Von Government of Argentina - g20.org/es/prensa/kit-de-prensa, CC BY 2.5 ar, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=64621664

G20-Gipfel in Buenos Aires: Spesen, Speisen, Raute – und sonst nix?

Die „Mäch­tigen“ erscheinen hilflos – ein meist ernst gemeinter Kom­mentar von Peter Helmes

„Hilflos“? Nun ja, was da in den letzten zwei Tagen in Buenos Aires zusam­menkam, sind über­wiegend wirt­schaft­liche Schwer­ge­wichte. That´s it! Und damit wäre das Wich­tigste bereits gesagt.
Aber die Staats- und Regie­rungs­chefs der G20 reprä­sen­tieren 64 Prozent der Welt­be­völ­kerung und 80 Prozent der glo­balen Kauf­kraft. Klingt beein­dru­ckend, aber das ist nur die halbe Wahrheit. 
Diese (gefühlten) Wich­tigtuer, äh die Wich­tigsten der Wich­tigen, haben zum größten Teil ein Manko mit­ge­bracht, das ihnen wie ein Klotz am Bein hängt: Ihre poli­tische Bedeutung hält mit ihrer wirt­schaft­lichen Macht nicht schritt. Ob innen- oder außen­po­li­tisch – in vielen Teil­neh­mer­staaten beherr­schen poli­tische Kon­flikte oder per­sön­liche Krisen den poli­ti­schen Alltag.
Erschwerend kommt hinzu, daß die Einfluß- und Wirkzeit etlicher Teil­nehmer sich dem Ende zuneigt – der Name Merkel steht geradezu sym­bolhaft für poli­ti­sches Siechtum in der End­phase. Die Raute ist aus­ge­leiert und hat aus­ge­dient – auch wenn die Rau­tenfrau bräsig behäbig in vor­derster Reihe des obli­ga­to­ri­schen Gruppen-Photos zu sehen ist und mit der Raute ihr Baby-Bäuchlein zu ver­decken ver­sucht. Tschul­digung, irren ist menschlich – Bäuchlein kann auch vom guten Essen kommen.Sym­bo­lisch auch im Grup­pen­photo: Der argen­ti­nische Prä­sident Macri hatte sich zwi­schen Trump und Xi gestellt, damit sich die beiden nicht in die Haare geraten – und Saudi-Ara­biens Kron­prinz bin Salman stand am Rand, weil nach dem Khashoggi-Mord (offi­ziell) niemand mit ihm reden wollte.
Und Photos „von draußen“ boten sich diesmal genauso wenig an wie bei den letzten Treffen:
Vor dem Gip­fel­ge­bäude tobten die Pro­teste. Mit ein bißchen Ehr­lichkeit zu sich selbst darf das auch nicht ver­wundern. Denn niemand könnte den Demons­tranten die Pro­test­kund­ge­bungen ver­denken, solange die feinen Herr­schaften da drinnen über die Steuerung von Handel und Wohl­stand in der Welt bestimmen und wenig Neigung zeigen, sich um die Sorgen ihrer „ein­fachen“ Bürger zu kümmern. Klar, die machen auf einem Grup­pen­photo auch nichts her, nicht mal für ein klein­for­ma­tiges Bild fürs Sil­ber­rähmchen zuhause auf dem Büffet auf einem Häkeldeckchen.
Es ist mehr als sym­bo­lisch, daß Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel ver­spätet zum Gipfel kam, weil das Flugzeug der deut­schen Regierung eine Panne hatte. Jah­relang war Merkel eine Schlüs­sel­figur und trei­bende Kraft der G20. Jetzt ist sie nicht nur in Deutschland auf dem Weg nach draußen. Der Rückzug von Merkel sym­bo­li­siert das Ver­kümmern des Mul­ti­la­te­ra­lismus. Die G20 sind nicht länger das Fun­dament des Mul­ti­la­te­ra­lismus, sondern werden – wie es derzeit aus­sieht – zunehmend eine Plattform für Kon­flikte, Bila­te­ra­lismus und den Rückzug auf den eigenen Staat.
Auf den Bauch gefallen 
Die Idee von Argen­ti­niens Prä­sident Macri war ursprünglich, den G20-Gipfel nach Buenos Aires zu holen, um sich dort als erfolg­reicher Staatsmann zu prä­sen­tieren. Das bräuchte er dringend; denn es ist kei­neswegs aus­ge­schlossen, daß seine Kon­tra­hentin Kirchner wieder an die Macht kommt. Aber ange­sichts der aktu­ellen geo­po­li­ti­schen Lage war es ein eher ent­täu­schendes Schauspiel.
