Der faule Kom­promiss mit der CSU wird ihr nur tem­porär ihr Luft verschaffen.
Dass Angela Merkel im Ringen um die Asyl­po­litik noch eine euro­päische Lösung schafft, ist nach den Gipfeln der letzten Tage mehr als fraglich. Fast alle Länder Ost­eu­ropas und nun auch Öster­reich scheren aus und wollen ihre Grenzen schützen.  Mit Blick auf die Geschichts­bücher will die CDU-Chefin ihren his­to­ri­schen Fehler aus dem Jahr 2015 zwar nicht zugeben: Doch letztlich trägt sie mit ihrer ein­samen Ent­scheidung die Ver­ant­wortung für den Kon­troll­verlust des deut­schen Staates und die tiefe Spaltung Europas.
Und selbst wenn — wider Erwarten — die Asyl­pläne der EU-Kom­mission eine Mehrheit finden sollten, steht Deutschland ein teures Fiasko bevor: Einer­seits kennt die EU keine Ober­grenze, ande­rer­seits ver­ficht sie eine groß­zügige Linie bei Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rungen. Nur deshalb steht EU-Kom­mis­si­ons­prä­sident Jean-Claude Juncker in Nibe­lun­gen­treue zu Merkel: Sein erklärtes Ziel ist, die Zustän­digkeit für die Asyl- und Flücht­lings­po­litik in fast allen Punkten von der natio­nalen auf die euro­päische Ebene zu ver­lagern! Wie das funk­tio­nieren soll? Ganz einfach: Gaben bisher weit­gehend EU-Richt­linien den ein­zelnen Mit­glied­staaten ein Ziel vor, das in natio­nales Recht umzu­setzen war und wenigstens teil­weise noch die Berück­sich­tigung von natio­nalem Recht erlaubte, so werden diese im Zuge der Reform weit­gehend durch direkt anwendbare EU-Ver­ord­nungen ersetzt. Und diese lassen den Staaten keinen Spielraum mehr: EU-Ver­ord­nungen gelten unmit­telbar in jedem EU-Mit­glied­staat. Abwei­chungen im natio­nalen Recht sind nicht möglich – den EU-Staaten ist es nicht einmal gestattet, gleich­lau­tendes natio­nales Recht zu erlassen.
Die EU hebelt nationale Par­la­mente aus
Das bedeutet schlicht: Immer dann wenn ein Rechts­gebiet durch eine EU-Ver­ordnung geregelt wird, hat der EU-Mit­glied­staat keine Befugnis mehr in diesem Rechts­gebiet, um  irgend etwas zu regeln. Das Gemeinsame Euro­päische Asyl­system (GEAS) bedeutet daher nichts anderes als: Im Bereich des Flücht­lings­rechts gibt es kaum noch Befug­nisse für die EU-Mit­glied­staaten, eigene Rege­lungen zu treffen.
Eine Lehre der ver­gan­genen Jahre war: Soli­da­rität in Europa gibt es im Asyl­be­reich nicht. Nur ein Bei­spiel: Deutschland hat 2017 mehr als 64 000 Über­nah­me­ersuchen an andere EU-Staaten gerichtet, weil nach hie­siger Auf­fassung andere EU-Länder für die Bear­beitung dieser Asyl­an­träge zuständig waren. In etwa 46 000 Fällen haben andere EU-Staaten den Ersuchen zuge­stimmt. Nur: Tasächlich erfolgt sind etwa 7000 Über­stel­lungen, nicht zuletzt deshalb, weil EU-Staaten — auch wenn sie einer Über­stellung zuge­stimmt hatten — tat­sächlich nicht zurücknehmen.
In das Bild passt, dass Deutschland von Januar bis April 2018 laut Eurostat über 50 000 Asyl­be­wer­ber­zu­gänge regis­triert hat. Das ist weit mehr als in jedem anderen EU-Land.  Frank­reich hat nicht einmal 28 000 (bis März), Schweden weniger als 6000, Grie­chenland etwa 13 000 und Italien – von dem nur Zahlen bis Februar vor­liegen – etwas mehr als 12000 auf­ge­nommen. Von den noch gerin­geren Zahlen der anderen Länder ganz zu schweigen. Tat­sache ist: Das euro­pa­recht­liche Zustän­dig­keits­system nach der Dublin-Ver­ordnung steht nur auf dem Papier, wie jüngst auch das Drama um die „Aquarius“ vor Augen geführt hat. Ita­liens neue Popu­listen-Regierung macht die Häfen dicht, um ihre „Wehr­haf­tigkeit“ zu demons­trieren. Und Spa­niens Sozia­listen prä­sen­tieren sich als huma­nitäre Not­helfer – ver­schweigen aber, dass die meisten Migranten an Bord direkt nach Frank­reich und Deutschland wei­ter­ziehen. Will­kommen in der Wirklichkeit!
