So spielen wir den Waffenstillstand

Der Han­dels­krieg der USA wird in einem Waf­fen­still­stand enden. Chance für Spekulanten.
Diese Woche ist Euro­pawahl. Theo­re­tisch ein Thema für die Märkte, in der Praxis wohl nicht, dürfte sich doch unab­hängig vom Ausgang der Wahlen an der Lage in Europa nichts ändern. Die Befür­worter des „Weiter-so“ werden in der Mehrheit bleiben und damit auf eine Fort­setzung der Politik setzen, die ver­sucht, die Pro­bleme zu lösen, die sie zum Teil selbst ver­ur­sacht hat. Weder am Brexit, der für die EU und vor allem Deutschland ver­heerend ist, noch an der Kon­kurs­ver­schlep­pungs­po­litik mit Blick auf die Eurozone, wird sich etwas ändern. 
Weiter Richtung Japan
Damit wird Europa – und vor allem die Eurozone – weiter in Richtung „japa­ni­sches Sze­nario“ laufen: defla­tio­närer Druck, schwaches Wachstum, Zombies in Real­wirt­schaft und Ban­ken­system sowie rasante Über­al­terung der Gesell­schaft. Und, wie ich schon öfter dar­legte, dürfte es uns in diesem Fall nicht so gut ergehen wie den Japanern. Sie haben es nicht nur geschafft, ihr Brut­to­in­lands­produkt (BIP) pro Erwerbs­tä­tigen seit 1999 um 20 Prozent zu steigern – Deutschland nur um 14 Prozent –, sondern ver­fügen auch über eine funk­ti­ons­fähige Notenbank und eine homogene und lei­dens­be­reite Gesell­schaft.
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In der Eurozone haben wir es per­spek­ti­visch mit noch schlech­terem Wachstum, zuneh­menden poli­ti­schen Span­nungen – bis hin zum Sze­nario von Euro­aus­tritten – und einer Notenbank zu tun, die nicht so ent­schlossen handeln kann, wie jene der USA, dem UK und eben Japans, weil ihre Hand­lungen immer eine Umver­teilung zwi­schen Nationen bewirken. 
All dies wissen nicht nur die regel­mä­ßigen Leser dieser Kolumne, sondern auch die Finanz­märkte. Auch die Bürger Europas ahnen es, wie Umfragen zeigen, die vorige Woche erschienen. Immerhin halten es mehr als 50 Prozent der Befragten in Deutschland, Frank­reich, Italien, Nie­der­lande, Polen, Ungarn, Grie­chenland und Rumänien für sehr wahr­scheinlich oder ziemlich wahr­scheinlich, dass die „der­zeitige Euro­päische Union in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren aus­ein­an­der­fallen wird“.
Die Rendite der zehn­jäh­rigen Bun­des­an­leihe ist unter jene der zehn­jäh­rigen Anleihen des japa­ni­schen Staates gefallen. Bei beiden muss man für das Pri­vileg, dem Staat Geld zu leihen, bezahlen. Nun könnte man meinen, dies sei ein Zeichen dafür, dass die Märkte sich vor den Wahlen in Europa fürchten. Ich denke das nicht. Die Märkte wissen um die Exis­tenz­ri­siken von EU und Euro und sehen sie dennoch nicht als akut an – und schon gar nicht als abhängig von den Wahlen. 
Han­dels­krieg
Der Zins­rückgang bei uns dürfte mehr mit dem ver­schärften Han­dels­kon­flikt zwi­schen den USA und China zu tun haben. Die hiesige Kon­junktur hängt fak­tisch an der Ent­wicklung in China, stand das Land in den letzten Jahren doch für mehr als 50 Prozent des Wachstums der Welt­wirt­schaft und ist der direkte und indi­rekte Treiber für unsere Export­wirt­schaft. Fallen die Kon­junk­tur­in­di­ka­toren in China, fällt der DAX und die Zinsen sinken. Natürlich kommt dann die Sorge um die Eurozone hinzu, ist doch der Zusam­menhalt noch gefähr­deter, wenn Deutschland als Finanz­anker wackelt. 
Womit wir beim rele­vanten Thema für die Märkte wären: die weitere Ent­wicklung des Han­dels­krieges. Diese ist schwer ein­zu­schätzen. Lange Zeit haben vor allem die US-Börsen so getan, als wäre von dieser Front nichts zu befürchten. Ent­span­nungs­t­weets des US-Prä­si­denten hatten in der Tat bis vor wenigen Wochen noch auf eine rasche Einigung hin­ge­deutet und die jüngste Eska­lation kam deshalb über­ra­schend. Trotz des bis­he­rigen Rück­gangs an den Börsen ist dieser noch so moderat, was darauf hin­deutet, dass die Bör­sianer weiter auf ein bal­diges Ende setzen. 
