Türkei: Inhaf­tierung von Dis­si­denten bei gleich­zei­tigem Betteln um die EU-Mitgliedschaft

von Uzay Bulut

  • Erdogan hielt nicht hinter dem Berg damit, dass seine Aus­sagen, die “Glau­bens­freiheit, Gedan­ken­freiheit und Mei­nungs­freiheit” ver­sprechen, Teil seiner “Vor­be­reitung auf die Kom­mu­nal­wahlen 2019” waren. Der tür­kische Prä­sident hat jedoch sehr wohl ver­schwiegen, dass seine Worte völlig falsch waren.
  • Am 19. Dezember wurde Prof. Şebnem Korur Fin­cancı, Prä­si­dentin der Men­schen­rechts­stiftung der Türkei (TIHV), zu zwei­einhalb Jahren Gefängnis ver­ur­teilt, weil sie 2016 eine von 2.212 Unter­zeichnern einer Petition “Aka­de­miker für den Frieden” war. In der Petition wird die tür­kische Regierung auf­ge­fordert, ihre Gewalt gegen die Kurden im Süd­osten der Türkei ein­zu­stellen. Fin­cancı ist eine von 429 Wis­sen­schaft­le­rinnen und Wis­sen­schaftlern, die zwi­schen dem 5. Dezember und dem 19. Dezember vor Gericht standen.
  • Erdoğan sagte nicht die Wahrheit, als er erklärte, dass jeder in der Türkei “Glau­bens­freiheit, Gedan­ken­freiheit und Mei­nungs­freiheit” genießen würde. Tat­sächlich sind die tür­ki­schen Gefäng­nisse und Zucht­häuser so voll von Men­schen, die wegen ihrer Über­zeugung inhaf­tiert sind, dass die Regierung gerade ange­kündigt hat, dass sie in den nächsten fünf Jahren 228 weitere Gefäng­nisse bauen wird, um der Über­be­legung Rechnung zu tragen.
  • Gleich­zeitig ver­stärkt die Türkei ihr jahr­zehn­te­langes Bestreben, Mit­glied der Euro­päi­schen Union zu werden. Im Rahmen dieser Kan­di­datur kün­digte der tür­kische Jus­tiz­mi­nister Abdul­hamit Gul am 11. Dezember an, dass er eine neue Stra­tegie für die Jus­tiz­reform vor­legen werde. Unter keinen Umständen darf sich die EU durch einen so trans­parent trü­ge­ri­schen und betrü­ge­ri­schen Schritt täu­schen lassen.

Bei einer Kund­gebung in Ankara im Sommer, die von der Frau­en­ab­teilung der regie­renden tür­ki­schen Partei für Gerech­tigkeit und Ent­wicklung (AKP) abge­halten wurde, kün­digte der tür­kische Prä­sident Recep Tayyip Erdoğan an:
“Von nun an wird es keinen Kampf mehr für Glau­bens­freiheit, Gedan­ken­freiheit und Mei­nungs­freiheit geben. Jeder wird in seinem eigenen Glauben frei sein [und] frei, ent­spre­chend zu leben. Jeder wird die Freiheit haben, zu sagen, woran er glaubt.”
Erdogan hielt nicht hinter dem Berg damit, dass seine Aus­sagen bei der August­ver­sammlung Teil seiner “Vor­be­rei­tungen auf die Kom­mu­nal­wahlen 2019″ waren, die für den 31. März geplant sind. Der tür­kische Prä­sident hat jedoch sehr wohl ver­schwiegen, dass seine Worte völlig falsch waren.. Um dies zu ver­an­schau­lichen, lassen Sie uns einige der Men­schen­rechts­ver­let­zungen in der Türkei von Erdoğan betrachten, die allein in einem Monat, Dezember 2018, statt­ge­funden haben.
