Ich reise durch ein fremdes Land …

von Maria Schneider

Fremdes Land

Ich reise durch ein fremdes Land
In Wies­baden geh’ ich an den Taxistand.
Dort steh‘n ein alter und ein junger, brauner Mann.
Der Junge hat zer­fetzte Hosen an.
Ich will fliehen, doch der alte Türke schaut mich freundlich an:
„Was ist Ihr Ziel?“
Ich gebe die Adresse an.
Ich fahre durch ein fremdes Land
Und komme bei der Firma an.
Inner­deut­scher Grenzübergang.
Zurück in meinem alten Heimatland,
Die Ausweis-Elek­tronik­karte in der Hand
Tret‘ ich meinen Auftrag an.
Danach zurück in’s Feindesland.
Im Bahnhof Frankfurt kommt die Warnung:
„Die­bes­banden schaffen an.“
Ich reise durch ein fremdes Land
In Höchst schau’ ich mir Kli­ma­schützer an
Gesichter hinter Affenmasken
Nichts hören, sehen und nichts sagen
Prangern Kli­ma­leugner an
Mir wird bei ihrem Anblick Angst und Bang.
Ich rase durch ein fremdes Land
Mein Zug kommt in Han­nover an.
Der Schaffner spricht von Religion
Ich fühle Unbe­hagen bei dem Ton.
Ich treibe durch ein fremdes Land
Im Bahnhof schau’n mich Afri­kaner an.
Die Flucht nach vorn führt mich hinaus
Vier Poli­zisten führen ihre Waffen aus.
Es regnet und ich geh’ hinein,
Wo starke Männer patrouillieren.
Gelbe Westen, schwarze Hosen
Alle sollen hier parieren.
Ich renne durch das fremde Land
Zum inner­deut­schen Grenzübergang.
Die Ausweis-BahnCard in der Hand
Die Lounge ist warm, mein altes Heimatland.
Ich trinke Tee und bin entspannt
Doch plötzlich schließt mein altes Land
Das Tor schließ eine blonde Frau,
Bewacht von Mus­kel­männer – ganz in Blau.
Ich laufe durch den Bahnhofsraum
Auf den Sitzen schwarze Frau’n.
Ich laufe durch den Bahnhofsraum
Junge Männer – Dut­zende – mal schwarz, mal braun.
Ich laufe durch den Bahnhofsraum
Ara­bisch, tür­kisch, per­sisch – alles – nur kaum deutsche Frau’n.
Ich fliehe in den nächsten Zug
Er steht bereit, ich habe bald genug.
Ich brause durch mein fremdes Land
Und komme in der Stadt der Wölfe an.
Auf dem Vor­platz ein Afghane
Irre lich­ternd schreit er fremde Men­schen an.
Ich reise durch ein fremdes Land.


Maria Schneider ist freie Autorin und Essay­istin. Sie reist viel durch Deutschland und die Welt. In ihren Essays beschreibt sie die deutsche Gesell­schaft, die sich seit der Grenz­öffnung 2015 in atem­be­rau­bendem Tempo verändert.