Als Kinder*innen waren wir Rassist*innen, Antifeminist*innen und Hater*innen

Eine Hommage an die schlechte alte Zeit voller Mikro-Aggressionen!
Man kann sich das heute als junge® Mensch*in viel­leicht gar nicht mehr vor­stellen, aber früher, da waren Kinder*innen ganz und gar nicht sen­si­bi­li­siert auf Gen­der­studies, Mikro-Aggres­sionen oder Ras­sismus & Hate. Als ich 1991 ein­ge­schult wurde, da mussten wir nicht nur die Uhr kennen, nein, uns wurde auch bereits abver­langt, uns darüber im Klaren zu sein, ob wir ein Junge oder ein Mädchen waren. So ein Druck. Aus heu­tiger Sicht ein abso­lutes No-Go!
In den 90ern war sowieso vieles ganz schlimm. Damals wussten wir z.B. noch nicht, dass es ras­sis­tisch ist, sich zum Fasching als Indianer zu ver­kleiden, oder dass es ein(e) Kinder*in gewaltsam in eine Geschlech­ter­rolle presst, wenn es sich als Prin­zessin ver­kleidet. Gut, zu meiner Ver­tei­digung muss ich sagen, dass wir in meiner nord­deut­schen Heimat generell wenig über Fasching wussten – zu meiner Schande muss ich aber auch gestehen, dass wir damals noch nicht über die Wich­tigkeit des Zucker­festes auf­ge­klärt wurden und einen Girls-Day gab es auch noch nicht, und wenn Schwule*innen in Berlin nackig feiern wollten, dann mussten sie noch zur Love­parade gehen…

NEU! Hier bestellen!

Aber zurück zum Thema: Es kam also regel­mäßig vor, dass ein(e) Kind*in oder gleich mehrere aus einer Klasse, am Fasching als Indianer*in ver­kleidet zum Schulfest gingen. Das hatte damals in der Regel auch keine pro­vo­zie­rende Wirkung, auch nicht, wenn man zum spie­le­ri­schen Kriegs­heulen die Hand in kurzen Abständen vor den Mund legte. Beschä­men­der­weise hat uns damals niemand über diese Mikro-Aggres­sionen aufgeklärt.
Heute schäme ich mich sehr dafür, dass auch ich mich damals als Indianer ver­kleidete. Schlimmer noch, als ein Häuptling eines India­ner­stammes. Geschmückt mit einem Feder­kranz auf dem Kopf als Phal­lus­symbol des Urein­wohner-Matri­ar­chats kam mir damals gar nicht in den Sinn, wie belei­digend ich knapp 30 Jahre später auf die moderne, auf­ge­klärte, anti­ras­sis­tische und femi­nis­tische Gesell­schaft wirken würde.
Schlimmer noch, und ich hoffe, meine Beichte scho­ckiert Sie nicht zu sehr, denn ein Jahr später war ich großer Fan der in übelstem Sinne macho­haften und von brutal-hate durch­setzen TV-Serie „Das A‑Team“. Besonders angetan hatte es mir der farbige und mit Muskeln bepackte Mr. T in seiner Rolle als B.A. Baracus – ein Män­nerbild, wie man es heute, Gen­der­studies sei Dank, nur noch in Filmen unterster Schublade sehen muss. Ich bemalte damals meinen Ober­körper und mein Gesicht mit dun­kel­brauner Farbe und zog mir eine blaue Latzhose an, um den Look meines schlechten Ein­flusses zu imi­tieren. Es fehlten jedoch noch die vielen Gold­ketten, die den Schauspieler*in aus­machten. Nun, wir waren keine reichen Menschen*innen und meine Eltern*in auch an Mode­schmuck eher arm – und hätte ich meinen Eltern 2 (Jahrgang 1942) nach etwas „Bling Bling“ gefragt, hätte ich wahr­scheinlich eher eine schal­lende Ohr­feige kas­siert, anstatt einer Harald Glööckler-Kette. Es war leider damals auch noch nicht so, dass Eltern ihren Kindern einfach alles kauften, was sie ver­langten. Zusätzlich hatten Kinder*innen zu dieser Zeit noch keine so aus­ge­prägt ent­wi­ckelte Per­sön­lichkeit wie heute. Sich wil­lens­stark auf den Boden zu werfen und zu schreien, bis man bekommt, was man ver­langt, kannte man damals noch nicht.
Ich ging also in die Werk­statt und wickelte mir eine Eisen­kette um den Hals, die klim­perte auch herrlich und ich muss mir wohl gedacht haben, dass es etwas Sil­bernes auch tut – Haupt­sache Kette eben. Heute weiß ich, in meinem kind­lichen Ras­sismus habe ich mich als Sklave*in ver­kleidet. Das war keine Mikro-Aggression mehr, das war knall­harter Ras­sismus. Und das Schlimmste daran? Nie­manden ist es auf­ge­fallen! Meine Lehrer*innen haben mich nicht nach Hause geschickt, sie haben mich zusammen mit den anderen Kinder*innen, in ihren Indianer‑, Chinesen‑, Prin­zes­sinnen- oder Cow­boy­kos­tümen an unserer ras­sis­ti­schen und anti­fe­mi­nis­ti­schen Ver­blendung unge­hindert Spaß haben lassen.
Wenn heute endlich die ersten Kitas Indianer*innen*kostüme an Fasching ver­bieten, dann kann ich das also nur befür­worten! Es ist ein wich­tiger Schritt in eine auf­ge­klärte Gesell­schaft, in der sen­si­bi­li­sierte Kinder*innen keine Freude mehr an ras­sis­ti­schen oder anti­fe­mi­nis­ti­schen Kostümen*innen haben. Ich bin froh, dass mit Ascher­mittwoch zumindest in diesem Jahr dieser ganze Hate bereits ein Ende gefunden hat! Puhh!