Gute Nachricht vergangene Woche: Nach der jüngsten Untersuchung des World Economic Forum (WEF) macht Deutschland in der globalen Wettbewerbsfähigkeit zwei Plätze gut, überholt die Niederlande und die Schweiz und liegt nun nach Singapur und den USA auf Platz 3. Es geht also voran, dürfte man da meinen. Da spielt auch keine Rolle, dass hinter dem Aufstieg Deutschlands eine geänderte Methodik steht. Der WEF verlässt sich weniger auf Expertenmeinungen, die vom Image eines Landes verzerrt sein könnten und blickt stattdessen auf die harten Fakten, vor allem die Innovationsfähigkeit. Weil Deutschland hier besonders gut dasteht – der WEF misst das an Patentanmeldungen, wissenschaftlichen Veröffentlichungen, den Fachkenntnissen und dem bereits an den Schulen geförderten kritischen Denken – sind wir für die Zukunft gut gerüstet. Trotz schlechter Breitbandinfrastruktur und fehlenden IT-Fähigkeiten – Themen, von denen man annehmen könnte, dass sie gerade für die Zukunft eine Rolle spielen – macht uns also so schnell niemand was vor. So das WEF.
Schlechte Nachricht vergangene Woche: Nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) ist der deutsche Staat einer der Ärmsten der Welt. Für die Studie wurden 31 Länder untersucht, die immerhin für 61 Prozent des Weltbruttoinlandsprodukts stehen und über ein Nettovermögen von über 100 Billionen US-Dollar verfügen. Zum Vermögen zählt der Fonds dabei Bodenschätze, Infrastruktur, öffentliche Unternehmen und finanzielle Assets, wie beispielsweise Staatsfonds. Abgezogen werden davon die offiziell ausgewiesenen Schulden der Staaten, aber auch die verdeckten Verbindlichkeiten wie beispielsweise für Pensionen. Wenig überraschend liegt Norwegen in der Untersuchung an der Spitze, dank des schon seit Jahren existierenden und gut gemanagten Staatsfonds, der die Öl- und Gaseinnahmen des Landes weltweit Ertrag bringend investiert. Auf Platz zwei gefolgt von Russland, welches von geringer Verschuldung und enormen Rohstoffvorräten profitiert. Am anderen Ende des Spektrums, also mit geringem Vermögen, rangieren Staaten wie Portugal, England, Frankreich und eben Deutschland.
Deutschland altert rapide und der deutliche Rückgang der Erwerbsbevölkerung setzt gerade ein. Der geburtenstärkste Jahrgang, der 1964er, hat nur noch zehn bis 15 aktive Jahre vor sich. Spätestens jetzt müssten wir für das Alter vorsorgen, Vermögen bilden und künftige Einkommen sichern. Ein Blick hinter die Fassade verrät schnell, dass es Deutschland ergeht wie einem Mittfünfziger, der seine Hausaufgaben für die Altersvorsorge nicht macht. Wir überschätzen die Sicherheit unseres Arbeitsplatzes, wir überschätzen die reale Kaufkraft unseres Einkommens, wir überschätzen die Reserven fürs Alter und wir geben zu viel Geld für die falschen Dinge aus.
Der Exportweltmeister ist in Wahrheit ein armes Land. Abgewirtschaftet von einer falschen Politik, die Konsum vor Investitionen stellt.
Ein ernüchternder Blick auf Deutschland
Blickt man mit etwas Abstand auf Deutschland, kommt man zu einer ausgesprochen ernüchternden Einschätzung: Wir leben in einer Wohlstandsillusion und sorgen nicht vor. Im Gegenteil bürdet uns die Politik immer weitere Lasten auf. Knapp zusammengefasst müssen wir Deutschland so sehen:
- Wir erleben einen wackeligen Boom, der auf erheblichen Fehlentwicklungen in der Welt basiert: Einem schwachen Außenwert des Euro, viel zu tiefen Zinsen und einer zunehmenden Verschuldung der Länder, in die wir unsere Waren verkaufen.
- Unsere Wirtschaft ist in einem historisch einmaligen Umfang abhängig vom Export, was die Krisenanfälligkeit erhöht. Kommt es zu einer Abschwächung der Konjunktur in China, den USA oder Europa, trifft es uns überproportional.
