Syrien: Neue Mel­dungen über Gift­gas­an­griff — Warum reagieren die USA über­ra­schend zurückhaltend?

Und wieder wird von einem Giftgas-Vorfall in Syrien berichtet, aber diesmal ist irgendwie alles anders, als bei den frü­heren Vor­fällen. Warum?
Die Geschichte der Giftgas-Vor­fälle in Syrien ist lang. Sie begannen, nachdem Obama seine rote Linie ver­kündet hatte, dass die USA im Falle vom Einsatz von Giftgas durch die syrische Regierung in den Krieg ein­greifen würden. Die Medien haben nie gefragt, ob Assad ein Selbst­mörder ist, wenn er ohne Not und mili­tä­ri­schen Nutzen plötzlich Giftgas ein­setzt, um die USA in den Krieg gegen ihn zu ziehen. Die Medien haben auch nie berichtet, dass von den Giftgas-Vor­fällen nur die Isla­misten pro­fi­tiert haben, weil sie zumindest zu US-Rake­ten­an­griffen gegen Syrien geführt haben.
Und in der Tat gibt es prak­tisch keine Hin­weise darauf, dass Assad Giftgas ein­ge­setzt hat. Wohl aber gibt es inzwi­schen bewiesene Fälle, in denen die Isla­misten Giftgas ein­ge­setzt und dann Assad beschuldigt haben. Eine Chro­no­logie der Giftgas-Vor­fälle finden Sie hier.
Der letzte Giftgas-Vorfall fand im letzten Jahr in der syri­schen Stadt Duma statt und führte zu einem mas­siven Rake­ten­an­griff der USA auf die syrische Armee. Der Angriff war nicht son­derlich erfolg­reich, über die Hälfte der Raketen erreichten nicht ihr Ziel. Gerüchten zufolge wurden sie von der rus­si­schen und syri­schen Luft­abwehr abge­fangen, wobei einige Raketen bewusst durch­ge­lassen wurden, damit die USA ihr Gesicht wahren konnten und nicht zu wei­teren Angriffen pro­vo­ziert werden. Die Raketen, die ihre Ziele erreichten, rich­teten jedoch fast keinen Schaden an.
So konnten beide Seiten ihr Gesicht wahren. Trump gene­rierte sich als harter Hund und beru­higte die US-Medien, er bekam in den Tagen sogar positive Presse, weil er endlich Syrien bom­bar­diert hatte. Aber er hatte eben auch keinen Schaden ange­richtet, sodass auch Russland und Syrien damit gut leben konnten.
In Moskau wurde danach übrigens eine moderne, fast unbe­schä­digte Tomahawk-Rakete der Presse prä­sen­tiert, die einfach in die Wüste gefallen war. Die rus­si­schen Tech­niker waren sehr glücklich, dieses eigentlich steng geheime Stück High-Tech nun in Ruhe stu­dieren zu können. Gerüchten zufolge haben die Russen die Rakete mit ihren neuen Radio­wellen-Waffen vom Himmel geholt. Diese Waffen deak­ti­vieren die Elek­tronik des Gegners, was bei so einer Rakete dazu führt, dass sie wie ein Stein vom Himmel fällt.
Generell hat Russland den Kon­flikt in Syrien genutzt, um den USA zu zeigen, dass die neuen rus­si­schen Waffen keine Papier­tiger sind, sondern wirklich gut funk­tio­nieren. Aus diesem Grund wurden die neuen rus­si­schen Marsch­flug­körper vom Typ Kalibr auf sehr kom­pli­zierten Flug­bahnen aus dem Kas­pi­schen Meer nach Syrien abge­feuert. Aus diesem Grund wurde auch das neue rus­sische Kampf­flugzeug SU-57 dort bei Kampf­ein­sätzen ein­ge­setzt, obwohl es zu dem Zeit­punkt noch in der Ent­wicklung war und es sich nur um Pro­to­typen han­delte. Die USA sollten sehen, was das Flugzeug leisten kann, obwohl es noch nicht einmal fertig ent­wi­ckelt und erst recht noch nicht in Serie gegangen war.
