Schon diese zwei Behauptungen der westlichen Medien zeigen, wie widersprüchlich die westlichen Medien berichten. Entweder gibt es in Russland keine Pressefreiheit, sondern Zensur, dann gibt es aber auch keine kritischen Medien. Oder es gibt diese kritischen Medien, dann kann es aber keine Zensur geben, wenn es diese Medien gibt.
Daher lohnt sich ein Blick auf die Details. Gibt es kritische Medien in Russland und wie viele Menschen erreichen sie? Und wie sieht es in Deutschland bei dieser Frage aus?
Man kann in Russland und in Deutschland die Medien in zwei Kategorien einteilen: Da sind zum einen die systemtreuen Medien, die den vorgegebenen Narrativen folgen und dann sind da die systemkritischen Medien, die diese Narrative hinterfragen oder kritisieren.
In Deutschland sind die Thesen, die die systemtreuen Medien nicht hinterfragen oder gar kritisieren unter anderem die Zugehörigkeit Deutschlands zu Nato und EU und die „Westanbindung“, also die Treue zu den USA. Diese Dinge werden nicht wirklich in Frage gestellt. Die systemkritischen Medien werden in Deutschland als „alternative“ Medien bezeichnet und sie hinterfragen diese Themen oder rufen sogar zu einer Änderung der deutschen Politik gegenüber Nato, EU oder der Westanbindung auf.
In Russland gibt es im Grunde nur ein Thema, bei dem die systemtreuen Medien ins gleiche Horn blasen: Das ist die russische Souveränität, die unantastbar ist. Daraus folgt dann, dass Russland sich wegen seiner eigenen nationalen Interessen bei vielen Themen gegen die Positionen des Westens stellt, wenn diese Positionen mit Russlands Interessen in Konflikt geraten. Die systemkritischen Medien in Russland fordern unter den westlichen Schlagworten von „Demokratie und Menschenrechten“ hingegen eine pro-westliche Politik von Russland auf Kosten seiner nationalen Interessen. Dabei kritisieren sie auch Missstände in Russland, manchmal zu Recht, manchmal denken sie sich Skandale auch einfach aus oder verbreiten die Thesen der westlichen Medien als eigene Thesen.
Und die systemkritischen Journalisten dürfen in Russland frei arbeiten. Wie frei oder unfrei Journalisten im Westen und in Russland arbeiten dürfen, habe ich mir im Zusammenhang mit der kurzzeitigen Verhaftung des russischen Journalisten Golunow in Moskau kürzlich angeschaut.
Heute wollen wir uns aber einfach mal anschauen, wie hoch die Reichweite der systemtreuen und der systemkritischen Medien in Deutschland und Russland ist. Das kann man anhand von objektiven Daten analysieren, ich nutze dazu Daten des Analyse-Tools von Alexa, mit dem man sehen kann, wie viele Besucher Internetseiten haben. Man findet dort ein Ranking und kann sehen, auf welchem Platz eine Seite in einem Land steht. Diese Daten ändern sich natürlich mit der Zeit, daher sei angemerkt, dass sich meine Angaben auf heute, also den 25. Juni 2019 zur Mittagszeit, beziehen.
Die beliebtesten Nachrichtenseiten in Deutschland sind Spiegel (Platz 21) Bild (Platz 22), Welt (Platz 36), Focus (Platz 37), Zeit (Platz 58), Tagesschau (Platz 61) und FAZ (Platz 95). Es mag sein, dass ich einige Seiten vergessen habe, die auch noch unter die Top-100 gehören, aber ich denke, dass ich die wichtigsten aufgezählt habe. Die Seite der ZDF-Sendung „heute“ habe ich nicht aufgeführt, weil es für sie keine Daten gibt, denn sie wird unter „zdf.de/nachrichten“ geführt. Bei Alexa gibt es jedoch nur Angaben für die Hauptseite und nicht für Unterseiten. Und „heute“ ist eine Unterseite des ZDF.
Um bloß niemanden zu beleidigen, habe ich in die Liste der alternativen Medien mehr Seiten aufgenommen. Wenn ich dabei jemanden übersehen oder Ihre Lieblingsseite vergessen habe, dann entschuldige ich mich, aber ich musste die Liste ja auch eingrenzen. Man sieht dabei aber schon, dass die Reichweite der alternativen Medien in Deutschland sehr viel geringer ist, als bei den etablierten Medien.
Bei den alternativen Medien sieht die Liste in Deutschland so aus: Epochtimes (Platz 257), Journalistenwatch (Platz 413), Junge Freiheit (Platz 636), Deutsche Wirtschaftsnachrichten (Platz 1.033), N8wächter (Platz 1.120), Nachdenkseiten (Platz 1.442), Die unbestechlichen (Platz 1.564) und KenFM (Platz 1.744). Interessant fand ich, dass so bekannte Seiten wie Rubikon (Platz 3.259), Campact (Platz 4.354) oder das Contra-Magazin (Platz 8.042) nicht einmal unter die Top‑2.000 kommen.
