Warum bezweifelt Malaysia die Ergeb­nisse der Nie­der­lande zu MH17?

Während in Deutschland die Medien berichten, dass Russ­lands Schuld an dem Abschuss prak­tisch erwiesen sei, sieht Malysisa die Sache anders. 
In einer malay­si­schen Zeitung hat die ehe­malige Bot­schaf­terin Malaysias in den Nie­der­landen heute in einem Gast­beitrag die Zweifel Malaysias erklärt. Ich denke, es ist wichtig, diese Position zu kennen und habe den Artikel daher ohne eigene Kom­men­tierung über­setzt. Lediglich an zwei Stellen habe ich für das Ver­ständnis wichtige ergän­zende Infor­ma­tionen beigefügt.
Beginn der Übersetzung:
Lücken im JIT-Ergebnis über MH17
(Anm. d. Übers.: JIT ist das inter­na­tionale Ermitt­lerteam aus Ver­tretern Maly­sisas, den Nie­der­landen, der Ukraine, Aus­tra­liens und Bel­giens)
Die Pres­se­kon­ferenz des Joint Inves­ti­gation Teams (JIT) am 19. Juni über den Abschuss von MH17 hat zu einigen Unei­nig­keiten in den inter­na­tio­nalen Ange­le­gen­heiten geführt. Auf­grund der Unklarheit der Situation halte ich es für sinnvoll, die Ange­le­genheit in ihre Ein­zel­teile zu zer­legen, bevor wir sie noch einmal als Ganzes betrachten.
Die Fakten des Falles: Malaysia Air­lines Flug MH17 wurde vor fünf Jahren, am 17. Juli, von einer Rakete in der Nähe von Donezk im Osten der Ukraine abge­schossen. Alle 298 Pas­sa­giere, ein­schließlich der Besat­zungs­mit­glieder, kamen ums Leben. MH17 flog von Ams­terdam nach Kuala Lumpur und durch­querte dabei die Kon­fliktzone in der Ostukraine.
Das JIT: Das Team besteht aus Ermittlern aus den Nie­der­landen, Malaysia, Aus­tralien, Belgien und der Ukraine. Das Ziel war es, den Sach­verhalt zu ermitteln, die Wahrheit über die Gescheh­nisse zu ermitteln, straf­recht­liche Beweise zu sammeln und die Ver­ant­wort­lichen zu identifizieren.
Malaysia war zunächst aus dem JIT aus­ge­schlossen, bis es pro­tes­tierte und argu­men­tierte, dass es sich um ein malay­si­sches Flugzeug han­delte und die Zahl der malay­si­schen Opfer beträchtlich war.
JIT-Ergeb­nisse: MH17 wurde von einer BUK-Rakete abge­schossen, die von Russland aus in das von Sepa­ra­tisten kon­trol­lierte Gebiet der Ost­ukraine trans­por­tiert wurde. Die nie­der­län­di­schen Ergeb­nisse stützen sich auf phy­sische Beweise, bei denen es sich um etwa 35 Prozent der Reste des Flug­zeugs handelt, die in 11 Con­tainern in die Nie­der­lande trans­por­tiert wurden. Nach Angaben des nie­der­län­di­schen Safety Board wurde jeder Beweis min­destens fünfmal akri­bisch untersucht.
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Auf der Grundlage dieser Erkennt­nisse hielt das JIT in Den Haag eine gemeinsame Pres­se­kon­ferenz ab, um vier Ver­dächtige zu benennen, die für den Abschuss des Fluges MH17 ange­klagt werden sollen. Von den vier Ver­däch­tigen sind drei rus­sische Staats­an­ge­hörige, während der vierte Ukrainer ist.
Sie sollen dafür ver­ant­wortlich sein, dass die töd­liche Waffe in die Ost­ukraine gebracht wurde, die laut JIT nur einen Zweck hatte: ein Flugzeug abzu­schießen. Die Ver­däch­tigen wurden aus Hun­derten von anderen Ver­däch­tigen auf­grund von Big-Data-Screening, abge­hörten Tele­fon­ge­sprächen und Daten aus sozialen Medien ausgesucht.
Nach nie­der­län­di­schem Straf­recht ist ihre Tat strafbar, obwohl sie keine aktiven Sol­daten waren und nicht den Abzug betätigt haben.