Aber zurück zum Giftgas. Nach dem Giftgas-Vorfall von Duma hat Russland mit­ge­teilt, dass es gar keinen Giftgas-Vorfall gegeben habe, alles sei Fake und die Videos der Weiß­helme seien eben­falls gestellt. In Den Haag sagten danach sogar Zeugen vor einem inter­na­tio­nalen Aus­schuss aus und bestä­tigten die rus­sische Version. Und im Februar, zehn Monate nach dem Giftgas-Vorfall von Duma, hat ein an den Auf­nahmen betei­ligter Redakteur der BBC offen zuge­geben, dass der Vorfall ein Fake und die Videos Fäl­schungen waren.
In den west­lichen Medien wurde darüber natürlich nicht berichtet, was das rus­sische Außen­mi­nis­terium scharf kri­ti­siert hat. Und nebenbei hat der Vorfall deutlich gezeigt, dass die angeb­lichen Helfer der Weiß­helme in Wirk­lichkeit mit den Isla­misten zusammen arbeiten und sie unter­stützen und die Geschichte über ihre Ret­tungs­ak­tionen reine Show-Ver­an­stal­tungen für die west­liche Presse sind. Denn bei der Insze­nierung des Giftgas-Angriffs auf Duma waren es die Weiß­helme, die das Video-Material pro­du­ziert und ver­breitet haben.
Nun also soll es einen neuen Giftgas-Vorfall geben, diesmal in der Region Idlib, wo Syrien mit rus­si­scher Unter­stützung ver­sucht, die Isla­misten zu ver­treiben. Diese Isla­misten sind ein Ableger von Al Qaida, wobei das die west­lichen Medien nicht daran hindert zu fordern, dass Syrien gegen die nicht vor­gehen soll. West­liche Medien und Politik fordern also, dass Syrien und Russland Al Qaida in Ruhe lassen sollen.
Und wie schon früher, gibt es auch diesmal Mel­dungen über den Einsatz von Giftgas. Diese Mel­dungen gab es immer dann, wenn die Isla­misten in die Enge getrieben waren und Syrien auf dem Vor­marsch war. Die Isla­misten hoffen, dass ihre Mel­dungen in der west­lichen Presse Ent­rüstung aus­lösen und die USA ein­greifen, und sei es auch „nur“ mit Marsch­flug­körpern. Nur diesmal scheint die Rechnung nicht aufzugehen.
Waren die USA früher schon Minuten nach Mel­dungen über Giftgas ganz sicher, dass diese Mel­dungen erstens wahr waren und zweitens natürlich Assad der Täter war, läuft es diesmal anders: Das US-Außen­mi­nis­terium meldet, es könne den Giftgas-Angriff (noch) nicht bestä­tigen und man beob­achte die Situation.

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Diese Wendung über­rascht, aber sie hat anscheinend Gründe. Vor erst einer Woche war US-Außen­mi­nister Pompeo in Russland und hat mit Putin und Außen­mi­nister Lawrow gesprochen. Über die Gespräche wurde wenig bekannt, für die Presse gab es ein paar Bilder und die üblichen diplo­ma­ti­schen Floskeln. Ich habe darüber aus dem Grund auch nichts geschrieben, es gab schlicht keine Infor­ma­tionen darüber, was tat­sächlich besprochen wurde, es gab nichts zu berichten.