Ich habe Telepolis nicht in die Liste aufgenommen, weil Telepolis eine Unterseite von Heise ist und es für Telepolis bei Alexa daher keine eigenen Daten gibt. Heise selbst ist das führende IT-Portal in Deutschland, weshalb Heise meiner Meinung nach thematisch nicht in die Liste der Nachrichtenseiten gehört.
Übrigens liegt der Anti-Spiegel auf Platz 3.556, was mich ehrlich gesagt ein wenig stolz macht und was ich nie erwartet hätte, denn während die anderen Seiten oft eine Redaktion und Gastautoren haben, betreibe ich den Anti-Spiegel allein und nehme auch keine Gastbeiträge an. Trotzdem hat der Anti-Spiegel manch eine andere, ältere und bekanntere Seite überholt. Aber das nur am Rande und in eigener Sache, nun zurück zum Thema.
Man kann also ganz objektiv feststellen, dass die Reichweite der alternativen Medien in Deutschland viel geringer ist, als die Reichweite der etablierten Konzernmedien, was auch wenig überraschend ist.
Aber wie sieht das in Russland aus?
Die Medien, die man in Russland als systemtreu bezeichnen muss, zumal sie zum Teil unter staatlicher Kontrolle sind, sind mit Platzierung folgende: RIA (Platz 22), Vesti (Platz 51), Isvestiya (Platz 82) und TASS (Platz 118). Auch diese Liste erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Diese Medien sind also in Russland ähnlich gut platziert, wie die „systemtreuen“ Medien in Deutschland.
Wichtige systemkritische Medien in Russland sind: Echo Moskvy (Platz 90), Meduza (Platz 205), Novaya Gazeta (Platz 410), TV-Rain (Platz 763) und Radio Svoboda (Platz 917). Auch hier sei natürlich angemerkt, dass die Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Aber diese Daten zeigen, dass die Reichweite der alternativen (oder systemkritischen) Medien in Russland größer ist, als in Deutschland. Ein Medium, das den ganzen Tag lang Putin kritisiert, ist Echo Moskvy und die sind sogar unter den Top-100 in Russland, davon können deutsche alternative Medien nur träumen. Hinzu kommt, dass Echo Moskvy nicht nur eine Internetseite ist, sondern ein landesweiter Radiosender, der seine kremlkritischen und pro-westlichen Beiträge im ganzen Land per Radio verbreiten darf. Gibt es in Deutschland einen Radiosender, der pro-russisch oder pro-chinesisch oder zumindest anti-westlich eingestellt ist und den man auch noch bundesweit empfangen kann?
Es sei angemerkt, dass Radio Svoboda ein Ableger von Radio Liberty ist, einem von den USA betriebenen Medium, das weltweit die Positionen der US-Regierung verbreitet und auch zu 100% von ihr finanziert ist.
Dann gibt es ja noch den im Westen als hoffnungsvollen und als in Russland überaus populär bezeichneten Oppositionellen Navalny. Angeblich ist er so populär, dass er Putin bei Wahlen gefährlich werden könnte. Aber seine Seite belegt in Russland im Internet nur Platz 3.061. Und das trotz all der medialen Unterstützung durch westlichen Medien, die auch Seiten auf Russisch haben.
Wenn das so wäre, dann müsste ich, der ich mit Anti-Spiegel auf Platz 3.556 in Deutschland stehe, ja auch ein „hoffnungsvoller Oppositioneller“ sein, der bei einer Wahl zu einer Gefahr für Merkel werden könnte. Das nur am Rande, um aufzuzeigen, wie absurd die „Berichterstattung“ der westlichen Medien zum Teil ist.
Navalny ist ein Produkt der westlichen Medien, der in Russland zwar dank der westlichen Medien bekannt ist, aber keineswegs allzu großen Zuspruch genießt. Die westlichen Medien beschweren sich immer, dass Putin ihn kaum zur Kenntnis nimmt und nicht über ihn spricht. Aber ich habe Merkel auch noch nicht über mich oder auch über Ken Jebsen sprechen hören, der in Deutschland im Ranking weit höher steht, als Navalny in Russland.
Nun wollen wir zu den staatlichen Auslandsmedien kommen.
In den westlichen Medien werden RT und Sputnik als „Propaganda-Instrumente Russlands“ und als „Staatsmedien“ bezeichnet. Und es klingt so, als sei das etwas ganz schreckliches. Dabei lernen die Russen nur vom Westen. Radio Europe und Radio Liberty sind US-Staatsmedien, die schon seit Jahrzehnten die US-Propaganda in die Welt tragen. Und die Deutsche Welle und die BBC sind ebenfalls solche Staatsmedien.
Leider lässt sich deren Reichweite in Deutschland oder Russland bei Alexa nicht messen, denn in den Landessprachen betreiben sie nur Unterseiten. Die Ausnahme ist zum Beispiel Radio Liberty, das mit Radio Svoboda eine eigene Seite auf Russisch betreibt. Ansonsten kann man bei Alexa nur die weltweite Reichweite dieser Auslandsmedien messen. Und da sieht man, dass die Russen durchaus von den westlichen Medien gelernt haben, aber noch nicht zu den weltweit im Internet führenden westlichen Medien aufgeschlossen haben.