Am 19. Dezember, dem 40. Jah­restag des Mas­sakers von Maraş — bei dem 111 Ale­viten in der süd­öst­lichen Stadt Kahr­a­man­maraş abge­schlachtet wurden — erklärte der Gou­verneur von Kahr­a­man­maraş ein Verbot von Gedenk­ver­an­stal­tungen für die Opfer. Der Grund für das Verbot — ähnlich wie 2017, vor dem 39. Jah­restag des Mas­sakers — war die Ver­meidung einer “Störung der öffent­lichen Ordnung”.
Am 17. Dezember wurde Hamide Yiğit, eine Kolum­nistin auf der Nach­rich­ten­seite der linken Oppo­sition Sendika.org, wegen “offener Ver­un­glimpfung des Staates und der Regierung der Republik Türkei” zu sie­ben­einhalb Monaten Gefängnis ver­ur­teilt, weil sie in den sozialen Medien das Cover der dritten Ausgabe ihres Buches AKP’nin Suriye Savaşı (“Der Syri­en­krieg der AKP”) ver­öf­fent­licht hatte. Neben anderen “kri­mi­nellen” Bei­trägen von Yiğit — die zuvor wegen “Belei­digung des Prä­si­denten” zu mehr als einem Jahr Gefängnis ver­ur­teilt wurde — war die Aussage: “Eine freie Presse kann nicht zum Schweigen gebracht werden.”
Der Zugang zu Sendika.org selbst wurde am 5. Dezember — zum 62. Mal — von der tür­ki­schen Behörde für Infor­ma­tions- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logien (ICTA) gesperrt. Um die Blo­ckade zu umgehen, ver­wendete sie eine andere Web­adresse, sendika63.org. Am 6. Dezember gab die Seite bekannt, dass die ICTA die Blo­ckade auf­ge­hoben hat.
Sendika.org bean­tragte 2017 die Auf­nahme in das Guinness World Records Buch als “die am meisten blo­ckierte Website”.
Zum 14. Dezember befanden sich nach einem Bericht der Plattform für unab­hängige Jour­na­listen min­destens 169 Medi­en­ver­treter in tür­ki­schen Gefäng­nissen, ent­weder in Unter­su­chungshaft oder in Haft. Viele von ihnen wurden wegen Artikeln und Social-Media-Posts ver­haftet, die als “belei­digend” für Erdoğan galten. Berivan Bila, eine Jour­na­lis­mus­stu­dentin an der Tech­ni­schen Uni­ver­sität Kara­deniz zum Bei­spiel, wurde am 6. Dezember fest­ge­nommen, nachdem die Polizei ihr Haus durch­sucht und ihren Com­puter, ihr Handy, ihre Zei­tungen und ihre Bücher beschlag­nahmt hatte, über eine Mei­nungs­ko­lumne, die sie 2017 geschrieben hatte, mit dem Titel: “Schule des Jour­na­lismus — Lektion eins: Jour­na­lismus ist kein Verbrechen.”
Am 19. Dezember wurde Prof. Şebnem Korur Fin­cancı, Prä­si­dentin der Men­schen­rechts­stiftung der Türkei (TIHV), zu zwei­einhalb Jahren Gefängnis ver­ur­teilt, weil sie 2016 eine von 2.212 Unter­zeichnern einer Petition “Aka­de­miker für den Frieden” war. Die Petition mit dem Titel “Wir werden bei diesem Ver­brechen nicht mit­machen” for­derte die tür­kische Regierung auf, ihre Gewalt gegen die Kurden im Süd­osten der Türkei ein­zu­stellen. Die Angriffe haben zur Zer­störung großer Teile vieler über­wiegend kur­di­scher Städte geführt.
Laut der Nach­rich­ten­agentur Bianet ist Fin­cancı eine von 429 Wis­sen­schaftlern, die seit dem 5. Dezember vor Gericht gestanden haben.