Der müsste sich endlich auch Merkel stellen. Wenn Deutschland quasi über Nacht seine Grenze für bereits in der EU regis­trierte Flücht­linge schlösse, könnten Staaten wie Italien auf die Idee kommen, Neu­an­kömm­linge erst gar nicht mehr zu regis­trieren, mahnt die Kanz­lerin vor einem Durch­winken wie 2015. Doch sie blendet aus, dass das deutsche Grund­gesetz in dem Fall ein­deutig ist: Wer aus einem „sicheren Dritt­staat“ ein­reist, egal ob regis­triert oder nicht, kann sich nicht mehr auf das Grund­recht auf Asyl berufen! Und wer wollte bestreiten, dass EU-Staaten sicher sind?
Soli­da­rität nur auf dem Papier
Kleinster gemein­samer Nenner ist daher, die Aus­gaben für Migration und zum Schutz der Außen­grenzen, wie von der EU-Kom­mission vor­ge­schlagen, im neuen Jahr­zehnt auf 35 Mil­li­arden Euro fast zu ver­drei­fachen. Damit soll von 2021 bis 2027 auch die Auf­sto­ckung der EU-Grenz­schutz­be­hörde Frontex auf 10 000 Beamte berappt werden. Doch Vor­sicht: Die bei Frontex beschäf­tigten Mit­ar­beiter sind von den EU-Staaten ent­sandte Beschäf­tigte – die Frontex-Auf­sto­ckung bedeutet daher tat­sächlich, dass ins­be­sondere noch mehr deutsche Poli­zisten an die EU „aus­ge­liehen“ werden – folglich hier­zu­lande fehlen, was bei der der­zei­tigen Per­so­nal­aus­stattung zu neuen Pro­blemen führen wird. Zudem soll ein mit fast zehn Mil­li­arden Euro aus­ge­stat­teter Grenz­ma­nagement-Fonds geschaffen werden – zur Bekämpfung von Men­schen­schmuggel, für Ret­tungs­maß­nahmen auf See und für eine schnelle Unter­stützung besonders belas­teter Staaten. Das war’s dann aber auch schon mit dem Gemeinsinn!
„Die Basis eines funk­tio­nie­renden Staates ist doch, dass ein Land auch selbst darüber ent­scheidet, welche und wie viele Men­schen zuwandern dürfen“, posi­tio­niert sich Öster­reichs Kanzler Sebastian Kurz gegen Merkel und die mächtige EU-Kom­mission. Statt über die seit Jahren nicht funk­tio­nie­rende Ver­teilung von Flücht­lingen nach festen Quoten zu debat­tieren, will er lieber mit CSU-Chef Horst See­hofer und Ita­liens Innen­mi­nister Matteo Salvini eine „Achse der Wil­ligen“ zur Bekämpfung der ille­galen Migration schmieden. EU-Grenz­schützer sollen in Nord­afrika tätig werden, um Migranten an der Über­fahrt über das Mit­telmeer zu hindern – im Extremfall unter­stützt vom Militär.
Kurz’ Pläne stehen der von Brüssel ver­foch­tenen „humanen und effi­zi­enten Asyl­po­litik“ dia­metral ent­gegen, finden aber viel Zustimmung. Neben Italien und etwa Dänemark wissen auch die Visegrád-Staaten Polen, Tsche­chien, Slo­wakei und Ungarn, die sich gegen die Zwangs­um­ver­teilung von Flücht­lingen stemmen, was ihnen durch das Gemeinsame Euro­päische Asyl­system blühen würde.
Ist zum Bei­spiel in Deutschland bislang für Asyl und Flücht­lings­schutz das Asyl­gesetz maß­geblich, träten an dessen Stelle neue, über­ge­ordnete EU-Ver­ord­nungen. Deren Ziel­setzung ist nicht nur eine voll­ständige Anglei­chung der natio­nalen Asyl­systeme innerhalb der EU. Geregelt würde auch nahezu lückenlos, was als Ver­fol­gungs­handlung gilt oder unter welchen Vor­aus­set­zungen ein Schutz erlischt. Die Folgen wären tief­greifend. Was derzeit in den Pla­nungen ist, ist ein Geheimnis: Die EU-Kom­mission hatte im Sep­tember 2016 ihre wesent­lichen Vor­schläge für ein Gemein­sames Euro­päi­sches Asyl­system an den Bun­desrat zur Stel­lung­nahme gesandt. Der äußerst kom­plexe Text der Vor­schläge umfasste über 250 Seiten. Die Stel­lung­nahmen der Bun­des­länder mussten binnen weniger Tage abge­geben werden – auf Antrag von Nord­rhein-West­falen wurde dann der Tages­ord­nungs­punkt von der an sich am 28. Sep­tember 2016 vor­ge­se­henen Bun­desrats-Sitzung genommen, weil die Zeit viel zu kurz war, um Stellung zu nehmen. Bis Ende 2016 wurden dann die Stel­lung­nahmen in den Bun­des­ländern ein­geholt, wor­aufhin sich die EU-Kom­mission mit Schreiben vom 9. März 2017 beim Bun­desrat bedankte und schrieb, dass man hoffe, die offenen Fragen zu klären. Ob und inwieweit die viel­fachen Bedenken von deut­scher Seite inzwi­schen berück­sichtigt wurden, weiß man in den Bunds­ländern nicht.