Die Sorgen der Inves­toren über eine frag­würdige Zukunft des Landes bleiben. Unsi­cherheit und Furcht – das ist aber genau das, was Argen­ti­niens Wirt­schaft lähmt. Wenn Macri wie­der­ge­wählt werden will, muß er – und das kann er nur mit Hilfe der G20 – erreichen, daß die Kon­junktur recht­zeitig wieder anspringt.
Kein Trump-Eklat
In Buenos Aires ver­kniff sich Trump selbst jeg­liche Eska­lation, auch wenn seine Posi­tionen hinter den Kulissen die Ver­hand­lungen erschwerten. Im Han­dels­streit mit China legte der Mann, der mona­telang zuge­spitzt hatte, nun eine Waf­fen­pause ein. Der US-Prä­sident ver­hielt sich bemer­kenswert zahm. So entfiel das übliche poli­tisch kor­rekte Trara um den Kli­ma­wandel ebenso wie eine Behandlung des Themas Migration. Um nicht in die Bre­douille zu geraten, schwänzte Trump ganz einfach etliche der dazu gehö­renden Arbeits­sit­zungen. So ent­fielen in der Abschlu­ßer­klärung ent­spre­chende Bekundungen.
Ver­ein­barung mit China
Selbst den Chi­nesen kam Trump beim Reizwort „Han­dels­krieg“ ent­gegen. Trump hatte zuvor Straf­zölle von zehn Prozent auf chi­ne­sische Waren im Wert von 250 Mil­li­arden Dollar erlassen – und gedroht, diese zum Jah­res­beginn auf 25 Prozent hoch­zu­fahren. Diese erheb­liche Auf­sto­ckung setzt der US-Prä­sident nun aus.
Der Ver­zicht gilt laut Weißem Haus für 90 Tage. Bis dahin wollen Washington und Peking über eine ganze Reihe von Streit­themen Ver­stän­di­gungen erzielen: Es geht um Tech­no­lo­gie­transfer, Schutz geis­tigen Eigentums, Han­dels­bar­rieren, Cyber-Dieb­stahl und Land­wirt­schaft. In all diesen Feldern drängt Trump seit Monaten auf Zugeständnisse.
Die Regierung in Peking habe immerhin zugesagt, eine „sehr sub­stan­zielle“ Menge Agrar­pro­dukte, Indus­trie­güter, Ener­gie­träger und andere Pro­dukte aus den USA ein­zu­führen, um den Han­dels­über­schuss zu redu­zieren, hieß es von US-Seite.
Zudem ver­zichtete Trump auf zwei Ereig­nisse, die zu tur­bu­lenten Szenen hätten führen können. Zunächst auf ein for­melles Treffen mit Putin, dann auf seine eigentlich so geliebte inter­na­tionale Pres­se­kon­ferenz. Als Gründe wurden die Kon­fron­tation auf der Krim und der Tod Bushs genannt. Trump sprach mit Putin nur am Rande des Abend­essens, außerhalb der Reich­weite der Jour­na­listen. Klug gehandelt – und den ewigen Trump-Waden­beißern kräftig ins Handwerk gepfuscht!
Der G20-Gipfel verlief also, was Trumps Auf­tritt angeht, ganz anders als das Vor­jah­res­treffen in Hamburg oder die G7- und Nato-Treffen im Sommer, bei denen Trump für mehrere Eklats sorgte. Den lie­ferte statt­dessen ein Hand­schlag Wla­dimir Putins mit dem sau­di­schen Kron­prinzen Mohammed bin Salman. Und natürlich fehlte bei diesem „neuen“ Trump auch nicht die weiße Salbe für „Angela“. Trump lobte Merkel vor der Presse über den grünen Klee. Die Kanz­lerin sei von „jedermann hoch respek­tiert, auch von mir“. Na dann is ja allet jut!