Trotz dieser Ergeb­nisse hat das JIT viele Fragen unbe­ant­wortet gelassen. Diese Fragen sind meines Erachtens für den Fall relevanter:
ERSTENS, keiner der vier Ver­däch­tigen war Teil der Besatzung des Fahr­zeugs, von dem aus die Boden-Luft-Rakete abge­schossen wurde. Das JIT konnte nicht ermitteln, wer die Besatzung war, wie viele es waren und wie sie mit den vier Ver­däch­tigen in Ver­bindung standen. Wie war ihre Befehls­kette und welche Befehle hatten sie? Was war die Absicht beim Abschuss der Rakete? War der Vorfall eine bewusste und vor­sätz­liche Handlung, die das malay­sische Ver­kehrs­flugzeug per se treffen sollte, oder ist das malay­sische Flugzeug ins Kreuz­feuer geraten?
Nach dem Straf­recht sind es in der Regel die Tat und die Absicht zugleich, die ein Ver­brechen ergeben. Der Kläger muss nach­weisen, dass das zivile Flugzeug absichtlich erschossen wurde. Die Ver­tei­digung ist einfach dann erfolg­reich, wenn sie berech­tigte Zweifel daran auf­kommen lässt.
ZWEITENS, es gab an dem Tag 160 kom­mer­zielle Flüge über der Ukraine. Warum hat der ukrai­nische Flug­lotse MH17 ange­wiesen, auf einer nied­ri­geren Flughöhe von 33.000 Fuß über das Kon­flikt­gebiet zu fliegen, was unser Flugzeug in Gefahr gebracht hat? Trägt die Ukraine nicht auch schuld daran, dass sie MH17 ange­wiesen hat, auf dieser Flughöhe zu fliegen, wohl wissend, dass sie es einem Ver­kehrs­flugzeug erlaubte, direkt in eine Kon­fliktzone zu fliegen? (Anm. d. Übers.: Diesen Punkt kann man dis­ku­tieren, denn auch die maximale Flughöhe einer Boeing hätte sie nicht vor einer BUK geschützt, die weit Höher fliegen kann, als ein Ver­kehrs­flugzeug. Aller­dings ist die Frage, warum der Luftraum nicht geschlossen wurde, nachdem wenige Tage zuvor ein ukrai­ni­sches Kampf­flugzeug in 6.000 Metern Höhe abge­schossen wurde, mehr als berechtigt und wird wahr­scheinlich noch Gegen­stand bei Scha­den­ersatz-Pro­zessen gegen die Ukraine werden.)
DRITTENS wurden die Mit­glieder der JIT aus den vom Abschuss von MH17 betrof­fenen Ländern gestellt. Aber warum wurde Russland nicht in die JIT auf­ge­nommen? Einige Pres­se­er­klä­rungen haben ange­deutet, dass Russland ein­ge­laden wurde, der JIT bei­zu­treten, es jedoch abge­lehnt hätte. Geschah dies auf die gleiche Weise, wie Malaysia ursprünglich von der JIT aus­ge­schlossen wurde, weil man nicht sicher sein konnte, ob Malaysia Russland und nicht den Westen unter­stützen würde?
Nach Angaben der JIT sind die Ver­däch­tigen unschuldig, bis ihre Schuld bewiesen ist, und es liegt nun in den Händen der JIT, zu zeigen, dass sie unschuldig sind. Zeugen werden gebeten, sich zu melden. Dies geschieht fünf Jahre nach der Gründung der JIT. Das zeigt, wie wenig Beweise sie haben, um die Straf­ver­folgung zu beginnen, aber der Prozess wird dennoch am 9. März nächsten Jahres in Den Haag beginnen.
Für die Malaysier ist die Tat­sache, dass die vier Ver­däch­tigen mit der rus­si­schen Regierung in Ver­bindung stehen, nicht relevant. Wir sollten nicht in eine geo­po­li­tische Fehde zwi­schen dem Westen und Russland ver­wi­ckelt werden. Schließlich wurden die Russen vom Westen von Anfang an direkt oder indirekt für den Vorfall ver­ant­wortlich gemacht.
Was für uns relevant ist, ist die Wahrheit. Was geschah an diesem schick­sal­haften Tag? Wer hat es ver­ur­sacht, und geschah es vor­sätzlich? Wenn es Absicht war, warum dann unser Flugzeug?
Die Autorin war Bot­schaf­terin Malaysias in den Nie­der­landen, als der Vorfall geschah.
Ende der Übersetzung
Wenn Sie sich für die Details von MH17 inter­es­sieren, dann emp­fehle ich Ihnen eine Lese­probe aus meinem Buch über die Ukraine-Krise von 2014. Ich habe sie hier ver­öf­fent­licht, es ist viel Text, im Buch sind es ca. 60 Seiten.
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“