Bei meiner Auswahl der international gelesenen Medien (wieder hat die Liste nicht den Anspruch, vollständig zu sein) sieht die Rangfolge der weltweiten Platzierungen folgendermaßen aus: BBC (Platz 88), New York Times (Platz 118), CNN (Platz 184), RT (Platz 258), Sputnik (Platz 606) und die Deutsche Welle (Platz (1.007).
Wir können also festhalten, dass die systemkritischen Medien im Internet in Russland eine weit höhere Reichweite haben, als im Westen. Die Behauptungen der westlichen Medien, in Russland gäbe es keine regierungskritischen Medien ist damit nicht nur widerlegt, denn wie wir sehen, gibt es sie. Es ist darüber hinaus sogar so, dass die regierungskritischen Medien in Russland eine größere Reichweite haben, als im angeblich so freien Westen, der behauptet, bei ihm wäre die Meinungsvielfalt größer, als sonst wo auf der Welt. Die nackten Zahlen zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist.
Und wenn aus dem Internet herausgeht und sich anschaut, wie es um Radio oder Fernsehen bestellt ist, dann wird es noch deutlicher, denn während es in Russland mit Radio Echo Moskvy einen landesweiten, regierungskritischen Radiosender gibt, gibt es in den meisten westlichen Ländern solche Sender nicht einmal auf regionaler Ebene. In Berlin gab es Radio Sputnik, das nun seine Lizenz verliert (wie war das mit Pressefreiheit?), in den USA ist RT aus den Kabelnetzen geworfen worden und muss sich als „ausländischer Agent“ registrieren. Und selbst die Akkreditierung von russischen Journalisten wird in Frankreich inzwischen verweigert, weshalb das russische Außenministerium kürzlich angedroht hat, sich gegenüber französischen Journalisten in Russland in Zukunft genauso zu verhalten. Aber bisher gibt es aus Russland keinen Bericht darüber, dass ausländische Journalisten Probleme mit der Akkreditierung in Russland gehabt hätten.
Trotzdem hat erst vor kurzem die deutsche Staatssekretärin Grütters in einem Interview das Gegenteil behauptet, woraufhin das russische Außenministerium offiziell eine Erklärung gefordert hat, um welchen konkreten Fall es denn ginge. Eine Antwort bekam Russland nicht.
Und während der Westen sich furchtbar über die „russische Propaganda“ aufregt und russische Medien mit Gesetzen über angebliche Desinformation einschränken möchte, bezahlt der Westen selbst nach öffentlich zugänglichen Quellen mehr als eine Milliarde pro Jahr, um seine Meinung über Medien in Russland zu verbreiten.
Russische Offizielle machen sich darüber inzwischen lustig, wenn sie erwähnen, dass der Westen Russland über Meinungs- und Pressefreiheit belehren möchte, selbst diese Freiheiten bei sich aber immer mehr einschränkt. Das russische Außenministerium hat sogar schon ein „Weißbuch über Verletzungen der Menschenrechte durch Staaten des Westens“ herausgegeben, dessen Kritik sich nicht etwa auf „russische Propaganda“, sondern auf in westlichen Medien gemeldete Fälle bezieht. Das russische Außenministerium hat diese Fälle einfach nur in einem Bericht zusammengefasst, was ein überraschend gruseliges Bild über Meinungs- und Pressefreiheit und die Lage der Menschenrechte im Westen ergibt.
Und auch die Zensur in sozialen Netzwerken wie Facebook war schon öfters Thema im russischen Fernsehen.
Der Westen hält dagegen, indem er die Reporter ohne Grenzen Rankings veröffentlichen lässt, die dem Westen eine tolle Pressefreiheit bescheinigen, im Rest der Welt jedoch sieht es demnach mit der Pressefreiheit übel aus. Was dabei immer verschwiegen wird ist, dass die Reporter ohne Grenzen ein von den Nato-Staaten finanziertes Propaganda-Instrument sind, die das veröffentlichen, was die Nato-Staaten möchten.
Wenn ich mir all diese nackten Fakten und Zahlen anschaue, mache ich mir derzeit deutlich mehr Sorgen um die Pressefreiheit im Westen, als in Russland…
PS: Auf die Idee zu dem Artikel bin ich durch ein Video auf dem YouTube-Kanal „Golos Evropy“ gekommen. Auf dem Kanal berichtet ein Russland-Deutscher auf russisch über Politik und Medien im Westen. Er hatte sich dieses Thema in einem anderen Zusammenhang angeschaut, was mich auf die Idee brachte, diese Dinge einmal selbst genauer zu recherchieren. Daher danke ich dem Betreiber des Kanals auf diesem Wege für die Idee.
Wenn Sie sich dafür interessieren, wie Russland auf die Fragen der internationalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und ungekürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. Dort gibt es auch ein Kapitel über Pressefreiheit mit ausführlichen Zitaten von Putin zu dem Thema, die in diesem Zusammenhang sehr lesenswert sind.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“