Keine geo­po­li­tische Entspannung
Doch ehe ich hier in Romantik ver­falle: Dazu wäre kein Anlaß, gar keiner! Das dies­jährige G20-Treffen in Buenos Aires konnte – wie alle Jahre wieder – nicht im Geringsten die geo­po­li­ti­schen Span­nungen dieser Welt über­decken. Der Han­dels­krieg zwi­schen den USA und China, der das Risiko birgt, in einen neuen Kalten Krieg abzu­gleiten, ist nur einer der großen Kon­flikt­linien. Die Eska­lation der mili­tä­ri­schen Span­nungen zwi­schen Russland und der Ukraine ist ein wei­terer unge­löster Brandherd. Das Problem Migration schien aller­dings dank des Mer­kel­paktes „Wohl­stand für alle“ – offi­ziell „Migra­tions- und (separat) Flücht­lings-Pakt“ – zur welt­weiten Zufrie­denheit geregelt: Freie Bahn für „Ihr Kin­derlein kommet, oh kommet zuhauf!“ Und sie kommen hau­fen­weise. Aber das ist eine andere Baustelle…
 Das Treffen zwi­schen Xi und Trump legte eines scho­nungslos offen: Manche Länder hatten sich wohl ins­geheim gedacht, wenn China im Mit­tel­punkt der Han­dels­kon­flikte stünde, kämen sie selbst eini­ger­maßen ver­schont davon. Diese Rechnung ging nicht auf. Denn vor Trumps Amerika-Abso­lu­tismus kann man sich nicht ver­stecken. China mit seiner Wirt­schafts­größe hin­gegen hat etwas mehr Spielraum, um den Schaden in Grenzen zu halten. Außerdem haben die USA trotz des Han­dels­kriegs nicht auf­gehört, Pro­dukte aus China zu beziehen.
Das zeigt, daß sich China und die USA eher auf Augenhöhe begegnen, während die anderen Volks­wirt­schaften der Welt mehr von Amerika abhängen als umge­kehrt. Die G20-Mit­glieder sollten sich deshalb gegen Uni­la­te­ra­lismus zusam­mentun und für den Mul­ti­la­te­ra­lismus plä­dieren. Die G20-Treffen dürfen kein Forum nur für die wenigen Groß­mächte sein. Auch die Stimmen von mit­tel­großen und klei­neren Ländern müssen Gehör finden, auf dem Gipfel, aber auch über die Medien auf der ganzen Welt.
Ein Neben­aspekt: Putin schien aus­ge­sprochen gute Laune gehabt zu haben. Er begrüßte den sau­di­schen Dik­tator Mohammad bin Salman derart freund­schaftlich, daß ihr Treffen wie eine Thea­ter­szene wirkte. Putin und der sau­dische Prinz schienen am gemein­samen Tisch viel Spaß zu haben. Offenbar hatten die beiden ein­ander viel zu erzählen – viel­leicht auch, wie man Men­schen umbringt
Kein kon­struk­tiver Gedanke
Niemand wird erwartet haben, daß auf diesem Gipfel mehr als Gesten pro­du­ziert wurden – auch wenn diese eine gewisse Dra­matik nicht ent­behren ließen. Catch as catch can. Es fehlte der kon­struktive Gedanke, es fehlt der Wille zum Kompromiß.
Ver­zweifelt auf Sym­bol­wir­kungs­ef­fekte hoffend, jagten sich die Großen von Termin zu Termin, sagten ab, dann wieder zu, Putin mit Trump, Merkel mit Putin, alle mit Xi, dem scheinbar All­mäch­tigsten, oder wieder alles abgesagt – und neu ver­einbart. Niemand mit Saudi-Kron­prinz Salman, aber (fast) alle hinterm Rücken. Die Welt sieht ja nix – und schaut weg. Kas­hoggi who? Trump war anzu­merken, daß ihn das alles anödete.
Mit Blick auf den Jemen­krieg und die Ermordung des Jour­na­listen Jamal Khashoggi hatten sich wohl einige gefragt, ob Saudi-Arabien viel­leicht einen unbe­deu­ten­deren Reprä­sen­tanten schicken würde. Die Gegner der Saudis haben es mit ihrer Kam­pagne aber nicht geschafft, das König­reich zu iso­lieren oder den Kron­z­prinzen von seiner Teil­nahme abzu­halten. Mehr noch: Das Ansinnen des Landes, im Jahr 2020 den G20-Gipfel in Riad aus­zu­richten, wurde angenommen.
Damit hat auch der sau­dische Kron­prinz Bin Salman dem Gipfel seinen Stempel auf­ge­drückt. Alle wissen, daß er der Draht­zieher des Mordes an dem Jour­na­listen Kas­hoggi ist. Trotzdem hat er es gewagt, an dem Treffen teil­zu­nehmen. Nicht nur das, er hat sich auch mit dem fran­zö­si­schen Prä­si­denten Macron, der bri­ti­schen Regie­rungs­chefin May und dem rus­si­schen Prä­si­denten Putin getroffen. Zwar hatte US-Prä­sident Trump seine Begegnung mit Salman abgesagt, aber laut der sau­di­schen Dele­gation haben sich beide informell getroffen.