Das hat sich heute ein wenig geändert. Der US-Son­der­be­auf­tragte für Syrien ist heute vor die Presse getreten und hat sich vor dem Hin­ter­grund des neuen, angeb­lichen Giftgas-Vor­falls geäußert. Und man hörte ganz neue Töne. So sei das Treffen von Pompeo mit Putin und Lawrow „aus­ge­prochen positiv“ gewesen:
„Wir akti­vi­sieren den poli­ti­schen Prozess im Rahmen der UNO. Wir arbeiten zur Errei­chung der Ziele eng mit unseren Partnern zusammen und bieten eine schritt­weise Umsetzung der Dees­ka­lation und des poli­ti­schen Pro­zesses im Ein­klang mit Reso­lution 2254. Darüber wurde bei­spiels­weise auch bei dem aus­ge­sprochen posi­tiven Treffen mit Putin und Lawrow gesprochen.“
Man reibt sich ver­wundert die Augen, wenn man solche Worte von einem Ame­ri­kaner hört, die ansonsten in letzter Zeit nur Ulti­maten und Sank­tionen ver­künden. Aber plötzlich hört man von den USA, dass Russland eine „wichtige Rolle bei der Lösung des Kon­fliktes spielen kann“:
„Wir meinen, dass Russland eine wichtige Rolle bei der Lösung des Kon­fliktes spielen kann, so wie es früher auch eine wichtige Rolle gespielt hat, um ihn zu ver­schärfen. Deshalb ist Außen­mi­nister Pompeo nach Sotschi gereist und hat sich mit Prä­sident Putin getroffen, weil Prä­sident Putin nach allem, was ich über das Treffen gehört habe, auch eine Lösung finden will, weil der Kon­flikt auch eine Bedrohung für Russland darstellt.“
Ganz ohne Sei­tenhieb auf Russland ging es wohl nicht, obwohl Russland in dem Kon­flikt seine Politik zu keinem Zeit­punkt geändert hat. Dieser Anschein soll wohl für das hei­mische Publikum erweckt werden, frei nach dem Motto „Russland ist in Syrien ver­nünftig geworden“.
Tat­sächlich scheinen die USA hier die Richtung geändert zu haben. Anstatt bei einem angeb­lichen Giftgas-Vorfall Russland zu ver­fluchen, wird Russland jetzt Honig um den Bart geschmiert.
Ich wüsste wirklich gerne, was in Sotschi besprochen wurde, dass die USA in Syrien ihre Linie zu ändern beginnen. So zumindest inter­pre­tiere ich die aktu­ellen Äuße­rungen der Ver­treter der USA.
Auch die deut­schen Medien halten sich plötzlich zurück. Der Spiegel spricht zum Bei­spiel diesmal von einem „mut­maß­lichen“ Giftgas-Angriff und zählt anschließend Quellen auf, die den Angriff nicht bestä­tigen können. Zwar wird in dem Artikel wie üblich gelogen, wenn es um die ver­gan­genen Vor­fälle geht, die der Spiegel immer noch Assad anhängt. Sogar der Vorfall von Duma wird erwähnt und Assad ange­hängt, obwohl inzwi­schen klar ist, dass es ihn gar nicht gegeben hat. Auch werden Russland und Syrien als böse dar­ge­stellt, weil sie eine Offensive durchführen.
Aber im Spiegel werden die Isla­misten, gegen Syrien und Russland vor­gehen, als das bezeichnet, was sie sind: als Ter­ror­or­ga­ni­sation. Dazu im Spiegel:
„Am Sonn­tag­vor­mittag meldete der dschi­ha­dis­tische Pro­pa­gan­da­dienst Ibaa einen Chlor­gas­an­griff auf Tal al-Kubaina. Ibaa bezeichnet sich selbst als Nach­rich­ten­agentur, ist aber de facto ein Sprachrohr der Ter­ror­or­ga­ni­sation ‘Hayat Tahrir al-Scham’ (HTS).“
Inter­essant, früher sprach der Spiegel in solchen Fällen von „gemä­ßigten Rebellen“, heute von „Ter­ro­risten“. Zum Teil also durchaus neue Töne.
Natürlich bringt es der Spiegel nicht über sich, mit­zu­teilen, dass „Hayat Tahrir al-Scham“ ein Ableger von Al Qaida ist, das wäre für den Spiegel wohl zu ehrlich.
Bleibt die Frage, was Putin und Pompeo tat­sächlich besprochen und worauf sie sich geeinigt haben. Und ob Russland für ein Ent­ge­gen­kommen der USA in Syrien viel­leicht bei einem anderen Thema Zuge­ständ­nisse gemacht hat.
Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Syrien ist in dem Buch ein besonders wich­tiges Thema, zu dem Putin im Laufe der Jahre immer wieder Stellung genommen hat. Und seine Aus­sagen dazu sind für jemanden, der kein Rus­sisch kann und sie daher nie gehört hat, wirklich überraschend.

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“