Am 21. Dezember wurde Serhat Parlak, der Bruder des inhaf­tierten Jour­na­listen Ferhat Parlak, von der Polizei von Diyar­bakir fest­ge­nommen und dann wegen “Pro­vo­kation der Öffent­lichkeit” und “Pro­pa­ganda für eine ter­ro­ris­tische Orga­ni­sation” mit einer Geld­strafe belegt. Parlaks Ver­brechen? Trans­pa­rente auf­zu­hängen für seinen Bruder, der “von Polizei und Armee ins Visier genommenworden war für Nach­rich­ten­be­richte, die er über die 2015 in der Stadt Silvan ange­ordnete mili­tä­rische Aus­gangs­sperre und die Kor­ruption in der Gemeinde geschrieben hatte”.
Serhat’s und Ferhat’s Vater, Yaşar Parlak, eben­falls Jour­nalist, wurde 2004 in Diyar­bakir ermordet. Bis heute bleiben seine Mörder “uniden­ti­fi­ziert”.
Drei für den 19. Dezember geplante Ver­an­stal­tungen an der Tech­ni­schen Uni­ver­sität Nahost (METU) in Ankara wurden vom Prä­si­denten der Uni­ver­sität und von der Regierung Ankaras abgesagt. Am 20. Dezember erhielten die METU-Stu­denten eine E‑Mail der Ver­waltung, in der sie den Schritt erklärten. In der E‑Mail stand u.a.:
“Während des in unserem Land lau­fenden Wahl­pro­zesses werden die Podi­ums­dis­kus­sionen und/oder Treffen, die von poli­ti­schen Par­teien, Gemein­schaften, Insti­tu­tionen oder Orga­ni­sa­tionen außerhalb unserer Uni­ver­sität oder von Gruppen, die keine offi­zi­ellen Gemein­schaften an unserer Uni­ver­sität sind, abge­halten werden, nicht zugelassen.”
Die METU-Admi­nis­tration schloss außerdem die “Medi­en­gruppe” der Uni­ver­sität, die über das kürzlich erfolgte Verbot von stu­den­ti­schen Ver­an­stal­tungen und Demons­tra­tionen berichtet hatte.
In der Woche vom 3. bis 10. Dezember ermit­telte das tür­kische Innen­mi­nis­terium gegen 310 Social Media-Konten und unternahm recht­liche Schritte gegen 238 Nutzer wegen Ver­gehen wie “Belei­digung von Staats­be­amten” und Behin­derung der “unteil­baren Inte­grität des Staates”.
Am 11. Dezember, beim 5. inter­na­tio­nalen Cyber­crimes-Workshop in Ankara, sagte Innen­mi­nister Süleyman Soylu:
“Wir haben vir­tuelle Streifen gebildet, die rund um die Uhr arbeiten, um gegen kri­mi­nelle Inhalte im Internet zu ermitteln… In diesem Zusam­menhang wurden 2018 etwa 110.000 Social Media-Konten unter­sucht, die Nutzer von 45.000 Konten iden­ti­fi­ziert und 7.000 ver­haftet und an die Jus­tiz­be­hörden übergeben”.
All das zeigt deutlich, dass Erdoğan nicht die Wahrheit gesagt hat, als er vor bloß fünf Monaten erklärte, dass jeder in der Türkei “Glau­bens­freiheit, Gedan­ken­freiheit und Mei­nungs­freiheit” genießen würde. Tat­sächlich sind die tür­ki­schen Gefäng­nisse so voll von Men­schen, die wegen ihrer Über­zeugung inhaf­tiert sind, dass die Regierung gerade ange­kündigt hat, dass sie in den nächsten fünf Jahren 228 weitere Gefäng­nisse bauen wird, um der Über­be­legung Rechnung zu tragen.
Gleich­zeitig ver­stärkt die Türkei ihr jahr­zehn­te­langes Bestreben, Mit­glied der Euro­päi­schen Union zu werden. Im Rahmen dieser Kan­di­datur kün­digte der tür­kische Jus­tiz­mi­nister Abdul­hamit Gul am 11. Dezember an, dass er eine neue Stra­tegie für die Jus­tiz­reform vor­legen werde. Unter keinen Umständen darf sich die EU durch einen so trans­parent trü­ge­ri­schen und betrü­ge­ri­schen Schritt täu­schen lassen.


Quelle: Gatestone