Der Draht­zieher des Kas­hoggi-Mordes kam non­chalant zum Gipfel. Und es sah so aus, als wäre er dort reha­bi­li­tiert worden. Fazit: Er kam als Mörder und ging als Edelmann. So geht poli­tische Kultur! Wieder einmal wurde klar, daß es bei solchen Gip­fel­treffen weniger um Gerech­tigkeit geht, sondern nur ums Geld. So ist schon die Basis der G20-Gipfel aus­gelegt: Wer Geld hat, kriegt mehr davon. Wer keins hat, bleibt draußen.
Frus­tration und frag­würdige Kom­pro­misse sind der Nor­mal­zu­stand im Staa­ten­ge­schäft. Aber selten ist die destruktive Dynamik der Welt­po­litik so plas­tisch sichtbar wie bei dem Treffen der G20-Staaten in Buenos Aires.
Lame-duck Grandma Angela
Früher hätte ich das Termin- bzw. Gesprächs­ge­würge als Kin­der­garten bezeichnet. Aber da hätte es dann wenigsten eine Hort-Mutti gehabt, die mit strenger Miene die Kinder beauf­sichtigt. In Buenos Aires herrschte – besser gesagt gab´s keine Auf­se­herin. Die jah­re­lange Welt­mutti fand sich als „lame-duck-Grandma“ zur Seite geschoben, zumal ihr ihre Lieb­lings­tochter Ursula vdL ein Play­mo­bil­flugzeug in die Bun­des­wehr­flug­be­reit­schaft beordert hatte, bei dem die Auf­zieh­feder versagte.
Kurz und (nicht) gut: In diesem G20-Kin­derhort fanden sich (ohne qua­li­tative Wertung bitte!) Prinzen, Prä­si­denten, Kanz­ler­etten, Piraten, Mörder und allerlei Rän­ke­schmiede in einer Art Rund­lob­ge­sell­schaft zusammen: Ich liebe Dich, und Du liebst mich – und da liegt alles drin!
Ein mageres Ergebnis: Eigen­in­ter­essen zählen – das ist alles! 
Die Teil­nehmer konnten kaum darüber hin­weg­täu­schen, worum es ihnen in Wahrheit geht: ihre Eigen­in­ter­essen. Was immer für Bot­schaften geplant waren – am Ende kommt allen­falls eine Mini­ma­lerklärung zustande. Was waren bei­spiels­weise vor zehn Jahren nach dem Zusam­men­bruch von Lehman Brothers noch für Ankün­di­gungen gemacht worden: Eine neue Welt­wirt­schafts­ordnung sollte ent­stehen! Aber schon bald darauf war alles wieder wie vorher.
Das Drehbuch für den dies­jäh­rigen Gipfel in Buenos Aires hätte von Shake­speare stammen können. Es gab Verrat und Intrigen, aber auch ein großes Grup­penbild. Die Krim sorgte zwar für Ver­wer­fungen, aber die Absage des offi­zi­ellen Treffens zwi­schen US-Prä­sident Trump und dem rus­si­schen Prä­si­denten Putin war nur eine Insze­nierung. Die Affäre um eine mög­liche rus­sische Ein­mi­schung in den US-Wahl­kampf wiegt für Trump schwerer, und ganz abge­sehen davon ver­tragen sich Trump und Putin im Grunde gut
Im Gegensatz zu frü­heren Treffen gibt es diesmal keine Absichts­er­klärung, Pro­tek­tio­nismus zu ver­meiden. Die Erklärung weist lediglich darauf hin, daß das der­zeitige Han­dels­system die Ziele nicht erreicht hat, und daß Ver­bes­se­rungs­bedarf besteht. Die G20-Länder begrüßten zwar das derzeit starke Wirt­schafts­wachstum weltweit, räumten jedoch ein, daß es einige finan­zielle Risiken und Span­nungen in Han­dels­be­zie­hungen gibt. Einigkeit zeigte sich nur in Beleids­be­kun­dungen ange­sichts des Todes des ehe­ma­ligen US-Prä­si­denten George W. Bush senior.
Ein eher mageres Ergebnis, ein beschä­mendes Fazit.
 


www.conservo.wordpress.com