- Die erheblichen Überschüsse im Export führen zunehmend zu protektionistischen Tendenzen in der Welt, die zusätzlich das Risiko deutlicher Einbrüche im Export und damit der deutschen Konjunktur erhöhen. Die Strafzölle der USA sind ein bedrohliches Zeichen.
- Die Exporterfolge und damit die wirtschaftliche Entwicklung basiert auf Industrien, die wir schon aus dem Kaiserreich kennen: Automobil, Maschinen- und Anlagenbau und Chemie dominieren. In neuen Branchen wie der Internetwirtschaft haben wir weitgehend den Anschluss verloren.
- Die Stütze der deutschen Wirtschaft ist die Automobilindustrie, die vor einer existenziellen Krise steht. Dieselskandal und technologischer Umbruch gefährden den technologischen Vorsprung und es ist nicht sicher, dass es unserer Industrie gelingt, den Wandel zu meistern.
- Das Ausland forciert den technologischen Wandel nicht nur aus Umweltschutzgründen, sondern auch, weil er eine willkommene und legale Möglichkeit ist, den Wettbewerber aus Deutschland zu schwächen.
- Unsere relativ hohen Einkommen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf – sind somit nicht nachhaltig. Im Gegenteil stehen sie auf sehr tönernen Füßen.
- Mit Blick auf die Vermögen der Privathaushalte müssen wir festhalten, dass das Vermögen in Deutschland nach den offiziellen Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) deutlich unter dem Niveau der Nachbarländer liegt. Wir vollbringen also das „Wunder“, gut zu verdienen, und trotzdem relativ arm zu sein.
- Die Ursachen für die geringeren Vermögen der privaten Haushalte sind vielfältig: Eine besonders hohe Abgabenbelastung für die Mittelschicht, eine Präferenz der Bürger für schlecht verzinste Anlagen wie Sparbuch und Lebensversicherung als Folge eines mangelnden Verständnisses für Wirtschaft und Geldanlage sowie einer Politik des Staates, der diese Sparformen gefördert hat, auch um sich eine günstige Finanzierung zu sichern.
- Umgekehrt besitzen deutsche Privathaushalte besonders wenig Aktien und Immobilien im Vergleich zu den Haushalten in anderen Ländern. Diese beiden Anlageklassen weisen nicht nur eine besonders hohe Verzinsung auf, sie profitieren zudem überproportional von unserer Geldordnung, die Verschuldung begünstigt, die wiederum zu steigenden Vermögenspreisen beiträgt.
- Die Rettungspolitik der EZB, die mit dem milliardenschweren Aufkaufprogramm für Wertpapiere und Negativzinsen den Euro am Leben erhält, verstärkt die negativen Folgen unseres Sparverhaltens: Sachwertbesitzer und Schuldner profitieren, während Geldvermögensbesitzer die großen Verlierer sind. Eine Umverteilung von arm zu reich.
- Großer Profiteur der tiefen Zinsen ist der deutsche Staat, der alleine aufgrund der gesunkenen Finanzierungskosten eine „schwarze Null“ erwirtschaftet und die Schulden senkt. Der Überschuss im Staatshaushalt verstärkt jedoch die einseitige Exportorientierung unserer Wirtschaft, die nicht nur zu einem großen Handelsüberschuss führt, sondern auch zu einem erheblichen Kapitalexport in das Ausland.
- Auch diese Mittel legen wir erfahrungsgemäß schlecht an. So verloren deutsche Banken und Versicherungen Milliarden im Zuge der Finanzkrise und es ist abzusehen, dass wir bei den unvermeidlichen Schuldenrestrukturierungen in der überschuldeten Welt weitere erhebliche Verluste erleiden werden.
- Prominentestes Beispiel für die schlechte Anlage unserer Ersparnisse sind die Target2-Forderungen der Bundesbank, die mittlerweile mehr als 12.000 Euro pro Kopf der hier lebenden Bevölkerung ausmachen. Kredite, die wir zins- und tilgungsfrei ohne jegliche Sicherheit im Euroraum gewähren und die uns zudem immer mehr erpressbar machen.
- Die Politik hat währenddessen an den falschen Enden gespart. Obwohl die Einnahmen sprudeln wie noch nie und die Zinsersparnis Haushaltsüberschüsse ermöglicht, hat die Politik auf Konsum – Stichwort Renten und Sozialausgaben – gesetzt, statt in die Zukunft des Landes zu investieren. Ein Blick auf verfallende Infrastruktur und das Bildungswesen genügt. Unser Staat lebt von der Substanz und senkt unsere künftigen Einkommen, statt sie zu sichern.