Demnach befindet man sich auf EU-Ebene inhaltlich noch auf dem Stand von Ende 2016 – und diese sei­nerzeit von der EU-Kom­mission unter­brei­teten Vor­schläge haben es in sich:
Nur ein „Knack­punkt“ wäre die „Wahrung der Einheit der Familie“. Während die große Koalition in Berlin gerade den Nachzug von maximal 1000 Fami­li­en­an­ge­hö­rigen pro Monat auf den Weg gebracht hat, legt die EU-Kom­mission die Rege­lungen für Fami­li­en­an­ge­hörige recht groß­zügig aus. Wird einer Person „inter­na­tio­naler Schutz“ zuer­kannt, dann haben auch der Ehe­gatte, nicht ver­hei­ratete und in dau­er­hafter Beziehung lebende Partner, min­der­jährige Kinder und – sofern der Flüchtling min­der­jährig ist – Eltern oder andere ver­ant­wort­liche Erzieher einen Anspruch auf Auf­enthalt. Diese Ange­hö­rigen genössen die gleichen Rechte wie der­jenige, dem Schutz zuge­sprochen wurde. Der Fami­li­en­nachzug gälte auch in allen Fällen von sub­si­diärem Schutz – anders lau­tende nationale Rege­lungen wären damit aus­ge­hebelt. Auch die mühsam zwi­schen Union und SPD im Koali­ti­ons­vertrag aus­ge­han­delte Ober­grenze, die offi­ziell nicht so heißen soll, wäre Makulatur.
Der Innen­aus­schuss des Euro­pa­par­la­ments geht sogar noch zwei Schritte weiter als die EU-Kom­mission: Behauptet ein Flüchtling, Ver­wandte in einem Mit­glied­staat zu haben, die einen legi­timen Auf­ent­halts­status haben, soll der betref­fende Mit­glied­staat auto­ma­tisch zuständig für den neuen Asyl­antrag werden. Auf gut Deutsch: Das wäre in vielen Fällen die Bun­des­re­publik! Antrag­steller sollen sich auch zu Gruppen von bis 30 Per­sonen zusam­men­schließen können. Eine Ein­ladung, ganze Clans nach Europa zu bringen.
Par­allel will die Brüs­seler Büro­kratie in sage und schreibe 62 Artikeln allen EU-Staaten vor­schreiben, wie sie die Ver­wal­tungs­ver­fahren und später auch die gericht­lichen Ver­fahren nach ein­heit­lichen Stan­dards durch­zu­führen haben. Nicht allein, dass ein Schutz­su­chender Anspruch auf unent­gelt­liche Rechts­be­ratung via Anwalt haben soll, jede Anhörung ist auch audio­vi­suell auf­zu­nehmen. Und stellt ein unbe­glei­teter Min­der­jäh­riger einen Antrag, müssen ihm die Behörden spä­testens am fünften Arbeitstag nach Antrag­stellung einen Vormund bestellen. Käme dies zum Tragen, drohte nicht nur eine neue Kos­ten­lawine. Wegen des Vor­rangs von EU-Recht ver­treten viele Juristen sogar die Auf­fassung, dass das Grund­recht auf Asyl in Art 16a GG gestrichen werden muss: Da die Aner­ken­nungs­ver­ordnung der EU sehr genau die Defi­nition eines Flücht­lings und dessen Schutz­an­spruch regelt und es neben einer EU-Ver­ordnung kein natio­nales Recht geben dürfe, müsse auch Art 16a GG gestrichen werden.
So einig sich die euro­päische Schick­sals­ge­mein­schaft beim bes­seren Schutz ihrer Außen­grenzen ist, so wenig funk­tio­niert die soli­da­rische Ver­teilung von Schutz­su­chenden. Besonders die Hot­spots Italien und Grie­chenland betteln ver­geblich um mehr Bei­stand. Die Gräben sind tief und wei­terer Beweis das die EU nicht funk­tio­niert. Öster­reichs Kanzler Kurz hält die Quote ohnehin für gescheitert. Sie treibe den Keil zwi­schen den Staaten nur noch tiefer. „Wir können nicht länger jeden auf­nehmen, der es mit Hilfe eines Schleppers illegal in die EU schafft“, umreißt der ÖVP-Chef seine Linie. Die Flücht­lings­frage wird für die Europa zum Lack­mustest. Nicht nur für die EU, sondern auch für Merkel, die am Ende ihrer Kanz­ler­schaft steht. Mit unab­seh­baren Folgen für Deutschland.


Marc Friedrich und Mat­thias Weik sind stu­dierte Öko­nomen und vier­fache Best­seller-Autoren. Sie halten Vor­träge und schreiben Bücher (“Der Crash ist die Lösung”). Außerdem sind sie Gründer der Hono­rar­be­ratung Friedrich & Weik Vermögenssicherung.
Christof Völ­linger ist Redakteur bei der Fuldaer Zeitung