Vor­her­zu­sagen, was Donald Trump macht, wage auch ich nicht. Im grö­ßeren Kontext und ratio­nales Handeln vor­aus­ge­setzt, spricht durchaus einiges für einen wei­terhin harten Kurs der USA. Zunächst muss man nüchtern fest­stellen, dass diese Politik nicht nur bei seinen Wählern hoch populär ist. Auch die oppo­si­tio­nellen Demo­kraten sind für eine härtere Gangart gegenüber China. Da ist zum einen die durchaus berech­tigte Kritik an unfairen Wett­be­werbs­be­din­gungen und dem Dieb­stahl geis­tigen Eigentums. Ande­rer­seits ist es das Klein­halten eines poten­zi­ellen Rivalen auf der welt­po­li­ti­schen Ebene, solange man ihn noch klein­halten kann. 
Logik des Handelskrieges
Dabei treffen die Zölle China zu einem ungüns­tigen Zeit­punkt in der eigenen Ent­wicklung. Der Unter­neh­mens­sektor ist hoch ver­schuldet und es gibt erheb­liche Über­ka­pa­zi­täten in ein­zelnen Indus­trien und im Immo­bi­li­en­sektor. Der Versuch der Regierung, von der Droge bil­ligen Geldes weg­zu­kommen und zugleich den Anteil des pri­vaten Konsums zu stärken, hat bereits zu einer deut­lichen Abnahme des Wirt­schafts­wachstums geführt. In dieser Umbruch­phase treffen die Straf­zölle der USA einen ohnehin schwan­kenden Boxer. Stra­te­gisch gesehen muss man Trump kon­ze­dieren, dass er einen guten Zeit­punkt für seinen Angriff gewählt hat. Wenn man den Auf­stieg Chinas noch ver­hindern will, muss man es heute machen. In den kom­menden Jahren setzt der massive Rückgang der chi­ne­si­schen Erwerbs­be­völ­kerung ein, weshalb das Sze­nario eines Landes, das „alt wird, bevor es reich wird“, durchaus rea­lis­tisch erscheint. In vie­lerlei Hin­sicht ähnelt China übrigens der japa­ni­schen Ent­wicklung noch mehr als Europa, wie die Deutsche Bank vorrechnet.
Für Trump wird es erst attraktiv nach­zu­geben, wenn seine Wie­derwahl gefährdet ist. Dies wäre der Fall bei einem deut­lichen Ein­bruch an der Wall Street – wobei das für den Großteil seiner Wähler eigentlich keine Rolle spielt – und einer Rezession in den USA. Nüch­terne Beob­achter meinen sogar, dass der Han­dels­krieg die Wahr­schein­lichkeit einer Rezession in den USA senkt. Begründung: China ist gezwungen, die eigene Wirt­schaft mit (noch mehr) bil­ligem Geld zu stützen, was bisher immer der Welt­wirt­schaft und auch den USA genutzt hat. Zugleich wird die Fed eher bei einer locke­reren Geld­po­litik bleiben.
Die aktuelle Schwäche des Ren­minbi würde dieses Sze­nario stützen. Es deutet darauf hin, dass die Chi­nesen die geld­po­li­ti­schen Zügel lockern.
Der Waf­fen­still­stand wird kommen
Dennoch ist es rea­lis­tisch, dass es in den kom­menden Monaten zu einer Einigung kommen wird. Je stärker die Börse doch noch reagiert, desto wahr­schein­licher, dass Trump zu einer Einigung bereits ist. Die Gegen­maß­nahmen von China und der Fed wären da schon im Gange und damit auch die Wahr­schein­lichkeit für eine gute Kon­junktur im kom­menden Herbst. Außerdem könnte sich Trump dann noch publi­kums­wirksam die deutsche Auto­mo­bil­in­dustrie vor­knöpfen, eine Ent­scheidung, die er wohl nur auf­schob, um einen Zwei­fron­ten­krieg zu verhindern. 
Dabei darf man sich keiner Illusion hin­geben: Jedes Abkommen zwi­schen den USA und China dürfte mehr den Cha­rakter eines Waf­fen­still­standes als eines Frie­dens­ver­trages haben. Die Kon­flikt­be­reiche zwi­schen den beiden Ländern sind zu weit­gehend. Dies gilt meines Erachtens unab­hängig davon, wer im Weißen Haus sitzt. 
Aus Sicht von Inves­toren ändert das Theater nichts an dem sta­bilen Port­folio, das ich stets pro­pa­giere: Liqui­dität, Gold, Aktien und Immo­bilien in einer am glo­balen BIP aus­ge­rich­teten regio­nalen Gewichtung. 
Für Spe­ku­lanten mag es attraktiv sein, bei stär­keren Rück­setzern Posi­tionen auf­zu­bauen, um diese in der zu erwar­tenden Rallye mit Gewinn zu ver­kaufen. Ebenso inter­essant dürfte es sein, in die Rallye hinein (gedeckte) Calls zu schreiben, um eine schöne Prämie zu ver­dienen, gerade auch, nachdem die Vola­ti­lität wieder ange­zogen hat. Für ganz Mutige bietet es sich zudem an, auf eine Abwertung des Hongkong-Dollars zu wetten. Ist Hongkong doch eine Plattform für die Kapi­tal­flucht aus China und zudem nach einem Schul­denboom des Pri­vat­sektors anfällig für Schocks.

Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com