- Derweil ist die sauber berechnete Verschuldung des Staates deutlich gestiegen. Berücksichtigt man die verdeckten Verbindlichkeiten für künftige Renten und Pensionen, tut sich eine signifikante Lücke auf. Vorsorge sieht anders aus.
Das Märchen vom reichen Land
Arme Bürger, armer Staat. Das ist nicht das, was in das gängige Credo vom „reichen Land“ passt, dem beliebig weitere Lasten aufgebürdet werden können. Doch genau diese Lasten legt uns die Politik in grenzenloser Missachtung unserer wirklichen Leistungsfähigkeit auf.
Zum einen glauben deutsche Politiker, man müsse zur Sicherung der Exportmärkte alles tun, um den Euro zu retten. Diese Rettungspolitik entspricht jedoch einer Umverteilung von arm zu reich innerhalb der Eurozone, sind doch die Privathaushalte in Italien, Frankreich und Spanien deutlich vermögender als die deutschen. Diese Länder verfügen also über genug eigene Ressourcen um mit ihren Problemen umzugehen. Das gilt namentlich für Italien.
Auch die Sicherung der Exportmärkte entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Subventionsprogramm für unsere Exportindustrie, welches wir selber bezahlen. Denn einhergehend mit den Exportüberschüssen bauen wir immer größere Forderungen gegen das Ausland auf, die nicht so werthaltig sind, wie sie scheinen. Namentlich die Target2-Forderungen sind zins- und tilgungsfreie Kredite an das Ausland.
Zum anderen herrscht der Glaube, wir könnten die fehlende Vorsorge in den Sozialkassen durch Migration kompensieren. Theoretisch kann dies unter zwei Annahmen funktionieren. Erstens: Die Zuwanderer müssen im Durchschnitt so produktiv wie die bereits hier lebende Bevölkerung sein, also entsprechend am Erwerbsleben teilnehmen und verdienen. Und zweitens: Da Zuwanderer ebenfalls alt werden, muss es auch in Zukunft gelingen, ähnlich qualifizierte Zuwanderer anzulocken.
Beide Annahmen erfüllen wir in der Praxis nicht. So liegt die Produktivität der Zuwanderer schon seit Jahren deutlich unter jener der schon hier lebenden Bevölkerung. Namentlich bei Zuwanderern aus dem muslimischen Raum ist zu konstatieren, dass sowohl Erwerbsbeteiligung wie auch Einkommen deutlich unter dem Schnitt liegen. Übersetzt bedeutet dies, dass diese Zuwanderer aus dem Blickwinkel der gesamtstaatlichen Finanzierung ein erhebliches Defizit mit sich bringen. Professor Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg schätzt beispielsweise, dass alleine pro Zuwanderer des Jahres 2015, 450.000 Euro an Nettokosten in den kommenden Jahrzehnten zusammenkommen.
So stellt unsere Art der Zuwanderung eine erhebliche Last – konkret in der Größenordnung von über einer Billion Euro – dar und trägt eben nicht zur Finanzierung des Gemeinwesens bei.
Verglichen mit diesen beiden Großbaustellen nehmen sich die anderen politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre (überstürzte Energiewende mit rund 500 Milliarden, unterlassene Investitionen in Infrastruktur mit kurzfristig 120 Milliarden und langfristig rund 750 Milliarden Euro, etc.) wie Rundungsdifferenzen aus. Ich kann es nicht anders sagen: Politik und Medien berauschen sich am Gedanken des reichen Landes, welches sich alles Erdenkliche leisten kann. Doch das ist ein Märchen.
Es bleibt nicht viel Zeit
Noch können wir umsteuern, wie ich in meinem neuen Buch, „Das Märchen vom reichen Land – Wie die Politik uns ruiniert“ zeige. Dies setzt allerdings einen grundlegenden Politikwechsel voraus, der Investition und Zukunftssicherung vor Konsum und Ideologie stellt.
Leider sieht es genau danach nicht aus. Deshalb können wir als Bürger nur versuchen, mit unserer Stimme einen Wandel zu befördern und als Investoren den einzigen zulässigen Schluss ziehen: Unsere Ersparnisse außerhalb Deutschlands anzulegen.
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com
→ wiwo.de: „Wie die Politik uns ruiniert“, 25. Oktober 2018